Immagini della pagina
PDF
ePub

Rhetorik in den bezeichneten Kreisen, die eine Zeit lang tonangebend unsre schöne und Tagesliteratur beherschten, alles gesunde, wahre und natürliche Geistesleben erstickt! Man denke an die Börne, Mundt, Laube u. a., man denke zuletzt noch an Herwegh und seine Nachtreter, die Verpflanzer der Bérangerschen Weisen!

Alle hier geschilderten Richtungen sind grundsätzliche Abweichungen von den Traditionen unsrer classischen Literatur, und da diese wesentlich auf antiken Einwirkungen beruhte, zugleich von jenen. Da nun so schnell nach dem Hinscheiden der grossen Männer, die uns eine Nationalliteratur geschaffen haben, eine so bedeutsame rückgängige Bewegung von den formellen Principien, durch welche jene Grösse erreicht worden, eingetreten ist, da das Verlassen der von Natur und Geschichte uns angewiesnen Bahnen auf das engste mit dem Aufhören unsrer schöpferischen Literatur selbst zusammenfällt, so entsteht wol die ernste Frage, ob nicht auch jetzt noch, da das Vorbild unsrer eignen Classiker nicht vermocht hat, die Zucht und das Maass in der Form, jenen Spiegel innerer Harmonie, unter dem nachlebenden Geschlecht aufrecht zu erhalten, die Antike selbst zur Orientierung nach dieser Seite hin mit Erfolg dienen und wirken könne. Werke der eignen Literatur vermögen es überhaupt selten, als formelle Muster, als 'Studien' zu dienen, sie fordern, weil sie eben Fleisch von unserm Fleisch sind, Hass oder Liebe heraus und erziehn höchstens unselbständige Nachahmer. Es muss ein drittes und fernerstehendes Gebiet sein,

wie es die Antike ist, neutral nach allen Seiten hin Zugleich aber muss in ihm eine gewisse innere Verwandtschaft liegen, vermöge deren wir uns zu ihm hingezogen fühlen.

XIV.

Erfüllt das hellenische Alterthum diese Bedingung? Ja, der deutsche Geist, wenn er sich mit den Schätzen hellenischer Cultur durchdringt, fühlt und erkennt darin trotz aller Verschiedenheiten auch ein gleichartiges Element, das ihn anzieht, fesselt und zur tiefern Betrachtung einlädt. Während ihn die römische Welt in ihrer geschichtlichen Vollendung (wenn man von den literarischen, wesentlich auf griechischen Mustern ruhenden Producten absieht) eher abstösst, weil sie den geradesten Gegensatz zur germanischen Freiheit und Manigfaltigkeit darstellt, so sieht er in der Entwicklung des griechischen Volks ein Schattenbild seiner eignen und in dem Kampf zwischen ihm und dem römischen Weltstaat eine Analogie mit dem Widerstreit des heutigen Romanen- und Germanenthums, der schon einmal vorübergehend die Wiederholung des Schicksals der Griechen zur Folge hatte. "Griechenland', sagt Niebuhr, ist das Deutschland des Alterthums'.*) Das ist ein wahres und hohes Wort, des

*) Diese Aeusserung ist ein Vermächtnis Niebuhrs, sein letztes schriftliches Wort, in der Vorrede zur zweiten Ausgabe

sen Inhalt so vielsagend und weitgreifend ist, dass er wol eine Explication verdient. Mag auch Niebuhr in dem Zusammenhang, in welchem er den Ausspruch gethan, zunächst die relative Aehnlichkeit der politischen Schicksale beider Völker im Auge gehabt haben, seine Richtigkeit geht weit über diese eine Seite des Lebens hinaus. Auch bei Niebuhr lag die Ahnung oder das Bewustsein der allgemeinern Analogie zu Grunde. Wer so tief in der Geschichte lebt wie er, dem verschwindet die Weite und Ferne der Zeiten und vor seinem geistigen Auge tritt hell und scharf heraus das Gleiche und Ungleiche; was innerlich sich nahe steht, gruppiert sich zusammen und zieht sich an. So ist es schwerlich ein Paradoxon, wenn man behauptet, dass wir den Griechen, die seit zwei Jahrtausenden aus der Geschichte verschwunden sind, innerlich näher stehn als z. B. den Franzosen, deren Land wir in ein paar Stunden erreichen können. Deutschland ist den Romanen von Tacitus bis zur Staël und weiter ein grosses, geheimnisvolles Räthsel gewesen und am seltensten findet sich ein Franzose, der in die deutsche Natur und Eigenthümlichkeit einzudringen vermag.

Beginnen wir mit dem Aeusseren, dem Habitus der Geschichte! Wie augenfällig ist da die Aehnlichkeit in dem historischen Gang des hellenischen und des deutschen Volks! Nur der Verlauf der Zeit, in welcher Griechenland seine. Blüte und seinen Verfall erreicht

der Uebersetzung einer Philippischen Rede des Demosthenes be findlich.

hat, ist ungleich kürzer, weil es, weit kleiner an Raum und an Bevölkerung, ärmer an Bildungsschätzen und in weniger manigfaltiger und verwickelter Umgebung von cultivierten Nachbarstaaten befindlich, auch nur eines geringern Zeitraumes bedurfte, um die Keime, die es barg, bis zur Ueberreife und zum Uebergang in andere geschichtliche Kreise zu entwickeln. Dass ferner der Einfluss der geoffenbarten Religion Christi einen wesentlichen Unterschied begründet, der trotz allen stillen und lauten Wandlungen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder ungeschwächt, erfrischend, belebend hervortritt und das Dasein des Volks vor dem innern Tode, dem marasmus senilis bewahrt, an welchem Hellas verschied; dass dieser religiöse Gegensatz eine ganze Reihe historischer Erscheinungen bedingte und hervorrief ich will nur die Kirche und die germanische Monarchie nennen die in Griechenland fehlten, alles das ist wahr, und doch bleibt noch unendlich viel ähnliches und analoges bestehn. Jeder, der die Geschichte beider Völker, die fertige, abgeschlossne Griechenlands und die strebende, lebendige Deutschlands einigermassen kennt, zieht sich die Parallelen von selbst; wir erinnern hier nur an einzelne Hauptpunkte.

[ocr errors]

Der erste, worin man eine Aehnlichkeit suchen würde, ist die Naturanlage, die zwar schon in der Dämmerzeit des frühsten geschichtlichen Auftretens sich kundgibt, aber ihre feste Gestalt erst durch die Geschichte selbst erhält. Da ist es denn das wesentlich geistige und ideelle Element, das der griechischen und

deutschen Natur tief eingeprägt ist und sich bei beiden Nationen theils in dem Gefühl und Bewustsein der Abhängigkeit alles menschlichen Wesens von dem göttlichen Geiste *), theils in dem tiefsinnigen und unwiderstehlichen Hang zu jeder Art geistiger Thätigkeit, zur Poesie, Speculation, Wissenschaft, ausgesprochen hat. Die Folge hiervon ist, dass beide Völker fast die gleichen Erscheinungen im Gebiete geistiger Bewegung erlebt haben oder erleben, wenn man von denen absieht, die unmittelbar von der Verschiedenheit des religiösen Lebens veranlasst werden. Nur bildete sich im griechischen Geist schon in früher Zeit eine Gabe aus, die dem deutschen fehlt, sein plastisches Talent, d. i. die Neigung und Anlage, übersinnliche Vorstellungen in möglichster Formvollendung und Schönheit zu versinnlichen und leiblich darzustellen, ein Element, durch welches die alte pelasgische, dem formlos Gigantischen mehr zugethane Natur einen neuen Typus erhielt. Wie ja das Wesen der Religion der Hellenen am Ende darin bestand, dass sie

*) Man könnte in ihrem Sinne die Hellenen, wie die Deutschen, ein kirchliches Volk nennen, so innig spricht sich der Zusammenhang des Göttlichen und Menschlichen in allen Momenten ihres Lebens aus. Und dieses alles durchdringende Gefühl liegt doch tiefer und geht der Vorstellung und der Personification der Götter voraus. Man sehe Beispiele bei v. Las saulx 'Ueber die Gebete der Griechen und Römer' S. 10. Und über

die Ableitung des Staatslebens von der göttlichen Gnade und Weisheit vergl. K. Fr. Hermann 'Ueber Gesetz, Gesetzgebung und gesetzgebende Gewalt im griechischen Alterthum.' Erst die Sophisten setzten an die Stelle dieses Ursprungs den mechanischen Vertrag.

« IndietroContinua »