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Daher erkennen wir in den einseitigen Bestrebungen dieser Schule einen Abfall von dem wissenschaftlichen Charakter ihres Gründers, einen Rückschritt von geistvoller Verarbeitung des geschichtlichen Stofs zu nakter Gelehrsamkeit, zu bloss todter Forschung und Kritik. Dass die Rankesche Schule nach dieser Seite hin viel geleistet hat, wer wird es in Abrede stellen? Aber sie hat durch den Mangel an wahrer Productivität kaum weniger geschadet, indem sie etwas für wirkliche und vollendete Geschichtschreibung ausgab und dem Publicum empfahl, was nur als Grundlegung und Vorarbeit gelten konnte. Die nun eingegangne Schmidt sche 'Allgemeine Zeitschrift für Geschichte' war zum Theil das Organ der Schule; man wird fast in allen von Rankes Schülern herrührenden Abhandlungen mit wenigen Ausnahmen, wozu namentlich v. Sybel, der bedeutendste und selbständigste unter ihnen, gehört, einen traurigen Mangel an tiefer und eigenthümlicher Auffassung, eine dürre und unlebendige Darstellung neben grosser Gelehrsamkeit und eindringender Kritik wahrnehmen. Und die grösseren Werke der Schule — ich erinnere nur an Jaffés Lothar und Konrad III. tragen sie einen andern Charakter?

Diese Oede, Leere und Geistlosigkeit, welche uns aus diesen gelehrten Werken anweht, ist es vorzüglich, die Männer wie Schlosser, der gerade den Mangel dessen was die Rankesche Schule auszeichnet, der Gründlichkeit der Forschung und Kritik, in sich fühlen muss, zugleich aber sich eines weit höhern Vorzugs bewust ist, gegen ihr Streben nach wissenschaftlicher

Alleinherschaft aufbringt und ihn so oft bittere Seitenblicke auf die Historiographie an der Spree' werfen lässt. Mehr als einmal wiederholt Schlosser diesen Richtungen gegenüber den wahren Satz, man könne nicht bloss aus den Quellen, aus vergilbten Diplomen Geschichte schreiben, sondern man müsse selbst ein reiches und ausgebildetes Geistesleben in sich tragen, müsse das Leben begriffen haben, um aus jenen oft so dürren Zeugnissen der Vergangenheit Leben und Geist hervorzaubern zu können.

Ferner liegt darin ein bemerkenswerther Unterschied der Rankeschen Schule von ihrem Meister, dass sich ihre Studien und Forschungen fast ausschliesslich auf das deutsche Mittelalter beziehn, während Ranke selbst, von einem sehr richtigen Instinct geleitet, trotz seiner umfassenden Quellenstudien auf diesem Gebiet niemals dorther einen Gegenstand zu schriftstellerischen Arbeiten genommen hat. Denn Ranke ist durchaus eine moderne Natur, der neuen Zeit und ihren Interessen, namentlich den politischen, zugewandt. Für das wahre Verständnis und die Darstellung des Mittelalters, dieser Zeit, deren Zustände an einem solchen Uebermaass von Ideen und einer so armen Wirklichkeit leiden, gehört aber vor allem eine gewisse Congenialität und nachsichtige Liebe, die nicht bloss in fertigen und abgeschlossnen Resultaten, sondern auch in dem Ringen nach einem hohen unerreichbaren Ziele die geschichtliche Grösse sieht.

Wie treffen da Leo, Wilken, Gfrörer u. a. besser den rechten Ton!

Also auch hier Rückschritt zur Gelehrsamkeit, Erweiterung des Materials, Verflachung und Verarmung des geistigen Gehalts.

X.

Es mag als zwecklose Abschweifung von unserm Gegenstand erscheinen, dass wir uns auf einmal mitten in einer Betrachtung der Rankeschen Schule wiederfinden. Man wird indes unschwer den Faden erkennen, der uns hierher geleitet hat. Es kam uns darauf an zu zeigen, wie sich im Laufe unsers Jahrhunderts die geistigen Interessen auf historischem Gebiet vorwiegend von dem classischen Alterthum zur germanischen Vorzeit und von dieser zur neuen Geschichte in strenger Ordnung gewandt haben, und wie dieselben allemal von der Sympathie der allgemeinen Bildung begleitet und getragen wurden. Ich hätte, wenn ich bei diesem Punkt auch nur den Schatten einer eignen Anschauung besässe, auch auf die erwachenden Sympathien der Wissenschaft und Literatur für den Orient hinweisen können, eine Sympathie, die den classischen Studien natürlich auch nicht wenige Kräfte und Arbeiter entzogen hat. Auch diese jetzt zu solcher Blüte gelangte Wissenschaft wurzelt in der Romantik, selbst das productive Interesse Goethes daran ist ein aus den Anregungen jener

literarischen Kreise erwachsnes.

Denn die merkwürdige Mischung von Universalismus und nationaler Beschränkung, von Welt und Vaterland, die in dem Wesen der Romantik lag, suchte eben ihre Stoffe für poetische wie wissenschaftliche Behandlung zugleich in der nächsten Nähe und in der weitesten Ferne. Dass diese Richtung nach dem Orient aber eine wesentliche Bereicherung für historische Erkenntnis überhaupt und insbesondere für das richtige Verständnis der antiken Welt geworden ist, bedarf kaum eines Beweises. Erst seitdem die vor- und nachclassische Zeit, die orientalische wie die christlich-germanische Periode in festern und deutlichern Umrissen durch die Wissenschaft hingestellt worden sind, kann auch das classische Alterthum in seinem wahren Lichte erscheinen.

Gehn wir auf den oben angeregten Punkt zurück, so ergibt sich, dass ein Wechselverhältnis zwischen der Sympathie des Publicums und dem Ursprung gewisser literarischer Richtungen stattfindet, so dass man kaum sagen kann, ob grosse wissenschaftliche Werke mehr dazu beitragen, die Neigung der Zeitgenossen zu bestimmen oder ob Geist und Bildungsstand einer Zeit mehr zur Entstehung der ersteren mitwirken. Unterliegt es also keinem Zweifel, dass das Interesse an der Vergangenheit, der Geschichte, bei den Deutschen die drei grossen historischen Entwicklungsphasen der vorchristlichen Zeit, des Mittelalters und der neuen Epoche schrittweise durchlaufen hat, so ist damit doch keineswegs gesagt, dass immer bloss eine dieser drei Seiten ausschliesslich behandelt worden sei, sondern

es ist nur das vorwiegende Interesse, die Vorliebe für die eine oder andre gemeint. Aber alle drei Momente waren und sind gleichzeitig vorhanden. So besteht auch die classische Alterthumswissen schaft in vielseitiger Thätigkeit fort, sie bietet den Anblick einer manigfach belebten Werkstatt von Fachgenossen dar, die sich alle in den Grenzen der griechisch-römischen Welt bewegen, sie zeigt auf diesem Felde eine Rührigkeit und Gründlichkeit, eine Fülle von Kenntnissen und eine Herschaft über das gewählte Gebiet, die den draussen stehenden wol in Erstaunen setzen kann. Doch es drängt sich zugleich eine zweite Beobachtung auf, die den Eindruck dieses regen Treibens nicht wenig schwächt, ich meine die Wahrnehmung, dass es eine vom übrigen Leben und Wissen fast ganz isolierte, eine vom Geist und von der Triebkraft der Zeit verlassne Thätigkeit zu sein scheint, der wir hier begegnen. Machen wir uns darüber keine Illusionen!

Freilich können die einzelnen Vertreter dieser Wissenschaft persönlich im Zusammenhang mit dem Geist und der Bildung wie mit den allgemeinen Bestrebungen der Gegenwart stehn und bei sehr vielen ist das vollständig der Fall aber ihre specielle Fachbeschäftigung wird nur ausnahmsweise davon berührt. Ausserdem würde man vergebens nach einer gewissen Einheit und Stetigkeit der Richtungen in unsrer heutigen Philologie suchen, es herscht im Gegentheil eine grosse Zersplitterung und Auflösung in dem Gang und der Methode derselben; die productiven Bestrebungen sind aber meist noch Residua der vergangnen

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