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I.

Schlichtheit und gewählter Ausdruck.

Nichts ist einem lebendigen Gesicht mehr, aber zugleich auch weniger ähnlich, als eine Maske. R. a. E.

1. Terentii fabulis plus delector quam Plauti steht unter den Musterbeispielen unserer Grammatik; mir ist noch kein Sekundaner vorgekommen, der es aus eignem Antrieb anders übersetzt hätte als,,ich werde mehr ergötzt". Dergleichen bekommt man manches zu hören. Dumnorix wird von einer,,Magistratsperson" der Äduer angeklagt; nachdem Cäsar die,,Schlachtreihe" aufgestellt hat, kämpfen seine,,Fußsoldaten" von einem ,,höher gelegenen Orte aus"; sie haben Gallien,,mit Krieg überzogen" und später ihrem Feldherrn den,,Erdkreis" unterworfen. Alle diese Ausdrücke leben gar nicht in der deutschen Sprache, sie verdanken ihr Scheindasein nur den lateinischen Vokabularien und Übungsbüchern. Auch ein Schüler empfindet das, wenn man ihn etwa fragt, ob er selber schon einmal im Theater ergötzt worden sei, oder wenn man dem Magistrat die Stadtverordneten, den Fußsoldaten die Bleisoldaten gegenüberstellt. Trotzdem drängt sich die Unnatur immer wieder hervor. Als das Unwetter losbrach,,,erstrebten" die Jäger,, verschiedene Häuser" (Aen. IV, 163 f.); Äneas und Dido schwelgten den Winter hindurch ,,uneingedenk“ ihrer Reiche (194). Kalypso ,,schritt zum Palaste" ( 242); warum,,ging" sie nicht einfach „nach Hause“? Uterque erklärt man,,jeder von beiden", um es von ambo zu unterscheiden; das merken die Jungen und scheuen nun vor jedem schlichten „,beide“ zurück. Vielen ist die steifleinene Redeweise so zur Gewohnheit geworden, daß

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sie auch da von ihr Gebrauch machen, wo keine fremde Vorlage sie nötigt. Der Abiturient schreibt in seinem Aufsatz: ,,Penelope blieb treu trotz aller Nachstellungen, die ihr bereitet wurden"; und schon der kleine Sextaner, der insidiae eben kennen gelernt hat, berichtet in der Geographiestunde: „nach Sibirien kommen die, welche dem russischen Kaiser Nachstellungen bereiten".

In seinen Beiträgen,,zur Kunst des Übersetzens aus dem Französischen" tadelte - schon vor Jahrzehnten Wilhelm Münch die Art, wie man sich das Übersetzen aus dem Lateinischen und Griechischen leicht gemacht habe; ein Jargon sei erwachsen, der in einer eigentümlich ungelenken fremden Rüstung einherschreite und dem, der schlecht und recht Deutsch rede, ganz seltsam vorkomme. Desselben Ausdruckes hat sich einst Lattmann bedient, als er eine Blütenlese deutscher Sätze und Wendungen aus lateinischen Übungsbüchern gab 9). Übrigens ist hier doch ein Unterschied. Wer Beispiele zum Übersetzen aus dem Deutschen bildet, kann oft gar nicht anders als den Ausdruck etwas verschieben und zurechtbiegen, um den Gedanken der Lernenden die Richtung auf eine fremde Sprachform zu geben, die herauskommen soll; bei der umgekehrten Arbeit aber liegt das Ziel auf Seiten der Muttersprache. Hier darf man es beinahe als die erste Aufgabe des Unterrichtes bezeichnen, daß ein,,Schul-Jargon" nicht ausgebildet und, wo er sich hervorwagt, mit Kraft und Zähigkeit unterdrückt werde. Einen glücklichen Fingerzeig, an welchem Ende das anzufassen sei, gibt Luther in seinem herzhaften .,Sendbrief von Dolmetschen" (1530): ,,Man muß nicht die ..Buchstaben in der lateinischen Sprachen fragen, wie man soll ,,deutsch reden, wie diese Esel thun, sondern man muß die „Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen „Mann auf dem Markt drümb fragen und denselbigen auf das ,,Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so ver,,stehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihn. ,,redet." Bei lanius steht im Lexikon,,Fleischer“; aber in Kiel

müßte es,,Schlachter" heißen, so gut wie in Süddeutschland ,,Metzger". Im ganzen wird man in der Benutzung dessen. was die lokale Mundart bietet, zurückhaltend sein und öfter Anlaß haben vor Provinzialismen zu warnen. Auch ohne das gibt es Gelegenheit genug für ein natürliches Deutsch einzu

treten.

Phalinos antwortet einem der Strategen am Tage nach der Schlacht bei Kunaxa (Anab. II 1, 13): ἀλλὰ φιλοσόφῳ μὲν ἔοικας, ὦ νεανίσκε, καὶ λέγεις οὐκ ἀχάριστα. Man kann 10 gegen 1 wetten, daß der Tertianer sagen wird:,,o Jüngling"; wenn er sehr verständig ist, läßt er das ,,o" weg: erst wenn er sich besinnen soll, wie wohl heute jemand in ähnlicher Lage sprechen würde, kommt er auf die Anrede,,junger Mann" oder etwa gar,,mein Jüngelchen". So ist & usipánov in den Worten μειράκιον des Perikles an Alkibiades (Memor. I 2, 42) sicher nicht,,o Knabe“ sondern,,mein Junge“. Die Schüler sträuben sich erst etwas, wenn ihnen zwischen den ernsten Wänden der Klasse Wendungen zugemutet werden, die im täglichen Leben vorkommen könnten; aber bald merken sie doch mit Vergnügen, wie ihnen dadurch der Stoff, mit dem sie sich beschäftigen. näher kommt und faßbarer wird. Μή τι νεώτερον ἀγγέλλεις; 50 fragt Sokrates den jungen Freund, der ihn vor Tagesanbruch in der Ruhe stört (Protag. 310 B). Nach den Wörtern übersetzt heißt das:,,du bringst doch nichts Neues?" Um die Vermutung anzudeuten, daß das Neue nichts Gutes wäre, könnten wir versuchen:,,Es ist doch noch alles beim Alten?" In die Situation aber paßt auch das nicht. Vortrefflich Hans Petersen: Es ist doch nichts passiert?" Besonders oft bietet Homer Gelegenheit die Schüler von den Stelzen, auf denen sie einhergehen, herunterzuschrecken.,,Traun, du bist ein Schelm" soll Kalypso zu Odysseus sagen, 182: òù dλetpós ' èssí. Wer von uns redet so? Aber,,du bist doch wirklich "hat wohl mancher schon selbst gehört. Νήπιοι ἀγροιῶται, wie Antinoos (85) die beiden Hirten anfährt, sind nicht,,törichte Landleute“, sondern: „Ihr dummen Bauern!" Und fürchte nur

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niemand, daß auf diese Weise der Dichter von der ihm gebührenden Höhe herabgezogen werde; Homer ist so voll von großtönenden, schwer übersetzbaren Worten, daß immer noch genug übrig bleibt, um den Eindruck des Feierlichen und Ungewöhnlichen zu machen. Gerade in den kleinen Sätzchen aber, den Fragen Vorwürfen Ausrufen Übergängen, die sozusagen die Artikulation der Rede ausmachen, schmiegt er selbst sich so fein und zugleich ungezwungen den Wendungen der natürlichen Sprechweise an, daß wir schon deshalb nach Ausdrücken suchen müssen, die uns auch bequem liegen und behaglich klingen. Als der Bettler, den die Königin durch Eumäos zu sich entboten hat, nicht kommen will, fragt sie befremdet den Sauhirten (ρ 576): τί τοῦτ' ἐνόησεν αλήτης;, Warum ersann der Bettler dies?" heißt es im Jargon der Schule;,,was dachte er sich dabei?" ist eben so genau und versetzt den Hörer in die Situation. Dies ist ja überhaupt das Mittel, mit dem es gelingt die Schüler nach und nach dahin zu bringen, daß sie wirklich in ihr eigenes geliebtes Deutsch übertragen: man muß sie immer wieder anhalten, daß sie sich den Hergang vorstellen, sich einbilden sie wären selber dabei gewesen, und nun herausfühlen, wie sie dann gedacht und gesprochen haben würden. Ein Primaner, der sich mit einem Stück aus Horazens neunter Satire redlich abquälte und im Drange des Augenblicks ein anredendes,,Sie" hören ließ, war sehr erstaunt als ich ihm sagte: „Dieses Versehen war das Beste an Ihrer ganzen Übersetzung“.

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2. Manchmal ergibt es sich zur Überraschung, daß gerade die wörtliche Wiedergabe zugleich die natürlichste ist. So in Achills Warnung an Patroklos (Π 93 f.): μή τις ἀπ' Ουλύμποιο θεῶν αἰειγενετάων ἐμβήῃ daß nicht einer von den Göttern einschreite." Den Satz des Demosthenes (I. Phil. 13): òsĩ tà προσήκοντα ποιεῖν ἐθέλοντας ὑπάρχειν ἅπαντας ἑτοίμως, der einem Primaner Schwierigkeit machte, übersetzte ein anderer in Einfalt und Einfachheit schlagend so:,,alle müssen bereit-willig sein zu tun was ihnen zukommt." Daß es ein hohes Glück sei, wenn Mann und Frau in Eintracht ,,das Haus inne haben"

Viel

(oixov éxyrov (183), glaubt dem Odysseus kein Mensch; „in Eintracht haushalten", das klingt ganz anders. Die,,hehre Göttin" für dia deάov ist eine leblose Formel, deren es im deutschen Homer so viele gibt; und diesmal ganz ohne Not. Das Buch der Bücher, der Herr der Herren, der Knecht der Knechte Gottes sind dem Schüler bekannte Begriffe; warum also nicht,,Göttin der Göttinnen"? Als einmal im Unterrichte diese Form gesucht und gefunden wurde, brachte einer ganz passend aus Maria Stuart (IV 5) die Worte der Elisabeth bei:,,er, den ich groß gemacht vor allen Großen“, ein andrer die hebräische Art etwas wie einen Komparativ zu bilden: und so war zugleich erst das rechte Verständnis jener geläufigen deutschen Verbindungen gewonnen. leicht kommt auch einmal an Stellen wie a 228 (veμsoońcati κεν ανήρ), ο 400 (μέτα γάρ τε καὶ ἄλγεσι τέρπεται ἀνήρ) ein Schüler von selbst auf den Gedanken, ȧvýp nicht mit ein Mann" zu übersetzen und so den Ursprung des deutschen,,man" zu erkennen; das wäre gar keine verächtliche Leistung für einen Vierzehnjährigen, der im Banne einer geschriebenen Sprache mit orthographischen Regeln und Diktaten aufgewachsen ist. Homo novus mag oft als,,Emporkömmling“ übersetzt werden; aber wenn im J. 217, vor der Wahl des Terentius Varro, ein Tribun behauptet (Liv. XXII 34, 7) nec finem ante belli habituros, quam consulem vere plebeium id est hominem novum fecissent, so meint er auch für uns:,,bis sie einen wirklichen Plebejer dah. einen neuen Mann zum Konsul gemacht hätten". Oder verstößt ein solcher Ausdruck gegen das Gebot des freien Übersetzens? Im Namen der Freiheit wird ja überall gern Tyrannei geübt. Und man kann es erleben, daß die einfachste und passendste deutsche Form eines Gedankens verschmäht wird, bloß weil sie das Unglück hat dem fremden Original genau zu entsprechen, und daß Lehrer und Schüler sich verpflichtet fühlen, irgend eine Veränderung anzubringen, mit der sie vor sich selbst ihre Unabhängigkeit vom Wortlaut beglaubigen.,,So frei wie nötig, so treu wie möglich!" bleibe unser Grundsatz.

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