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aliqua re für habere, was noch bis auf die neueste Zeit hin und wieder in den Schulen spukt *).

Neben der Jagd auf solche Phrasen ging die Pflege dreier rhetorischer Künste her, der imitatio, variatio, dilatatio, welche nicht sowohl an sich verwerflich waren, als durch den Mißbrauch schädlich wirkten, der es mit ihnen bis zur widerwärtigsten Künstelei trieb. Was die imitatio betrifft, so war es Sitte (vgl. Heineccius p. 366) irgend ein Produkt in ciceronianischen, livianischen, taciteischen, plinianischen Stil umzusehen; was sie mitunter für Früchte trug, haben wir an jener Probe aus dem Panegyrikus auf Stryck gesehen. Merkwürdig ists, daß selbst Wolf Encyclop. S. 204 diese Umwandlung der Stilarten noch empfiehlt. Am ärgsten aber wurde es mit der variatio und dilatatio getrie ben. Schon Erasmus variirt in seiner oben angeführten Schrift das Sätchen semper, dum vivam, tui meminero auf mehr als zehn enggedruckten Octavseiten, und der Jesuite Wagner in feiner Compendiaria methodus addiscendi tres praecipuas latinae linguae virtutes, puritatem, elegantiam et copiam, Diling. 1736 schreibt p. 88 ff. dieses Kunststück noch zwei Jahrhundérte später als musterhaft ab. Von der dilatatio gibt ebenfalls Erasmus im zweiten Buche jener Schrift merkwürdige Beispiele, von welchen wir das kleinste (p. 238) herseßen wollen: Totus commaduit. A summo capillo ad imum usque calcaneum pluvia commaduit. Caput, humeri, pectus, venter, tibiae, totum denique corpus pluvia distillabat.

4. Während nun in den Schulen diese größtentheils brot= losen Künste getrieben wurden und das Latein so sehr seine Würde verlor, daß es vor hundert Jahren in Deutschland wohl schwerlich mehr als drei geschmackvolle Stilisten gab, Mosheim, Gesner und Ernesti, hob sich auf der andern Seite die Muttersprache, an die rein gebliebene Kirchen- und Bibelsprache anknüpfend, zu einer nie geahnten Darstellungsfähigkeit. Insbesondere setzte die deutsche Philosophie so viel neue Begriffe und Wörter in Umlauf, daß das Latein, wie es bisher betrieben und geübt wurde, nicht mehr zureichte. Dieß fühlt schon Ernesti, der in seiner er*) Viel gesunder und vernünftiger ist der Geist, der in einer früheren Arbeit dieser Art herrscht, in Benjamin Hederich's Promtuarium latinitatis probatae et exercitae oder vollständiges deutsch-lateinisches Lerikon u. s. w. Leipzig 1729. Man sieht, wie bis 1758 Heineccius' Lehren gewirkt hatten.

wähnten Vorrede zum Weißmann'schen Lexikon sagt: „es sind freilich, zumal in der gegenwärtigen deutschen Art zu reden (1758), viel Ausdrücke, die der Ungeübte schwerlich recht überseßen kann,“ und fernerhin klagt „über die in den deutschen Schulen und Schriften der Philosophen neuerlich ausgeheckten oder durch die ungeschickten Uebersetzungen aus der französischen und anderen in unsere Sprache eingeschlichenen Wörter und Redensarten." Und Ernesti kannte noch keine andere Philosophie als die Wolf'sche, die er in seinen initiis solidioris doctrinae mit solchem Glück in ein lateinisches Gewand zu kleiden suchte, daß Gesner in der Vorrede zu Vorst (siehe oben) jenes Buch ein aureum opusculum nennt, ediscendum his, si qui philosophiae veteri et novae ita operam dare velint, ut ab latini sermonis puritate et naturali pulchritudine non recedant.

Mit der Ausbildung der deutschen Philosophie, deren einzelne Schulen auf die Bereicherung des Sprachschaßes mächtig einwirkten, mit der immer zunehmenden Kräftigung unserer Sprache durch die Dichter, deren Ausdrucksweise bald auch die Prosa hob und veredelte, wurde das Lateinschreiben in demselben Grade schwieriger, als es entbehrlich zu werden schien. Es ge= nügte nicht mehr, des lateinischen Sprachschazes als solchen mächtig zu sein und das Latein innerhalb seiner selbst zu beherrschen; man mußte dasselbe verfügbar haben in Bezug auf den innerhalb der deutschen Sprache entwickelten Reichthum; man mußte wissen, wie die Fülle der deutschen Diktion, die Masse von Anforderungen, welche besonders der wissenschaftliche Stil macht, zu decken sei durch die relative Armuth der lateinischen Rede. Hier herrschte Ueberfluß, dort Mangel. Darum entstand die Frage: wie reichen die dem Lateiner karg zugemessenen Darstellungsmittel zur Deckung der deutschen Anforderungen aus? Es mußte geforscht werden, ob das Latein troß seiner verhältnißmäßigen Armuth nicht vermögend sei, die Kraft seiner Mittel zu steigern, ob nicht das Vorhandene durch sachgemäße und energische Verwendung zu dem Bedürfniß ins rechte Verhältniß geseßt, ob nicht durch scharfes Aufmerken im Latein Kräfte und Darstellungsmittel entdeckt werden könnten, welche bisher noch gar nicht waren aufgeboten worden. Diese Aufgabe hatte die Entwickelung der deutschen Sprache einer lateinischen Stilistik für Deutsche gestellt.

Wurde diese Aufgabe zu lösen versucht, so ergab sich eine Sprachvergleichung der allerwichtigsten Art. Legt man mit Recht

schon einen großen Werth auf sprachvergleichende Etymologie, welche doch nur den Leib des Wortes ins Auge faßt, und auf vergleichende Syntax, welche nur die Beziehungen und Fügungen der Worte betrachtet, so muß man wahrlich die Forschung für wissenschaftlich berechtigt anerkennen, welche sich so zu sagen die Seele der Sprache zum Gegenstand macht, welche in ihren Bereich alle die Kräfte zieht, durch welche die Gestaltung und Verkörperung der Gedanken in den beiden zu vergleichenden Sprachen bewerkstelligt wird. Es wird hier nicht blos Laut mit Laut oder Rection mit Rection, sondern Anschauung mit Anschauung, Denkform mit Denkform, Bild mit Bild, Organismus mit Organismus verglichen. Es ringen miteinander zwei Sprachen; jede mißt in diesem Ningen ihre Kraft an der Gegnerin, und durch die Forderungen, welche von dieser gestellt werden, kommen ihr die Mittel, über welche sie selbst verfügt, immer vollständiger zur Kenntniß. Und zwar kommt das Maß dieser Mittel nur dann recht an den Tag, wenn sich heterogene Sprachen messen, nicht eine reiche mit einer reichen, nicht eine moderne mit einer modernen; denn beide tauschen und vergleichen sich zu leicht. Somit ist zum fruchtbaren Kampfe mit dem Deutschen keine Sprache geeigneter als die lateinische; keine verhilft durch die Anstrengungen, welche sie machen muß, um dem Deutschen zu genügen, anschaulicher zur Einsicht in die Schäße der Gegnerin; in keiner bringt der Kampf die eigenen Kräfte mehr ans Tageslicht. Der Deutsche verzichte auf das Lateinschrei= ben, und er verzichtet zugleich auf ein aus dem Gegensatz zu ge= winnendes Wissen von dem, was seine Sprache so reich macht, und auf eine stets sich mehrende Erkenntniß der im Lateinischen verfügbaren Kräfte. Man wende nicht ein, daß zur Gewinnung solcher Einsicht das Ueberseßen in die Muttersprache zureichend sei. Hier werden wir nur veranlaßt den Leistungen einer armen Sprache mit den Mitteln einer reichen zu entsprechen; wir sind nur genöthigt in unserem eigenen Besißthum recht zu Hause zu sein. Aber wir lernen die Kräfte nicht oder nur mangelhaft kennen, durch welche die lateinische Armuth es mit dem deutschen Reichthum aufnimmt; wir beuten das Lateinische nicht aus, wir legen nicht diesem die Fragen und Probleme vor.

5. Somit liegt schon in der Aufgabe, die sich eine zeitge= mäße Stilistik stellen muß, eine Rechtfertigung des Lateinschreibens; denn dessen wissenschaftlichen Werth wird Niemand leugnen können, der sich auf den Standpunkt der Sprachvergleichung zu

stellen geneigt ist. Von diesem aus erachten wir die stilistischen Bemühungen für unangreifbar, so sehr wir auch zugestehen, daß Lateinschreiben nicht mehr Zweck für sich ist, und daß diese Sprache nicht mehr ausschlicßliches Werkzeug wissenschaftlicher Mittheilung sein kann. Doch können wir in leßter Beziehung nicht umhin auszusprechen, daß man sich von der Unzulänglichkeit des Latein für moderne Wissenschaft nicht selten die wunderlichsten Vorstellungen macht und oft aus Mangel an Sachkenntniß der Sprache die Schuld aufbürdet, welche man selber trägt. Was klar und richtig gedacht ist, läßt sich auch lateinisch sagen. Vornehme Redensarten sehen freilich lateinisch überseßt oft nicht mehr vornehm aus; aber dafür kann das Latein nichts, welches die Möglichkeit, die es wie jede Sprache bietet, Gedanken-Armuth hinter schöne Diction zu verstecken, reichlich dadurch gut macht, daß es die vornehmen Geister nöthigt, ihren Gedanken den Flitterputz auszuzichen und dieselben in ihrer Nacktheit darzustellen. Vom sprachvergleichenden Standpunkt aus läßt sich auch leicht erweisen, daß Fertigkeit Latein zu sprechen und zu schreiben wenn auch nicht mehr den Gelehrten macht, gleichwohl noch immer eine Zierde der Gelehrsamkeit ist. Denn wahren Werth hat diese nicht ohne Bildung; Bildung aber ist nicht denkbar, ohne daß man, kurz gesagt, des Geistes Geschäfte versteht und ihn zu erkennen vermag in der Arbeit, mit welcher er sich selbst am unmittelbarsten und reinsten ausspricht. Dies kann aber Niemand, der bloß instinktmäßig, wie das Kind, die eigene Sprache spricht, nicht aber Kenntniß nimmt von der Verschiedenheit der Formen, in denen der Geist bei den verschiedenen Völkern sich ausprägt, oder der bei den der eigenen Sprache nächstverwandten Formen stehen bleibt, ohne sich auf die wesentlich und ursprünglich verschiedenen einzulassen. Mit jenem Standpunkt endlich ist das Lateinschreiben in der Schule gerechtfertigt, welche den Geist bilden soll nicht nur durch Einführ ung in die herrlichsten Erzeugnisse desselben, sondern auch durch Nachweisung dessen, was er an sich, in seiner nächsten und zugänglichsten Bethätigung in der Sprache ist, zu dieser Nachweisung aber ebenfalls einer Darlegung der unterschiedlichen Formen bedarf, in denen er sich bei den vornehmsten Culturvölkern offenbart.

6. Fragen wir nun, wie sich die Stilistik zu den historisch erwachsenen Anforderungen der Wissenschaft verhalten hat, so können wir nicht läugnen, daß sie troß der durchgreifendsten

und wesentlich sten Verbesserungen im Einzelnen doch im Ganzen und ihrer Methodik nach auf dem vor hundert Jahren eingenommenen Standpunkte geblieben ist. Denn sie kam bis auf die neuesten Zeiten über die vor einem Jahrhundert gang und gebe Eintheilung nicht hinaus, kraft deren man zuerst von der Correctheit, dann von der Schönheit des lateinischen Stiles handelte. Heineccius spricht in seinem ersten Theile de fundamentis stili grammaticis, rhetoricis, philosophicis ; von den beiden ersten sagt er (p. 198), daß sie ad orationis structuram et ornatum, von den leßten, daß sie ad orationis materiam pertinent. Wir haben hiemit nichts anderes als nach seinem eigenen Geständniß p. 55 eine unvollständige Grammatik, dann aus der Rhetorik den locus de elocutione, endlich einen dürftigen Abriß der Logik. Seine beiden andern Theile handeln, der zweite de variis scriptionibus in soluta oratione usitatis, der dritte de variis cultioris stili facultatem assequendi subsidiis, berühren die Kunst der Darstellung also gar nicht. Der oben genannte Jesuite Wagner handelt in seiner compendiaria methodus (1737) 1) de puritate, 2) de elegantia, 3) de copia sermonis. Sehen wir in einer Stilistik vom Anfang des jeßigen Jahrhunderts nach, so finden wir bei Hasse de causis linguae latinae (1802) die Abtheilungen 1) de oratione grammatica, 2) de elegantia, 3) de ornatu. Endlich in Hand's an sich vortrefflichem, höchst lehrreichem Werke (2. Aufl. 1839, dritte Auflage, bearbeitet von Dr. Heinr. Ludw. Schmitt, Jena 1880) finden wir nach allgemeinen und historischen Erörterungen 1. Lehren des la= teinischen Stils in Bezug auf Correctheit, 2. Lehren des lateinischen Stils in Bezug auf Schönheit, und dies ist auch die Grundeintheilung von Heinichen's Lehrbuch der Theorie des lateinischen Stils, zweite Aufl. Leipzig 1848, und im Wesentlichen auch die von Reinhold Kloß in seinem Handbuch der lateinischen Stilistik herausgegeben von Richard Kloz. Leipzig, Teubner 1874. Erst in neuester Zeit hat besonders Moriz Seyffert in seiner Palästra Ciceroniana praktisch im Geiste der Sprachvergleichung, wie wir sie auffassen, gearbeitet *), und auch Grysar hat in der zweiten Auflage seiner Theorie des lateinischen Stiles (Köln 1843)

*) Auch unsere Uebungen des lat. Stils I. Heft 1829 (siebente Aufl. 1880), II. H. 1830 (fünfte Aufl. 1878), III. H. 1837 (sechste Aufl. 1879) haben, wenn auch anfangs in sehr unvollkommener Ausführung, denselben Zweck verfolgt.

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