Immagini della pagina
PDF
ePub

natürlich sein, gegenwärtig sich mitten hinein in die bewegteste, reichste, wechsel vollste Periode der hellenischen Geschichte zu begeben und zu ringen um ein Ziel, das den in ihrer Art grossen und unerreichbaren Alten verhüllt bleiben muste.

Diejenigen Philologen, die den Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Thätigkeit in den literarischen Werken des Alterthums erkennen, klagen bei aller ehrenwerthen Aufmerksamkeit, die sie den Arbeiten der realen oder historischen Schule schenken, oft über deren Trockenheit, die das Paradies der Antike zum dürren Stoppelfeld mache, die da abziehe von dem Schönen und Lebendigen, das gerade dem classischen Alterthum eigenthümlich sei. Bernhardy, ein Mann frei von jeder philologischen Einseitigkeit, steht, wenn ich nicht irre, auch auf dieser Seite. Und haben diese Ankläger, wenn man manche der hochgelehrten aber leblosen Producte jener Schule betrachtet, so ganz Unrecht? Führen dieselben nicht öfter ab als hin zur wahren Erkenntnis der alten Welt? Aber kommt ein befähigter Geist auch nur einigermassen dem Ideal nahe, das ich zu bezeichnen suchte, so tödtet er ja nicht das Grosse der unsterblichen Werke in Poesie und Kunst, nein er belebt sie aufs neue, indem er jedem im Totalbild des Lebens seine richtige Stelle anweist. Ich denke, es wird die 'ergiebige Ader' eines reifern Verständnisses aus jener Darstellungsweise auch auf das einzelne fliessen.

Wenn es in meiner Absicht liegen könnte, an dieser Stelle mehr als die allgemeinsten und nothwen

digsten Umrisse meiner Anschauungsweise zu geben, so müste ich auf diesen Punkt, auf die Behandlung des Details, näher eingehn. Dass die Methode der Interpretation, die Richtung der Quellenkunde, die Wahl und Behandlung monographischer Gegenstände danach manche Modification erfahren müste, liegt indes grossentheils schon in den obigen allgemeinen Sätzen. Und wenn die Veränderung der Studienrichtungen, die ich für die heutige Philologie als unerlässlich bezeichnet habe, eintritt, wird sich die Methode, getragen und beseelt von dem erhabnen Ziele, von selbst ausbilden.

Aus der Darstellung kleinerer Perioden würde sich mit der Zeit eine Geschichte Griechenlands bilden, die den Titel mit Ehren führen könnte und noch in weit höherm Sinn als die von Thirlwall oder Grote die Reproduction eines untergegangnen Weltalters genannt werden könnte. Freilich muss man darauf verzichten, das Vergangne in dem Geiste der vergangnen Zeit zu sehn, wie es die Philologen meist wollen, man suche es vielmehr zu erkennen in der Art und mit den Mitteln, die uns fernlebenden zu Gebote stehn, und begnüge sich, die grossen Schatten der dahingeschiednen Körper zu erhaschen, ohne alle einzelnen Züge der Gestalt und des Antlitzes entziffern zu wollen. Denn ebenso wenig wie der Geschichtschreiber ein Diener seiner Zeit sein darf, wenn er nicht vergangne Zeiten verkennen will, kann er unbeschadet der historischen Gerechtigkeit ein absoluter Anbeter der bestimmten Zeit sein, die er gerade darstellen will. Er mag und

muss innige Theilnahme für seinen speciellen Gegenstand haben, aber er darf sein Herz nicht hängen an eine einzelne Erscheinung, nicht zum Augenblick sagen: 'verweile doch, du bist so schön', sondern er muss sich, soweit es Menschenloos ist, von den Banden der Zeitlichkeit freizumachen und mit dem Maasstab der Ewigkeit zu messen suchen. Aus dem Grundton des ewig unverrückbaren Seins erkennt er das zeitliche Werden.

[graphic]

XIX.

Wir sind an einem Punkte angekommen, der uns von selbst zu einem Rückblick einlädt. Unsre Betrachtung verweilte zuerst bei der Stellung, die das classische Alterthum in der Blütezeit unsrer eignen Literatur und zu derselben einnahm; wir suchten die Wandlungen zu erkennen, denen dieses Verhältnis im Laufe der folgenden Decennien unterworfen war. Diese geleiteten uns zu den Zuständen der Gegenwart, von denen aus wir wiederum die nothwendigen Bedürfnisse und Forderungen für die Zukunft zu erkennen suchten. Wir haben durch diese geschichtliche Ueberschau die Ueberzeugung gewonnen, dass nur in einer Regeneration jener Studien ihr Heil und ihr Bestehn inmitten der deutschen Bildung gefunden werden könne; wir haben unsre Ansicht über die einzuschlagenden Wege in kurzem Umriss ausgesprochen. Mögen wir in Betref der

letztern, der positiven Vorschläge, den stärksten Widerpruch zu gewärtigen haben, mag hierüber überhaupt die grösste Meinungsverschiedenheit herschen, über den erstern Punkt, über den Mangel eines tiefen und wahren Zusammenhangs der classischen Alterthumswissenschaft mit den wesentlichen Richtungen unsers geistigen Lebens, über die Einflusslosigkeit der Antike auf das heutige Denken und Leben können die unparteiischen Betrachter unsrer Culturgeschichte füglich nicht im Zweifel sein. Nicht ungestraft hat die Philologie diese isolierte Stellung eingenommen. Wir sehn sie im allgemeinen, von einzelnen Erscheinungen und Richtungen abgesehn, in einer ähnlichen Lage wie die Theologie am Ende des vorigen Jahrhunderts. Wie diese damals hinter den Fortschritten der Wissenschaft, der Literatur, des Lebens weit zurückgeblieben war, unberührt und überflügelt von diesen Lebensmächten, wie sie in ihrer geistigen Verlassenheit und ihrem verknöcherten Deismus allen tiefern Einfluss auf das Leben eingehüsst hatte, eh ein neuer Lebensstrom aus der regenerierten Wissenschaft und dem durch die grossen Zeitereignisse erneuerten Leben ausgieng, so kann eine ähnliche Gefahr der classischen Alterthumswissenschaft drohn, wenn nicht wesentliche und erfolgreiche Aenderungen eintreten.

Die deutsche Bildung verträgt am wenigsten die kastenmässige Abgeschlossenheit einer einzelnen Disciplin; ihr Streben ist innerer Zusammenhang und Wechselwirkung des Besondern mit dem Ganzen und Allgemeinen. Mag in Holland die Philologie selbst in

[graphic]

ihrer grössten Blütezeit kaum einen wesentlichen Einfluss auf das Leben und die Gesellschaft ausgeübt haben, in Deutschland, haben wir gesehn, beruhte ihr Gedeihn durchaus auf ihrer Berührung mit der Volksliteratur und dem Leben.

Wenn sich aber im Wendepunkt der beiden Jahrhunderte ähnlich wie am Anfang der neuern Geschichte in Italien die Classicität als Einseitigkeit vordrängte, so ist sie nunmehr durch das Erwachsen und Erstarken andrer gleichberechtigter Richtungen, die wir hervorzuheben suchten, in ihre natürliche Stellung zurückgetreten; sie hat aufgehört, ein ausschliessliches oder auch nur überwiegendes Element unsrer Bildung zu sein, um so mehr aber ist nun ihr gemässigter Einfluss als ein unverlierbares Gut festzuhalten, in einer Form, die unsrer geistigen, nationalen wie christlichen Entwicklung entspricht. Denn das classische Alterthum ist bereits ein Glied unsrer Bildung geworden; was aber die Geschichte verbunden hat, lässt sich nicht willkürlich trennen und auseinander reissen. So ist es gekommen, dass das wahre Verständnis auch andrer Seiten unsrer Bildung durch die Bekanntschaft mit der Antike bedingt ist, ja dass unsre eigne classische Literatur erst dem durch die hellenische Dichtung geübten und geschärften Auge in vollem Lichte erscheint. Liegt hiefür nicht schon darin ein Beweis, dass schon jetzt die Werke unsrer poetischen Literatur, die vor vierzig und funfzig Jahren mit einer jetzt unmöglichen und kaum mehr verständlichen Liebe und Wärme durchlebt wurden, aus dem Bewustsein der Gebildeten zu schwin

« IndietroContinua »