Immagini della pagina
PDF
ePub

Der Entkonfessionalisierung der jüdischen Gedankenwelt folgte nun ebenso wie anderswo das Eingehen der gesonderten jüdischen Kultureinrichtungen und der Eigenart der Lebensweise so bei den westeuropäischen Juden wie zum Teil auch bei den Juden Osteuropas. Wenn Rasse oder, psychologisch, seelisch bedingte Spezialveranlagung hier maßgebend gewesen wären, würde dieser Parallelismus unmöglich gewesen sein, und trotz des Verfalls des Glaubens müßte die altehrwürdige Autarkie bei der Judenschaft fortdauern.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann es plötzlich den verschiedensten Autoren aufzugehen, die bis nun als selbstverständlich aufgefaßte Kultursonderart der Juden sei eine Anomalie. Ein pseudonymer als Kosmopolit sich zeichnender Autor der Schrift „Über die physische und moralische Verfassung der Juden“ fand es als Anstoß erregend, daß die Juden in allen Stücken, Sprache, Kleidung, Religion und Lebensart; von den Christen in ständiger Absonderung leben. Mendelssohn klagte damals, daß das jüdische Sprachgemisch zur Unsittlichkeit des gemeinen Mannes beitrage. Dohm wollte im Jahre 1781 die Judengassen beseitigt sehen 1.

Es vollzog sich nun bald rasch eine Wandlung. Im Jahre 1786 konnte Moses Hirschel schreiben:,,Der Jude in den preuBischen Staaten spricht mit den Christen ein ziemlich reines und verständliches Deutsch, ein besseres Deutsch als der Christ aus dem Peuple. Auch der jüdische Jargon, der vormals zwischen Juden selbst herrschend war, verliert sich allmählich und wird noch zum Teil unter dem jüdischen Bas peuple gefunden." „Der größte Teil der Juden in den preußischen Staaten geht deutsch gekleidet "."

Der Aufklärer Josef II. griff damals in Österreich in die Kultur-Sonderart der Juden. Er hob zum ersten Male seit Jahrhunderten in Europa die Gleichwertigkeit der jüdischen Schrift auf, zwang die Juden, westeuropäische deutsche Schulen zu besuchen, nötigte sie zum Dienst in einem christlichen Heer. Franz I. annullierte im Jahre 1812 in jüdischer Schrift verfaßte Urkunden.

1 D(ohm): Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden 16. Berlin und Stuttgart 1781.

2 Hirschel: Apologie der Menschenrechte 43, 45. Zürich 1793.

Auch anderswo suchte der moderne Staat, den Prozeß der Auflösung der jüdischen Kulturart zu beschleunigen. In PreuBen wurde den Juden im Jahre 1812 das Recht als Inländer verliehen, unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie von ihrer besonderen Schrift in ihren Handelsbüchern sich lossagen.

II.

Die eigene Gerichtsbarkeit der Juden erhielt in der 2.Hälfte des 18. Jahrhunderts wie auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts überall in Europa ihr offizielles Ende.

In Preußen wurde durch das Generalprivileg vom Jahre 1750, dann 1776 die eigene Gerichtsbarkeit der Juden aufgehoben, doch erhielten sich Reste der Eigenjudikatur der Juden bis 1812. Die Richter hatten sich danach in Eheangelegenheiten, Testamenten usw. von Juden, nach den Vorschriften der Juden zu richten. M. Mendelssohn verfaßte zu diesem Zwecke „Ritualgesetze der Juden, betreffend Erbschaften, Vormundschaftssachen, Testamente, Ehesachen, insoweit sie das Mein und Dein angehen", es ward auch tatsächlich bemerkt, dies Buch soll dienen,,teils zum Gebrauche der christlichen Richter, die in den Fall kommen, Prozesse zu entscheiden, worin Mitglieder der jüdischen Nation Parteyen sind". Mendelssohn schrieb dieses Buch auf Ansuchen des damaligen Oberrabbiners von Berlin, Hirschel Lewin, der vom Hofe den Befehl bekam, die Ritualgesetze der Juden, betreffend Erbschaften, Testamente, Vormundschaften usw., in einem deutschen Auszug zu bringen und es dem königlichen Justizdepartement zu überreichen, in der Absicht, solchen bei Gerichtshöfen bei Entscheidung dahin einschlagender Streitfälle zwischen Juden und Juden als Richtschnur zu dienen.

Gegen das jähe Aufheben der jüdischen Gerichtsbarkeit in Preußen machten sich anfänglich welche Stimmen laut. Mendelssohn schrieb in seiner Vorrede zur Rettung Israels von Menasse ben Israel:,,Den Juden kann vergönnt werden, ihre Glieder unter sich durch freiwillige Verträge zu verbinden, ihre Händel nach eigenen Gesetzen und Rechten auseinanderzu

setzen und entscheiden zu lassen 1," allein vom Bann wollte er nichts wissen. Dagegen trat ein Anonymus (Kriegsrat Cranz? Berlin 1782) auf. „Inwiefern können Sie, mein lieber Herr Mendelssohn, bei dem Glauben Ihrer Väter belassen. wenn Sie das durch Moses gegebene, auf göttlicher Offenbarung beruhende Kirchenrecht bestreiten." Auch Dohm stand noch auf dem Standpunkte der jüdischen Sondergerichtsbarkeit, er hielt es für richtig, wenn man „,in allen Privatstreitigkeiten der Juden mit Juden ihren eigenen Richtern die Erkenntnis in erster Instanz" überlassen soll,,,dabey aber den Juden allenfalls erlaubte, auch bey den ordentlichen christlichen Richtern ihre Klage anzubringen“. „Auch dünkt mich, könnte man jüdischen Richtern wohl (wie im Anspach- und Baireytschen, im Elsaß und anderen Ländern geschieht) die Geschäfte der Notarien übertragen.“ „Wenn man ihnen (den Juden) einen vollkommenen Genuß der Rechte der Menschheit bewilligen will, so ist es notwendig, ihnen zu erlauben, daß sie nach diesen Gesetzen leben und gerichtet werden. Sie werden hierdurch von den übrigen Bürgern der Stadt nicht mehr getrennt sein als eine Stadt der Gemeinschaft, die nach besonderen Statuten lebt" 3.

Gegen die eigene Gerichtsbarkeit der Juden im Königreiche Polen trat im Jahre 1819 auf Friedländer, der Nachfolger Mendelssohns in der geistigen Führerschaft der deutschen Juden'.

Holdheim, der Schöpfer der jüdischen Reform in ihrer äußersten Gestalt in Deutschland, trat in Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1843 gegen die alte Praxis auf, daß Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten der Juden nach talmudischem Rechte geordnet wurden,,,weil man sonst dem religiösen Gewissen der Beteiligten einen ungebührlichen Zwang aufzuerlegen befürchtete". Holdheim drang darauf, diesen Zustand zu beenden ". Holdheim meinte, „durch die Unterwerfung der privatrechtlichen Verhältnisse der Juden unter das Landesgesetz und

[blocks in formation]

* Friedländer: Über die Verbesserung der Israeliten im Königreich Polen. Berlin 1819.

Holdheim: Ein Beitrag zur Verständigung über das Judentum betreffende Zeitfragen 1843, vgl. Ritter III, 93.

-schutz ist der Orientale zum Europäer, der Ausländer zum Inländer geworden".

In Altona war es ein neuzeitlicher Jude Moses Wessely, der im Jahre 1782 die schädlichen Folgen der jüdischen Rechtsautonomie hervorhob.

In Österreich enthielt das Patent des Aufklärungskaisers vom 27. Mai 1785 den Grundsatz, „daß alle Streitigkeiten der Juden sowohl mit Christen als unter sich... nach den allgemeinen Landesgesetzen von den allgemeinen Gerichtsbehörden abgehandelt und entschieden werden sollen", jüdische Gewohnheiten können gegen bestehende Gesetze keine Wirksamkeit haben. Paragraph 39 des allgemeinen österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuches enthält den Grundsatz,,,daß die Verschiedenheit der Religion auf die Privatrechte keinen Einfluß haben könne, außer insoferne dieses bei einigen Gegenständen durch die Gesetze besonders angeordnet ist". Gemeint ist mit dieser Ausnahme das Ehegesetz, das im alten Österreich konfessionell variierte. Nichtsdestoweniger erhielt sich noch lange das Judengericht in Österreich verschiedenorts. Der Prager Rabbiner, der im Jahre 1867 starb, hatte den Titel eines Oberjuristen. Im Jahre 1848 lautete der Vorschlag der Statthalterei in Prag: Unter die Agenden der Rabbinen gehöre auch die friedliche Ausgleichung der Zwistigkeiten in den ihnen zugewiesenen Gemeinden 1.

In Frankreich im Elsaß besaßen die Juden noch im Jahre 1781 das unbeschränkte Recht der ersten Instanz, wie dies Dohm berichtet. Napoleon richtete an das von ihm nach Paris einberufene Synedrion die Frage, ob die Juden verpflichtet sind, den Anordnungen des Code civil sich zu fügen, dann, welche polizeiliche und welche richterliche Gewalt die Rabbinen unter den Juden ausüben.

In Osteuropa wird das fakultative Entscheidungsrecht der Rabbinen in Streitfällen von den Juden jetzt, dank der zunehmenden Entkonfessionalisierung, bedeutend weniger in Anspruch genommen, als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Der besondere Judeneid, da Eide mehr als sonstiges mit der Religion verbunden sind, beharrte etwas länger im Abendland, aber wich auch. Der Judeneid bestand in Frankreich

1 Kohn 32.

vor manchem elsässischen Gericht bis zum Jahre 18391. In England weigerte sich im Jahre 1855 der ins Unterhaus gewählte Jude Salomons, den Eid anders als auf Judenart auf das Alte Testament zu leisten, er erklärte, den für andere ParLamentsmitglieder bindenden ,,Abjurationseid" auf den wahren Glauben eines Christen nicht ablegen zu können. Es wurde ihm auch dafür der Sitz entzogen. Beim Prozeß, der sich daraufhin vor dem Schatzkammergericht abspielte, berief sich das an den Judeneid sich klammernde mosaische M. of P. auf die Ansicht des Lordkanzlers von Georg II., die anläßlich eines Prozesses geäußert wurde, „daß ein Ungläubiger, Heide oder Götzendiener, Zeuge sein dürfe, wenn er nach der Gewohnheit und Sitte des Landes, in welchem er lebte, vereidigt worden ist 2“. In Hannover mußte noch im Jahre 1844,,der schwörende Jude bei der Eidesableistung Gebetriemen und -mantel anlegen, die Gesetzrolle in den Arm nehmen usw.". Auf der Braunschweiger Rabbinerkonferenz wurde dagegen protestiert, „daß wir für den jüdischen Eid nicht als zulässig erklären dürfen, was nicht auch analog bei den Bekennern anderer Religion ist“. In Galizien erschien noch im Jahre 1836 bei einem gerichtlichen Eid der Mann im Sterbemantel und Gebethülle, eine Frauensperson aber in den Kleidern, worin sie zum Versöhnungstag in der Synagoge zu erscheinen pflegt. Das 19. Jahrhundert brachte in den ersten Jahrzehnten seiner zweiten Hälfte allenthalben die Aufhebung des Judeneides.

Das gestörte Konnubium zwischen Juden und Christen suchte Napoleon durch gezwungenen Synedrialbeschluß wiederherzustellen. Jüdischerseits trat für Mischehen Holdheim ein. Anfangs meinten viele, die Mischehe werde eine Ausnahmeerscheinung bleiben oder gar unmöglich sein. Lueder schrieb: „Ihr sagt, wir wollen uns mit euch nicht durch Heirat verbinden. Wir werden die Frage umkehren: Ist nicht Abnei-, gung zwischen euch und uns wechselseitig ?" Treitschke empfand richtig die Religion als Hindernis der Mischehen und meinte:,,Mischehen zwischen Christen und ungetauften Juden werden nur immer seltene Ausnahmen bleiben, solange

[blocks in formation]
« IndietroContinua »