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Hannibal marschirt nicht gegen Rom.

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Schlachtfeld ritt, da soll er, wie Appian (VII, 26) versichert, in Thränen und Jammer ausgebrochen sein über die großen Verluste, die er erlitten, und wie einst Pyrrhus, ausgerufen haben, daß noch mehr solcher Siege ihn zu Grunde richten würden. Leichtgläubige Römer mögen in einer so kindischen Erzählung einigen Balsam für ihr wundes Nationalgefühl gefunden haben. Wir können nicht anders, als annehmen, daß Hannibals Herz von Stolz und Hoffnung schwoll, als er die ganze Größe des unvergleichlichen Sieges ermaß, und daß er ihn mit dem Tode von weniger als sechstausend seiner Tapfern für nicht zu theuer erkauft hielt. Aber er ließ sich nicht hinreißen von einer allzu natürlichen Begeisterung, welche manche seiner Krieger ergreifen mochte und seinen unermüdlichen Reiterführer Maharbal, den Marschall „Vorwärts" seines Heeres, in ihn dringen ließ, jest gleich nach der Liber aufzubrechen, um in einem Siegeslauf Rom selbst zu nehmen. „Wenn Du mich reiten läßt und mir rasch folgst, rief Maharbal aus, so sollst Du in fünf Tagen auf dem Capitole speisen.“ Wir können überzeugt sein, daß Hannibal, auch ohne Maharbals Rath abzuwarten, die Frage reiflich erwägte, ob die feindliche Hauptstadt, das lezte Ziel seines genialen Kriegsplanes, ihm schon jezt erreichbar wäre. Er entschied dagegen und wahrlich, es wäre vermessen von uns, den ersten Feldherrn der alten Welt eines Fehlers zeihen zu wollen, und zu behaupten, daß er den günstigen Augenblick versäumte, Rom in den Staub zu treten. Wir müssen uns bescheiden, wo möglich die Beweggründe zu erforschen, welche ihn von einem unmittelbaren Angriff auf Rom abhielten.

Hannibals Heer bestand nach der Schlacht bei Cannä noch aus etwa 44,000 Mann. Es war gewiß möglich, ohne nennenswerthen Widerstand zu finden, mit diesem Heere auf dem geraden Wege mitten durch das Gebirgsland von Samnium nach Rom vorzudringen. Aber auch bei den angestrengtesten Märschen konnte dieser Weg in nicht weniger als zehn bis elf Tagen zurückgelegt werden. Diese Verzögerung ließ den Römern wenigstens einige Tage Frist, die Stadt in Vertheidigungszustand zu sehen, und somit war eine Ueberrumpelung ausgeschlossen. Rom war feine offene Stadt, sondern durch seine Lage und durch Kunst stark befestigt. Zur Vertheidigung der Mauern war jeder römische Mann befähigt, bis zu den Greisen von sechzig Jahren. Selbst also für den Fall, daß keine Reserve in der Nähe war, worauf Hannibal aber nicht rechnen durfte, war Rom vor einem Handstreich gesichert.

Zu einer regelmäßigen Belagerung aber war Hannibal zu schwach.

Sein Heer reichte nicht einmal aus, die große Stadt einzuschließen und ihr die Zufuhr und Verstärkung abzuschneiden. Was sollte also ein bloßer Marsch gegen Rom, auch wenn er sich ohne Gefahr ausführen ließ 154. Viel wichtiger war es, die sicheren Früchte des Sieges einzusammeln, und durch Gewinnung von festen Pläßen in Unteritalien eine neue Operationsbasis zu gewinnen, wie er sie seit seinem Marsche aus dem cisalpinischen Gallien nicht gehabt hatte. Jezt war endlich der Zeitpunkt gekommen, wo Hannibal auf den Abfall der römischen Bundesgenossen rechnen konnte. Nach der Schlacht von Cannä war das Vertrauen in Roms Schuß und die Furcht vor Roms Macht bei diesen so gründlich erschüttert, daß die stärksten Bande reißen mußten, welche sie bisher in Gehorsam gehalten hatten. Wenn es Hannibal jezt gelang, die Schwankenden zu sich herüberzuziehen, so war sein tief angelegter Plan glänzend verwirklicht und Rom sicherer und vollständigerer überwunden, als wenn er das Capitol erstürmt hätte.

Dieses Ziel unverrückt im Auge behaltend, verfuhr Hannibal jezt grade in derselben Weise, wie nach seinen früheren Siegen. Er entließ die gefangenen Bundesgenossen der Römer ohne Lösegeld in ihre Heimath mit der Versicherung, daß er nach Italien gekommen sei, um nicht mit ihnen Krieg zu führen, sondern mit den Römern, ihren und seinen gemeinschaftlichen Feinden. Er versprach ihnen, wenn sie sich ihm zuwenden wollten, seine Hülfe zur Wiedererlangung ihrer Freiheit und ihres verlorenen Besizes, und drohte mit strenger Strafe, wenn sie ferner noch sich ihm gegenüber feindlich erwiesen.

Es ist staunenswerth und ein unwiderleglicher Beweis von dem angebornen Herrschertalent der Römer, und von der Weisheit, mit der sie ihr auf Gewaltthat gegründetes Reich zu einem einheitlichen Körper zusammengefügt hatten, daß auch jezt noch die meisten Italiker in der Treue bei Rom verharrten. Nicht blos die Bürger in den fünfunddreißig Tribus, von denen doch viele gegen ihren Willen in den Verband der römischen Bürgerschaft aufgenommen waren, nicht nur die sämmtlichen Colonien,

154) Vincke (der zweite punische Krieg, S. 351) hält die Unterlassung des sofortigen Marsches auf Rom für einen unverzeihlichen Fehler. Er meint, Hannibal hätte so schnell marschiren sollen, daß die Hauptstadt durch sein Erscheinen von ihr die erste Nachricht von der erlittenen Niederlage erhalten hätte; und selbst wenn die Unternehmung fehlschlug, so wäre sie in keinem Falle mit Gefahren und Nachtheilen verbunden gewesen.

Die römischen Bundesgenossen nach Tannä.

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römische sowohl als latinische, sondern auch ganz Etrurien, Umbrien und Picenum, der Kern der sabellischen Völkerstämme, die Sabiner, Marser, Peligner, Vestiner, Frentaner und Marruciner, die pentrischen Samniter und die Campaner, sowie sämmtliche griechischen Städte 155 blieben Rom tren. Nur in Apulien, dem füdlichen Samnium, wo die Caudiner und Hirpiner wohnten, in Lucanien und Bruttium, und vorzüglich in der Stadt Capua zeigte sich mehr oder weniger Bereitwilligkeit, von Rom abzufallen; aber selbst da, wo die größte Feindseligkeit gegen Rom herrschte, war keine Spur von Anhänglichkeit an Karthago, und überall hatte Rom, auch wo es unterlag, eine eifrige Partei, welche dem karthagischen Bündniß entgegenarbeitete. Dieses war, wie schon oben angedeutet, theils die Folge des nationalen Gegensaßes zwischen Italikern und Karthagern, zwischen Einheimischen und Fremden; theils war es die Bundesgenossenschaft der Gallier mit den Römern, welche die Italiker abschreckte, theils auch die Furcht vor Roms Rache, die troß der cannensischen Schlacht nicht ganz zu bannen war; aber hauptsächlich war es doch die zur Wahrheit gewordene staatliche Einheit, welche die Völker Italiens im Ganzen und Großen zusammenhielt, und schließlich das Genie Hannibals überwand.

Nachdem in Apulien die Städte Arpi, Salapia, Herdonea 156 und das unbedeutende, fast unbekannte Uzentum zu Hannibal übergetreten waren, marschirte er am Aufidus entlang nach Samnium, wo die Stadt Compsa sich ihm anschloß. Einen Theil seines Heeres schickte er unter Hanno nach Lucanien, um hier den Aufstand gegen Rom zu fördern, einen andern unter seinem Bruder Mago nach Bruttium 157 mit demselben Auftrage, während er selbst sich nach Campanien wandte. Die Lucaner 158 und Bruttier waren bereit zum Aufstande. Diese Völkerschaften vermißten wahrscheinlich unter römischer Herrschaft die frühere Freiheit, ihre Nachbarn, besonders die Griechenstädte, zu plündern und zu brandschaßen, und hofften, unter Hannibals Fahnen das ihnen so werthe Räuberleben fortseßen zu können 159. Nur zwei unbedeutende Städte, Consentia und Pe= telia 160, blieben den Römern treu und wurden nach heftigem Widerstande überwältigt.

Von einem Hafen in Bruttium aus segelte jezt Mago nach Karthago

155) Diese zum Theil aus Furcht vor den Bruttiern. S. Liv. XXIV, 1.

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160) Liv. XXIII, 30.

158) Aber nicht alle; vgl. Liv. XXIV, 20; XXV, 16.

159) Liv. XXIV, 2.

und überbrachte mit dem Bericht Hannibals von seinem leßten und glänzendsten Siege, dessen Anträge und Wünsche bezüglich der weiteren Führung des Krieges. Mit der Schlacht bei Cannä war der Charakter des italischen Krieges verändert. Bis dahin hatten die Römer ihre Vertheidigung angriffsweise geführt; sie hatten versucht, Hannibal im Felde zu schlagen, anfangs mit gleicher, dann mit doppelter Heeresmacht. Diese Kriegsführung mußte nun ihrerseits aufgegeben werden. Sie mußten sich nothgedrungen auf die reine Vertheidigung beschränken, und traten in der That bis zum Ende des Krieges Hannibal in keiner Hauptschlacht mehr entgegen. Dieser war im militärischen Besig von einem großen Theil von Unteritalien. Sich darin zu halten fiel ihm nicht schwer. Er brauchte nur geringe Verstärkungen, besonders da er jeßt auf die Dienste der Italiker rechnete. Aber einen entscheidenden Schlag gegen Rom zu führen war er nicht im Stande. Dazu bedurfte er eines Zuzugs von bedeutender Stärke, der bei der damaligen Uebermacht der Römer zur See mit Sicherheit nur auf dem Landwege nach Italien kommen konnte. Ein großer Theil dieses Heeres mußte aus Spaniern bestehen, denn Africa allein bot das Material nicht dar. Spanien also war unter den gegenwärtigen Verhältnissen von der größten Wichtigkeit für Karthago. Dort führte Hasdrubal, Hannibals Bruder, den Krieg gegen die beiden Scipionen. Wenn es diesem gelang, noch im Laufe des Jahres 216 die Römer zu schlagen und über die Pyrenäen und Rhone zu dringen, und dann im folgenden Frühling über die Alpen, so konnten die beiden Brüder von Norden und von Süden her auf Rom marschiren und den Krieg mit der Eroberung der Hauptstadt zu Ende bringen.

Diesem Plane zufolge, für den Mago als Hannibals Vertrauter die begeisterte Zustimmung der karthagischen Regierung erwirkte, wurde beschlossen, 4000 numidische Reiter und vierzig Elephanten nach Italien zu schicken und in Spanien neue Werbungen von 20,000 Mann Fußvolk und 4000 Reitern zu machen. Von der Opposition Hanno's im farthagischen Senate gegen Hannibals Pläne und gegen die Fortseßung des Krieges wird viel Aufhebens gemacht 161. Aber da die Barkiden dort eine überwältigende Mehrheit besaßen, so war die Opposition ohnmächtig und unfähig den Kriegsplänen Hannibals entgegenzutreten. Es ist also als sicher anzunehmen, daß die Beschlüsse des karthagischen Senates ganz den Anträgen Hannibals entsprachen.

161) Liv. XXIII, 13.

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Wie die Sachen standen, hing jezt Alles vom spanischen Kriege ab. Während in Italien auf den reißenden Gang der Ereignisse ein verhältnißmäßiger Stillstand eintrat, der Krieg sich in eine Menge kleiner Kämpfe auflöfte und sich hauptsächlich um die Gewinnung und Behauptung einzelner Städte drehte, gelang es den Römern, in Spanien einen gewaltigen Schlag zu führen, welcher die Ausführung des Planes, ein spanisches Heer zu Hannibal stoßen zu lassen, bis in eine Zeit verschob, wo die Römer sich von den Niederlagen bei der Trebia, dem Trasimenus und Cannä vollständig erholt hatten.

Doch dieses Ereigniß, der Wendepunkt des karthagischen Kriegsglücks, trat erst im spätern Verlauf des Jahres 216 ein. Mittlerweile hatten sich die Aussichten Roms in Italien mehr und mehr getrübt. Die Schlacht von Cannä fing an zu wirken. Einer nach dem andern fielen die Bundesgenossen in Unteritalien ab, und die, welche in ihrer Treue verharren wollten, und flehentlich um Unterstügung baten, mußte Rom in seiner Bedrängniß sich selbst überlassen und preisgeben.

Die reichste und mächtigste Stadt in Italien nächst Rom war Capua. Sie war im Stande, 30,000 Mann zu Fuß und 4000 solcher Reiter ins Feld zu stellen, wie sie ihres Gleichen in Italien nicht fanden. Keine Stadt, die nicht in den römischen Tribus enthalten war, schien so fest mit der Republik verknüpft, wie Capua. Römer und Capuaner waren in engerem Sinne ein Volk geworden, als selbst Römer und Latiner. Die capuanische Ritterschaft besaß das volle römische Bürgerrecht, und das ganze Volk von Capua hatte die niederen Rechte römischer Staatsbürger. Die Capuaner standen mit den Bewohnern der fünfunddreißig Tribus ohne Unterschied neben einander in den römischen Legionen. Eine große Menge Römer hatte sich in Capua niedergelassen, und die vornehmen Familien dieser Stadt waren mit den ersten Adelsgeschlechtern Roms verschwägert. Sie hatten ein doppeltes Interesse für ihre Anhänglichkeit und Treue; durch Roms Entscheidung im großen Latinerkrieg waren sie (338 v. Chr. S. Band I. S. 314) in den Besiß der Herrschaft in Capua und in den Genuß einer Jahresrente gelangt, welche das capuanische Volk ihnen zu zahlen verpflichtet war. Zwar befand sich ein römischer Präfect in Capua, zur Entscheidung von Streitfragen, worin römische Bürger betheiligt waren, aber sonst war die locale Selbstregierung ungeschmälert. Die Capuaner hatten ihren eigenen Senat und ihren volksthümlichen obersten Beamten, Meddir genannt. Die Stadt hatte unter

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