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Sie hat ihren Zug nicht nach dem hesperischen Westen, sie bleibt auch hier sich selbst gleich und verhält sich gegen die Richtung des herschenden Zeitgeistes gleichgiltig oder reactionär. Sie sucht umgekehrt im Osten, der Heimat der heiligen und weltlichen Geschichte, ihre Nahrung und ihren Inhalt. Dorthin, zu dem Schauplatz der grössten Erlebnisse des Menschengeschlechts, stiehlt sich von dem Markte der Tagesgeschichte der einsame Forscher und gräbt die verschütteten Herlichkeiten auf, um ein ideales Leben wiederherzustellen, das in seinem Princip dem materiellen des Westens fremd und feindlich gegenüberliegt. Doch steht er mit solchem Beginnen nur in der Gegenwart ziemlich vereinzelt und verlassen da; rückwärts nach der Vergangenheit schliesst er sich einer langen Reihe von Bestrebungen und Einflüssen an. Und diese Thatsache ist es, die wir dem schnell vergessenden Geschlecht nicht laut genug ins Gedächtnis zurückrufen können, dass nemlich das innere und äussere Leben unsers Volks, seit es herausgetreten aus der gestaltlosen Dämmerzeit, sich stets an der Hand der Antike, im Anschluss oder im Gegensatz gegen sie, entwickelt hat. Die Einwirkung der römischen Welt bezog sich mehr auf die äussere politische Gestaltung, der Einfluss des griechischen Wesens auf die geistige Entwicklung. Dass beide Elemente mitunter das Nationale, das immer Quelle und Ausgang eines gesunden Volkslebens bleiben muss, überwucherten und unterjochten, ist unleugbar, aber es dauerte niemals langė, ohne dass eine kräftige und stets siegreiche Reaction

eintrat. Wenn ein solcher Einfluss in seinen natürlichen Schranken bleibt, so ist er ein hohes Glück, denn er enthält eine Fülle der Bildung und schliesst dem nationalen Geist das Verständnis seines eignen Wesens und seiner geschichtlichen Bestimmung erst

Und ist es nicht ein tief gegründetes, stets wiederkehrendes Gesetz der Geschichte, dass ein Volk die Resultate der Arbeiten und der Mission des andern nach Maassgabe seiner Befähigung und seines immerhin beschränkten, Naturells in sich aufnimmt und dass es dafür sein eignes austauscht? Deutschland muste aber vorzugsweise und fortgesetzt den Einfluss der Antike an sich erfahren, weil sich hier nicht wie in den andern Ländern Europas, Frankreich, England, Italien, Spanien, das germanische Element mit dem römischen bereits vom Beginn des Mittelalters an gemischt hatte., Während diese Völker nemlich das Pfund der Bildung, das nach höherer Fügung und nach der Natur der Dinge den nachlebenden Geschlechtern nicht verloren gehn sollte, schon in den ersten Process ihres Werdens aufgenommen hatten und es in ihrem Schoosse bloss zu entwickeln brauchten, muste das deutsche Volk in der fast unberührten Originalität seiner germanischen Stammesnatur es sich erst unter heissen Kämpfen im Innern und nach aussen aneignen. Reale oder praktische Zustände besonders politische und sociale entwickeln sich nun weit mehr aus dem selbständigen Kern des eignen Volkscharakters namentlich in Zeiten, wo die allgemeine Idee, in der sich die politischen Besonderheiten wie

oft aufheben, noch keine weltbewegende Macht geworden ist, dagegen geistige treten schon ihrer Natur nach in desto engern Verkehr mit denen eines fremden Volks. So in Deutschland. Im ganzen war hier der

Staat des Mittelalters eine durchaus eigenthümliche Schöpfung, nur stossweise tritt der Einfluss des Römerthums in der Städteverfassung und in dem Streben der Hohenstaufen nach der absoluten Majestät herein, eh er im sechszehnten Jahrhundert das Feudalsystem vollends zu brechen anfieng. Aber wie gern erschliesst sich der bildsame deutsche Geist den Eindrücken der Antike, zunächst der römischen Literatur, anfangs bis zur freiwilligen Aufopferung seiner Sprachform, dann in wirklicher selbständiger Aneignung! Seit jenen Zeiten endlich, wo die Hinneigung zum Griechenthum erwachte, seit der Reformationsepoche bestand gerade die Richtung und Tendenz unsrer gesamten Literatur darin, die reiche Nahrung der hellenischen Geisteswerke in sich aufzunehmen und an ihnen zur eignen Selbständigkeit zu erstarken. Wir haben diese Entwicklung oben berührt und erinnern hier nur daran. Ihr Gipfel und zugleich ihr Uebermaass fällt in den Wendepunkt der letzten Jahrhunderte, der natürliche Rückschlag erfolgte alsbald, wie wir oben gesehn haben. Aber auch diese Reaction führte zu weit, zu einer Geringachtung der Antike, die sich an den Gebilden unsrer eignen Literatur schwer gerächt hat.

Und hier ist der Punkt, wo wir die Art des Einflusses, den der Gehalt des classischen Erbes auf

unsre moderne Bildung geübt hat, wenigstens anzudeuten haben.

XIII.

Mag auch der reiche Schatz hellenischer Weisheit und Welterfahrung den Gesichtskreis der modernen und namentlich der deutschen Bildung erweitert haben, den Gehalt und Kern derselben hat er nur selten berührt und gerade in den Epochen, wo er über diese die eigentliche Herschaft gewonnen, kann man von keiner gesunden und natürlichen Entfaltung des deutschen Lebens und seiner eigensten Kräfte reden. Um so wirksamer aber war der Einfluss auf die Form, in welcher sich der nationale Inhalt auszusprechen suchte. Und wird sich nicht alle Einwirkung des einen Volks auf das andere auf die Form des Lebens im weitesten Sinne beschränken?

Es ist aber keine Form denkbar ohne eine gewisse Mässigung und Beschränkung des Geistes, ohne dass derselbe von dem freien Streben ins Weite und Unendliche zurückgelenkt wird zur Möglichkeit des Aeussern und Leiblichen. Und diesen Dienst hat die Antike fast auf allen Gebieten dem germanischen Geiste erwiesen, im Gebiete der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft und in gewissem Sinne auch in dem staatlichen. Sie hat dem ungehemmten Drang der Idee, der Phantasie, die sich zu verflüchtigen und zu zersplittern drohte,

einen Körper gegeben, sie hat das Aufstreben des Geistes zum Himmel mit weisem Maass auch auf die irdische Schranke hingewiesen und ihm die Fähigkeit plastischer Gestaltung verliehn. Wer will und kann das im Hinblick auf die geschichtliche Erfahrung in Abrede stellen? Wenn aber das Maass- und Zügellose an Ueberfülle krankt, so ist es dem Schönen gerade entgegengesetzt, das nur in dem Gleichgewicht, in der Concentration und Harmonie der Kräfte besteht, und gerade der Begrif des Schönen ist es, den uns die Antike zwar nicht eingepflanzt, wol aber aus unserm eignen Wesen hat herausbilden helfen, den sie uns in tausend Vorbildern noch täglich vorhält. Wir verehren also in den uns überlieferten Werken antiker Kunst, Poesie, Wissenschaft das gediegenste Mittel zur Zucht unsers Geistes und wollen sie, da sie uns ebenso wie andre Lebensgüter von Gott gegeben sind, nicht ungenutzt zur Seite schieben. Von einer Nachahmung, auch nur der Form, kann natürlich keine Rede sein, sondern nur von einer indirecten Einwirkung auf das Vermögen, unsern innern Gehalt zu gestalten. Und mögen wir da wol verkennen, dass z. B. selbst bei der Entstehung der gothischen Dome, dieser rein germanischen Schöpfungen, antike Traditionen in der bezeichneten Weise als Hebel mitgewirkt haben? dass die ganze Wissenschaft des Mittelalters, so unbeholfen sie im ganzen auch auftritt, kaum möglich gewesen wäre ohne Beihilfe und Vorbild der lateinischen Literatur? dass selbst unsre mittelalterliche Dichtung, dieser reinste und hellste Spiegel unsrer nationalen

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