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dem du uns schmähst, weil du uns einen Schandfleck anheften möchtest". Und später (p 456 f.) in den herausfordernden Worten des Bettlers an denselben Freier: ὃς νῦν ἀλλοτρίοισι παρήμενος οὔ τί μοι ἔτλης σίτου ἀποπροελὼν δόμεναι· τὰ δὲ πολλὰ πάρεστιν: ,,obwohl da vieles vor dir liegt". Daß durch solche Freiheiten der Gesamteindruck des homerischen Stiles leiden könnte, ist nicht zu fürchten, sobald man sich zur Regel macht, eine Periode nur da herzustellen, wo sie durch besonders enge sachliche Verbindung eigentlich schon gegeben ist. Dann aber gibt es kaum eine deutsche Konjunktion, die nicht gelegentlich für dé eintreten könnte65); z. B. auch, um noch eine recht unwahrscheinliche zu nennen,,,wenn". In dem schönen Vergleich des Menschenlebens mit dem Fallen und Sprießen der Blätter (Ζ 147 f. : φύλλα τὰ μέν τ' ἄνεμος χαμάδις χέει, άλλα δέ θ' όλη τηλεθάουσα φύει ἔαρος δ' ἐπιγίγνεται ώρη) würden wir sagen: ,,wenn die Zeit des Frühlings herankommt“. Oder, wie Odysseus den Probeschuß getan hat und nun zu ernsterer Arbeit sich rüstet (χ 6 f.): νῦν αὔτε σκοπὸν ἄλλον, ὃν οὔ πώ τις βάλεν ανήρ, εἴσομαι, αἴ κε τύχωμι, πόρῃ δέ μοι εύχος Απόλλων: „jetzt will ich ein anderes Ziel versuchen, ob ich es treffe, falls Apollon mir Ruhm verleiht".

Das Kapitel über den Satzbau hat uns länger beschäftigt als irgend eines der früheren. Zum Teil hatte dies in der äußeren Gestalt und dem Umfang der Beispiele seinen Grund, zum Teil doch auch darin, daß hier manche der vorher eröffneten Betrachtungen zusammengefaßt und abgeschlossen werden mußten. Von Vollständigkeit ist trotzdem gerade dies Kapitel besonders weit entfernt; und niemand wird sie von einer Darstellung wie der hier gebotenen erwarten. Einen anderen Vorwurf dagegen könnten manche erheben; dem zu begegnen seien wenige Worte noch hinzugefügt.

Schluß.

Fortleben der Aufgabe.

Wenn sich der Geist der Geister will entfalten,
Wird unablässig er das Wort erneuen.
Gottfried Keller.

Zu festen, allgemein giltigen Gesetzen sind wir nirgends gelangt; immer wo im einzelnen ein solches gefunden zu sein schien, mußte auf ein entgegenstehendes Bedenken hingewiesen werden, das auch seine Rücksicht verlangte, auf ein Bedürfnis des Ausdrucks, das in Gefahr geriet vernachlässigt zu werden: die letzte Entscheidung blieb fast durchweg dem sprachlichen Takt überlassen. Dies ist nun freilich gerade das, was beabsichtigt war. Nicht ein System von Regeln wollten wir geben, die sich einfach und sicher überall anwenden ließen, sondern durch gewählte Beispiele eine lebendige Anschauung vom Wesen der Sprache und ihrem Verhältnis zum Denken erwecken helfen, aus der dann für jeden, der von ihr durchdrungen wäre, von selbst im einzelnen Falle ein guter Gedanke erwachsen könnte. Auch in der Einleitung wurde nichts anderes versprochen. Trotzdem konnte Tadel gegen ein solches Verfahren nicht ausbleiben; zu sehr widersprach es der heute herrschenden Denkweise, für welche überall,,die" richtige Methode das ist, was man sucht oder, kaum weniger bescheiden, gefunden zu haben meint. Oskar Jäger hat sich gelegentlich den Ausspruch eines geistreichen Franzosen angeeignet: une langue parfaite serait la vérité même; so könne man auch sagen, daß eine vollkommene Übersetzung das Original selbst sein würde. Gewiß;

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aber wir dürfen in seinem Sinne hinzufügen: solche Vollkommenheit bezeichnet eine Grenze, der wir uns nähern sollen, die aber nie erreicht werden kann. Und es ist gut, daß es so ist; Menschen müßten sonst aufhören Menschen zu sein. So lange sie das bleiben, wird auch ihr Denken und Sprechen seinen Reiz und seinen unerschöpflichen Wert gerade in dem haben, was seine Schwäche ausmacht, in der Verschiedenheit der Auffassung desselben Gegenstandes durch verschiedene Geister. Ließe sich nicht eine Steigerung der Technik denken, durch welche es möglich wäre, daß ein so schwieriges Musikstück wie eine Beethovensche Sonate durch ein Uhrwerk fehlerlos und mit vorzüglichen Klangmitteln abgespielt würde? Aber würde der Genuß, dem zuzuhören, größer sein, als wenn Bülow dasselbe Werk vortrug? Gewiß nicht. Wir würden die künstlerische Wirkung vermissen, jenes unfaßbare Element, das zwischen Idee und Ausführung sich einschiebt, mathematisch betrachtet den Vortrag ungenau macht, ihn bald hemmt bald leise beschleunigt, den Ton dämpft oder verstärkt und eben durch solche fast unmerkliche und zum guten Teil wohl ungewollte Abweichungen den Hörer fortreißt den Sinn der Töne zu verstehen, das mitzuempfinden was der Vortragende in ihnen gefühlt hat. Einer Sprache, die nicht irren könnte, die ein unmittelbarer Abdruck der Wirklichkeit wäre, würde die Seele fehlen, so gut wie dem Lichtbild oder der Spieluhr66).

Die Stellung des Übersetzers zu dem Texte, den er aufleben lassen will, ist ähnlich wie die des ausübenden Musikers zu seinem Kunstwerk oder des Schauspielers zu seiner Rolle. Den beiden letzten ist es gemeinsam, daß die künstlerische Leistung mit dem Augenblicke vorüberrauscht, der sie geboren hat, und jedesmal von neuem erzeugt werden muß. Für die Kunst des Übersetzens gilt dies eigentlich nur von dem mündlichen Vortrag, und diese Vergänglichkeit verleiht der scheinbar eintönigen Arbeit des Lehrers in der Schule ein eigentümliches Leben. Immer tiefer dringt er im Laufe der Jahre in den Stoff ein, mit immer reiferem Verständnis sucht er ihn zu gestalten, immer

neue Generationen von Schülern sind es, die dazu mitwirken. Aber auch im großen erfährt doch die Nation etwas Ähnliches. Treffend bemerkt Gidionsen in der Vorrede zu seiner Übersetzung der Ars poetica (Kiel 1865):,,Wenn wir wirklich den ,,Horaz reden lassen sollen wie einen Originaldichter, so scheint ,,zu folgen, daß er, um zeitgerecht zu bleiben, mit jedem Jahr,,hundert anders wird reden müssen." Ich möchte empfehlen, gelegentlich reiferen Schülern ein schwieriges Stück, das mit ihnen durchgenommen ist, nachher nicht nur überhaupt in Übersetzung vorzulesen, sondern in mehreren Übersetzungen. Sie sind erstaunt, was für Verschiedenheiten es da gibt, kommen zum Bewußtsein des Wertes ihrer eignen Arbeit, die sie an den Dichter unmittelbar herangeführt hat, und ahnen etwas von dem Wandel der Auffassung überlieferter Gedanken und literarischer Kunstwerke. Daß die Verdeutschung eines solchen im Grunde niemals etwas Fertiges sein kann, sondern immer aufs neue werden muß, wird ihnen deutlich.

Luthers Sprache macht einen ehrwürdigen Eindruck, weil sie altertümlich ist und von der des täglichen Lebens abweicht; aber eben deshalb bedarf sie vielfach selbst erst des erklärenden Wortes. Daß zu diesem Zwecke Bücher wie das Neue Testament von Weizsäcker oder das von Stage67) nicht im evangelischen Religionsunterricht, vor allem solcher Schulen die kein Griechisch haben, fleißig gebraucht werden, ist ein wunderlicher Widerspruch gegen den Gedanken und das Lebenswerk dessen, der, um von Tradition und Vulgata zu befreien, den Anspruch darauf, die Bibel deutsch zu vernehmen, dem Volke erkämpfte. Ist der Wunsch zu kühn, daß ein Mann kommen möge, der, an Wissen und Gründlichkeit den beiden Genannten nicht nachstehend, zugleich in seiner Sprache vom Geiste unsrer Zeit ebenso mächtig erfüllt und dadurch ebenso befähigt wäre auf ihn zu wirken, wie Luther auf den des sechzehnten Jahrhunderts? Der Versuch der Revisions-Kommission, den alten Text heutigem Verständnis anzupassen, mußte Flickwerk bleiben; das Urteil, das Paul de Lagarde darüber gefällt

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hat 68), war wohl kaum zu hart. Mit Homer steht es, wiewohl in geringerem Grade, ähnlich. Es gehört heute zum guten Ton das Werk des wackeren Voß zu verspotten. Und das ist ja richtig: vieles darin mutet uns seltsam an; Ilias und Odyssee würden fleißiger gelesen werden, wenn es eine Übersetzung gäbe, in der wir mehr unsere eigene Sprache vernähmen. Aber ist das ein Vorwurf für den Eutiner? Vielmehr ist es zum guten Teile sein Verdienst, daß wir über ihn hinausgekommen sind; die starke Wirkung, die von ihm ausging, hat gemacht, daß er veraltete. Vielleicht ist es bald an der Zeit Homer von neuem zu übersetzen, und zwar zunächst wieder, wie Goethe einmal geraten hat, in Prosa69). Die Perioden wiederholen sich im Laufe der Jahrhunderte, wenn der Fortschritt in der Entwickelung der eigenen Sprache und im philologischen Verständnis der fremden stark genug geworden ist, um die Rückkehr von der höchsten Art der Übertragung zur schlichtesten zu verlangen, wo denn Arbeit und Wachstum von neuem beginnen.

In dieser Irrationalität des Verhältnisses zwischen Original und Übersetzung liegt zugleich der entscheidende Grund, weshalb wir nicht aufhören dürfen griechische und lateinische Texte zu lesen und deren selbsterarbeitetes Verständnis als wichtigsten Teil derjenigen Art von höherer Bildung zu pflegen, die sich überhaupt auf das Altertum gründet. Es heißt wohl, das sei überflüssig; denn eine gute gedruckte Übersetzung biete inhaltlich vollkommen dasselbe, nur in bequemerer Form. Das ist ungefähr so, als wenn jemand sagen wollte, es sei nicht nötig nach Italien zu reisen um Rafael und Tizian zu studieren, weil man ihre Werke in guten Kupferstichen handlicher und billiger überall haben könne. Richtig ist ja dies: wo die bunte Fülle der Farben den ungeübten Blick verwirrt, in zartester Abtönung unmerklich eine in die andere übergeht, wo im Original durch das Alter Dunkelheiten entstanden sind, da tritt der Kupferstecher als Interpret ein und gibt in klareren Strichen ein Bild dessen, was seiner Ansicht nach der Künstler hat darstellen

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