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,,Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so daß ein Blinder, dem ,,das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich ,,Lebendiges faffen kann.

,,So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu ,,bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich ,,selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerk= samen ist sie nirgends todt noch stumm; ja dem starren Erdkörper ,,hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten ,,Theilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, ge= ,,wahr werden sollten.

,,So mannichfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft ,,diese Sprache scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer ,,dieselbigen. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die „Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein ,,Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle die ,,Erscheinungen bedingt werden, die uns in Raum und Zeit ent,,gegentreten."

4. Die Lerche.

1. Gegrüßet seist du, du Himmelsschwinge,
Des Frühlings Bote, 1) du Liederfreundin,
Sei mir gegrüßet, geliebte Lerche,

Die beides lehret, Gesang und Leben. 2)

2. Der Morgenröthe, des Fleißes Freundin, 3)
Erweckst du Felder, belebst du Hirten;

Sie treiben munter den Schlaf vom Auge;
Denn ihnen singet die frühe Lerche.

3. Du stärkst dem Landmann die Hand am Pfluge,
Und giebst den Ton ihm zum Morgenliede.
„Wach' auf und singe, mein Herz voll Freude,
Wach' auf und singe, mein Herz voll Dankes!")
4. Und alle Schöpfung, die Braut5) der Sonne,
Erwacht verjünget vom langen Schlafe;

1) Die Lerche verkündigt die ersten angenehmen Frühlingstage. 2) Man muß wohl hier auflösen: Sie lehrt uns, wie wir singen sollen (freudig und andächtig), und weckt uns zur Wirksamkeit.

3) Weil sie über den Feldern singt.

4) Der Gesang der Lerche ist heiter an sich; er ist andächtig, weil sie

ihn zum Himmel trägt.

5) Das Bild schickt sich nicht recht zum Worte Soņne. Wie kann die Sonne eine Braut haben?

Die starren Bäume, sie hören wundernd
Gesang von oben und grünen wieder.

5. Die Zweige sprießen, die Blätter feimen,
Das Laub entschlüpfet und horcht dem Liede.
Die Vögel girren im jungen Neste,

Sie üben zweifelnd die alten Stimmen.
6. Denn du ermunterst sie, kühne Lerche,
Beim ersten Blicke des jungen Frühlings,
Hoch über Beifall und Neid erhoben,
Dem Aug' entflogen, doch stets im Ohre.
7. Inbrünstig schwingst du dich auf zum Himmel
Und schlüpfft bescheiden zur Erde nieder.
Demüthig nistest du tief am Boden

8.

Und steigst frohlockend zum Himmel wieder.
Drum gab, o fromme, bescheid'ne Lerche,
Du, über Beifall und Stolz erhob'ne,
Du munt're Freundin des frühen Fleißes,
Drum gab der Himmel dir auch zum Lohne

9. Die unermüdlich-beherzte Stimme,

Den Ton der Freude, den langen Frühling.")
Selbst Philomele, die Liedergöttin,

Muß deinem langen Gesange weichen.

10. Denn ach! der Liebe, der Sehnsucht Klagen
In Philomelens Gesang ersterben;

Das Lied der Andacht, der Ton der Freude,
Das Lied des Fleißes hat langen Frühling.

6) Die Lerche singt den ganzen Sommer durch.

Was man an diesem Liede vermißt, das ist der Reim. Es ist (wie das Kind der Sorge und viele andre von Herder) in Strophen getheilt, ohne daß irgend ein strophischer Anhaltspunkt vorhanden wäre, nicht einmal ein innerer, indem Str. 8 mitten im Saße aufhört.

5. Das Lied des Lebens.

1. Flüchtiger als Wind und Welle
Flieht die Zeit; was hält sie auf?
Sie genießen auf der Stelle,
Sie ergreifen schnell im Lauf,

Das, ihr Brüder, hält ihr Schweben,
Hält die Flucht der Tage ein.
Schneller Gang ist unser Leben,
Laßt uns Rosen1) auf ihn streu'n!
2. Rosen, denn die Tage sinken
In des Winters Nebelmeer; 2)
Rosen, denn sie blühn und blinken
Links und rechts noch um uns her.
Rosen stehn auf jedem Zweige
Jeder schönen Jugendthat.
Wohl ihm, der bis auf die Neige
Rein3) gelebt sein Leben hat.
3. Tage, werdet uns zum Kranze,
Der des Geistes Schläf' umzieht,
Und um sie in frischem Glanze
Wie ein Traum der Jugend blüht.
Auch die dunkeln Blumen kühlen 4)
Uns mit Ruhe, doppelt süß;
Und die lauen 5) Lüfte spielen
Freundlich uns in's Paradies. 6)

1) Blumen des Andenkens schöner Handlungen und freudiger Ereignisse. Rosen, als die schönsten Blumen, sollen den zurückgelegten Weg bezeichnen, damit die Erinnerung daran uns das Schöne wieder neu gebehre. Der Anfang des Hölty'schen Liedes: „Rosen auf den Weg gestreut“ hat einen ganz andern Sinn: Laßt uns alles Bittere vergessen und nur an Erfreuliches denken.

2) In das Nebelmeer der Vergessenheit.

3) Ohne Schuld, frei von Gewissensbissen.

4) Auch Leiden erquicken in der Erinnerung. Vergl. Salis Ermunterung, Str. 7.

5) In der Gedichtsammlung steht lauten, was gar keinen Sinn giebt. Die zerstreuten Blätter, in denen das Gedicht zuerst erschien, geben die richtige Lesart lauen, b. i. Frühlingslüfte. Die Beziehung zwischen den lauen Lüften und der Versetzung in's Paradies bleibt übrigens dem Erklärer dunkel. Vermuthlich soll lau hier der Gegensatz zu kühlen sein, und der Sinn wäre dann: Selbst die Erinnerung an Unangenehmes muß uns erfrischen.

6) In's Paradies der Erinnerung an den entflohenen Lenz der Jugendzeit.

6. Der Nachruhm.

1. Mich reizet nicht des Ruhmes Schall,

Der aus Posaunen tönt;

Den jeder leise Wiederhall
Im stillen Thal verhöhnt.

Ein Ruhm, der wie der Sturmwind braust,
Ist selbst ein Sturm, der bald versaust.
2. Mich reizet mehr der Silberton,
Der unbelauschet klingt

Und meiner Muse schönsten Lohn,
Den Dank des Herzens singt,
Die Thräne, die dem Aug' entfließt
Und mich mit Bruderliebe grüßt.

3. Nicht allen gönnte die Natur
Das allgepries'ne Glück,

Zu bilden auf des Schöpfers Spur
Ein ew'ges Meisterstück,

Das, ein vollkommnes seiner Art,
Der Nachwelt stetes Muster ward;

4. An dem, im Anblick noch entzückt,
Der späte Schüler steht

Und in des Meisters Seele blickt
Und stumm von dannen geht,
Indeß sein Herz den seltnen Geist
Mit lautem Puls glückselig preist.

5. Wir schwimmen in dem Strom der Zeit
Auf Welle Welle fort;

Das Meer der Alvergessenheit
Ist unser letter Ort.

Genug, wenn Welle Welle trieb,
Und ohne Nahmen Wirkung blieb.

6. Wenn dann auch in der Zeiten Bau
Mich bald ihr Schutt begräbt,
Und meine Kraft auf Gottes Au
In andern Blumen lebt,

Und mein Gedanke mit zum Geist
Vollendender Gedanken fleußt.

7. Schön ists, von allen anerkannt,
Sich allgelobt zu sehn;

Doch schöner noch, auch ungenannt,
Wohlthätig fest zu stehn.

Verdienst ist meines Stolzes. Neid
Und bei Verdienst Unsichtbarkeit.

8. So nennet Gottes Kreatur

Nur schweigend seinen Ruhm;

Sie blüht in wirkender Natur,
Ihr selbst ein Eigenthum.

Der Schöpfer zeigt sich nicht, und kühn
Verkennt der Thor und läugnet ihn.

Vermuthlich eins der frühesten Gedichte Herders, aber ein prophetisches. Obgleich Herder allerdings keine eigentlichen Meisterwerke der Kunst hervorgebracht hat, so ist doch sein Einfluß und seine Wirksamkeit auf die Köpfe Deutschlands unermeßlich; eine Menge Ideen sind jezt in Umlauf, die zuerst in seinen Schriften vorkommen und uns freilich jetzt nicht mehr so außerordentlich vorkommen, wenn wir sie darin lesen, eben weil sie schon in den Kreis allgemeiner Erkenntnis übergegangen sind. Herder selbst sagt in den Briefen zur Beförderung der Humanität: ,,Mag untergehen der Nahme, was liegt am Nahmen! Was seiner Natur nach wahrhaft unsterblich ist, kann uns von Zeiten, Menschen und Schicksalen nicht geraubt werden. Unsterblich, und allein unsterblich ist, was in der Natur und Bestimmung des Menschengeschlechts, in seiner fortgehenden Thätigkeit, im unverrückten Gange desselben zu seinem Ziele, der möglichst besten Ausarbeitung seiner Form, wesentlich liegt; was also seiner Natur nach fortdauern, auch unterdrückt immer wiederkommen, und durch die fortgesette, vermehrte Thätigkeit der Menschen immer mehr Umfang, Haltung und Wirksamkeit erlangen muß: das rein Wahre, Gute und Schöne. Ungeachtet aller einander entgegenstrebender Kräfte unsers Geschlechts scheint eine allgemeinere, vollere, sanftere Fortwirkung desselben auf die Nachwelt in der Ordnung der Dinge und im Lauf seines Daseins zu liegen."

In den Erinnerungen aus Herders Leben sagt seine Wittwe: ,,Jeder Gute, sagte er, sei an seiner ihm angewiesenen Stelle berufen, bessere Zeiten wo nicht hervorzubringen, doch vorzubereiten. Dieser Glaube war sein Reich Gottes, sein eigenstes Dasein. O, wie glücklich im Stillen war er, wann er (zumal in frühern Zeiten) einen Gedanken zu Beförderung irgend eines Guten zum gemeinen Besten fand!“

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