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Geschichtschreiber Q. Claudius Quadrigarius

vielleicht eine und

begann sein

dieselbe Person mit dem eben genannten Clodius Geschichtswerk nicht, wie die andern Annalisten, mit der Gründung Roms, sondern mit der gallischen Katastrophe, vermuthlich, weil er die traditionelle Geschichte der vorgallischen Zeit für allzu unverbürgt und unzuverläßig ansah. In gleichem Sinn äußert sich Plutarch: durch das gallische Unglück, sagt er, sey die größte chronologische Verwirrung entstanden, und es sey zweifelhaft, ob die überlieferte Chronologie der vorgallischen Zeit einigen Glauben verdiene 3). In der That läßt sich ohne große Unwahrscheinlichkeit nicht annehmen, daß die damals vorhandenen Schriftwerke bei der eiligen Räumung der Stadt geflüchtet worden sind. In der allgemeinen Verwirrung und bei dem panischen Schrecken, der damals in der hülflosen Stadt herrschte, Angesichts des stündlich erwarteten Einzugs der Feinde. hat man wohl an alles Andere eher gedacht, als an die Flüchtung von Schriftwerken und Geschichtsurkunden, deren Fortschaffung schon wegen der Schwerfälligkeit des damaligen Schreibmaterials keine so leichte Sache war. Nur Weniges scheint auf dem Capitol geborgen worden zu sein. Wie folgenreich diese Katastrophe für das Gedächtniß und die schriftlichen Ueberlieferungen der älteren Geschichte war, läßt sich leicht ermessen; auch Livius äußert sich hierüber mit vielem Nachdruck, indem er im Eingang des sechsten Buchs die ge

fr. hist. gr. IV. p. 364: s. über denselben Kraus e fragm. vet. hist. rom. p. 213; Hauptstelle über ihn Liv. XXIX, 22); oder der von Appian angeführte Paulus Glaudius, dessen Geschichtswerk einen ähnlichen Titel führte (App. de reb. gall. I, 3: ὡς ἐν χρονικαῖς συντάξεσι δοκεῖ Παύλῳ τῷ Κλαυδίῳ), ober, wie E. Fr. Hermann annimmt (G. G. A. 1849. S. 1460) jener Servius Glodius (s. Orell. Onom. Tull. p. 164), den Cicero litteratissimum nennt (ad Fam. IX, 16, 4), und auf dessen hinterlassene Schriften er großen Werth legt (ad Att. I, 20, 7. II, 1, 12), der übrigens von Sueton zu den Grammatikern gerechnet wird (de illustr. gr. 2) ist schwer zu sagen. Für den Claudius Quabrigarins spricht der Umstand, daß dieser Historiker sein Geschichtswerk erst mit dem gallischen Unglück anhub: eine Abweichung vom Herkömmlichen, die er ohne Zweifel durch Hinweisung auf die geringe Urkundlichkeit der älteren Geschichts-Tradition begründet haben wird: aus dieser Veranlassung mag er jene Aeußerung gethan haben, die Plutarch von ihm anführt. Auch Livius, der sich VI, 1 auffallend stark über den durch die gallische Katastrophe herbeigeführten Untergang aller Geschichtsdenkmäler ausdrückt, mag zu diesen Aeußerungen durch Claudius Quadrigarius veranlaßt worden seyn, den er auch sonst benügt. 3) Plut. Camill. 22.

wissere und lichtvollere Geschichte des rem gallischen Unglück neu erstehenden Staats" in ausdrücklichen Gegensatz stellt gegen die ohnehin unsichere, aber durch den damals stattgefundenen Untergang der meisten Schriftdenkmäler noch mehr verfinsterte Geschichte der vorgallischen Zeit.

Man hat darauf aufmerksam gemacht, daß vielleicht in benachbarten Städten, die nicht das gleiche Loos der Zerstörung traf, Chroniken und Geschichtsurkunden sich erhalten und römischen Historifern als Hülfsquelle gedient haben könnten. Nun ist es allerdings wahrscheinlich, daß die meisten italischen Städte ihre Stadtchronik besaßen. Eine Stadtchronik von Ardea erwähnt Varro ); eine Chronik von Präneste finden wir bei Solinus 5), eine Chronik von Cuma bei Festus erwähnt 6); tuscische Annalen hat Kaiser Clautius 7), patavinische Chroniken der Geschichtschreiber Livius 8) benüßt. Allein erstlich ist es ungewiß, wie hoch diese Chroniken hinaufreichten; zweitens zweifelhaft, ob sie auch die Angelegenheiten fremder Städte in den Bereich ihrer Aufzeichnungen gezogen haben; drittens unwahrscheinlich, daß die römischen Geschichtschreiber, die von so vielen einheimischen, in Rom selbst vorhandenen Geschichtsurkunden Augenschein zu nehmen sich nicht bemüßigt fanden, von ihnen Notiz genommen und Gebrauch gemacht haben sollten.

15. Die Folgerungen, zu denen die vorstehende Untersuchung über das Alter der römischen Schrift und Litteratur berechtigt, sind der traditionellen Geschichte nicht günstig. Es springt in die Augen, wie bedenklich es um eine historische Kunde steht, die, che sie zu schriftlicher Aufzeichnung gelangte, Generationen lang sich nur mündlich fortgepflanzt hat ). Die Geschichte der Königszeit ist aber

4) R. R. II, 11, 10. p. 270: tonsores in Italia primum venisse ex Sicilia dicunt post R. C. A. CCCCLIV, ut scriptum in publico Ardeae in litteris exstat, eosque adduxisse P. Ticinium Menam. Publicum ist das Stadtarchiv, das Tabularium.

5) Solin. 2, 9: Praeneste (conditum est), ut Praenestini sonant libri, a Caeculo. Vgl. Cic. de Div. II, 41, 85: ut Praenestinorum monumenta declarant.

6) Fest. p. 266 Romam.

7) Claud. imp. de civ. Gall. danda Tab. I, 18. p. 191 ed. Haub. 8) 3. V. V, 34. f. X, 2. vgl. Lachmann de font. T. Liv. I, 22. f. 1) Levesque hist. crit. Tom. I. Préf. p. II: „für ein Volk, das gar nicht schreibt, giebt es keine Geschichte; es hat nur Traditionen; und es liegt im

nicht blos Generationen, sondern Jahrhunderte lang nur in mündlicher Ueberlieferung fortgepflanzt worden: denn die historischen Aufzeichnungen, mit denen man im Laufe des dritten Jahrhunderts den Anfang gemacht zu haben scheint, waren rein annalistisch, d. h. chronikartige Erzählungen der gleichzeitigen Begebenheiten; die eigentliche, bis auf die Anfänge der römischen Geschichte zurückgreifende Geschichtschreibung hat erst ungleich später begonnen. Es war unter diesen Umständen nicht anders möglich, als daß die Erinnerung der ältesten Zeit, Jahrhunderte lang nur mündlich fortgepflanzt, am Ende verblaßte und erlosch. Wie sehr dieß bei Roms ältester Geschichte der Fall gewesen ist, lehrt der Augenschein. Ueber die Anfänge Roms, über die Entstehung der drei Stamm - Tribus, über die Genesis des Patriciats, der Clientel, der Plebs, über Wahl und Zusammenseßung des ältesten Senats, über Ursprung und Bedeutung zahlloser Gebräuche haben schon die ältesten Annalisten nichts Zuverläßiges und Urkundliches mehr gewußt; und dennoch ist selbst das Wenige und Verworrene, was uns über die Verfassungsverhältnisse der ältesten Zeit überliefert wird, verhältnißmäßig noch glaubhafter, als das traditionelle Detail der historischen Erzählungen, das rein ersonnen ist, z. B. daß Romulus die erste Legion gebildet, die ersten Kriege mit Nachbarvölkern geführt, den ersten Triumph gefeiert, die ersten Spolia Opima erbeutet habe. Steht es aber schon mit der Königsgeschichte so zweifelhaft, wie bedenklich müssen uns vollends die Ueberlieferungen über die Urzeit, über Euander, Aeneas und die albanischen Könige erscheinen! Liegt doch zwischen dem troischen Krieg und der Epoche des Fabius Pictor ein volles Jahrtausend mitten inne. Denken wir uns z. B., die Ereignisse der karolingischen Zeit, der Hohenstaufenzeit wären nicht von gleichzeitigen Chronisten aufgezeichnet worden, ist es glaublich, daß sich eine zuverläßige Kunde jener Begebenheiten ganz einzig auf dem Wege der mündlichen Ueberlieferung bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt hätte? Und gesezt, es hätten sich dunkle Erin

Charakter jeder mündlichen Ueberlieferung, daß sie, im Uebergang von Mund zu Mund, von Generation zu Generation, entstellt wird; daß sie Namen, Orte, Zeiten, Umstände verwechselt; beständig neue Elemente aufnimmt, alle diejenigen dagegen verliert, aus denen sie bei ihrem Ursprung bestand; kurz, daß sie zuleßt nicht mehr sie selbst ist. Diese Bewandtniß hat es mit jeder Geschichte einer Zeit, wo man nicht schrieb.“

nerungen aus jener Zeit ein Jahrtausend lang im Volksmunde fortgepflanzt, welcher historische Werth könnte ihnen beigemessen werden 2)? Wenn sich daher die Vertheidiger der traditionellen Geschichte so häufig des Arguments bedient haben z. B. Theodor Ryck gegen Samuel Bochart - „das haben doch die Römer selbst besser wissen müssen, als ein moderner Kritiker", so ist einfach zu entgegnen: konnten sie es denn wissen? Mag Virgil immerhin die gründlichsten und ausgebreitetsten historischen Studien angestellt haben, es war ihm schlechterdings unmöglich, die Geschichte eines Zeitraums herzustellen, über welchen es keine ächte Ueberlieferung gab.

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Das nationale Erinnerungsvermögen ist bei verschiedenen Völkern nach Treue und Stärke verschieden: bei den Römern war es unläugbar schwach die natürliche Folge ihrer ausschließlichen Richtung auf die praktischen Zwecke der Gegenwart 3). Allerdings haben die Römer am Alten festgehalten; sie haben den hergebrachten Einrichtungen und Gebräuchen die höchste Achtung gezollt; aber nach der historischen Entstehung und Entwicklung derselben haben sie wenig gefragt. Man braucht nur Plutarchs „römische Fragen,“ in denen doch Varro als vorzüglichste Quelle benügt ist, durchzulesen, um die Ueberzeugung zu gewinnen, wie völlig erloschen zu jener Zeit die ächte Tradition über alle Dinge des römischen Alterthums war,

2) Selbst in schreibenden Zeitaltern, die es aber noch nicht zu einer eigentlichen historischen Litteratur und zu litterarischer Publicität gebracht haben, wuchert die Volkssage neben den annalistischen Aufzeichnungen fort. So konnte die Sage von M. Curtius (Liv. VII, 6) in einer schon ganz historischen Zeit entstehen. Aehnliches bemerkt Waiß in d. Ztschr. f. Geschichtswissenschaft IV. (1845) S. 99: „als charakteristisch für die Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts ist es hervorzuheben, daß das sagenhafte Element mehr und mehr in die Geschichte eindrang. Es ist deutlich, wie die großen Begebenheiten der Geschichte der mündlichen Unterhaltung und Erzählung des Volks als Stoff dienten, und den wunderlichsten Umgestaltungen unterlagen. Unter dem Urenkel Karls des Großen schreibt ein Sangaller Mönch ein Buch voll der wunderlichsten Geschichten über den großen Kaiser, die er meist aus dem Munde älterer Zeitgenossen überkommen hat. Kaum ein Jahrhundert später begegnet uns die erste Spur der Erzählungen über Karl's Zug nach dem Morgenlande. Selbst in historische Werke fanden solche Ueberlieferungen Eingang". Vgl. auch Niebuhr Vorträge über r. G. I, 87. Dens. R. G. I, 199.

3) Vgl. die treffenden Bemerkungen v. Jhering, Geist d. r. Nechts I, 86. f.

und wie gänzlich schon Cäsars Zeitgenossen den Schlüssel zum Verständniß desselben verloren hatten.

16. Ein weiterer Beweis der geringen Urkundlichkeit der ältesten Geschichte Roms ist der auffallende Widerspruch der Berichte: ein Widerspruch, der auf zahllosen Punkten zu Tage kommt, und nicht blos Nebendinge, sondern ebenso oft Haupt-Thatsachen berührt, eben damit aber auch die ganze Geschichte jenes Zeitraums in ein zweifelhaftes Licht stellt. Ein Zeitraum, dessen Geschichte so abweichend und widerspruchsvoll überliefert wird, kann unmöglich für historisch gelten. Man nehme z. B. das betäubende Wirrsal der Traditionen über Romulus Abstammung! Wie können diese Traditionen, die den Gründer Roms bald zum Sohne oder Enkel des Aeneas machen, bald ein halbes Jahrtausend später geboren werden lassen, nur den mindesten Anspruch auf historische Glaubwürdigkeit erheben! Ueber Servius Tullius Geburt (und mittelbar über seine Gelangung auf den Thron) haben sich vier verschiedene Ueberlieferungen erhalten, von denen gerade die zwei verhältnißmäßig am besten bezeugten, die römische National-Sage und die Ueberlieferung der tuscischen Annalen, durch eine unermeßliche, unausfüllbare Kluft von einander getrennt sind. Es sollen hier diese Widersprüche der Tradition nicht alle einzeln aufgeführt werden: sie werden an ihrem Orte zur Sprache kommen: nur darauf möge noch hingedeutet seyn, daß das kürzlich aufgefundene Bruchstück des Dionysius einen neuen Beweis dafür geliefert hat, wie tief die Unsicherheit und das Schwanken der Trädition hinabreicht: denn daß die zweite Dictatur des Cincinnatus und das Uebrige, was daran hängt, eine Fabel ist, kann jezt keinem gegründeten Zweifel mehr unterliegen '). Was in diesem Punkte gegen die gemeine Tradition am meisten Verdacht erweckt, ist der Umstand, daß sie gerade mit den Urkunden - wo sich zufällig solche erhalten haben — sich im Widerspruch befindet: weder das Bündniß des jüngern Tarquinius mit ten Gabinern, noch den ersten carthagischen Handels-Vertrag, noch den Bundes-Vertrag des Ep. Cassius kann man mit den Angaben der traditionellen Geschichte

1) Vgl. einstweilen Roulez, le complot de Spurius Maelius, jugé à l'aide d'un fragment récemment découvert de Denys d'Halicarnasse, in den Bulletins der belgischen Akademie, Band XVI. 1849. p. 299-312 (auch in dessen Mélanges fasc. VI. Brüss. 1850).

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