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berufene Volksversammlung des nomen volscum, wie es bei Dionysius nach Ecetra entboten wird, zu machen, so ist doch ganz klar, „dass, als jene Erzählung entstand, der Gegensatz zwischen Latium und dem Volscerland bereits in Vergessenheit gerathen war", dass wir mithin als Zeit der verübten Fälschung wiederum die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts, nicht früher, aber auch nicht viel später", finden und somit in allen einzelnen Ergebnissen der sorgfältig geführten Coriolanus-Kritik einen harmonischen Einklang entdecken, der durch die richtige Erklärung des Wortes ioonpia nur in der bedauerlichsten Weise gestört werden könnte.

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Wie fest und gleichmässig immer in unserer Ueberlieferung die Erzählung von Coriolanus erscheint, so lässt (mit Hilfe des Dionysischen Verstosses gegen das Einmaleins und unter Beistand einer mathematisch-exacten Logik) sich dennoch erweisen, dass dieselbe unserer annalistischen Ueberlieferung von Haus aus fremd und unter anderen Bedingungen und mit anderen Tendenzen selbstständig entwickelt worden ist." Diese Zusage, mit welcher Mommsen seine „übrigens nicht in allen Stücken neue, aber auch nach den früheren Untersuchungen nicht überflüssige" Kritik eröffnet, ist nun zum grösseren Theile erfüllt. Wir kennen die Tendenzen, die eine ausserannalistische selbstständige Entwickelung der Coriolanus-Fabel und Coriolanus selbst hervorriefen: es sind die patricischen Anknüpfungsgelüste eitler Plebeiergeschlechter des fünften Jahrhunderts; - nicht weniger die günstigen Bedingungen, welche eben jene selbstständige Entwickelung ermöglichten, nämlich die Wahl des C. Marcius Rutilus in den Schooss der Stadtchronik-Commission zu einer Zeit, als die alten ständigen Kämpfe noch lebendig in den Gemüthern nachzitterten", die Stupidität seiner drei patricischen Collegen und die Empfänglichkeit des ganzen Volkes für den kühnen Ausgleichungsversuch zwischen Stimmenzahlgleichheit und ungerader Tribuszahl. Wir wissen nun auch zwischen „,unserer annalistischen Ueberlieferung" und den blossen Annalisten, d. h. den selbstständigen Chronikenschreibern richtig zu unterscheiden, vermögen endlich den Ausdruck,,von Hause aus fremd" mit Hilfe der erst im fünften Jahrhundert ermöglichten Einschmuggelung der selbstständigen Tra

dition in die damals zuerst festgestellte Stadtchronik jedem Missverständnisse zu entziehen. Das Alles ist nicht gering anzuschlagen, da es bei Mommsen nicht so leicht wird, wie bei Dionysius, mit dem ersten Anblick den Sinn des Autors zu errathen. Der Erklärung bedürftig bleibt nur noch ein Punkt, die erste Entstehung der Coriolanus-Erzählung, „dieser fest und gleichmässig in unserer Ueberlieferung stets wiederkehrenden, niemals eigentlichen Umwandelungen anheimgefallenen Annalisten-Tradition." Der Stadtchronik-Commission lässt sich der Ruhm erster Erfindung unmöglich beilegen. Sie schmuggelte ein, ersann nicht, glich aus, gestaltete nicht. Ebenso wenig den Annalisten. Die Coriolanfabel mit ihrem glänzend ausgestatteten Personal datirt aus der Zeit vor dem Anheben der eigentlichen Literatur und ist viel zu reich, viel zu novellistisch, um in dem Kopfe dürrer Chronisten entstanden zu sein. Auch sie sind nicht erste, sondern ,,relativ erste" Quelle. Es ist also zwar kein zwingender, aber doch genügender Grund vorhanden, wieder einmal an die Andeutungen Cicero's,,,des unerträglichsten aller Schwätzer" im Brutus 16, 62, und die Aufklärungen Mommsen's, des feinsten aller Kritiker, in den Röm. Forschungen 1, 124 sich zu erinnern und zu bedenken, dass die Erzählung von Coriolan,,den wahren Commentar" bildet zu jenen bekannten Worten: his laudationibus historia nostra est facta mendosior. multa enim scripta sunt in eis, quae facta non sunt, falsi triumphi, plures consulatus, genera etiam falsa et a plebe transitiones, quum homines humiliores in alienum eiusdem nominis infunderentur genus. Dass Ciero, als er diese Klage über die unechten Zusätze ruhmrediger Leichenbelobungen niederschrieb, unzweifelhaft an die plebeischen Marcier dachte, ,,kann zwar nicht mit völliger Sicherheit behauptet werden, ist aber sehr möglich und selbst wahrscheinlich." Dafür aber, dass solche Leichenreden historische Persönlichkeiten erfunden und diesen Consulate, die sie hatten, umgekehrt nicht beigelegt haben sollten, reichen jene kostbaren Enthüllungen der antiken Kritik doch nicht völlig hin. Ausser der geschichtefälschenden Stadtchronikcommission, den gedankenlosen Annalisten, den lügenhaften Geschlechtssagen oder Leichenreden eitler Plebeier haben

Bachofen, Kritik.

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wir noch ein weiteres Element nöthig, das rein dichterische, die aus dem Nichts schaffende poetische Phantasie, um die Entstehung der Coriolanus-Anekdote an der Wurzel zu fassen und die Quasigeschichte als das zu erkennen, was sie von Hause aus ist, das Werk eines altrömischen Shakespeare. Wie freuen wir uns, dass die Zeitkritik, durch das „Organ der äussersten Linken“, den Vorwurf, als verstehe sie nur zu zerstören, niemals zu bauen, und rings um sich herum nur wüste Brandstätten zurückzulassen, hier einmal in so glänzender Weise Lügen straft. Verlieren wir Coriolanus, was thut's? An die leer gewordene Stelle tritt ein grosser Tragiker, dessen Name wohl verdient hätte, dem Gedächtniss der Nachwelt überliefert zu werden. In demselben Verhältniss, in welchem die,,historische Geringhaltigkeit" sich steigert, demselben steigt ,,der poetische Werth" des ,,fast mit novellistischer Pragmatik" componirten Epos. Und dieser Dichter gehört nicht etwa, wie seine Mitarbeiter am Werke der römischen Geschichtsfälschung, „nachweislich in eine relativ späte Zeit“. Seine schöpferische Thätigkeit muss in eine sehr frühe Periode fallen, nicht nur lange vor das Anheben der eigentlichen Schriftstellerei, weil schon früher die rein poetische Berechtigung des Coriolan,,sich verdunkelt hatte", sondern selbst vor die Vermehrung der Tribuszahl von 20 auf 21, weil sonst die Freisprechung durch Stimmenzahlgleichheit in das Lied von „,des Heldenjünglings Thaten und Leiden" nicht hätte aufgenommen werden können, — mithin in die ersten Jahre der Republik, in welchen die Tribuszahl wirklich auf 20 stand. Ob die Tendenz, welche die „nicht in ihrem ganzen Umfange gelungene" Einschmuggelung der hochpoetischen Fabel in die officiellen Annalen durch die Marcier, Volumnier, Veturier des fünften Jahrhunderts veranlasste, auch schon den ersten Shakespeare begeisterte,,,lässt sich freilich nicht mehr ganz ausmachen". Verwerfen wir den Gedanken, so gebricht es der späteren Tendenz an einem gehörig zubereiteten Gegenstand, nehmen wir ihn an, so fehlen dem dritten Jahrhundert die eiteln, anknüpfungssüchtigen Geschlechter der plebeischen, vielfach zum Consulat erhobenen Nobilität. Wie dieser,,nicht mehr genügend aufzuklärende Punkt" sich verhalten mag: „wer in der Coriolanus-Erzählung nach einem sogenannten

geschichtlichen Kern sucht, wird die Nuss taub finden;" wer dagegen Poesie zu empfinden vermag, den Adel der Dichtung bewundern und aus ihm auf die Grösse und den Schwung der geschichtslosen Zeit zurückschliessen. Wir unsererseits gewinnen noch mehr. Wir benutzen die Sicherheit des Endergebnisses zur Aufhellung einer Menge einzelner Schwierigkeiten und Incongruenzen, die wir vor Mommsen's kritischen Fingerzeigen nicht einmal bemerkten. Non cuique datur habere nasum. Vor Allem erkennen wir jetzt, wie schade es wäre, wenn die aus der Dichtung in die Chroniken, aus den Chroniken in die officielle Redaction der Stadtchronik, zuletzt in Dionysius' Darstellung übergegangene hypothetische Freisprechung durch Isopsephie der richtigen Interpretation dieses letztern Wortes geopfert werden müsste. Wie viel grösseres dramatisches Interesse bietet nicht der Entscheid durch die Stimme der Minerva, die auf die Comitien des römischen Volks niemals angewendet wurde, als die Annahme der Stimmenmehrheit, die den römischen Grundsätzen, so weit wir zurückgehen, allein entspricht? Der alte Shakespeare kannte die Energie poetischer Motive nicht weniger als Aeschylus in seiner Orest-Tragödie, wesshalb Dionysius' Versuch, die 21 Tribus herbeizuziehen, nicht nur mathematisch, sondern namentlich auch „,poetisch verunglückt" genannt werden muss. Aus gleichem Grunde ist anzunehmen, dass Coriolan's Freibeuterzug gegen Antium sammt der daran gehängten Processgeschichte in der ursprünglichen Dichtung nicht figurirte. „Durch denselben hätte die Erzählung zwar an juristischer Haltbarkeit gewonnen, von pragmatischer Einheit und poetischem Eindruck jedoch viel eingebüsst." Pragmatisch-poetische Nothwendigkeiten zwingen uns auch, den mannhaften Gegner der Plebs nicht blos als Privatmann, wie er bei allen Schriftstellern während der ganzen Dauer seiner Thaten erscheint, sondern mit dem Auctor de viris illustrib. C. 19 und Antias, den als Victor's Quelle anzusehen nichts verbietet, als Consul zu denken. „Pragmatisch ist es viel verständlicher, wenn Coriolan nicht blos als Senator gegen die unentgeltliche Getreidevertheilung sich aussprach, sondern sie vielmehr als Beamter verhinderte: nur in dem letzten Fall konnte nach bekannten (von der Leidenschaft der streitenden Parteien gewiss anerkannten) Rechtsbegriffen von Ver

antwortung überhaupt die Rede sein." Hier steht glücklicherweise das poetische Interesse mit der juristischen Haltbarkeit der Erzählung in vollem Einklang. Erst Macer verkannte die Doppelempfehlung des Consulats. Es sieht diesem Annalisten ganz gleich, ein mit den Fasten nicht übereinstimmendes (aber durch poetisch-juristische Motive getragenes) Consulat ausgemerzt zu haben" und so Veranlassung geworden zu sein, dass alle übrigen Chronikenschreiber eine Anklage für lauter Nichtamtshandlungen als möglich erachteten. Bedauerlich ist es, zu sehen, wie Livius und Dionysius in dem Staatsrecht ihres Landes so wenig zu Hause sind, erfreulich dagegen, dass wenigstens der Letztere von neuem das Bedürfniss der Ausgleichung, das ihn so sehr quälte, zu befriedigen sucht. Denn dass seine Version, der Nichtconsul habe sich, wenngleich vergeblich, doch wenigstens um das Consulat beworben, nichts ist als die Folge des Gefühls, hier sei eine Ausgleichung erforderlich,,,liegt deutlich genug vor," fast noch deutlicher als die Ausgleichung der Isopsephie mit den 21 Tribus, besonders wenn man beachtet, dass die fragliche Bewerbung ganz ausserhalb der Pragmatik der Dionysischen Erzählung steht." - Aehnliche Bewandtniss hat es mit einer weiteren Angabe. Dass Corioli, nach Livius III, 71. 72 zwischen Ardea und Aricia nördlich von Lanuvium gelegen, in demselben Jahre, in welchem Sp. Cassius mit den Städten Latiums das ewige Bündniss aufrichtet, in volscischen Händen ist und dadurch den Angriff Roms, den Hilfezug der Antiaten veranlasst, zeigt mit aller nur wünschbaren Bestimmtheit, wie wenig das Coriolanus-Gedicht in die historische Umgebung, in der wir es finden, hineinpasst. Dionysius musste auch hier sein Ausgleichungsbedürfniss verspüren. Glücklicherweise kam es wieder nur zu einem verfehlten Versuche, der mehr die Nichtausgleichung als die Ausgleichung beweist. Mommsen wird hier von seinem Scharfsinn verlassen. Wir wollen in gleichem Geiste weiter arbeiten und folgende Argumentation wagen. Unter den latinischen Städten, die im Bunde mit dem verjagten Tarquinius gegen Rom kämpften, nennt Dionysius V, 61 auch Corioli. Da dies nun mit der Coriolanus-Erzählung, die ein volscisches Corioli verlangt, nicht übereinstimmt und kaum Jemand so unkritisch sein wird, den irrthum des Dionys, der jenes Städte

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