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Chronologische Lücke zwischen Polybios und Hygin

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Legionen und Auxilien sind die beiden großen Teile des Heeres wie bisher. Nur in Italien liegt die bevorzugte Truppe der kaiserlichen Garde, die cohortes praetorianae. Zur Legion treten wieder vier Turmen Reiter, und gleichzeitig mit der Entstehung eines Beamtenstandes entwickelt sich unter der Monarchie ein Offiziersstand.

Seit Polybios ist uns keine systematische Darstellung des römischen Kriegswesens mehr überliefert. Daher berichtet uns auch niemand über die Veränderungen, die die skizzierte Entwicklung des Heeres in der Anordnung des römischen Lagers hervorrufen mußte. Die Tatsache, daß solche Veränderungen tiefgreifender Art eingetreten sind, erkennen wir aus dem abgerissenen Fragment des sog. Hyginus Gromaticus über das Lager, genannt liber de munitionibus castrorum". Es stammt aus dem zweiten oder dritten nachchristlichen Jahrhundert und beruht auf völlig anderen Voraussetzungen als die Lagerbeschreibung des Polybios. Bei diesem nahm das Bürgerheer, verbunden mit den großen Kontingenten der Italiker, den Hauptraum ein; zwei Eckplätze wurden etwaigen Auxilien zugewiesen. Nach Hygin umschließen die nächst dem Wall lagernden Legionen wie eine lebendige Mauer (corporali in muro c. 2) die zahlreichen Auxiliartruppen; in der Mitte lagert, von seiner Leibwache umgeben, der Feldherr oder der Kaiser.

Zwischen diesen beiden Extremen die Phasen der Entwicklung und deren Ursachen festzustellen, ist die der Forschung vorgezeichnete schwierige Aufgabe. Wir sind hier auf vereinzelte und zerstreute Nachrichten bei den Schriftstellern dieser Zwischenzeit angewiesen. Um so mehr ist die Bereicherung unserer Kenntnis zu begrüßen, die wir der Aufdeckung römischer Lager durch die Ausgrabungen verdanken. Freilich werden damit auch viele neue Aufgaben gestellt. Das Legionslager von Novaesium (Neuß) unterrichtete uns über die Lagerordnung zu Beginn der Kaiserzeit; treffend hat Heinrich Nissen im Hinblick auf den zeitlichen Abstand zwischen Polybios und Hygin die Bedeutung dieses Lagers gekennzeichnet1): „Die Anlage von Novaesium fällt gerade in die Mitte der ganzen Entwicklung, wird dadurch ein erwünschtes Hilfsmittel, die ein Ende mit dem anderen verbindenden Fäden zu entwirren." Dazu treten seit einigen Jahren die Ausgrabungen bei Numantia, die eine ganze Reihe römischer Lager aus republikanischer Zeit ans Licht gebracht haben.) Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach während der

1) Novaesium, Bonn. Jahrbb. 111/112 (1904) S. 19.

2) Berichte darüber von A. Schulten, Arch. Anz. 1905 S. 163 ff.; 1907 S. 3 ff., S. 462 ff.; 1908 S. 478 ff.; 1909 S. 526 ff.; zuletzt ausführlich 1911 S. 3ff. und 1912 S. 82 ff.

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Erhöhte Bedeutung des Livius infolge der Ausgrabungen

numantinischen Feldzüge angelegt. Eines, dessen Innenbauten erhalten sind, zeigt weitgehende Übereinstimmung mit Polybios. Andererseits lehren wieder die vor Numantia selbst von Scipio Ämilianus angelegten Belagerungskastelle, daß wir schon zu Lebzeiten des Polybios mit Neuerungen zu rechnen haben.1)

Diese Funde regten zu neuen Auffassungen der literarischen Angaben an. Schon Nissen) hat darauf aufmerksam gemacht, daß durch die Neußer Ausgrabungen ein ganz neues Licht auf mehrere Stellen des Livius falle, die bisher noch nicht volles Verständnis erlangen konnten. Dieselben Stellen hat dann August Oxé3) herangezogen, um darnach unsere Anschauungen vom Lager des Polybios zu modifizieren und das Schema des Lagers von Novaesium mit dem republikanischen Lager in Verbindung zu bringen. Ferner hat neuerdings Franz Stolle1), von ähnlichen Voraussetzungen wie Oxé ausgehend, versucht, dem Lager des Polybios größere Ähnlichkeit mit dem späteren Typus des Hygin zu geben und, darauf gestützt, unter Benutzung der Lager Cäsars in Gallien das Lager der cäsarianischen Zeit mit eingehenden Rechnungen zu konstruieren. Auch er stützt seine Anschauungen über das polybianische Lager auf dieselben Stellen des Livius wie Oxé.

Bei der Bedeutung, die infolge des Fehlens einer systematischen Lagerbeschreibung aus der Zeit der beginnenden Monarchie den Zeugnissen einzelner Schriftsteller und besonders des Livius zukommt, soll nun hier der Versuch gemacht werden, durch Zusammenstellung aller verwertbaren Stellen des Livius Klarheit zu gewinnen über die Anschauungen, die er selbst oder aber seine Gewährsmänner vom römischen Lager hatten. Denn jede Benutzung des Livius hat stets mit der Quellenfrage zu rechnen. Diese hat H. Nissen in bahnbrechender Weise angegriffen; in seinen „Kritischen Untersuchungen über die Quellen der vierten und fünften Dekade des Livius" hat er gezeigt, daß die Quellen des Livius in zwei Gruppen zerfallen: einerseits Polybios, andererseits die römische Annalistik. In der vierten und fünften Dekade, wo sich die Schichten ziemlich deutlich abheben, hat Nissen selbst die Scheidung zwischen polybianischem und annalistischem Gut in vorbildlicher 1) Vgl. Schulten Arch. Anz. 1911 S. 38.

2) Novaesium, Bonn. Jahrbb. 111/112 (1904) S. 55.

3) „Die älteste Truppenverteilung im Neußer Legionslager", Bonn. Jahrbb. 118 (1909) S. 75 ff.

4) Das Lager und Heer der Römer. Eine Abhandlung über die Stärke der Legionen und insbesondere des cäsarischen Heeres, den Tagemarsch und die Entwicklung des Lagers von Polybios bis Hygin, Festschrift zur Einweihung des Neubaues des Schlettstadter Gymnasiums im Mai 1912. Straßburg 1912.

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Weise vollzogen. Für die erste Dekade können nur Annalisten in Betracht kommen. Dagegen ist über die Quellen der dritten Dekade eine Einigung noch nicht erzielt. Obwohl man den Einfluß des Polybios merkt, kann man die annalistische Färbung, ja das Vorhandensein rein annalistischer Partien nicht leugnen. Nur da, wo wir mit erhaltenen Teilen des Polybios vergleichen können, läßt sich die Scheidung mit einiger Sicherheit vollziehen.1)

Im allgemeinen hat Livius den Grundsatz befolgt, die Ereignisse Italiens und des Westens den Annalisten nachzuerzählen, dagegen in der Geschichte Siziliens und des griechischen Ostens sich an Polybios anzuschließen. Was die Annalisten betrifft, so darf als ausgemacht gelten, daß Livius in den weitaus meisten Fällen die sogenannte jüngere Annalistik bevorzugte, die in der Zeit Sullas und Cäsars blühte und deren Hauptvertreter Valerius Antias ist. Im Gegensatz zu den älteren Annalisten, die noch vielfach nur die trockenen Notizen der offiziellen Annalen wiedergaben, suchte diese jüngere Geschichtschreibung dem Publikum die Lektüre durch rhetorischen Aufputz und romanhafte Geschichtchen schmackhaft zu machen. Um die nur dürftig überlieferten Ereignisse der Vorzeit möglichst farbenreich darzustellen, übertrug man unbedenklich Vorgänge und Einrichtungen der eigenen Zeit in die bescheidene Vergangenheit. Wenn sich so bei den Annalisten deren Gegenwart spiegelte, so war Polybios ein um so treuerer Zeuge der von ihm beschriebenen Epoche, die er teils von deren Zeitgenossen kannte, teils selbst miterlebt hatte. Zwischen ihm und den Annalisten der sullanischen Zeit liegen die großen Umwälzungen des römischen Heerwesens, die wir oben skizziert haben. Deshalb muß man bei Beurteilung livianischer Berichte über militärische Vorgänge im allgemeinen und über solche, die im Lager spielen, im besonderen stets die Frage an die Spitze stellen: Stammt der Bericht aus Polybios oder aus den Annalen? Daraus ergibt sich dann ohne weiteres, ob er etwas für das Lager der poly bianischen Zeit oder der der Annalisten aussagt; ebenso, ob er wirklich historisch ist oder zu jenen von den Annalisten erfundenen Geschichten gehört. Die Wichtigkeit dieser Quellenfrage ist bisher meist außer acht gelassen worden; und doch hängt von ihrer Beantwortung die historische Verwertbarkeit der Überlieferung ab.

1) Neueste Zusammenfassung der ins einzelne gehenden Untersuchungen von Hesselbarth u. a. bei Teuffel, Geschichte der römischen Literatur, 6. Aufl. 1910, II S. 129 und bei Schanz, Gesch. der röm. Lit. II 1, 3. Aufl. 1911, S. 431 ff. Vgl. auch die Abschnitte über Polybios und Livius bei Kromayer, Antike Schlachtfelder III 1 S. 99 ff., S. 244 ff., S. 383 ff.

I. INNERE UND ÄUSSERE EINRICHTUNG

1. ORT DES LAGERS

Am Schluß seiner Lagerbeschreibung kennzeichnet Polybios den Unterschied zwischen römischer und griechischer Lageranlage in dieser Weise: die Griechen verlassen sich auf die natürliche Sicherheit des gewählten Lagerplatzes und scheuen sich vor der mühseligen Schanzarbeit, zumal da sie von der Überlegenheit einer von Natur festen Stellung über künstliche Feldbefestigungen überzeugt sind. Darum sind sie auch gezwungen, die Form ihres Lagers jeweils dem Gelände anzupassen, auf dem sie Halt machen. Die Römer dagegen unterziehen sich bei jedem Lagerbau der mühseligen Arbeit des Schanzens und können deshalb in jedem beliebigen Gelände die gleiche, allen bekannte Lagerform beibehalten (VI 42).

Damit ist gesagt, daß die Römer bei der Wahl des Lagerplatzes nicht gezwungen waren, ängstlich auf natürliche Sicherheit zu sehen. Polybios selbst erwähnt von Gesichtspunkten für die Orientierung des Lagers nur die Anlegung einer Seite nach der zum Wasserholen und Fouragieren günstigen Richtung und die Anlage des Prätoriums auf einem zur Übersicht über das ganze Lager günstigen Platz (VI 27,1; 3); von einer Vorschrift, daß das Lager an einem unbedingt sichern Platz liegen müsse, ist bei ihm nicht die Rede.

Dem entspricht es, wenn bei Livius XLIV 39, 1 einer der besten römischen Feldherren, Ämilius Paulus, die Vorteile des Lagers gegenüber der aus der Marschordnung aufmarschierten acies folgendermaßen aufzählt: castra munita, provisam aquationem, tutum ad eam iter praesidiis impositis, explorata circa omnia ... Also nicht, daß der Platz des Lagers sicher war, sondern daß es seine eigene Befestigung hatte, die ihm den Vorzug vor der ungeschützten Schlachtstellung gab, wird zuerst betont; der Vorteil, den der gegebene Ort hat, ist die aquatio. Unabhängig von der Sorge um natürliche Festigkeit des Lagerplatzes konnte der Römer sein Augenmerk hauptsächlich auf die Möglichkeit

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guter Verpflegung richten und sein Lager an die dazu geeignete Stelle legen. Dazu gehörte zunächst die Nähe von frischem Wasser, genau wie heute bei der Anlage eines Biwaks. Die Lage am Wasser wird bei Livius in den verschiedensten Fällen erwähnt, und bei der Nähe des Feindes, vor einer Schlacht, tritt die Bedeutung dieses Gesichtspunkts besonders hervor. Vor der Schlacht bei Narraggara i. J. 202 v. Chr. (XXX 29, 9/10) war der Lagerplatz Scipios ganz besonders deshalb so günstig gelegen, quod aquatio intra teli coniectum erat. Wie die zugrunde liegende genauere Darstellung des Polybios lehrt, hatte Scipio diesen Vorteil seiner früheren Ankunft zu verdanken (Pol. XV 5, 14 bis 6,2), und für Hannibal bedeutete die weitere Entfernung vom Wasser tatsächlich einen schweren Nachteil (καὶ πολλὴν ταλαιπωρίαν ὑπέμενον οἱ στρατιῶται περὶ τοῦτο τὸ μέρος). In dem wasserarmen Afrika war freilich gerade dieser Gesichtspunkt von höchster Wichtigkeit.1) Bei solcher Nähe des Gegners wird der Dienst des Wasserholens leicht Anlaß zu Gefechten, ja im letzten Grunde zur Schlacht selbst. Vor der Schlacht bei Cannä 216 v. Chr. lagerten Römer und Karthager am Aufidus, und die Wasserholer des kleineren römischen, auf der vom Feind freien Seite des Flusses gelegenen Lagers konnten sich freier bewegen als die auf demselben Ufer wie die Karthager liegenden Römer und wurden deshalb sorglos. Das benutzte Hannibal, um sie durch numidische Reiter überfallen zu lassen, und erreichte damit seinen Zweck, den unvorsichtigen Consul C. Terentius Varro zur Schlacht zu reizen (XXII 44, 3 Pol. III 112). Auch vor der Schlacht bei Pydna i. J. 168 v. Chr. versorgen sich Römer und Makedonen aus demselben zwischen ihnen liegenden Fluß, und aus einem bei der aquatio entbrannten Vorpostengefecht entwickelt sich die Schlacht (XLIV 40, 4). Selbst als i. J. 218 v. Chr. der am Ticinus geschlagene Consul P. Cornelius Scipio einen für die gefürchtete karthagische Reiterei unzugänglichen, festeren Platz

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1) Dieser Punkt ist auch für die Auffindung des Schlachtfelds von höchster Bedeutung; das lehren die Ausführungen Veiths bei Kromayer-Veith, Antike Schlachtfelder III 2 (1912) S. 599 ff. über Narraggara im allgemeinen und besonders seine Worte S. 606; hier nennt er als ,,drittes und entscheidendes Moment dasjenige, welches gerade auf diesem Kriegsschauplatze fast immer das letzte Wort zu sprechen hat, die Wasserfrage". Auch in der allgemeinen Zusammenfassung über den afrikanischen Kriegsschauplatz nennt Veith die Wasserfrage ,,das unzweifelhaft wichtigste Problem des Kriegsschauplatzes" (S. 517). Aus dem ersten kurzen Bericht Kromayers über seine afrikanische Expedition (Anz. d. philos.-hist. Klasse d. K. Akad. d. Wiss. in Wien 1908 Nr. XIX S. 9/10) geht hervor, von welchem Gewicht dieser Faktor für die Zamafrage ist, da die in Betracht kommenden Örtlichkeiten um 130 km Luftlinie auseinanderliegen.

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