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unserm Geiste spricht, zu der Alterthumswissenschaft selbst über. Von ihr, von dem Grad ihrer Blüte und Kraft, von ihrer Fähigkeit, das Alte zum Neuem, das Abgestorbne und Vergangne zum Fortwirkenden und Unvergänglichen zu machen, hängt die Gesundheit der classischen Bildung auch auf Schule und Universität ab.

XVIII.

Wir haben oben versucht, den allgemeinen Gang dieser Disciplin seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu betrachten und haben dabei gefunden, dass sie nur dadurch einen höhern und lebendigern Aufschwung genommen hat, dass sie in die innigste Beziehung zu der damals herschenden Richtung des geistigen Lebens, zu unsrer poetischen Nationalliteratur trat; wir sahn nicht minder, dass sie genau so lange ihren hohen Standpunkt behauptete, als sie dieses Wechselverhältnis fest und wirksam erhalten konnte und es in ihren Leistungen abzuspiegeln wuste. Dieser Zusammenhang ergrif aber natürlich zunächst und vorzüglich wieder die poetische Literatur des classischen Alterthums und zwar desjenigen antiken Volks insbesondere, dessen Erbtheil in eminentem Sinn die Kunst und Poesie sind, des hellenischen. Wir haben aber ferner gesehn, dass, als das classische Element aus unsrer Literatur selbst verschwand und andern Tendenzen Platz machte, auch

die Alterthumswissenschaft die Wirkung davon erfuhr und dass die folgende Periode, die zuerst ein hohes Interesse am staatlichen Leben in den gebildeten Ständen Deutschlands erweckte, die Aufmerksamkeit zum erstenmal in bestimmter Weise auf den antiken Staat, aber auf den römischen, hinlenkte. Später, als beide Seiten, Poesie wie Staat, in ihrem tiefern Einfluss auf unser Leben zurücktraten, zersplitterte sich auch die Alterthumsforschung theils in der Erneuerung alter abgelebter Formen und Richtungen, die sie täglich mehr isolierten, theils mühte sie sich vergebens ab, die originellen Bestrebungen der frühern Periode fortzu

setzen.

Wir ziehn daraus die doppelte Lehre, einmal dass nur aus dem Zusammenhang mit den wirkenden geistigen Mächten des allgemeinen Lebens einem einzelnen Wissenszweig Halt und Lebenskraft erwächst, dass also, wenn sich derselbe einer bestimmten Seite des praktischen oder theoretischen Lebens ausschliesslich hingibt, er auch mit der Beschränkung oder dem Zurücktreten derselben an innerem Gehalt wie an äusserer Geltung einbüssen muss. Wird dieser Grundsatz festgehalten, so schützt er vor Einseitigkeit und vor der Einführung zeitlich-vergänglicher Tendenzen in das Gebiet der Wissenschaft. Aber wie es nicht zufällig geschieht, dass gewisse einzelne Richtungen im Leben der Völker sich in verschiednen Zeiten vordrängen, sei es eine poetische oder politische oder wissenschaftliche, sondern wie diese Erscheinung in den realen Verhältnissen und Entwicklungen des Menschen

lebens tief begründet ist, so ist es natürlich, dass solche überwiegende Mächte auch der Wissenschaft bestimmte Bahnen anweisen und Gesetze vorschreiben. Und sind sie nicht bloss Kinder des Tags, nicht flüchtig, vorübergehend und ohne tiefere Wurzel, so haben sie ja zu ihrer Grundlage und ihrem Princip auch eine allgemeine Geistigkeit und, weit entfernt der Wissenschaft bloss vergängliche Typen aufzudrücken, heben sie nur bisher übersehne oder falsch aufgefasste Seiten hervor und geben ihrer Darstellung das frische kräftige Gepräge, das dem Leben selbst entstammt. So muss

es auch das Bestreben des classischen Alterthumsforschers sein, dem Echten, was in der Zeitrichtung liegt, auf seine Wissenschaft Einfluss zu verschaffen, zugleich aber sie möglichst über die etwaige Einseitigkeit dieses Einflusses zu erheben. Davor schützt aber die Verbindung mit der allgemeinen Wissenschaft und Bildung oder in höherer Ordnung der Anschluss an das Gebiet, wo Erkenntnis und Sittlichkeit, theoretisches und ethisches Verhalten zusammenfliessen, an das religiöse. Die Macht der Zeit ist aber gegenwärtig, wie wir oben gesehn haben, an Stelle der Poesie das politische Interesse geworden, und zu ihm muss deshalb die Alterthumswissenschaft eine Stellung einzunehmen suchen, erweitert jedoch und getragen von wissenschaftlicher und religiöser Erkenntnis. Diese letztere mildert und modificiert die subjective Beziehung zum classischen Alterthum, die nothwendig aus jedem An schluss an eine energische Zeitrichtung entsteht, wie wir es oben in Bezug auf unsre poetische Literatur

gesehn haben und wie wir es erfahren müsten, wenn sich jetzt etwa die Forschung ausschliesslich zu dem antiken Staatsleben hinwenden wollte.

Fassen wir beide Forderungen zusammen, so können wir sagen, das classische Alterthum muss historisch dargestellt werden. Denn zu einer historischen Auffassung des vergangnen Lebens gehört als unerlässliche Vorbedingung die Einsicht in die realen, praktischen Verhältnisse selbst, die in der Geschichte zu ihrer Entwicklung kommen; die Anschauung des Seins muss der Darstellung des Werdens vorausgehn. Es wird niemand die Geschichte der Literatur schreiben können, ohne durch die sich vertiefende Betrachtung der einzelnen Dichtung ein lebendiges Gefühl des Schönen in sich ausgebildet zu haben, die Aesthetik ist die Grundlage und Voraussetzung der Literaturgeschichte, das einzelne Kunstwerk muss der Darsteller der Kunstgeschichte voll und ganz in sich aufgenommen, der politische Historiker den Organismus und die Lebensbedingungen des Staats verstanden haben, und muss nicht in dem, der die historische Entwicklung der philosophischen Speculation verfolgen will, zuvor die Idee selbst in ihrer unmittelbaren, ewigen Gestalt lebendig sein? Je tiefer und schärfer jeder historische Darsteller das Einzelne durchdringt, desto klarer wird. auch in seiner Arbeit das Gesetz der Bewegung, das Hinstreben des Relativen zum Absoluten sich abspiegeln. Aber schon die Betrachtung einer einzelnen Seite des geistigen Lebens, des Staats, der Kirche, der Literatur, der Kunst in ihrem ruhenden Zustand führt ihn ein in

den Reichthum des Gesamtlebens, die Entwicklung des einen Elements ist nicht von der des andern zu trennen, er muss sie unter sich aufeinander beziehn, diese Beziehungen wiederum führen ihn aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurück, es bildet sich in seinem Geiste eine Uebersicht des Allgemeinen. Ihren ideellen Ausdruck findet aber diese Uebersicht in der Wissenschaft, und sie ist es deshalb, mit der sich die classische Alterthumsforschung zunächst in ein weit bestimmteres und directeres Verhältnis setzen muss, als es bisher geschehn ist. Von ihr muss die Philologie die Objectivität, den grossen Maasstab und den universalen Standpunkt lernen, von dem das classische Alterthum zu betrachten ist. Namentlich in unsrer Zeit, wo die Wissenschaft der alleinige Ausdruck des idealen Lebens der Nation ist und die Reste nationaler Productivität pflegt und bewahrt, wo die einzelnen Theile ihres Gebiets in ganz anderem und höherem Sinn als früher zum Bewustsein ihres Zusammenhangs gekommen sind, gerade jetzt muss auch die Philologie, wenn sie anders gedeihn und fortbestehn will, in diesen Kreis als lebendiges Glied eintreten; allein aus sich, aus ihren geschlossnen und beengten Grenzen kann sie nicht den Grad von Lebensfähigkeit und Dauer entwickeln, dessen sie unumgänglich bedarf.

Die kaum übersehbaren Fortschritte der Wissenschaft in Erweiterung und Vertiefung ihres Gebiets sollen nutzbar gemacht werden. Ist es doch unleugbar, dass der Charakter und die verschiednen Seiten des antiken Lebens oft wahrer und tiefer von andern

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