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ganzen reichen Geistesleben unsrer schöpferischen Zeit, ja es hat dasselbe zu seiner nothwendigen Voraussetzung. Während es aber jene hochstrebende Periode abschliesst, verwandelt es zugleich ihre geistige Errungenschaft in eine starre Begrifswelt, in mancher Hinsicht derjenigen analog, welche Aristoteles auf den Trümmern der realen Welt Griechenlands errichtete. Dieses quietistische Element in ihm, das die Brücke zu dem Reichthum des realen Lebens hinter sich abgebrochen hat, steht aber, wie schon oben gesagt, im engsten Zusammenhang mit dem Geist der zwanziger Jahre, in denen jenes System seine Vollendung erreicht hat. Denn in einer Zeit, in welcher dem öffentlichen Leben grosse Charaktere fehlen, erstreckt sich der Einfluss dieses Mangels auch auf die Speculation. Ihr geht dann die Anschauung von der Bedeutung und dem in die Geschichte eingreifenden Walten des persönlichen Geistes ab und sie geht sonach von selbst zu der alleinigen Anerkennung der allgemeinen Idee über, die freilich gerade in flachen und gewöhnlichen Zeiten am leichtesten fassbar ist. Hat doch schon die populäre Bildung dieses thatsächliche Verhältnis in dem oft ausgesprochnen und gehörten Axiom anerkannt, dass unsrer Zeit im Gegensatz zu der kurz vorhergegangnen Epoche die Aufgabe gestellt sei, Intelligenz und Bildung über die Massen zu verbreiten und in Ermanglung genialer und hervorragender Menschen aus den von den grossen Männern der nahen Vergangenheit erworbnen Schätzen gleichsam allgemein zugängliche Münzen zu prägen. Hierdurch nun, dass man die Mittelmässigkeit,

das Fehlen aller Gipfel und Spitzen im öffentlichen Leben als die Regel gelten lässt, dient man nur der Eitelkeit einer armen und öden Zeit und schwächt den Glauben an die Wiederkehr besserer und schwunghafterer Perioden. Treten aber wieder grosse Männer auf, die das göttliche Ebenbild noch unverwischt und unentstellt bewahrt haben und die Fortbildung der Geschichte in die Hand nehmen, so erwacht und erwächst auch von neuem im Volke der Glaube an die Mission des persönlichen Geistes und mit ihm wird die Speculation sich umwandeln, sie wird auf dieser Wirklichkeit fussen und von ihr ausgehn. Dass aber die Zeit, in welcher das Hegelsche System in das Leben und die Wissenschaft eindrang, in der That den bezeichneten Charakter getragen hat, bedarf keiner Ausführung.

Es ist die Restaurationsperiode, die auf den Schwung der Freiheitskriege folgte und die, da sich keine Idee aus der nahen Vergangenheit in ihr verwirklichen wollte, die Mehrzahl der strebsamen Geister jener absoluten Wissenschaft *) zuführte. Die früher tonangebenden Männer unsrer productiven Literatur, soweit sie noch lebten, hatten sich meist vom Schauplatz des öffentlichen und wirkenden Lebens zurückgezogen. Goethe hatte sich zu Naturstudien und dem Orientalismus hingewandt, Beschäftigungen, die seinem Greisenalter zusagten. Und wie oft reden die Hegelianer in feiner

*) Wie sehr Recht hat Pascal: 'La multitude qui ne se reduit pas à l'unité est confusion. L'unité qui n'est pas multitude est tyrannie.'

politischer Klugheit von einem engen Geistesbündnis ihres Meisters mit dem Heros der deutschen Dichtung! Freilich Goethe der Greis, der in der ewig stillen, ewig gleichen Unbeweglichkeit der orientalischen Poesie den Ausdruck seines still gewordnen Gemüts erkannte, hat mit dem Absolutismus des Hegelthums eine gewisse Verwandtschaft, nimmermehr aber der Goethe des Werther, des Götz, des Faust, des Tasso!

VIII.

Doch die Vertreter dieser Gegensätze schieden hin und mit ihnen wich wenigstens die Schärfe und Schrofheit, die stets mit den Persönlichkeiten steht und fällt. Goethe starb, Hegel, Niebuhr, Schleiermacher starben; Deutschland verarmte an den Männern seiner grossen schöpferischen Zeit. Andre Wortführer traten in Literatur und Wissenschaft an die Stelle; die thatenlose und unproductive Periode bildete die Coterie des 'jungen Deutschlands' aus, das durch die linke Hegelsche Schule, den Bruno Bauerschen Atheismus und endlich durch den französischen Socialismus verdrängt wurde. Dass neben diesen Auswüchsen einer morsch und krank gewordnen Zeit auch die geschilderten Richtungen in Leben und Wissenschaft noch fortbestanden, versteht sich im Grunde von selbst, aber eben weil sie gleichfalls unter dem Einfluss der Zeit litten und ihre grossen und originalen Vertreter verloren

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hatten, besassen sie nicht die innere nachhaltige Kraft, um jene giftigen und zum Theil wahnsinnigen Bestrebungen zu überwinden. Das 'Literatenthum', das keine Tradition kennt und verehrt und das Leben aus dem Nichts seiner subjectiven Neigungen neu schaffen möchte, führte das grosse Wort auf dem Markt der Tagesschriftstellerei. Und diese setzt ja zu allen Zeiten die Massen vorzugsweise in Bewegung, weit weniger die Literatur, die in grössern und reifern Werken sich ausspricht, zu denen nur einzelne den mühevollen Weg suchen, besonders aber in dieser raschlebenden hastigen Zeit, in welcher sogar die Männer der Wissenschaft lieber in Broschüren und Aufsätzen zum Publicum reden. Alle Richtungen bildeten sich zu Parteistandpunkten aus und rüsteten sich zum Kampf auf Leben und Tod, der nun entbrannt ist und noch lange fortlodern wird. Durch diese Parteibildungen aber, mögen sie bloss im geistigen Verkehr oder auf der politischen Bühne auftreten, büssen die Theilnehmer jedesmal die Freiheit und Unbefangenheit, den Frieden und die Freude ein, unter deren Schutz allein Geistesarbeiten reifen können. Eine Zerstreuung und Zersplitterung, eine verbitterte und verengte Stimmung bemächtigt sich der Gemüter, die der Einheit geistiges Schaffens und der Samlung für ein grösseres Werk durchaus ungünstig ist. Unsre poetische Literatur hörte auf, nur selten klang ein vereinzelter reiner Ton aus dem ausgestorbnen deutschen Dichterwald; die Blüte unsrer einst so bunten und duftreichen Poesie schoss ins Kraut und politisch-sociale Freiheitssänger konnten

ihr kein neues Wachsthum bringen. Die frischen Säfte unsers Lebens schienen ins Stocken gerathen zu sein. Zwar herschte in Wissenschaft, in Kunst, im Staat und in der schönen Literatur eine immer ausgebreitetere Thätigkeit, ein täglich wachsendes Schaffen und Kritisieren, aber ersteres gieng eben mehr in die Breite, weniger in die Tiefe und Höhe, und das letztere wurde immer radicaler, bis es vor dem 'reinen Nichts', wo selbst die Philosophie das Recht verloren hat, stehn blieb. Es war die Zeit, in der nach Niebuhrs Ausdruck 'die schönen Eigenschaften, welche die Zierde unsrer Nation machten, Tiefe, Innigkeit, Eigenthümlichkeit, Herz und Liebe' anfiengen zu verschwinden, um der 'Flachheit und Frechheit' das Feld zu räumen, WO mit dem Verschwinden des Glaubens an einen persönlichen Gott auch der Glaube an die menschliche Persönlichkeit immer wankender wurde und das Subject nur als 'Moment' in dem allgemeinen Leben galt, nur als Ziffer in dem grossen Rechenexempel des objectiven Geistes. Und zugleich entwickelte sich die andre Consequenz der Hegelschen Lehre in einer bedauerlichen Ueberschätzung der intellectuellen Kräfte, des reinen Denkens. Man dachte sich dieses völlig losgelöst von der Totalität der Persönlichkeit und verlor immer mehr die alte Einsicht, dass Erkenntnis und Sittlichkeit, Wahrheit und Heiligkeit, Weisheit und Unschuld auf das innigste zusammengehören und dass überhaupt nur aus dem geeinigten und gereinigten Mittelpunkt des innern Lebens eine entsprechende Geistesthat hervorgehn könne. Während sich in allen edelsten

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