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Der von den Juden seit dem späteren Mittelalter in manchen mitteleuropäischen und dann auch osteuropäischen Staaten betriebene Wucher war, abgesehen von allen anderen Momenten, nie von der Ausdehnung, um eine Massenbewegung gegen die Juden erklären zu können. Immer war es ein kleinen Bruchteil der Juden, der sich selbst in der ärgsten Zeit mit dem Wucher in den betreffenden Ländern abgab. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, als noch die alte Wirtschaftsstruktur des deutschen Judentums fordauerte, schrieb ein deutscher Jude. „Aber hart, lieblos, grausam und ungerecht ist, alle Juden Wucherer und Betrüger zu nennen, weil es dann und wann einige wenige, und noch dazu halb gezwungen, Wucherer unter ihnen gibt". Nur sehr wenige gibt es", die sich in großen Städten von den Juden an Wucher bereichern 1.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Mittel- und Osteuropas, mit der Ermöglichung, daß die Juden den verschiedensten Berufen sich widmen, wurde im 19. Jahrhundert überall auch diese geringe Zahl der jüdischen Wucherer auch noch weiter reduziert. Der Haß der Außenwelt verringerte sich gar nicht bei diesem Rückgang des jüdischen Wuchers.

Die jüdischen Wucherer früherer Zeiten waren mit allen ihren Erträgen in einer sehr unsicheren Lage seitens ihrer christlichen Mitbürger und mußten bestrebt sein, durch hohe Zinsen gegen etwaige Verluste, die sich aus der damaligen Entrechtung der Juden ergaben, sich schadlos zu halten. Menasse ben Israel, der Tribun der holländischen Judenschaft, schreibt im 17. Jahrhundert, daß er auf seine Vorwürfe, die er einem polnischen Rabbiner machte, wegen der übermäßigen Zinsen, die die deutschen Juden nehmen, die Antwort bekam: „Wir sind gezwungen, es so zu machen, indem sie oft falsche Zeugen wider uns anstellen und so auf einmal mehr von uns haben, als wir von ihnen in vielen Jahren zu gewinnen imstande sind.“

Schließlich war der Wucher nie eine solche Judenspezialität, um den speziellen Judenhaß uns erklären zu können.

Wucher im Mittelalter trieben nicht nur Juden. Litten christliche Wucherer ebenso unter einer permanenten Entrechtung, die sich, wenn diese Wucherer einem fremden Volksstamme angehörten, auf ganze Völker ausdehnte? Bis zum 1 Moses Hirschel 109, 106.

11. Jahrhundert trieben in Deutschland die Mitglieder des Klerus Wucher, entstand daraus ein habitueller Haß? Was die italienischen Finanzleute an Gelderpressung im mittelalterlichen Europa im Wege des Wuchers anrichteten, ist kaum zu beschreiben. Gab es irgendwo Italienerpogrome? Ein kleines Bild von den Geschäften der Lombarden findet sich im Decamerone des Boccaccio. Es wird dort von drei Brüdern erzählt, die Florenz verließen, nach England gingen, in London ein kleines Haus mieteten, viel Aufwand machten und auf schweren Wucher liehen, wobei ihnen das Glück so günstig war, daß sie in wenigen Jahren einen ungeheueren Reichtum sammelten, dann zogen sie nach Florenz zurück. ,,Da sie noch immer in England Wucher trieben, so setzten sie dort ihren Neffen über ihre Geschäfte (1. Tag, 3. Erzählung)." Die Lombarden haben das Schicksal der Juden trotz des Wucherbetriebes nie mitgemacht. Im Gegenteil, die Lombarden nahmen gewöhnlich bei Vertreibung der Juden deren Platz ein und setzten das Wucherhandwerk fort, ohne im geringsten behelligt zu werden. Der christliche Judenhistoriker G. B. Depping 1 berichtet: „Die Lombarden ermangelten nicht, die Vertreibung der Juden, ihrer Gewerbsgenossen, zu benützen, um sich an ihre Stelle zu setzen und nun allein ihre Geldgeschäfte zu treiben. Sie erhielten Privilegien in mehreren Städten Frankreichs. Ihre Vorgänger hatten den Wucher nicht höher getrieben." „Die Florentiner, Luccheser, Genueser, Piemonteser bildeten in Lyon Korporationen, und mehr als die Juden haben sie ihren Aufenthalt daselbst durch große und prächtige Gebäude bezeichnet," und doch gab dies keinen Anlaß zu Verfolgungen.,,Wahr ist es, daß die Christen weniger mit Haß erfüllt wurden, wenn die italienischen Kaufleute, ihren Reichtum zur Schau trugen, als den von jüdischen Spekulanten entwickelten Luxus." R. Josef Kimchi im 13. Jahrhundert bemerkte auf den Vorwurf, daß die Juden Wucher treiben, es machen dies auch zahlreiche Christen, und das den eigenen Glaubensbrüdern gegenüber, was bei den Juden untereinander nie der Fall ist.

Die Lombarden und andere Wucherer christlichen Bekenntnisses trieben es unverschämt frech, ohne eine Belästigung zu befürchten. Einsichtige Christen sahen sich frühzeitig veranlaßt, die christliche Bevölkerung zu warnen, die Juden nicht 1 G. B. Depping: Die Juden im Mittelalter 251, Stuttgart 1834.

aus dem Land zu treiben, damit nicht christliche Wucherer an deren Stelle ihr Unwesen viel ärger treiben. Das Geldleihewesen als solches ist ein notwendiges, unabkömmliches Element des Wirtschaftslebens, das in den Händen irgendwelcher Men schengruppe sich befinden muß. Bernhard von Clairvaux er mahnte in seinem Aufruf zum Kreuzzuge, die Juden nicht zu verfolgen und nicht zu töten, noch zu vertreiben, wo sie nicht wären, trieben es die christlichen Wucherer noch viel schlimmer 1.

Bei Beurteilung der rücksichtslos wuchernden, dennoch rücksichtsvoll behandelten Christen und der wuchernden Juden, für deren Sünden die Gesamtheit büßen soll, gab es immer zweierlei Maß, es betont Hirschel dies im 18. Jahrhundert: „Jüdische Wucherer gehen hier immer ins kleine, die (christlichen) hingegen ins große. Die jüdischen Wucherer werden in den Journalen ausposaunt und namentlich angeführt, und das von Rechtswegen. Die christlichen Wucherer werden entweder gar verschwiegen oder höchstens ihre Anfangsbuchstaben genannt, und das ist unrecht. Der Wucherer, er sei Christ oder Jude, adelich oder unadelich, verdient keine Schonung.“

Im neueren Rußland gab es ganze russische Gouvernements, wo von Juden keine Spur vorhanden war und auf dem Lande immens reiche christliche Wucherer, Kulaki genannt, wie ein Alp die Bevölkerung drückten und sie aussogen, von Gewalttätigkeiten, Pogroms, Metzeleien, Plünderungen gegen dieselben hörte man noch nie. Dagegen litten unter der Wut der russischen Christen immer arme jüdische Krämer, Handwerker und Arbeiter. Die wenigen Juden, die als Wucherer sich bereicherten, blieben bei Pogroms gewöhnlich gerade dank ihrer geachteten Vermögensposition vom Treiben des Janhagels am wenigsten berührt.

In Italien, hauptsächlich in dessen südlicher Hälfte, gibt es noch heute ebenso zahlreiche gutchristliche, einheimische Wucherer, hat der Unwille der ausgesogenen gegen sie je im entferntesten eine Bewegung heraufbeschworen, die an die Hetzen des Antisemitismus erinnern sollte? Hat es dort auch je blutige Wuchererexzesse gegeben? Hat das südliche Italien

1 ,,non sunt perserquendi Judaei, non sunt trucidandi, sed nec effugandi quidem, taceo quod sicubi desunt, peius iudaizare dolemus christianos feneratores".

• Hirschel 147.

und die iberische Halbinsel, die der Juden im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts los wurden, gegen deren wirtschaftliche Nachfolger je nur den bloßen Schatten des früheren, antijüdischen Systems fortgesetzt?

In Zentralasien geben sich mit dem lukrativen Geschäft des Geldwechselns und des Wuchers ausschließlich die Hindustaner ab, während der Jude dort seine Existenz vom mühsamen Handwerke der Seidenfärberei fristet 1; ist dort der Jude etwa beliebt, und bestehen dort vielleicht Hetzen gegen die Hindustaner?

1 Wahrmund: Nomaden 140.

VIERZEHNTES KAPITEL.

Diverse wirtschaftliche Motive des

Judenhasses.

I.

Es gibt Gegner des Judentums, die ihren Haß gegen das jüdische Volk durch das Moment des Parasitentums zu erklären bestrebt sind. Die Juden führen am Körper der europäischen Völker, abgesehen von allen Wuchervorwürfen, ein parasitäres Dasein als vom Mehrwert lebende Händler und daher mußten sie oft auch gewaltsam als Schmarotzergruppe ausgestoßen werden.

Diese Explikation des Judenhasses läßt vieles zu wünschen übrig. Das Handelsmoment kann uns die antiken und auch frühmittelalterlichen Verfolgungen der Juden, als sie noch auf eigener Scholle lebten oder im Ausland nur als Handwerker sich betätigten, nicht verständlich machen. Dann ist der Handel keineswegs wissenschaftlich als etwas Parasitäres belegt. Bloß die Physiokraten glauben an eine Unproduktivität des Handels, dagegen die merkantilistische Schule huldigte einer ganz andern Anschauung von der Bedeutung des Kommerzwesens für die Volkswirtschaft.

Die Juden wurden im Mittelalter und auch oft später nicht selten gerade unter dem Gesichtswinkel des Handels begünstigt. Wir wissen, daß im Mittelalter die Juden von besorglichen Stadtgemeinden zwecks Belebung der Volkswirtschaft, wegen Befruchtung und Förderung der ökonomischen Entwicklung zuweilen herangezogen wurden, und daß die Verjagung der

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