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Zufall wohl nicht die Rede sein kann. Ich konnte nur einige Beispiele herausheben. Daß wir nun auch die Überlieferung an vielen Stellen anders beurteilen werden und nicht verpflichtet sind, blindlings der 'besten' Handschrift*) zu folgen, ist selbstverständlich. So ist zu schreiben 1, 417 natura non cessit (nicht non concessit, zum Gebrauch von cedere cf. 6, 551 Stat. Theb. 1,704). 5, 446 hat Jahnke eine ganz ungewöhnliche Sagenversion erfunden. Es heißt da von Iason und Iuno: qui eam fluvium transiecerat, cum se illa inanem simularet. So hat der Monacensis allein. Bedarf es eines Hinweises auf Schol. Apoll. Rhod. p. 533, 13 Keil**), um uns zu lehren, daß Lindenbrog richtig bietet: cum se in anum illa simularet? Die Parisini geben nur illa manum, das ist nichts anderes. 2, 495 ist mit MPa dexteram poscit zu schreiben, nicht dextram poscit, wie Jahnke nach PL druckt. Besonders in der Wortstellung werden wir nun öfters mit den jüngeren Handschriften gegen M gehen müssen.

Anwendung der Klausel in Scholien, da mag wohl mancher ungläubig den Kopf schütteln und lieber auch die auffälligen Wortformen und Wortstellungen dem Zufall zuschreiben. Aber wir haben ja schon oben die Vermutung geäußert, daß die Scholien einst ein selbständiges Werk gewesen seien. Die Klauseln bestätigen diese Vermutung.

Welchen Charakter hatte dieses Werk? Der Verfasser spricht oft in der ersten Person, meist im Plural. Dies beschränkt sich aber auf die Fälle, in denen er sich und seinen Leser als Einheit. zusammenfaßt. Daher findet sich der Singular, wenn er ausschließlich von sich selbst redet, so 6, 364 libellum composui. 4, 599 mihi videtur. 5, 134 de multis paululum ***) dicam. 2, 58 leviorem perstringam. 3, 277 pauca perstringam. 4, 306 irarum quae fuerit causa, describam†). 4, 530 tamen quod ex opinione 4,530 translatum sit in fabulis, scribam.

*) Was will übrigens die beste' Handschrift bedeuten, wenn man aus einem Dutzend gleichaltriger Handschriften eine auswählt? Die Scholien des Leipziger Statiusfragments (4 10. Jahrh.) gehen z. B. oft mit den Parisini gegen M.

**) Γενόμενος δὲ (Iason) ἐν τῷ Ἀναυρῷ τῷ ποταμῷ . . . καὶ βουλόμενος παρελθεῖν εὑρίσκει ἐπὶ τῆς ὄχθης τὴν Ἥραν γραῒ ὁμοιωθεῖσαν eqs.

***) Das Deminutivum ist der Klausel zuliebe gewählt.

†) Man beachte die wegen der Klausel gewählte Wortstellung. Das ganze Scholion hat mit Ausnahme des Schlusses korrekte Klauseln.

Wichtiger als diese Erwähnung des Verfassers ist zur Bestimmung des literarischen Charakters die Anrede an eine zweite Person: 3,560 huius fabulae quod argumentum sit accipe*). 4,516 sed quid veritas habeat percipe. Besonders häufig subaudis: 2,466 subaudis **): sed tu regna perpetua.

8, 572 Caspius: subaudis Armenius.

9, 19 ferrum facesque: tenemus' subaudis***)

9, 222 campus: subaudis†): tremescit equinam partem semiferi.
11, 723 felicibus: subaudis†): cum haec mala accidissent.
12, 70 his: subaudis†): rebus.

12, 379 Polynicis ad ignes: subaudis†): veni.

12, 421 cui torrere datum: subaudis†): pyrae, cui concessum est urere cadavera mortuorum.

12, 762 iram odiumque: subaudis†): inesse.

Mehrmals steht ähnlich subaudimus: 1,190 erat subaudimus††). 4, 13 subaudimus vero coetibus' aut sacrificiis aut quibuslibet rebus'. 6,737 nec mea crudelis: subaudimus: esset. 6, 751 ora recessu: habent subaudimus manibus implicatis. Einmal 9, 618 ostendi: subaudi: tibi Diana, was auch sonst als Variante auftaucht, besonders in Pb.

Auffallend ist, daß die rein grammatische Interpretation so wenig berücksichtigt wird. Zum ganzen ersten Buch kommen nur fünf Stellen in Betracht, wenn man von den drei knappen Notizen absieht 1,599 aeternum: adverbium est, id est semper. 1,638 digne: adverbium est. 1, 186 erectum: nomen pro adverbio est+++). Von den fünf Stellen sind an zweien die grammatischen Notizen die einzigen Erklärungen: 1, 104*+). 1, 518. An den drei übrigen Stellen ist es klar ersichtlich, daß sie Nachträge sind: sie werden eingeführt zu 1, 81 durch notandum sane quod, zu 1, 355 und 1, 360 notandum autem quod. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß diese grammatischen Scholien keine Klauseln aufweisen. Die Quellen dieser dürftigen grammatischen Gelehrsamkeit

*) Das Scholion ist rhythmisch gebaut.
**) subaudi LPapb.

***) subaudi LPb.

+) subaudi P.

††) Dieses Scholion zeigt durchgehends Klauseln: nemo succedit. gemeret servitutis. fuisse clementem. imperatoris est maxima. esse conversa. successor exclusus est. Also ist am Schluß in sermone communis mit M zu lesen.

†††) Daß diese Erklärung nur bei Lindenbrog steht, ist kein Grund, sie

in Klammern zu setzen, zumal da sie richtig ist.

*+) Ein Teil davon ist zu 1, 324 wiederholt.

liegen klar zu Tage: 1, 81 stammt aus Serv. Aen. 1, 185, wo außer unserer Statiusstelle die zweite von den drei beim Statiusscholiasten angeführten Vergilstellen zitiert wird. Also wird wohl auch Aen. 3, 3 ursprünglich bei Servius zitiert gewesen sein. Aus Servius stammt außerdem 1,518: cf. Serv. Aen. 7, 277. Über die Bedeutung von sedet, wovon 1, 104 handelt, wurde zu Aen. 9, 4 gegen Asper polemisiert. Die Bemerkung über die Form Nemea 1, 355 erinnert an Prisc. GL II 339, 17 sq. Wo die Note über veteri als Ablativ herstammt, weiß ich nicht anzugeben. Es ist aber nicht ein Produkt profunder Gelehrsamkeit.

Also nicht die grammatisch-rhetorische Erklärung ist der Zweck der ursprünglichen Schrift gewesen, sondern die sachliche. Den Unterschied des literarischen Charakters dieser beiden Interpretationsarten hat uns ausgehend vom Demostheneskommentar des Didymos Leo*) verstehen gelehrt. Er weist auch nach, daß die sachlichen Kommentare in der lateinischen Literatur durchaus nicht vereinzelt sind, daß auch die Dichter nach diesen Gesichtspunkten erklärt wurden. Ihnen reiht sich nun die Schrift des Lactantius Placidus über Statius' Thebais an. Nur in einer solchen Schrift können wir Bemerkungen wie z. B. 5, 335 adventum Argonautarum describit ad Lemnon eqs. 7, 1 describitur Iovis iracundia u. ä.**) verstehen. Auch erklärt sich so die Zerreißung einzelner mythologischer Exkurse, wie wir sie z. B. oben 1, 402. 1, 282. 2, 113 beobachtet haben und an vielen anderen Stellen nachweisen können. Sie waren ursprünglich einheitlich und sind erst zerstückelt worden, als die Erklärung inScholien aufgelöst wurde.

Daß die Erklärung des Statius nicht sich mit den Anfangsgründen der Schulerklärung aufhält, ist leicht begreiflich. Denn Statius ist niemals im Altertum Schulautor gewesen ***), er genoß stets das Ansehen eines doctus poeta. Als solchen zitiert ihn Sulpicius Severus dial. 2(3)10,4 nimirum ut dixit poeta nescio quis†) utimur enim versu scholastico, quia inter scholasticos fa

*) Nachrichten der Göttinger Gesellschaft. Phil. hist. Klasse 1904 p. 254. **) Vielleicht sind die summarischen Inhaltsangaben vor den einzelnen

Büchern aus derartigen Teilüberschriften entstanden.

***) Was Valmaggi, Riv. di filol. 21 (1893) p. 445 über diesen Punkt sagt, beruht auf falscher Interpretation von Stat. Theb. 12, 815 Itala iam studio discit memoratque iuventus: die iuvenes sind doch keine Schuljungen.

+) Er weiß natürlich den Namen des Dichters ganz genau.

bulamur eqs.

scholasticus heißt in jener Zeit in Gallien nicht

der, der eine Schule besucht, sondern der Gelehrte.

Geben uns die in unsern Scholien erhaltenen Reste noch weitere Auskunft, besonders über die Persönlichkeit des Verfassers, über seine Quellen?

Die Zeit des Verfassers läßt sich ziemlich genau bestimmen. Den Terminus post quem geben uns die Zitate aus Sedulius zu 8, 286, wo Sedul. carm. pasch. 1, 200, und aus Boethius zu 4, 106, wo Boeth. de cons. 2, 2, 6*) zitiert wird. So können wir Lactantius Placidus nicht vor den Beginn des sechsten Jahrhunderts ansetzen. Dazu stimmt, daß er nach Attilas Tode (453) geschrieben hat. Das lernen wir aus 12, 64 exuviis enim hostium extruebatur regibus mortuis pyra, quem ritum sepulturae hodieque barbari servare dicuntur. quas strabas dicunt lingua sua. Die barbari können nur die Hunnen sein: cf. Iord. Get. 258 postquam talibus lamentis est defletus (Attila), stravam supra tumulum eius quam appellant ipsi, ingenti comessatione concelebrant. Der Römer, der so wegwerfend von den barbari redet, kann diese Kenntnis nur aus der Literatur haben, wobei es wenig Unterschied macht, ob er, wie Mommsen**) annimmt, aus Iordanes selbst, dessen Werk 551 n. Chr. erschienen ist, schöpft, oder aus dessen Vorlage, Cassiodors gotischer Geschichte, die nach Theodorichs Tode vor 533 n. Chr. abgefaßt war. So könnte auch 23, 661 das Zitat aus Fulgentius (p. 17, 2 Helm) aus Lactantius Placidus selbst stammen ***).

Als terminus post quem hat sich also für uns die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts ergeben.

Sehr weit unter diese Zeitgrenze dürfen wir nicht herabgehn, da der Gebrauch der rhythmischen Satzschlüsse im Lateinischen gegen das Ende des 6. Jahrhunderts abstirbt und dann überhaupt die römische Kultur zugrunde geht.

Und als Römer fühlt sich Lactantius Placidus. Das zeigt sich besonders in der Bezeichnung der Hunnen als barbari 12, 64. Aber auch den Griechen gegenüber äußert sich sein Römerstolz,

*) Daß man hier statt Boethius wegen carm. saec. 59 den Horaz hat einsetzen wollen, entbehrt jeglicher Begründung. Beachtenswert ist, daß Ph wie Myth. Vatic. II 165 die richtige Wortstellung hat, die aber Jahnke verschmäht.

**) Iordanes 1882 p. XLV.

***) Soll man dem Schwindler wirklich glauben, primus in orbe deos fecit timor stamme aus Petron?

z. B. wenn er 3, 35 den Graeci fabularum scriptores und ihren törichten figmenta die Latina simplicitas gegenüberstellt.*)

Aber trotzdem haben wir seine Heimat nicht in Italien zu suchen, wenn er vielleicht auch dieses Land aus eigner Anschauung kennen mag. Denn für Italiener kann nicht geschrieben sein, was er zu 1, 134 anmerkt: ardua cervix descendit in armos: secundum ritum**) Italiae loquitur, ubi boves trahunt collo. Dann bleibt aber in jener Zeit kaum ein anderes Land, als Gallien übrig. Dazu stimmt 10, 793 lustrare civitatem humana hostia Gallicus mos est eqs., eine Erklärung, die durch den Wortlaut des Dichters in keiner Weise bedingt war. Mit den Eingeborenen fühlt sich ein in Gallien lebender Römer durchaus nicht identisch. In Gallien wurde Statius seit dem 4. Jahrhundert eifrig gelesen und bewundert, mehr als in einem anderen Lande.

Lactantius kennt auch noch die römische Kunst. Das geht aus folgenden Stellen hervor:

3, 194 nam hodie quoque Niobe sic pingitur: gremium conferta tot natis, dum unum quemque amplecti manibus affectat***).

4,571 Aeolidem: Athamanta dicit, Aeoli filium, cum humero onusto, quia sic pingitur: insequens Ino uxorem, collo portans filii Learchi cadaver ***).

6,543 bene translucet, quia a perfectis ita pinguntur natantes, ut inter undas eorum membra perluceant***).

7,37 hiatus: principium flatus, quia venti pinguntur hiantes. 9,410 ita enim fluviorum simulacra pinguntur, quasi amnem urnis effundant *** ***).

10, 664 solet enim Virtutis simulacrum depingi succinctum. Auf ein in seiner Zeit berühmtes Gemälde spielt er an 4, 516 iuxta picturam illam veterem, in qua tormenta descripta sunt et ascensio ad deum.

Aber sein Hauptinteresse liegt auf philosophischem Gebiete. Besonders die Naturphilosophie tritt hier in den Vordergrund. Das dürfen wir schon nach seinem Selbstzeugnis 6, 364 erwarten:

*) Cf. auch 2, 4 (venti) appellantur diversis nominibus tam a Graecis quam a nobis. illi zephyrum, nos favonium vocamus (cf. 3, 672); nos aquilonem, illi boream dicunt; illi eurum, nos Africum vocamus. Man beachte hier die chiastische Anordnung der Begriffe nos und illi. Vgl. 2, 170. 2, 443 more Romano, ebenso 3, 388.

**) situm, die Handschriften, verbessert von Jahnke.

***) Der lactanzische Ursprung des Scholions ist durch die Klauseln gesichert.

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