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Erstes Capitel.

Die multae dictio.

Wenn man ein öffentliches Delict überhaupt als die Handlung eines Staatsgenossen bezeichnen kann, wodurch die Interessen des Staats gegen dessen Recht und Willen verletzt werden, die Strafe aber als das rechtlich zugefügte Uebel, in dem jener Rechtsbruch auf den Thäter selbst zurückfällt und so in ihm für den Staat sich rechtlich wieder ausgleicht, so muss es offenbar einen wesentlichen Unterschied machen, ob Jemand gegen die Interessen und das Recht des Staats selbst, in welcher Art er in den alten Staaten im populus mit dessen Obrigkeiten und Göttern an der Spitze sich darstellte und ius oder lex zu seinem Willensausspruche hatte

Im

oder ob er gegen ihn nur in seiner Bewegung, und darum gegen ihn nur mittelbar, insofern nehmlich obrigkeitliche Organe des Staats in dessen Angelegenheiten handelnd auftreten und er diesen nicht gehorcht oder zuwiderhandelt, sich verfehlt. ersteren Falle wird eine eigentliche öffentliche Rechtsverletzung begangen, analog der privaten des ursprünglich d. h. vorstaatlich auch souveränen paterfamilias in seiner vom Civilrecht geschützten Rechtssphäre, und folgeweise muss auch deren Ausgleich durch Strafe den Charakter des eigentlich Rechtlichen tragen, d. h. sie muss einerseits auch durch das allgemeine Recht fest, zum Voraus, ein für alle Male bestimmt sein, und dann auch rechtlich, im Falle der Bestreitung meist nach vorherigem öffentlichen Verfahren und Richterspruch auf den einzelnen Fall angewandt und vollstreckt werden; andererseits muss sie eben so, wie das Verbrechen den Staat selbst also gleichsam in seiner Gesammtpersönlichkeit negierte, auf den Verbrecher wieder so wie er an dieser Theil hat, also auch in seiner Person als deren Negation treffen, daher denn auch der Urtypus aller öffentlichen Strafe, die Strafe zar' ozýv, die Todesstrafe sammt Vernichtung des persönlichen Vermögens ist; eine mildere Ahndung kann nur auf dem Umwege eintreten, dass jene eigentliche Strafe durch eine angenommene Abfindung ursprünglich meist mit Vieh (лov, лca, wie dem aries subiectus des Todtschlägers), weil dann zugleich die Götter durch Opfer zu sühnen waren abgewehrt wird: wovon aber, da diese Abfindung später

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auch unmittelbar in Gesetzen vorgeschrieben und diese Ahndungsweise besonders im Privatrecht die häufigste wurde, deren Name Toivη, poena allmählich die Bedeutung der Strafe selbst erhielt.1) Wenn dagegen blos durch Ungehorsam oder sonstige Ungebühr gegen die Obrigkeit gefehlt wird, so geht dieses zwar auch den Staat an, dem ja die Obrigkeit mit ihrer Wirksamkeit dient; er und sein Recht wird aber dadurch nicht unmittelbar verletzt, da weder die handelnde Obrigkeit der Staat noch ihr Befehl der des Staates selber (ius civile) ist; vielmehr ist jener Ungehorsam auch seinem Gegenstande nach unmittelbar nur ein factisches, äusseres Vergehen, wie die handelnde Obrigkeit selbst als Organ des Staates nur dessen äussere, an sich factische und nur mittelbar oder entlehnter Weise auch rechtliche Seite darstellt, und demnach muss auch die Ahndung desselben eine ähnliche äusserliche und factische, nur mittelbar rechtliche Natur haben. Statt also auf einem allgemeinen, ein für alle Mal feststehenden Rechtssatze zu beruhen, kann sie vielmehr auch wieder nur in einem auf frischer That ausgesprochenen willkührlichen Strafbefehl der missachteten Obrigkeit bestehen; statt eine eigentliche Rechtsausgleichung zu sein, hat sie hauptsächlich nur die Bedeutung, den Widerstand der Person zu brechen, um so das Factum der obrigkeitlichen Anordnung factisch durchzusetzen, wofür die Römer die sehr passenden Ausdrücke cogere, coercere, gebrauchen; statt endlich, so weit sie doch auch Strafe für das Vergehen ist, den Ungehorsamen in der Substanz seiner persönlichen und vermögensrechtlichen Rechtssphäre zu erfassen, muss sie vielmehr an die äussere, der gehinderten Handlung der Obrigkeit entsprechende Seite seiner Persönlichkeit sich halten, und es bedarf an sich im Falle der Bestreitung des Ungehorsams für die Vollstreckung des Strafbefehls nur der eigenen Ueberzeugung der Obrigkeit, dass der Ungehorsam wirklich begangen sei. Im Uebrigen lassen sich noch verschiedene Arten dieser factischen Coercition denken: sie kann theils die äussere Seite der Person selbst, theils die des Vermögens treffen und in beiden Fällen wieder theils durch Bindung der Individualität, worin, als der Trägerin der Bewegung und Freiheit, mehr die Rechtsseite, theils durch Einwirkung auf das Körperliche, worin mehr die Naturseite der Person beziehungsweise des Vermögens liegt, geschehen. So ergeben sich die vier Hauptarten der Römischen coercitiones: in vincula ductio, verberatio, multae dictio und pignoris captio. 2) Die ersten beiden gehen auf die Person, die letzten beiden auf das Vermögen nach deren äusserer Seite. Das Verhältniss beider Haupt

1) Vgl meinen 'Gaius' S. 123.

2) In derselben Ordnung, nur aber vom Vermögen ausgehend, so dass multa und pignus voranstehen, wie auch unter den Privatdelicten das furtum den Anfang zu machen pflegte, nennt sie Cic. de leg. 3, 3 oben in Anm. 17.

arten anlangend kann, da naturgemäss alle Rache und Strafe eigentlich und zunächst die Person des Thäters treffen muss, auch die vermögensrechtliche Coercition nur unter dem Gesichtspunkt eines mildern Züchtigungsübels gedacht werden, welches die eigentlich wider die Person zu richtende gleichsam wie eine Abfindung vertritt, woraus denn auch namentlich eine Verwandtschaft der multa mit der poena in deren ursprünglichem Sinne (S. 8) folgt: nur dass diese anfangs auf freier Uebereinkunft beruhte, jene ihrem Begriffe als Coercition gemäss stets von dem Verletzten selbst diciert wird. Nach der formellen Natur aller vier Arten gehören aber wieder in vincula ductio und multae dictio einerseits und verberatio und pignoris captio andererseits zusammen. Erstere beiden beschränken und binden das Individuum, die Grundlage der Freiheit, und zwar die in vincula ductio das persönliche Individuum durch zeitliche Beraubung der factischen Freiheit (des Gehens levegia), die multae dictio das Individuum des Vermögens, durch eine factische Obligation; letztere beide ergreifen die körperliche Substanz als solche, die verberatio die der Person, der durch Festhalten und Schlagen körperlicher Schmerz bereitet wird, die pignoris captio die des Vermögens durch Festhalten und späteres Zerschlagen (pignus caedere) von körperlichen Sachen. Da alle Coercitionen. auf der freien Gewalt der Obrigkeit beruhen, so kann auch die Wahl unter ihnen oder ihre Cumulation nur von deren durch Billigkeit oder Zweckmässigkeit bestimmtem Ermessen abhängen; von selbst aber leuchtet ein, dass die persönlichen Coercitionen, unter denen besonders die verberatio sich der Todesstrafe nähern kann und an sich höchst empfindlich ist, ihrer Art nach die härteren sind, unter den Vermögensbussen aber die Multa als die schwerere erscheint, da sie nach der Natur einer Obligation an sich unendlich gesteigert werden kann. Es kann daher nicht auffallen, dass wir im Anfange der Republik die verberatio und multae dictio ebenso wie wirkliche Strafen behandelt und einen Process mittels provocatio dagegen zugelassen finden, wogegen die in vincula ductio und pignoris captio nur als Coercitionen betrachtet wurden, wegen deren keine provocatio und kein iudicium galt3). Unter den beiden sächlichen Coercitionen besteht aber auch noch das Verhältniss, dass die pignoris captio sich mehr augenblicklich fühlbar macht, als die nur eine Obligation bewirkende multae dictio, und dass das Pfand der ersteren nicht blos als für die zu erzwingende Verpflichtung unmittelbar, sondern, wenn wegen derselben auch eine Mult angesagt wird, zugleich als für diese eintretend betrachtet werden kann1), womit dann materiell dem Multier

3) Dionys. 5, 19. Wegen der in vincula publica ductio Pomponius L. 2. §. 16. D. de orig. iur. (1, 2). Anders allerdings später (Cic. 1. c.) nur dass gegen die Einsperrung wohl stets blos appellatio gestattet war.

4) Nicht mehr als dieses behauptet auch Bruns Zeitschr. für R. G. III. S. 351 flg. Dass es besonders ursprünglich regelmässig geschehen,

ten so wenig ein neuer Nachtheil erwächst, als wenn z. B. ein Pfand zugleich für die Hauptobligation und eine ihr beigefügte poenae stipulatio bestellt wird. Daher wird die Obrigkeit regelmässig, um die Renitenz des Ungehorsamen möglichst bald und mit dem geringsten Nachtheil für ihn zu brechen, beide Coer citionen vereinigen, wie wir es auch selbst noch in späterer Zeit finden (vergl. Einl. Anm. 18.)

Nach dieser aus der Natur des antiken Staats- und Rechtsorganismus selbst geschöpften Auffassung der multae dictio wird. es nun möglich sein, in ihr Wesen auch im Einzelnen tiefer einzudringen. Wie sich nach jenem nothwendigen Zusammenhange mit der Natur des antiken Staats erwarten lässt, war die multae dictio überhaupt nichts dem Römischen Staate Eigenthümliches. Wir finden sie um der griechischen Staaten nicht zu gedenken")

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in Italien fast allgemein verbreitet. Polybius bemerkt (Einl. Anm. 18), dass in dem Latinischen Hülfsheer, zu welchem fast alle damaligen Völker Italiens ein Contingent sandten, dieselbe Strafgewalt, welche die Militärtribunen über die Römischen Soldaten hatten, und darunter nennt er auch die multae dictio, den Präfecten der Bundesgenossen zustand. Das Wort multa selbst leiteten die Alten zum Theil aus dem Oskischen, zum Theil aus dem Sabinischen oder Samnitischen her, ein Beweis, dass auch bei diesen Völkern und daher wohl bei den alt Italischen überhaupt dasselbe Wort und dieselbe Sache vorkam. Eben dieses bestätigen aber auch die erhaltenen Oskischen und Umbrischen Inschriften, in denen das Wort ganz ebenso molto, im Umbrischen mit Ausfall des 1 vor t (meine Iguv. Taf. S. 590) mota oder Umbrisch geschrieben muta lautete"). Wie aber im Lateinischen coercitio wohl als synonyme Apposition zu multa hinzugefügt oder statt desselben

ist zu bezweifeln. Bethmann Hollweg Legis Actionen §. 30. Man muss sich aber denken, dass der Magistrat, wenn er blos pfändete, dieses ordentlicher Weise stets mit Angabe einer Geldsumme that, mit welcher das Pfand gelöst werden könne (also z. B. ob eam rem hanc mensam pro centussi oder centum aeris pignus capio, weil executives Pfand ohne eine Geldobligation in ihm dem Römischen Recht besonders in älterer Zeit gewiss fremd war, und dass das Maass dieser Geldsumme sich gewohnheitsmässig nach dem der Multen richtete.

5) Ueber die Griechische d. h. Athenische ẞoln, die der Römischen multae dictio verwandt ist, aber zu deren Erklärung nichts beiträgt, vgl. Heffter Athen. Gerichtsverf. S. 145 flg. Platner Att. Process I. S. 309. flg.

6) Die Oskischen oder Sabellischen Inschriften, auf denen molto oder der Infinitiv moltaum (= multare vorkommt, weist das Glossar zu meinen Osk. Sprachd. S. 405. die Umbrischen das zu den Iguv. Taf. S. 694. nach. Auf einer neu entdeckten Pompejanischen Inschrift hat sich auch das dem Lat. multaticus entsprechende Adjectiv moltasicos gefunden und zwar in der Zusammensetzung eítiuvad moltasíkad coercitione multatica, während sonst beide Begriffe im Substantiv einander apponiert zu werden pflegen. Fleckeisen Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. V. 'zu d. altit. Dialekten' S. 907.

allein gesetzt wird (oben Anm. 14 a. E.), so gebrauchten auch die Osker und noch entschiedener die Sabeller, wahrscheinlich auch die Etrusker eitva, eituva, eitiuva, eitiva von demselben Wortstamme mit vðús, ¿ðús gerade, straff, wovon auch unser Wort Strafe theils als Apposition zu molto, theils für dieses allein (Osk. Spr. S. 91 flg.) und im Umbrischen kommt auch das Verbum eitipom im Sinne von multis coercere vor (Iguv. Spr. S. 450). Wie nun das Institut der Multa in Italien sprachlich mit dem Römischen übereinstimmte, so werden wir im Ganzen auch für das Recht der Römischen Multa von den Italischen Inschriften Gebrauch machen dürfen.

Uebrigens hat jene Ableitung des Wortes multa aus dem Oskischen gewiss eben so wenig Grund, als wenn man behaupten wollte, die Römer hätten das Institut der Multa selbst von jenen Völkern entlehnt, wogegen schon das ausdrückliche Zeugniss Ciceros spricht, nach welchem bereits Romulus das Volk nicht durch Gewalt und Todesstrafen, sondern durch multae dictio in Ordnung gehalten hat). Vielmehr stammt Wort und Rechtsinstitut aus einer jener ganzen Italischen Sprach- und Völkerfamilie gemeinsamen Wurzel her und diese ist sprachlich ohne Zweifel das Wort mulgere, αμέλγειν (auch bei uns melken), weiterhin von μαλακός mollis, mild streichend oder drückend und so weich machend, allmählich (dem Euter) etwas entziehen), nicht aber mulcere und mulcare, obgleich namentlich die letztere phonische Nuancierung desselben Stammes dem Begriffe der multa als einer Strafe näher zu liegen scheint, was aber doch nicht der Fall ist, da bei einer Ableitung von mulc in dem allgemeinen Sinne von Streichen und dann Schlagen (Durchweichen) gerade das Charakteristische in dem Begriff der multa, das Strafen durch eine substantielle (vermögensrechtliche) Entziehung sich nicht erklären würde. Nach jener Ableitung ist nun die Bedeutung von multa eine bildliche von der Art, wie sie in einem von Hirtenvölkern bewohnten und von seinem Ueberfluss an Rindern benannten Lande nicht auffallen kann: gleichwie der Hirt dem wähligen Rinde durch das Melken einen Theil seiner leiblichen Kraft äusserlich entzieht, so bändigt die Obrigkeit den Ungehorsam des Bürgers durch Entziehung äusserlicher Vermögenskräfte, und multa, oder wie man später auch wohl schrieb, muleta") ist ursprünglich ein Adjectiv, aber wohl

7) Cic. de rep. 2, 9. multaeque dictione ovium et boum (quod tum erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur) non vi et suppliciis coercebat.

8) Diese Ableitung hat auch schon Gronov. ad Plaut. Stich. 3, 1. v. 18. Vgl. Kool 1. c. p. 1530. Die neuere Sprachwissenschaft weist dasselbe Wort in vielen Sprachen des Indogermanischen Stammes nach. Auch lac und yάla(xtos) gehören diesem Wortstamme au, da davor nur ein m ausgefallen ist.

9) Auf den ältesten sowohl Lateinischen als Oskischen Denkmälern von Erz und Stein und eben so in allen bessern Handschriften findet sich nehmlich die Schreibart multa. Das Nähere darüber s. in den Nach

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