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zusammen uns oft ihnen entgegen gesehnt. Jezt werde ich sie nur sehen wie ein amputirter Mensch, der sich zum Theile hat zu Hause lassen müssen, und das wird meine Freude unsäglich schmälern. Zehn bis zwölf Poststunden von hier beginnt schon die schönste Gebirgsgegend, eine Strecke, die ich also zu Fuß ohne alle Unkosten in einem Tage leicht zurücklegen kann. Ich würde schon diese Tage, die so schön und einladend zu einer solchen Reise sind, dazu benußt haben, zumal meine Bücher noch nicht hier sind und aus dem Studiren doch nichts wird es fehlen aber jezt noch die Blumen und deßwegen ist mir sehr gerathen, meine Sehnsucht noch zu zügeln. Dort werde ich dann auch dafür Entschädigung finden, daß ich hier das schöne Buchenlaub der Heimath wie auch die freundlichen Töne der Nachtigall ganz entbehren muß. Ich fürchte nur, Tirol wird mir zu gut gefallen im Vergleich zu München und dadurch eine gefährliche Versuchung für mich werden.

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Hier in München, geliebte Sophie, bewege ich mich noch immer im alten Geleise, nicht in dem, in welches ich noch kommen muß. Meine Bücher bleiben noch immer aus, und da ich deßhalb in den Arbeiten keinen Ableiter für unnüße Gedanken finden kann, so treibe ich mich mehr herum, wie mir sonst gefallen würde. Besonders ist mir, einem finstern Norddeutschen, hier wieder die heitere Lebenslust dieser glücklichen Süddeutschen aufgefallen. Auf den Straßen dämmern und an den unzähli= gen Vergnügungsorten um München herum tanzen und gutes Bier trinken scheint fast die einzige Beschäftigung dieser Leute zu sein. Ge= schäftig und in der Arbeit begriffen findet man Niemanden und am Gange und in den Gesichtern sieht man allen an, daß sie nur das Vergnügen suchen. Daß sie aber nicht vergeblich suchen, sondern im Grunde ihres Herzens heiter und vergnügt sind, das ist gleichfalls deutlich in ihrer ganzen Physiognomie ausgeprägt. Darin ist das hiesige Volk vor unsern Landsleuten unendlich bevorzugt. Einen Norddeutschen muß es tief betrüben zu sehen, wie die Einflüsse des Klimas só darauf einwirken, ob ein Volk im Allgemeinen das Leben schwer oder leicht trägt. Ich weiß wohl, daß auch hier Noth und Elend und Kummer zu finden ist, aber der Grundzug ist Lebensgenuß und Freude. In meinem Leben ist mir das nicht so wie jezt aufgefallen. Etwas mögen die schönen, Maitage dazu beitragen. Seit dem ersten Mai ist halb München fortwährend am Tanzen, am Lachen und Trinken, und obgleich ich schon Tausende in dieser Freude gesehen habe, habe ich dennoch keinen Betrunkenen und keinen Zank gesehen, ja noch kein unfreundliches Wort gehört. Dabei ist es für einen Katholiken aber noch besonders wohlthuend in tausend kleinen Gebräuchen und Lebensgewohnheiten sich immer daran erinnert zu finden,

daß man von Glaubensgenossen umgeben ist. Beim englischen Gruß entblößt die große Mehrzahl den Kopf, an der Kirche vorübergehend nimmt fast jeder den Hut ab 2c.

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Am vorigen Sonntag habe ich eine so feierliche Messe gehört, wie ich glaube noch nie. Christian') und ich waren beide erstaunt, in welchem Einklang die ganze äußere Handlung mit der hohen inneren Würde derselben gesezt war. Der Erzbischof pontifizirte mit allem äußern Glanz. Die Kirchenmusik war so schön und erhaben, daß ich nicht nur alles Vorurtheil gegen solche Messen verloren, sondern selbst beschlossen habe, diese Feier hier nie wieder zu versäumen. Ihr waret auch dort für mich natürlich eine Zerstreuung, und oft wünschte ich diese Erbauung mit Euch theilen zu können. Jeder Meßdiener schien die Würde zu fühlen, die er bekleidete, und das Gewicht der Handlung, der er beiwohnte. So haben Ceremonien und Kirchenmusik Geist und Sinn; nicht aber, wenn erstere, wie bei uns so oft, dazu dienen, die höchste Potenz der Langweile und Gleichgiltigkeit bei den Meßdicnern hervorzurufen, während die Musik das Gehör und Trommelfell der Anwesenden ruinirt. Nie habe ich so erkannt, wie bei uns alles äußere Dekorum verlegt wird, als hier.

Mit meinen hiesigen Bekanntschaften 2) bin ich sehr zufrieden, ge= liebte Sophie, und sie entsprechen ganz meiner Erwartung. Nur so einfach, so natürlich und anspruchslos hatte ich sie mir nicht gedacht. Sie erscheinen mir als Muster recht lebendiger Katholiken. Treue, Redlichkeit und Glauben durchdringt ihr ganzes Leben und jedes ihrer Worte. Wie verblendet doch die Welt ist! Solchen Männern wirft man revolutionäre Grundsäge und Aufreizung vor, während jeder Blutstropfen in ihnen Gehorsam gegen die Obrigkeit bekennt, aber natürlich, und Gott sei Dank dafür — ohne Verrath an der Religion. Diese Herrn leben hier übrigens in einem so freundschaftlichen Kreise, wie ihn nur Religion und Treue bilden kann, und versammeln sich täglich zur ungezwungensten heitersten Geselligkeit, wodurch sie sich gegen die Stubenhockerei schüßen. Dann gehen sie auch oft und viel in die Tiroler Gebirge und holen sich. in der dortigen frischen Luft wieder gesunde Lebenskraft und Lebensansicht.

Solcher Umgang müßte mich noch mehr erfreuen, wenn ich nicht noch lieber mit Euch das Traurige theilte, als hier Frohes und Heiteres zu genießen. Vieles hat sich schon wieder seit meiner Abreise zugetragen, und ich entbehre unendlich, es nicht mit und unter Euch besprechen und

1) Graf Schmising-Kerssenbrock.
2) Görres und seine Tafelrunde.

theilen zu können. Man möchte sich jezt enger und enger zusammen ziehen, und statt dessen bin ich weiter und weiter von Euch weggezogen. Doch wenn die Noth am größten, ist ja oft Rettung am nächsten, und das wollen wir zu Gott hoffen.

Wenn ich noch lange von Euch bleibe, werde ich unfehlbar ein altes Waschweib, so gern schwätze ich mit Euch. Lebe nun wohl, meine geliebte Sophie! Grüße Ferdinand') recht herzlich, sage allen Bekannten tausend Grüße und bleibe mir immer in gleicher Liebe zugethan. Ich wohne Karlstraße Nr. 10.

An seine Schwester Sophie.

10.

München, 10. Juni 1839.

Schon sind es heute neun Tage, daß ich Deinen so lieben freundlichen Brief erhalten habe, der in jedem Worte ein treuer Abdruck Deiner liebevollen schwesterlichen Gesinnung gegen mich ist und mich dadurch in hohem Grade beglückt hat.

Der Tod des Grafen Spee2) hat mich ganz erstaunlich überrascht, da ich ihn in Düsseldorf besser zu finden geglaubt hatte. So scheint also der Würgengel noch immer freies Spiel bei uns zu haben, so tapfer er auch schon gewirthschaftet hat, und so großen Anspruch wir dadurch auf Schonung hatten. Glücklich sind gewiß die, welche es bei gutem Gewissen getroffen hat, und welche die teuflischen Schändlichkeiten hier auf Erden nicht mehr als tägliches Brod zu verzehren haben. Man muß wahrhaftig schon einen guten Verdauungs-Organismus besißen, um nicht zu sterben vor Wuth über die sich täglich häufende Schändlichkeit. Erfinderisch ist unsere Zeit in jeder Beziehung, aber in den gemeinsten Bubenstücken doch am produktivsten. Daß man den Menschen solche Gemeinheit, Wortbruch, ja selbst hinterlistige Verlockung auftischen kann, und daß über diese Schändlichkeiten nicht ein allgemeines Entjeßen über die ganze Welt hin sich hören läßt, vielmehr der größte Theil der Menschen sie kaum zu bemerken scheint, beweist recht die Verderbtheit jedes Einzelnen. Wer diese Bosheiten nicht in ihrer ganzen Größe anerkennt, von dem kann man gewiß sagen, daß er nur noch schlechter, nichts mehr und nichts weniger ist.

1) Graf Merveldt.

2) Franz († 14. Mai 1839), Gemahl der Schwester des Grafen Ferdinand von Merveldt.

Unbegreiflich ist es mir, daß Ihr die leßte römische Staatsschrift 1) noch immer nicht in Händen habet, da sie doch nicht verboten sein kann, indem die „Aug. Zeitung“ mit ihren Auszügen doch durchgelassen ist.

Im zehnten Heft der „Hist. polit. Blätter" steht ein Artikel über Bernard v. Galen, der als Erwiederung auf einen Artikel der Staatszeitung als „Eingesandt“ aufgeführt ist2). Sage doch Wilderich, daß die Erwiederungen auf „Kleiner Beitrag zur Berichtigung eines großen Mißverständnisses“ aus Hannover 3), wie auch die ganze frühere Correspondenz mit diesem Herrn von dem Verfasser sind, von dem er einige Artikel bezeichnet haben wollte. Die letzten Aufsäge in dieser Sache, die ihr wohl erst später bekommen werdet, sind nur etwas zu scharf, sonst wahre Muster einer consequent katholischen Darstellung gegen eine confuse und schief protestantische in dem kleinen Beitrag." Es wird Dich übrigens interessiren, daß diese Blätter schon eine sehr bedeutende Verbreitung erreicht haben.

Ein Brief von Mutter trieb mich gestern nach Zinneberg, einem Gute des Arco), der die Zeil zur Frau hat, hinaus. Leopoldine hat mich recht sehr freundlich empfangen und so den angenehmen Eindruck erneuert, den ich immer von ihr zurückbehalten. Dort habe ich die Fürstin Löwenstein3) mit einer Prinzeß Löwenstein 6) kennen gelernt. Die erstere Frau, lettere eine Schwester des berühmten Jägers, beide selbst passionirte Jagdfreundinen. Die Fürstin hat noch vor drei Tagen an einem Abend spazierenfahrend drei Hirsche selbst erlegt und einen gefehlt. Diese beiden Damen gefielen mir recht gut.

1) Darlegung des Rechts- und Thatbestandes mit authentischen Documenten, als Antwort auf die Erklärung der kgl. preuß. Regierung in der Staatszeitung vom 31. December 1838 (über den Conflikt mit dem Erzbischof von Gnesen und Posen). Augsburg 1839.

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4) Graf Max von und zu Arco-Zinneberg, vermählt mit Leopoldine geb. Gräfin von Waldburg-Zeil-Trauchburg, einer Cousine des Bischofs.

5) Leopoldine, vermählt mit ihrem Oheim Constantin Fürst zu Löwenstein. Ihrem Gemahl zu lieb und um nicht stets von ihm getrennt zu sein, nahm sie Theil an seinen Jagden. Bald nach dessen Tod trat die kinderlose Fürstin 1847 zu Stein a. d. Donau in das Kloster der Liguorianerinen ein und etablirte sich, nachdem das Revolutionsjahr 1848 diese Niederlassung zerstört hatte, mit zwei frommen Freundinen zuerst in Altötting und später in Gars in Oberbaiern, wo sie in stiller Zurückgezogenheit bis an ihr Lebensende (6. August 1868) dem Gebete und den Werken christlicher Nächstenliebe lebte.

6) Prinzessin Sophie zu Löwenstein, in erster Ehe mit einem Prinzen zu Salm-Salm, in zweiter mit dem Prinzen Karl zu Solms-Braunfels vermählt, starb 1876, ein Jahr nach dem Tode ihres zweiten Gemahls.

Denke Dir, geliebte Sophie, welche Aussicht man von diesem Gute aus genießen kann, da man die ganze Bergkette, von der Schweiz, noch jenseits des Bodensees angefangen, bis zu den Gebirgen hinter Salzburg - eine Bergkette von über 100 Stunden mit freien Augen vor sich liegen sieht. Außerdem habe ich dort eine Sammlung von Hirschgeweihen gesehen, wie noch nie in meinem Leben: Hirschgeweihe, von denen ich nicht eine Stange, unten an der Krone angefaßt, horizontal halten konnte, wenn ich auch beide Hände gebrauchte. Ich glaube nicht, daß es in der Welt eine ähnliche Sammlung gibt. Außerdem läßt Arco unglaublich schöne Sachen, alle Arten von Möbel aus Hirschgeweihen machen, sehr reich mit Verzierungen in Elfenbein geschmückt, welche einen großen Saal ausfüllen sollen, so daß sich darin kein anderes Möbel befinden wird als von Hirschgeweihen angefertigt und mit Elfenbein eingelegt. Alle diese Sachen habe ich sehr gern gesehen. Obgleich ich aber den schönsten Abend zur Rückfahrt hatte und mich an dem Gebirge in der Ferne, in der Nähe an den vielen Rehen ergößen konnte, welche überall aus dem Gehölz austraten mit wie ganz andern Gefühlen bin ich doch so oft von Dir des Abends weggefahren und geritten, meine liebe geliebte Sophie! In diesem Monate wird die Tante Zeil) hicher kommen, und dann werde ich nicht umhin können meinen Besuch zu wiederholen, was ich ohnehin schon versprechen mußte. Für Mütterchen bedaure ich recht, daß die Tante nicht nach dem Rheine gehen wird, da sie sich so sehr auf das Wiedersehen gefreut hatte.

Ich muß Dir doch auch noch sagen, daß ich die Bekanntschaft des Brentano gemacht habe, der die Märchen schreibt und das Buch über die Nonne in Dülmen herausgegeben hat. Ich habe mit ihm bei Phillips zu Mittag gegessen und mich über diese Bekanntschaft, sowohl seines Namens als auch besonders seines unglaublich reichen Wißes wegen gefreut, der ihn zu einem höchst angenehmen Gesellschafter macht. In der Art seines Wizes hat er sehr viel von Sonnenwalde2). Natürlich steht sowohl die Richtung als auch der innere Gehalt seines Wizes auf einer höhern Stufe. Uebrigens scheint er mir seine Zunge durchaus nicht ganz in der Hand zu haben, und ich konnte ihm die Bemerkung nicht unterdrücken, wie gefährlich eine so überreiche Gabe dieser Art doch ist. Man muß sich fest vornehmen, nichts übel aufzufassen, nichts miß

1) Therese Fürstin von Waldburg-Zeil geb. Freiin von Wenge, eine Schwester der Mutter des Bischofs.

2) Graf Solms-Sonnenwalde.

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