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Erstes Buch.

Correctheit des lateinischen Stils.

§. 9.

Es ist jetzt zunächst das Grundgesetz und oberste Princip aufzustellen, das wir in Bezug auf lateinischen Stil überhaupt und Correctheit insbesondere zu beobachten und stets im Auge zu behalten haben. Es lässt sich aber dasselbe kurz in den Worten zusammenfassen: Man richte sich beim Lateinischschreiben vorzüglich nach dem Sprachgebrauch und der Ausdrucks- und Darstellungsweise der besten lateinischen, ächt classichen Schriftsteller des sogenannten goldnen Zeitalters (von der Zeit des Sulla bis auf die Zeit des Augustus), und unter diesen vor allen nach Cicero, und nächst ihm nach Cäsar, Livius, Sallust als Meistern des lateinischen Stils, aber man ahme weder diese Schriftsteller überhaupt noch den Cicero insbesondere ausschliesslich und sclavisch nach. Unbedingt verwerflich ist demnach für uns nur das Unlateinische, Barbarische, so wie Barbarismen mit ihren verschiedenen Arten, und Soloecismen (§. 6. Anm.).

§. 10.

Zur Begründung und weitern Ausführung des §. 9. dient Folgendes.

1. Wie jede Sprache, welche mehrere Jahrhunderte eine lebende war, allen den mannichfaltigen Veränderungen unterworfen sein musste, welche das Volk selbst, das sie sprach, nach der Verschiedenheit seiner geistigen und sittlichen Bildung, seiner bürgerlichen Verfassung und politischen Macht verlebte, so hat auch die lateinische Sprache seit ihrem Ursprung im Fortgange der Zeit nicht allein im Munde des Volkes, sondern auch in der Schriftsprache der Gebildeten mit dem allmäligen Steigen und Blühen so wie dem Sinken und Verfall der römischen

Nation ihre Beschaffenheit sehr verändert und sehr verschiedene Zeiträume erlebt, von denen die Geschichte der lateinischen Sprache (vergl. Hand Lehrbuch S. 3382.) besonders sechs zu unterscheiden hat. In den ersten dieser Zeiträume (von der frühesten Zeit bis auf Livius Andronicus oder die Zeit der punischen Kriege) fällt das erste Entstehen und allmälige Heranbilden der lateinischen Sprache aus verschiedenartigen, lateinischen, oscischen, sabinischen, etrurischen, altgriechischen oder pelasgischen Elementen (lingua prisca), im zweiten Zeitraum, von der Zeit des ersten punischen Kriegs bis auf die Zeit des ersten Bürgerkriegs, bildete sich zwar nach und nach eine eigentliche lingua latina im Gegensatz zur lingua rustica oder vulgaris, und aus dem Volksdialecte der Hauptstadt und des umgebenden Landes sonderte sich eine grammatisch geordnete und in ihren Formen ausgebildetere Sprache der Dichter und Volksredner mit einem allgemein gültigen Character, allein auch sie war noch ungefügig und rauh und wurde von den Römern der spätern Zeit im Ganzen als altfränkisch und veraltet angesehen. Diesem Zeitraum gehören Dichter, wie Nävius, Ennius, Plautus, Terenz, Redner, wie M. Porcius Cato, Geschichtschreiber, wie Calpurnius Piso an. Ueber Cato vgl. Cic. Brut. 17, 68. antiquior est huius sermo, et quaedam horridiora verba: ita enim tum loquebantur. Id muta, quod tum ille non potuit, et adde numeros, ut aptior sit oratio: ipsa verba compone et quasi coagmenta, quod ne Graeci quidem veteres factitaverunt: iam neminem antepones Catoni. Zur vollsten und kräftigsten Blüthe dagegen entwickelte sich die lateinische Sprache in ihrem dritten Zeitraume, bis zu der Zeit des Augustus und namentlich gedieh dieselbe zur höchsten Vollendung in Rom als dem Sitz römischer Literatur und feinerer Bildung überhaupt, so dass hier eine urbanitate quadam quasi colorata oratio (Cic. Brut. 46, 170.) entstand, ein sermo praeferens in verbis et sono

proprium quendam gustum urbis et sumptam ex conversatione doctorum virorum tacitam eruditionem Quintil. 6, 3, 17. im Gegensatz zur rusticitas, rustica asperitas, peregrina insolentia. Vgl. Cic. de orat. 3, 11, 12. Quintil. 8, 1, 2. 1, 5, 55. 56. Wie aber seit August die Cultur und der Geschmack der Römer überhaupt, so verschlechterte sich auch die Sprache und der Stil schon in dem vierten Zeitraum von August bis Claudius immer mehr und noch in höherem Grade im fünften, bis zu Trajans Tod, bis endlich das Verderben auch die Sprache gänzlich ergriff und die höchste Stufe erreichte im sechsten Zeitraum, von Hadrians Tod bis zum Erlöschen der lebenden Sprache im 5ten Jahrhundert. Denn zunächst artete bei mehrern Schriftstellern das Streben nach einem eleganten, netten, zierlichen Stil in Vorliebe für das Gesuchte und Gekünstelte aus, und an die Stelle eines natürlichen, einfachen, kräftigen Stils trat ein blumenreicher und üppiger, es bildete sich ein schwülstiger Ton, eine bombastische Art zu reden, ein beständiges hochtrabendes, gespreiztes Wesen. Dabei haschte man nach Gemeinplätzen und Sentenzen, witzigen Antithesen und Wortspielen, zugespitzten kurzen Sätzen, plünderte, um neu zu sein, die Sprache der Dichter und vermischte die Grenzen der Prosa und Poesie ebenso als man sich einer sclavischen, engherzigen Nachahmung des Griechischen hingab. Vgl. Quintil. 2, 5, 24. dicendi mutavimus genus et ultra nobis quam oportebat, indulsimus: ita non tam ingenio illi (antiqui) nos superarunt quam proposito. 8, 3, 26. totus propemodum mutatus est sermo. 12, 10, 73. wo Quintilian die herrschende Diction seiner Zeit bezeichnet als vitiosum et corruptum dicendi genus, quod aut verborum licentia exultat aut puerilibus sententiolis lascivit aut immodico tumore turgescit aut inanibus locis bacchatur aut casuris, si leviter excutiantur, flosculis nitet, aut praecipitia pro sublimibus habet aut specie libertatis insanit.

Endlich wurde seit Hadrians Zeit lateinische

Sprache und Diction gänzlich verdorben, als eine Menge neuer Wörter und Constructionen gegen die Gesetze der Sprache und Analogie oder ganz ohne Grund gebildet wurden z. B. absentissimus, minimissimus, multimodus, identitas, perfectibilitas, dubietas, medietas, nuspiam, nescientia, serietas, cernentia, als falsche und obsolete Wortformen, wie prostrare statt prosternere, faciebatur, unrichtige Formationen, wie proximior, üblich und alle Gesetze der Grammatik verletzt wurden, als die lateinische Sprache durch eine Masse fremdartiger und ausländischer, namentlich deutscher und gallischer Bestandtheile verunstaltet wurde, auch nach Ausbreitung des Christenthums diesem sich häufig gegen ihre Natur bequemen musste, bis nach dem Untergang des römischen Reichs die römische Sprache durch eindringende wilde Horden unterdrückt wurde und, nachdem sie aufgehört hatte, eine lebende Sprache zu sein, im Mittelalter sich nur noch in Schulen und Klöstern erhielt, und als Gelehrtensprache auf die neuere Zeit überging. Aus dieser kurzen Entwickelung des Ganges nun, welchen die lateinische Sprache im Laufe der Jahrhunderte genommen hat, ergiebt sich von selbst, dass, wenn wir lateinisch schreiben wollen, als vorzüglichste Muster und Vorbilder des Stils die Schriftsteller des sogenannten goldnen Zeitalters von uns zu betrachten und nachzuahmen und diesen auch nicht die besten Schriftsteller der nächstfolgenden Zeit, wie Quintilian, der jüngere Plinius, Tacitus, gleichzustellen sind. Vgl. Matthiä vermischte Schriften S. 179.,,Es ist doch wohl nicht unbillig, von Jedem, der in der Sprache eines andern Volks schreiben will, zu fordern, dass er den Sprachgebrauch jenes Volks und zwar nicht des grossen Haufens, sondern der höhern Stände genau beachte; wird ihm dieses sauer, so schreibe er doch in seiner Muttersprache, in welcher er sich schon eher über das Gemeine wird erheben kön nen. Ruhnkenius, dem Niemand, der ihn auch nur aus seinen Schriften kennt, philologische Geistessclaverei

Schuld geben wird, schrieb, wie er mir einmal im Gespräch auseinandersetzte, nie lateinisch, nie lateinisch, ohne Gesneri thesaurus zur Seite zu haben, und so oft er über ein

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Wort zweifelhaft war, nachzuschlagen, ob es auch eine gute Auctorität habe nur so, -meinte er, könne man

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sich vor dem philologischen Sanskülotismus bewahren, dem Alles recht ist, wenn es nur lateinisch klingt." Durch ein gründliches und fortgesetztes Studium wahrhaft classischer lateinischer Schriftsteller hat man sich daher auch zuvörderst die Idee ächter Latinität zu bilden und den Geschmack zu läutern, und erst dann wird es selbst in stilistischer Hinsicht rathsam sein, nachclassische, spät und neulateinische Schriftsteller zu studiren. Vgl. Reisig's Vorlesungen S. 48. Da es indessen auch in dem goldnen Zeitalter einer Sprache schlechte oder mittelmässige Schriftsteller geben kann (vgl. Reisig's Vorlesungen über lateinische Sprachwissenschaft S. 46. Hand Lehrbuch S. 31. §. 4.), so entsteht die Frage, wer unter den Schriftstellern des goldnen Zeitalters der lateinischen Sprache am meisten unsre Nachahmung verdient, wer unter ihnen vor Allen uns als Norm und Muster lateinischer Diction gelten müsse. Dieser Schriftsteller aber ist Cicero. Denn durch Cicero wurde die römische Sprache am meisten und zu den verschiedensten Zwecken ausgebildet, er wurde namentlich Schöpfer einer für philosophische und wissenschaftliche Darstellung sich eignenden Sprache, ihm verdankt die lateinische Sprache strenge Gesetzlichkeit in grammatischer und stilistischer Hinsicht, er ist Meister in Klarheit und Bestimmtheit des Ausdrucks, Meister in der Kunst sowohl einzelne Theile des Satzes zu ordnen als ganze Sätze zu verbinden und periodisch zu runden, Meister in der Kunst, einen und denselben Gedanken auf die verschiedenste Weise, von den verschiedensten Seiten darzustellen und für jeden Gegenstand die angemessenste Darstellungsweise zu treffen. Vgl. Matthiä Theorie S. 53 ff. vermischte

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