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dem unbegreiflichsten Eigensinn gegen die Wahrheit, sondern sie nehmen auch nicht einmal den geringsten Bezug, nicht einmal in ablehnender oder spöttischer Weise, auf die angebliche Entdeckung eines ganz neuen Völkerstammes. Aus den griechischen Schriftstellern könnte man durchaus nichts davon erfahren, dass die Römer seit Caesar die Germanen als ein nichtkeltisches Volk kennen gelernt hatten. Im Gegentheil müssten wir nach der angeführten ausdrücklichen Stelle des Diodor der Meinung sein, dass auch die Römer ebenso wie die Griechen die Germanen zu den Galaten zählten. Wie ist nun eine so allgemeine Verblendung, eine so eigensinnige Verschliessung gegen die erkannte und allgemein bekannte Wahrheit bei so vielen von einander unabhängigen Männern zu begreifen? Ich gestehe, dass ich mir diese Erscheinung durchaus nicht zu erklären im Stande bin; es wäre nicht nur eine unbegreifliche Befangenheit in den hergebrachten Ansichten, sondern es wäre ein völliges Wunder, dass eine so wichtige Entdeckung der Römer, die den Griechen unmöglich unbekannt bleiben konnte, wie nach einer gemeinsamen Verabredung von Allen, die griechisch schrieben, mit keinem Wort auch nur erwähnt wurde. Ehe ich an eine solche wunderbare Verschwörung aller Griechen gegen die Nationalität der Germanen, an eine so allgemeine Verstockung und halsstarrige Durchführung alter Irrthümer glaube, eher wage ich an der angeblichen Entdeckung zu zweifeln.

Ich wende mich also zu den Römern. Ohne Umschweife will ich mich sogleich zu demjenigen wenden, welcher zuerst die Germanen entdeckte, welcher zuerst durch Berührung mit diesem Volke zu der Einsicht kam, dass sie nicht, wie man bisher geglaubt hatte, zu den Kelten gehörten, sondern ein eigner, bis dahin ganz unbekannter Völkerstamm waren, zu Julius Caesar. Wo hat er diese Entdeckung gemacht, die wir Deutsche für eine äusserst wichtige halten dürfen? Wo hat er uns entdeckt, und in welchen Ausdrücken hat er diese seine Entdeckung niedergelegt? Dass man nämlich vor Caesar auch in Rom nichts davon wusste, dass die Germanen ein nichtkeltischer Volksstamm waren, wird allgemein zugegeben: die Römer waren bis auf Caesar in den überlieferten falschen Ansichten der Griechen

befangen; erst durch Caesar, der zuerst die Germanen genauer kennen lernte, erhielten sie bessere Kunde. Wir wollen doch die betreffenden Stellen ansehen.

Es ist bekannt, dass Caesar in Gallien selbst drei Völker unterschied, die Belgen, Celten und Aquitaner. Nach seiner Beschreibung müsste man diese für drei ganz verschiedene Völker halten, denn er sagt: hi omnes lingua, institutis, legibus inter se differunt. Strabo hat es für nöthig gefunden, diese Stelle, ohne doch Caesar zu nennen, zu berichtigen, indem er ganz richtig bemerkt, dass die Belgen und die eigentlichen Kelten, obgleich etwas von einander verschieden, doch eines Stammes, Galaten seien, die Aquitaner aber wirklich einem andern Stamm angehören; und indem er auch die geographische Angabe Caesars: Gallos ab Aquitanis Garumna flumen dividit viel genauer bestimmt. Uns kommt es hier besonders darauf an, wie Caesar die Belgen von den eigentlichen Kelten scheidet. Wirklich hat er diese Scheidung öfters im Auge, z. B. II, 3: Remi, qui proximi Galliae ex Belgis sunt. Unter Gallia tota scheint I, 30 und 31 nur das engere Gallien, die eigentlichen Kelten verstanden zu sein. Allein die Unterscheidung wird nicht durchgeführt; die Aduatiker II, 30, die Bellovaken VII, 59, werden Gallier genannt. In V, 27 sagt der Eburone Ambiorix, dass die Eburonen an dem allgemeinen Aufstand der Gallier Theil nehmen müssten, weil die Gallier sich den Galliern nicht entziehen könnten, besonders wenn es sich um die Wiedererlangung der Freiheit handle. Es sind also auch bei Caesar die Belgen im weitern Sinn Gallier, und zwar nicht nur geographisch, sondern sie wissen, dass sie eines Stammes sind. Auch finden wir bei den Belgen dieselben Namen wie bei den Kelten im engern Sinn, zum Beweis, dass die Sprache nur dialektisch verschieden war. Die Belgen aber sind über den Rein gekommen und von germanischer Abkunft: plerosque Belgas esse ortos ab Germanis, Rhenumque antiquitus transductos, propter loci fertilitatem ibi consedisse Gallosque, qui ea loca incolerent, 'expulisse B. G. 2, 4. Es müssen also die Belgen auch mit den Germanen nah verwandt und also auch die Germanen im weitern Sinn Kelten oder Gallier nach Caesars Meinung gewesen sein. Die Aduatiker, die einmal

Gallier genannt werden, sollen sogar, wie unmittelbar vorher gesagt wird, 2, 29 von den Kimbern und Teutonen abstammen. Es ist daher deutlich, dass unter den Galliern in 2, 30 (plerumque omnibus Gallis prae magnitudine corporum suorum brevitas nostra contemptui est) ganz im Sinn Strabos der ganze galatische Volksstamm gemeint ist, Kelten im engern Sinn, Belgen und Germanen. Wenn man auch annehmen wollte, Cäsar sei hinsichtlich der germanischen Abkunft der Belgen im Irrthum gewesen, so steht doch fest, dass die Belgen selbst sich ihrer Verwandtschaft mit den Germanen rühmten; das bezeugt auch Tacitus Germ. 28: Treviri et Nervii circa affectationem Germanicae originis ultro ambitiosi sunt, tanquam per hanc gloriam sanguinis a similitudine et inertia Gallorum separentur. Es genügt aber dieser Glaube der Belgen, um zu beweisen, dass Caesar und Strabo wirklich die Wahrheit berichten; denn wie hätten die Belgen den Glauben unter sich erhalten können, dass sie mit den Germanen, die sie ja durch ununterbrochenen friedlichen oder feindlichen Verkehr sehr genau kannten, aufs engste verwandt seien, wenn diese in der Sprache ganz von ihnen verschieden gewesen wären? So sehen wir denn auch bei Caesar, dass bei allen Anlässen die Belgen über den Rein zu den Germanen Boten schicken, und dass diese ihren Verwandten, diesseits zu Hülfe kommen; und dieser Verkehr ist so an der Tagesordnung und so lebhaft, dass er unmöglich durch Sprachverschiedenheit erschwert, und durch Dolmetscher vermittelt sein konnte, von welchen nirgends die Rede ist.

Es scheint also, dass Caesar ganz derselben Ansicht ist, wie Strabo, und wir haben bis dahin von seiner angeblichen Entdeckung nicht das geringste entdecken können; im Gegentheil würde eine solche Entdeckung ganz unverträglich sein mit allem, was wir bisher bei Caesar gefunden haben. Wo steckt sie denn, diese grosse wichtige Entdeckung, die doch sehr deutlich ausgesprochen sein muss, da sie allgemeinen Glauben gefunden hat? Sie soll ausgesprochen sein in den Worten VI, 21: Germani multum ab hac consuetudine (Gallorum) differunt. Nun ja; die Kelten rechts vom Rein wichen in der Lebensweise sehr ab von den westlichen Kelten; aber Kelten waren sie nichts destoweniger. Zur Zeit Karls des Grossen konnte

man gewiss von den Sachsen sagen, dass sie in der Lebensweise von den Franken sehr verschieden waren, aber Deutsche waren sie nichts destoweniger ebenso wie die Franken. Diese Stelle beweist. also nicht das geringste; sie beweist nicht einmal, dass Cäsar die Germanen für ein ganz anderes Volk als die Gallier hielt; wie er von den Belgen gesagt hatte, dass sie in Sprache, Sitten und Gesetzen von den eigentlichen Kelten verschieden seien, und doch erkannte, dass sie Gallier waren wie diese, so konnte er auch von den Germanen sagen, dass sie von den eigentlichen Kelten und vielleicht auch von den Belgen in der Lebensweise sehr verschieden seien, und doch wissen, dass auch sie im weitern Sinn Gallier, Galaten, Kelten waren. Diess soll aber unmöglich seine Ansicht gewesen sein, weil er wusste, dass die germanische Sprache eine ganz andere als die gallische war. Und so kommen wir zu der wichtigen Stelle, welche gegen das einstimmige Zeugniss des ganzen Alterthums die Grundlage der herrschenden Meinung geworden ist. Es ist die Stelle 1, 47, welche im gewöhnlichen Text also lautet: commodissimum visum est C. Valerium Procillum, C. Valerii Caburi filium, summa virtute et humanitate adolescentem, cujus pater a C. Valerio Flacco civitate donatus erat, et propter fidem et propter linguae Gallicae scientiam, qua multa jam Ariovistus longinqua consuetudine utebatur, et quod in eo peccandi Germanis causa non esset, ad eum mittere, et Marcum Mettium, qui hospitio Ariovisti utebatur. Hier ist also deutlich gesagt, dass Ariovist die gallische Sprache erst in Gallien während seines langen Aufenthalts gelernt hatte. Wie lange er damals schon unter den Galliern lebte, geht nicht sicher aus der Stelle 1, 36 hervor, wo er von 14jährigen Kriegen spricht. Jedenfalls waren es schon mehrere Jahre, seit er über den Rein gekommen war; und es muss also wohl die gallische Sprache eine ganz andre als die germanische gewesen sein, da ein Germane viele Jahre nöthig hatte, um sie hinreichend verstehen und sprechen zu lernen. Die Stelle ist also allerdings mit meiner Ansicht unverträglich, und kann nicht von einer blosen Dialectsverschiedenheit verstanden werden. Aber je genauer ich die Stelle

betrachte, desto mehr überzeuge ich mich, dass sie verdorben ist und nicht den Text gibt, den Caesar geschrieben hat.

Die gemeine Lesart ist zwar durch die meisten und ältesten Handschriften, so wie durch Petrarcha in seiner vita C. Julii Caesaris und durch den griechischen Metaphrasten (..ᾗ διὰ τὴν συνήθειαν τὰ пollà ¿xoñτo) verbürgt; aber nichts destoweniger ist der Satz propter linguae Gallicae scientiam, qua multa jam Ariovistus longinqua consuetudine utebatur schon in stylistischer Hinsicht verdächtig, und scheint keineswegs der Sprache Caesars angemessen. Fulvius Ursinus führt eine abweichende Lesart ein mit den Worten: ita minus corrupte; dass also der gemeine Text corrumpiert sei, ist ihm eine ausgemachte Sache. Dass diess Gefühl allgemein war, zeigen die Verbesserungsversuche, die von jeher gemacht wurden. Die editiones Venetae des 15. Jahrh. lesen longa für longinqua, und diess wird von Ciacconius und Brantius gebilligt. Apitz streicht longinqua als eine Glosse, um multa mit consuetudine verbinden zu können. Statt multa wird multum vorgeschlagen von Ciacconius. Die Construction ist ebenso unsicher. Oudendorp bezog qua multa auf das zunächststehende scientia, Herzog aber und Schneider auf das weiter entfernte linguae.

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Schon diese stylistische Unsicherheit der Stelle verräth eine Corruption. Diess wird aber völlig deutlich, wenn man auf den Inhalt eingeht. Es ist schon höchst wunderlich, dass die Römer und die Germanen, Caesar und Ariovist, sich in ihren Unterhandlungen weder der römischen noch der deutschen, sondern einer dritten, ihnen beiden gleichfremden Sprache bedient haben sollen. Der stolze Ariovist soll sich bemüht haben, die Sprache der unterworfenen Gallier zu lernen; er soll nicht ganz einfach, wenn die Gallier eine ganz andere Sprache redeten, es diesen überlassen haben, seine Befehle verstehen zu lernen, denen er jedenfalls den nöthigen Nachdruck zu geben wusste? Dem Caesar hatte er sagen lassen, wenn die Römer etwas von ihm wünschten, sollten sie zu ihm kommen; gewiss also wollte er ihnen nicht in der Sprache entgegenkommen, sondern verlangte, dass in seiner, des Siegers und Gebieters Sprache verhandelt würde. Man sollte nach dieser Stelle glauben, dass es

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