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Begrenzung der Aufgabe.

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also etwa,,die es verstand mit Anmut den Fuß zu heben." Aber die negative Wendung wollte mein junger Freund nicht gelten lassen: non dedecet sei eine Litotes, bedeute also ein verstärktes decet. Auch das ist mir schon vorgekommen, daß jemand ein Anakoluth erklärt zu haben meinte, indem er es so benannte, und sehr erstaunt war zu hören,,,Anakoluth" bedeute,,Inkonsequenz", bezeichne also eine Stelle, die der Erklärung erst noch bedürfe. Nachdrücklich warnte Moriz Haupt in seinen Vorlesungen1) vor dem Gebrauch solcher grammatischen Kunstausdrücke Ellipse, Pleonasmus, Enallage u. s. w. -, wodurch Erscheinungen des Sprachlebens äußerlich zusammengefaßt würden, während es darauf ankomme den Vorgang in der lebendigen Menschenseele zu erfassen, auf dem jedesmal die Erscheinung beruhe.

Doch dazu gehört Ruhe und Vertiefung; und die lassen unsere immer künstlicher aufgebauten Lehrpläne auch da nicht leicht zu, wo sie eine Sache zu fördern meinen. Dem Übersetzen ins Deutsche sind sie ja scheinbar günstig; schriftliche Arbeiten dieser Art bilden einen Teil der vorgeschriebenen Leistungen und spielen auch bei Prüfungen eine Rolle. Die Besorgnis aber, die von mir an dieser Stelle wiederholt geäußert worden ist, daß eben hierdurch der Mechanisierung des Übersetzens und Erklärens Vorschub getan werden würde, hat der Verlauf in den letzten anderthalb Jahrzehnten nur zu sehr bestätigt. Der Gedanke an die „Zielleistung" mußte den Gang des Unterrichts mit bestimmen; er drängte dahin, daß man einen festen Schatz von Formeln und Kunstgriffen auszubilden und anzugewöhnen suchte, um jedesmal so schnell wie möglich vom fremden Texte zu einer eleganten Verdeutschung zu gelangen. Es ist ja schwer und doch das, wonach wir streben müssen, daß in einer Zeit, die auf allen Gebieten dem äußeren Erfolg huldigt, der Unterricht seine Kraft auf die stille und unscheinbare Arbeit sammle, die dem Erfolge vorhergeht, und die in unserm Falle gar nicht immer zu einem glatten Erfolge zu führen braucht. Möge doch kein Lehrer versäumen, von

Zeit zu Zeit an der Erkenntnis sein Gewissen zu schärfen, zu der Wilhelm von Humboldt, auch er seinerzeit Leiter der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten im preußischen Ministerium, gelangt war. Er schreibt an August Wilhelm von Schlegel, den Shakespeare-Übersetzer, am 23. Juli 17962): ,,Alles Übersetzen scheint mir schlechterdings ein Versuch zur „Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder Über,,setzer muß immer an einer der beiden Klippen scheitern, ,,sich entweder auf Kosten des Geschmacks und der Sprache ,,seiner Nation zu genau an sein Original, oder auf Kosten ,,seines Originals zu sehr an die Eigentümlichkeit seiner Nation ,,zu halten. Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, ,,sondern geradezu unmöglich." Noch härter absprechend Haupt:,,Das Übersetzen ist der Tod des Verständnisses." Das klingt freilich paradox, und man empfindet darin etwas von dem Hochmut des Vertreters der reinen Wissenschaft; aber einen recht heilsamen Mahnruf kann auch die Schule aus dem übertreibenden Urteil entnehmen. Sie schafft Gutes, das weit über ihre Mauern hinauswirkt, wenn sie in künftigen Männern die Einsicht begründet, wie die Sprache kein Kleid ist, das man von den ausgesprochenen Gedanken abziehen und durch ein anderes ersetzen könnte, sondern mit den Gedanken untrennbar verwachsen, zugleich Form und ein Stück des Inhalts. Auf keinem andern Wege aber kann diese Einsicht gewonnen werden als durch den immer erneuten Versuch einer Annäherung an das, was in seiner Vollkommenheit nicht erreichbar ist.

Auch auf seiten der Wissenschaft hat die stolze Resignation, von der wir einige Zeugnisse anführten, nicht die Herrschaft behauptet. Humboldt selber hat sich an einigen der schwierigsten Aufgaben fast mit leidenschaftlichem Eifer versucht und in der Einleitung zu seinem Agamemnon (1816) auch theoretische Bemerkungen gegeben, die für jeden, der Ähnliches unternehmen will, wertvoll sind. In neuester Zeit sind besonders erfreuliche Erscheinungen die Übersetzung griechischer Tragödien von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und die

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Nachbildung lateinischer Dichtungen, besonders der Sermonen des Horaz, von Carl Bardt. Der Verdeutschung des Hippolytos (1891) als seinem ersten Versuch in dieser Richtung hat Wilamowitz ein Kapitel über die Frage, was Übersetzen sei, vorangestellt, in dem er, an Haupt anknüpfend, die Schwierigkeit, aber auch die Möglichkeit einer verständnisvollen Nachbildung erörtert3). Als Ziel, das dem Übersetzer vor Augen stehen müsse, bezeichnet er: einen deutschen Text herzustellen, der auf heutige Leser oder Hörer einen ähnlichen Eindruck macht, möglichst annähernd gleiche Gedanken und Empfindungen in ihnen weckt, wie das Original sie in den Zeitund Volksgenossen des Autors hervorrief.

Aus diesem Grundgedanken erwächst auch für die Schule eine doppelte Aufgabe. Einmal muß die Sprache in die wir übersetzen wirkliches, lebendiges Deutsch sein, nicht ein künstliches Latein-Deutsch oder Griechisch-Deutsch; wie soll es sonst unserm Gemüt nahe kommen? Dann aber muß die Eigenart des alten Dichters oder Schriftstellers gewahrt werden; Homer muß in anderes Deutsch übersetzt werden als Vergil, Tacitus anders als Cicero 4). Jede dieser Forderungen für sich ist schwer genug. Die erste bedeutet Herrschaft über die Muttersprache, zur zweiten gehört es, daß der Übersetzer sich in den Geist seines Autors hineinlebe und von da aus den deutschen Ausdruck bilde; woraus weiter folgen würde, daß es eigentlich für jeden Schriftsteller eine besondere Kunst des Übersetzens gebe3). Das Schlimmste aber ist: beide Tendenzen wirken einander entgegen; sie auszugleichen, das ist eben die Unmöglichkeit, auf die Humboldt hinwies. Eine Übersetzung, die dem Original Wort für Wort und Satz für Satz folgte, würde die Eigentümlichkeiten des ursprünglichen Stiles erkennen lassen, aber in unsauberer Zeichnung; wie denn Don Quixote (X 10) eine Übersetzung mit der Rückseite einer niederländischen Tapete vergleicht, wo die Figuren sich zwar zeigen, aber durch kreuz und quer gehende Fäden entstellt sind. Andrerseits wenn man sich bemüht die großen und kleinen Flecke weg

zuputzen, die durchgesteckten Fäden zu verbergen, so ist zu fürchten, daß das Bild zwar wieder glatt werde, doch dem ursprünglichen nicht charakteristisch ähnlich bleibe. Eine absolute, in Regeln faßbare Auseinandersetzung zwischen den Ansprüchen, die von beiden Seiten erhoben werden, kann nie gelingen. Aber wer darum den Versuch überhaupt aufgeben wollte, würde einem Maler gleichen, der daran verzweifelte eine Landschaft oder ein menschliches Antlitz darzustellen. weil er nicht jedes einzelne Teilchen, alle Bäume Zweige Blätter, alle Falten und Haare wiedergeben kann. Die wesentlichen Züge kann gerade seine Kunst herausheben und dadurch den Eindruck des Lebens erneuern, während die Photographie durch pedantische Treue verwirrt und tötet. Alles künstlerische Schaffen hat seine eigentliche Kraft auf dem Gebiete des Irrationalen; so auch das des Übersetzers.

Ist damit die Entscheidung letzter Instanz dem Verstande genommen und dem subjektiven Gefühl zugeschoben, so versteht es sich doch von selbst, daß dieses um so sicherer das Gute treffen wird, je mehr es sich von Willkür fern hält, je feiner die Nuancen sind, zwischen denen zuletzt es wählt, je sorgfältiger vorher durch verständige Überlegung das Material bereitet und die Entscheidung vorbereitet ist. Deshalb wird der Übersetzer die Gegensätze, die er gern versöhnen möchte, immer im Auge behalten und, ehe er seinen sprachlichen Takt wirken läßt, mit klarem Bewußtsein festzustellen suchen, wie viel er jedem der beiden Streitenden zugestehen kann ohne den andern zu verletzen. Indem so die Aufmerksamkeit nach zwei Seiten gespannt bleibt, wird auch ein doppelter Gewinn sich ergeben.

Es wird gelingen ein Stück fremder Literatur in das eigene Geistesleben aufzunehmen. Ohne Übersetzung, sei es die eigne oder eine fremde, ist das doch nur ganz wenigen möglich. Den geringen Einfluß, den manche hervorragende Werke ausländischer Literatur auf die deutsche Bildung gewonnen haben. erklärt Michael Bernays) daraus, daß die Eigenart solcher Schöpfungen wie z. B. der französischen Tragödie sich einer

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würdigen Nachbildung im Deutschen nicht fügen wollte. Die Übersetzungen der Schule können mit Arbeiten, wie er sie hier im Sinne hat, nicht wetteifern, aber sie haben doch auch ihren eignen Vorzug. Immer von neuem werden sie erzeugt, nicht in einmal gefundener Form festgelegt; und während der Reproduktion begleitet den Geist des Sprechenden wie des Hörenden noch das Bewußtsein von den Worten des Originals, um die unvollkommene Wiedergabe zu rechter Fülle und Klarheit zu ergänzen 7).

Der zweite Gewinn, den die Mühe des Übersetzens einbringt, besteht in der Bereicherung der eignen Sprache. Einer der ersten, die das erkannt hatten, war Cicero, der selber erzählt, wie er durch Übersetzen des Äschines und Demosthenes seinen Stil gebildet habe. Aus neuerer Zeit ließen sich von Schiller, Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher verwandte Zeugnisse anführen 8). „Der Übersetzer“, schreibt Bernays,,,darf sich wohl ,,einem Eroberer vergleichen, der, was er in fremden Landen „an herrlicher Beute gewonnen, der Heimat zuführt, wo es hin,,fort als nutzbringendes Besitztum dauernd gedeiht." In bescheidenem Maße läßt sich ein ähnlicher Erfolg auch auf der Schule erreichen, bei Knaben und Jünglingen, deren Bewußtsein von den Schätzen der eigenen Sprache noch im Werden begriffen ist. So ist es ja nicht gemeint, daß dem Deutschen fremde Elemente aufgedrängt werden sollen; sondern, aufgestachelt durch das Suchen nach dem treffenden Ausdruck für einen gegebenen Gedanken, soll der Einzelne lernen, was alles für Worte und Verbindungen, dem Keime nach, ohne daß er es merkte, in seiner eigenen Sprache enthalten waren.

Wie das nun zu versuchen sei, daß man die beiden Schwierigkeiten, die wir bezeichnet haben, gleichzeitig beachte und die sich begegnenden Linien nicht zur Schneidung kommen lasse, sondern durch sorgsame Kleinarbeit ineinander überführe, so daß sie wie in einer schön geschwungenen Kurve verlaufen: dies soll an Beispielen dargetan werden.

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