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stiges Gehör bei einigen Häuptlingen dieses halb barbarischen Volkes 313. Rhegium, die wichtige Seestadt, welche die Verbindung mit Sicilien aufrecht hielt und in Vereinigung mit Messana den karthagischen Schiffen die Meerenge schloß, war immer im Besige der Römer geblieben. Die heruntergekommenen Griechenstädte und der schmale Streifen Landes von Lucanien bis Sicilien waren das Einzige, was von den glänzenden Eroberungen der ersten Kriegsjahre übriggeblieben war. Hier zurückgedrängt, wie Wellington hinter Torres Vedras, wartete der unbestegte und ungebeugte Hannibal auf den Zeitpunkt, wo er in Vereinigung mit seinem aus Spanien kommenden Bruder mit erneuter Kraft auf das erschöpfte Rom losbrechen und den Frieden erzwingen könnte.

Die Einnahme von Tarent, gleichzeitig mit der von Neu-Karthago war ein Erfaß für die Anstrengungen und Verluste des Jahres 209. Der Rest desselben verging ohne weitere Kriegsereignisse und für das folgende Jahr wurde Marcellus, wie schon erwähnt, zum fünften Male zum Consulat erhoben. Sein College wurde T. Quinctius Crispinus einer von den vielen römischen Optimaten, deren Namen kein Bild in unsrer Phantaste wach rufen, weil sie Nichts als die durchschnittliche Mittelmäßigkeit bezeichnen, und durch keine Eigenthümlichkeit des eigenen Geistes sich anders als normale Römer darstellen. Der Feldzug dieses Jahres galt, wie es scheint, der Wiedereroberung von Locri, der wichtigsten Stadt, die noch in Hannibals Besit war. Man verfolgte stetig den Plan, Schlachten, wo möglich, zu vermeiden, aber durch Eroberungen von festen Plähen dem Feinde die Mittel zur Fortführung des Krieges in Italien zu nehmen. Sieben Legionen und eine Flotte waren bestimmt zu diesem Zwecke in Süditalien zu wirken. Während die beiden Consuln mit zwei consularischen Heeren, den Rücken gedeckt durch eine Legion in Campanien, Hannibal beschäftigten, sollte D. Claudius, der mit zwei Legionen bei Tarent stand, zu Lande nach Locri marschiren und L. Cincius von Sicilien aus mit einer Flotte Locri von der Seeseite her angreifen. Hannibal, der den vereinigten Consuln gegenüberstand, bekam Wind von dem Marsch des Heeres an der Küste entlang von Tarent nach Locri. Er überfiel es in der Nähe von Petelia und brachte ihm eine solche Niederlage bei, daß nach dem Verlust von einigen tausend Mann der Rest in wilder Flucht und vollständiger Auflösung Tarent wieder zu

313) Liv. XXVII, 15.

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erreichen suchte 314. Fürs erste war nun Locri außer Gefahr und Hannibal konnte sich gegen die vereinigten Consuln wenden, in der Hoffnung, sie zu einer entscheidenden Schlacht zu bringen. Aber Marcellus und Crispinus wollten mit großer Vorsicht zu Werke gehen. Hannibal, der Meister in der Kriegslist, sollte sie nicht in einem Hinterhalte fangen, wie es ihm so oft mit minder vorsichtigen Führern gelungen war. Daher ritt der sechszigjährige Marcellus in eigner Person, begleitet von seinem Collegen, seinem Sohne, einer Anzahl Offiziere und einigen hundert Reitern, aus, um die Gegend zwischen dem römischen und dem farthagischen Lager auszukundschaften. Auf diesem Ritt ereilte den alten Mann sein Geschick. Aus einem bewaldeten Bergabhange brachen von vorn und in der Flanke numidische Reiter hervor; im Nu war das Gefolge der Consuln zusammengehauen oder zersprengt; Crispinus und der junge Marcellus entkamen schwer verwundet und Marcellus selbst be schloß sein langes Kriegerleben durch einen Tod, wie er nicht dem Führer eines Heeres, wohl aber einem tapferen Soldaten ziemte. Sein Leichnam wurde von seinem großen Gegner ehrenvoll bestattet und die Asche dem Sohne übersandt.

Wenn wir vorurtheilslos prüfen, was von Marcellus überliefert ist, so kommen wir zu dem Schluß, daß er zu denen gehört, die weit über ihr Verdienst gepriesen worden sind. Dieses rührt zum Theil schon davon her, daß bei dem Mangel hervorragender Männer die römischen Geschichtschreiber beinahe gezwungen waren, oft die Mittelmäßigen hoch zu erheben, weil sie sonst den großen Griechen, mit denen sie sich so gern verglichen, Niemanden an die Seite sehen konnten. Besaß nun ein Römer etwas mehr als das durchschnittliche Maß der nationalen Tugenden, war er durch Familienverbindungen, Adel und Reichthum für die höheren Staatsämter prädestinirt, und hatte er das Glück bei seiner Bestattung einen geschickten und nicht allzu zaghaften Lobredner zu finden, so war sein Ruhm gesichert. Alles dieses traf bei Marcellus zu. Er war ein tapferer Soldat, ein fester, unerschrockener Patriot, ein rücksichtsloser Feind der Feinde Roms. Ihn aber für einen ausgezeichneten Feldherrn oder gar für einen würdigen Gegner Hannibals auszugeben, verräth Mangel an Urtheilskraft oder persönliche und nationale Befangenheit. Er war nicht tüchtiger als die meisten andern römischen Feldherren seiner

314) Liv. XXVII, 26.

Ihne, Röm. Gesch. II.

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Zeit. Die Angaben von seinen Siegen über Hannibal sind sammt und sonders erdichtet. Dieses ergiebt sich theils schon aus dem oben Gesagten, denn das Lügengewebe ist doch troß aller Kunst durchsichtig genug, theils aus dem Zeugnisse des Polybius. Dieser sagt, offenbar um die schon zu seiner Zeit verbreiteten Behauptungen zu widerlegen, daß Marcellus den Hannibal nicht ein einziges Mal besiegt habe 315. Das Aeußerste, was man nach diesem vollwichtigen Zeugniß etwa zugeben kann, ist, daß es Marcellus einmal, oder vielleicht gar mehr als einmal gelang, Hannibals Pläne zu durchkreuzen, seine Angriffe abzuweisen oder ohne völlige Niederlage seine Soldaten aus dem Kampfe zurückzuziehen. Etwas Derartiges muß den Uebertreibungen, die sonst ganz unverständlich wären, zu Grunde liegen. Wenn daher Cicero den Marcellus muthig und kampfluftig 316 nennt, so spricht er gewiß die Wahrheit; wenn er aber seine Milde gegen die überwundenen Syracusaner rühmt, so braucht er ihn nur als Folie, um die Ruchlosigkeit des Verres hervorzuheben 317. Wie Marcellus die Sicilier behandelt hat, ergiebt sich aus der Darstellung der Vorgänge bei der Einnahme von Syracus. Er war ein erbarmungsloser Zerstörer und Räuber. Als die Sicilier hörten, daß er im Jahre 210 wieder als Consul auf der Insel den Befehl übernehmen sollte, wurden sie von wahrer Verzweiflung ergriffen und erklärten in Rom, es sei besser für die Insel, wenn das Meer sie verschlänge oder die feurige Lava des Aetna sie bedeckte, und sie würden alle ihr Vaterland lieber verlassen, als unter Marcellus' Befehlen leben 318. So unverhohlen und so gerecht war der Protest der Sicilier, daß Marcellus gezwungen war, mit seinem Collegen Valerius Lävinus die Provinzen zu vertauschen und statt in Sicilien, welches ihm durch das Loos zugefallen war, in Italien den Befehl zu übernehmen. Daß er in seiner rücksichtslosen Härte das Maß der römischen Strenge überschritt, folgt aus dem Senatsbeschlusse, welcher zwar sein Verfahren in Syracus nicht geradezu tadelte und seine Anordnungen nicht rückgängig machte, aber doch seinem

315) Plut. Comp. Pelop. et Marcell. 1. 'Avvíßav Sè Mágxellos, ws oi μèv περὶ Πολύβιον λέγουσι οὐδὲ ἅπαξ ἐνίκησεν. gl. Cornel. Nep. Hannib. 5. Quamdiu in Italia fuit (Hannibal) nemo ei in acie restitit, nemo adversus eum post Cannensem pugnam in campo castra posuit.

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Beurtheilung des Marcellus.

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Nachfolger Lävinus auftrug, so weit es das Staatsinteresse erlaubte, für die Wohlfahrt von Syracus zu sorgen 319. Es folgt dieses auch aus dem Gegensaß des alten Fabius Marimus, der gewiß ein echter Römer war und doch im Senate die von ihm selbst unterworfenen Tarentiner in Schuß nahm gegen die Hab- und Rachgier derjenigen, die gegen die besiegten Feinde zu wüthen Lust hatten 320. Man sieht deutlich, daß das Uebermaß der Härte gegen Bestegte selbst bei den Römern nicht mehr für eine Tugend und ein Verdienst galt, daß wenigstens bei den besseren Naturen das menschliche Gefühl anfing zur Geltung zu gelangen und daß die Panegyrik wie z. B. die der Scipionen sich allmählich zur Aufgabe stellte, ihre Helden auch im Lichte der Menschenfreundlichkeit und Milde glänzen zu lassen 321.

Fragen wir nun nach den Quellen der maßlosen Uebertreibungen und Erdichtungen über Marcellus, so lassen sie sich mit ziemlicher Sicherheit zurückführen auf die Lobrede seines Sohnes, welche Livius 322 erwähnt. Doch scheinen die Angaben dieses Familiendocumentes in früherer Zeit keineswegs unbedingten Glauben gefunden zu haben, wie aus Polybius' angeführter Erklärung und auch aus Livius selbst hervorgeht 323. Indessen nachdem der Kaiser Augustus den jungen M. Claudius Marcellus, den Abkömmling des Siegers von Syracus, zum Gemahl seiner Tochter Julia auserkoren hatte, brach für die Familie der Marceller eine neue Periode der Verherrlichung an. Jezt wurde sorgfältig Alles hervorgesucht, was die Ahnen des jungen Mannes in der glorreichen alten

319) Liv, l. c. ut quod sine iactura rei publicae fieri posset, fortunis eius. civitatis consuleret. Uebrigens war, wie es scheint, den unglücklichen Syracusanern auch jezt noch nicht viel geholfen. "Denn als im J. 205 Scipio nach Sicilien kam, ließ er es sich angelegen sein, den immer noch Beraubten und Bedrückten beizustehen. Livius XXIX, 1. Graeci res a quibusdam Italici generis eadem vi, qua per bellum ceperant, retinentibus, concessas sibi ab senatu repetebant. (Scipio) omnium primum ratus tueri publicam fidem, partim edicto partim iudiciis etiam in pertinaces ad obtinendam iniuriam redditis suas res Syracusanis restituit. Ob damit wohl der weiteren Vergewaltigung der Syracusaner durch Italiker gesteuert war?

320) Liv. XXVII, 25. Vgl. auch das Verfahren des Cornelius Cethegus in Sicilien, der die Anklagen gegen Marcellus begünstigte.

321) Vgl. Mommsens abweichendes Urtheil, Röm. Gesch. I, 621.

322) Liv. XXVII, 27.

323) Nach Livius (XXVII, 27) verwarf Cölius das Zeugniß des jungen Marcellus.

Zeit Großes gethan hatten. Augustus selbst verfertigte eine historische Arbeit über diesen Gegenstand 324 und es ist unverkennbar, daß Livius unter den Einflüssen des augusteischen Hofes geschrieben hat. Ihm ist Marcellus ein Lieblingsheld und diese Bevorzugung desselben wirkt sogar noch bei Plutarch nach. Ziehen wir Alles ab, was Familiendünkel und Nationalstolz gefabelt hat, so bleibt immer noch das Bild eines echten Römers vom alten Schlag, eines tüchtigen Soldaten, eines hervorragenden Mannes, aber es schwindet die Parallele zwischen Marcellus und Pelopidas und noch mehr die zwischen ihm und Hannibal.

Der Tod des Marcellus, dem bald sein College Crispinus an seinen Wunden erliegend folgte, scheint die Thätigkeit der zwei confularischen Heere, obgleich diese unversehrt blieben, für den ganzen Feldzug gelähmt zu haben. Es ist auffallend, daß das römische Volk, welches Jahr auf Jahr neue Oberbefehlshaber suchte und fand, jezt vier Legionen wenigstens ein halbes Jahr lang brach liegen ließ, weil zufällig die beiden Consuln gefallen waren. Wenn also in der That, wie es geschildert wird, die Heere weiter keinen Verlust erlitten, d. h. nach dem Tode des Marcellus von Hannibal nicht angegriffen und geschlagen wurden, so erscheint die römische Kriegsführung in einem traurigen Lichte. Das eine Heer zog nach Venusia, das andre sogar nach Campanien zurück und sie ließen dem karthagischen Feldherrn freie Hand, der Belagerung von Locri, die von Neuem wieder versucht worden war, ein Ende zu machen. Der Prätor L. Cincius hatte aus Sicilien Belagerungsmaschinen aller Art kommen lassen und Locri mit Heftigkeit von der Land- und Seeseite angegriffen. Schon verzweifelte die punische Besagung daran, die Stadt länger halten zu können, als Hannibals Numidier sich in der Nähe zeigten und die Besazung zu einem Ausfall ermuthigten. Von zwei Seiten gepackt hielten die Römer nicht Stand. Mit Zurücklassung des ganzen Belagerungsgeräths flohen sie nach ihren Schiffen und so war durch die bloße Ankunft Hannibals Locri gerettet 325.

Mit dem Fehlschlagen des Angriffs auf Locri war der römische Feldzugsplan für das Jahr 208 vereitelt und jede weitere Unternehmung unterblieb. Zum ersten Male seit dem Bestehen der Republik waren beide Consuln vor dem Feinde gefallen. Der Staat war verwaist, und reli

324) Plut. Marcell. 30 und Compar. Pelop. et Marcell. 1. 325) Liv. XXVII, 28.

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