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unbekümmert um alle Phrasen von Rasse, von manchesterlichjüdisch-amerikanischer Weltanschauung, von Wucher und Ausbeutung und sekundärer Arbeitsleistung, die bei manchen Intellektuellen der Jetztzeit so beliebt sind.

Der Magnus parens des Judenhasses in Deutschland, der seit 1878 gegen das Judentum Sturm rannte, war ein protestantischer Geistlicher, der Hofprediger Adolf Stöcker, der seinem konfessionellen Gegensatz eine zeitgemäße Etikette zu geben bestrebt war und die Juden ähnlich wie man es im Mittelalter für die Pest oder den Seesturm zu tun pflegte für alle wirtschaftlichen Schäden der modernen Gesellschaft und auch den Sozialismus verantwortlich machte. Im alten Österreich waren durch Jahrzehnte die hauptsächlichsten Träger des Antisemitismus die Christlichsozialen. In Frankreich standen an der Spitze der Dreyfußhetze die kirchlich rückständigen Royalisten. In Rußland war es der heilige Synod, der als Agitationszentrum für den Judenhaß und Judenpogrome in den letzten Jahrzehnten wirksam war.

Im Volksbewußtsein lebt noch gegenwärtig auch in Deutschland der Judenhaß als Religionshaß1. Eugen Dühring, der blinde Rassenhasser des Judentums, führte darüber Klage, daß sowohl früher wie heute ,,der Gegensatz gegen die Judenrasse durch christliche Schlagworte und namentlich durch die falsche Entgegensetzung von Christ und Jude anstatt von Arier und Jude abgestumpft ist“?.

Gebildete, religiös gleichgültige Einzelpersonen auch von hervorragender Bedeutung, die den Juden nicht gewogen sind und sogar aktiv am modernen Antisemitismus arbeiten, ihn mit allerhand profanen Kommentaren versehend, gibt es gewiß keine geringe Zahl. Doch einzelne besagen für die Regel so gut wie nichts, können diese auch Voltaire, Schopenhauer und Gott weiß wie noch heißen. „Jura non in singulas personas, sed generaliter constituuntur," sagte der große Rechtslehrer der Antike, Ulpian 3.

Beim Judenhaß der gebildeten Einzelnen kommt das Gesetz der geschichtlichen Beharrlichkeit theoretisch überwundener

1 Menzinger: Friede der Judenfrage 91.

2 Dühring: Der Ersatz der Religion 28.

3

Ulpianus: Fragmenta quae in primum digestorum librum migrarunt, Titulus III, 1. Erlangen 1881.

Gefühle in Betracht. Es gibt im Seelenleben, in der Tätigkeit des Instinkts, in den mechanisierten, routinierten Empfindungen und Handlungen der Menschen zahlreiche Erscheinungen, die keinen gegenwärtigen, faktisch vorhandenen, in aktuellen Gedanker. verankerten Grund haben und sich dem Psychologen als automatisch fortdauernde Wirkung längst entschwundener Motive entpuppen.

Das Trägheitsgesetz läßt sich allenthalben gerade wie in der Mechanik und auf dem organischen Gebiete, auch in der psychischen Welt erweisen. Diese Trägheitsnorm ist es auch, die den Judenhaß bei nicht wenigen Intellektuellen konserviert.

Die Suggestivkraft eines mehrere Jahrtausende bestehenden Gegensatzes kann nicht durch Wegfallen der Motive bei allem und jedem aus der Weltgeschichte geschafft werden. Um so weniger als die gesamte ältere Literatur der modernen Nationen religiösen Charakter trägt, die für das Volk vorbildlich ist, die Jugend noch heute zumeist von religiösen konfessionell gesinnten Eltern erzogen wird, mit geringen Ausnahmen überall einen konfessionellen Unterricht nach mittelalterlicher Art in Religionssachen genießt und erst im reiferen Alter sich geistig emanzipiert. Die Gefühle halten dem gedanklichen Fortschritt bei weitem nicht Schritt. Treitschke bemerkte mit Recht: „Aber ganz unzweifelhaft sind wir Deutschen ein christliches Volk..., christliche Gedanken befruchteten unsere Wissenschaft; christlicher Geist lebt in allen gesunden Institutionen unseres Staates und unserer Gesellschaft." „,Selbst der Unglaube, sobald er nicht in frivole Spötterei ausartet, vermag nicht den Boden des Christentums ganz zu verlassen 1". Auch Gerhart Hauptmann äußert sich einmal über den ,,christlich erzogenen Menschen", wenn er auch dann ungläubig wurde,,,mittels peripherischen Sehens er doch immer auf die Gestalt des Heilands treffen muß “.

Aversive Empfindungen der Jugendzeit, Reminiszenzen des Kindheitsalters vermögen bis in das späteste Alter im Unterbewußtsein ihre Wirksamkeit festsetzen, wenn auch diese mit den im Oberbewußtsein sich befindenden freimenschlichen, weitherzigen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Ideen nicht vereinbar sind.

Der Judenhaß der Gebildeten hat nichts mit gebildeten

1 Treitschke 23.

2 Gerhart Hauptmann: Griechischer Frühling 155, Berlin 1909.

Motiven zu schaffen und wurzelt in seinem Wesen gerade wie die Verfolgungswut des dunklen Mittelalters, der rohen Plebs, des schwarzen Klerus im Konfessionalismus. Kern und Schale, tatsächlicher Grund und Etikette, ursprüngliche Movens und Erklärung a posteriori müssen geschieden werden.

Kulturgeschichtliche Psychoanalyse ist dringende Notwendigkeit, um die Massenempfindungen, Sym- und Antipathien der großen Menge und deren Fortwirken in Einzelköpfen zu verstehen.

Das,,Cognosce te ipsum" des Kollektivmenschen ist noch immer trotz aller leider recht wenigen Versuche ein Innerafrika der Forschung, ein Urwald, an dessen Rändern höchstens gestreift wurde.

Der moderne Judenhaß ist kein Gegenbeweis gegen den konfessionellen Ursprung desselben.

Der neuzeitliche gelehrte Antisemitismus ist ein Schulbeispiel für die rudimentäre Fortdauer von Wirkungen überwundener Geschichtsfaktoren.

Die wirtschaftlichen und rassentheoretischen Erklärungen des Judenhasses traten erst zutage, als die religiöse Motivation an Kraft verlor, jedoch das durch sie früher erzeugte Gefühl nicht weichen wollte. Das menschliche Fühlen kann dem Flug des Denkens lange nicht genau folgen.

Es bemerkte dies Mendelssohn: „Merkwürdig ist es zu sehen, daß das Vorurteil die Gestalten aller Jahrhunderte annimmt, uns zu unterdrücken. In jenen abergläubischen Zeiten waren Heiligtümer, die wir aus Mutwillen schänden, Kruzifixe, die wir durchstechen und blutig machen, Kinder, die wir heimlich beschneiden und zur Augenweide zerfetzen; Christenblut, das wir zur Osterfeier brauchen, Brunnen, die wir vergiften; Unglaube, Verstocktheit, geheime Künste und Teufeleien, die uns vorgeworfen, um derentwillen wir gemartert, unseres Vermögens beraubt, in Elend gestürzt, wo gar nicht hingerichtet wurden. — Jetzt haben sich die Zeiten geändert, die Verleumdungen machen den erwünschten Eindruck nicht. Jetzt ist es gerade Aberglaube und Dummheit, die uns vorgeworfen werden: Mangel an moralischem Gefühl, Geschmack und feinen Sitten, Unfähigkeit zu Künsten, Wissenschaften und nützlichen Gewerben, hauptsächlich zu Diensten des Krieges und des Staates, unüberwindliche Neigung zu Betrug, Wucher und Gesetzlosigkeit.“

ACHTZEHNTES KAPITEL.

Das Fortfallen der Religionsverschiedenheit und der Judenhaß.

I.

Wenn der Judenhaß durch die Religionsverschiedenheit bedingt ist, im konfessionellen Gegensatz wurzelt, dann müßte mit Wegfallen der Glaubensverschiedenheit, durch Annahme der Religion der unterdrückenden Mehrheit auch der die Juden verfolgende Haß das Feld räumen.

Eduard Hartmann meint: „Die Tatsache, daß die Volksantipathie gegen die Juden durch die Taufe wenig alteriert wird, so daß sie sich sogar auf Mischlinge getaufter Eltern überträgt, ist der sicherste Beweis von der Unhaltbarkeit der christlich-orthodoxen Meinung, die Judenfrage als rein religiöse Frage zu behandeln und zu tun, ob mit dem Übertritt aller Juden zum Christentum die Judenfrage aus der Welt mit einem Male geschafft sein werde." Hartmann möchte ein Kompromiß:,,Es ist ebenso einseitig die religiöse Differenz zur alleinigen aufzubauschen, wie deren Bedeutung als mitwirkenden Faktor ganz zu leugnen.“

Halbheiten sind nichtssagend. Jede Erscheinung hat nur eine grundlegende Ursache. Alles andere hat nur akzessorischen Wert.

Für unsere Frage kommen keine ideologischen privaten Anti- und Sympathiespielereien in Frage. Hier gilt das Problem des angewandten Hasses. Hier hat die Wirklichkeit in konkreter, sichtbarer Gestalt das Wort. Es gilt zu entscheiden, ob die Leiden, Ausschließungen, Verfolgungen, der gesellschaftliche Boykott, die den Juden das Leben oft so sauer machen, an der Heterogenität des Glaubens hängen und mit dem Reli

gionswechsel verschwinden, oder ob zur Beseitigung dieser Leiden das Weichen eines anderen Moments, z. B. einer Umgruppierung der Wirtschaftslage, notwendig sei, oder ob an der Rasse das Schmerzensschicksal festverankert sei und kein Akt dem somatisch bedingten Joche der Unterdrückung ein Ende machen kann.

Es ist nicht viel Spähen in der Vergangenheit wie auch kein Übermaß an Spüren in der Gegenwart erforderlich, um sich zu überzeugen, daß durch Religionswechsel der Jude den praktischen Formen des ihn verfolgenden Hasses immer entgehen konnte und kann. Religiöser Übertritt befreite immer überall von den Sondergesetzen, Austreibungen und Verfolgungen. Dies wurde sogar bei Ausweisung sämtlicher Juden aus den verschiedensten Ländern, sowohl im Altertum wie im Mittelalter, speziell betont. Es verflog sich aller Druck, obwohl ein Rütteln an den bisherigen sozialen, wirtschaftlichen oder stammesgeschichtlichen Verhältnissen der Überläufer mit dem Austritt aus dem Judentum keineswegs erfolgte.

Die Zauberwirkung des Religionswechsels sehen wir bereits bei der Judenverfolgung Antiochos Epiphanes'. Im judenhasserischen Alexandrien konnte ein jüdischer Überläufer zum Polytheismus sogar Präfekt werden, so Tiberius Alexander. Die Griechen forderten in hellenistischer Zeit als Voraussetzung des Bürgerrechts das Verehren derselben Götter1.

Im alten Rom, als nach dem Senatsbeschlusse vom Jahre 19 n. Chr. unter Tiberius den Juden und den Proselyten der Befehl erteilt wurde, Rom zu verlassen, wurde ausdrücklich bemerkt, daß jene, die die Religion des Judentums aufgeben, weiterhin in Rom bleiben dürfen.,,Cederent Italia, nisi certam ante diem profanos ritus exuissent."

Die Fahnenflüchtigen wurden in der Antike oft geradezu bevorzugt, wurden nach dem Midrasch oft zu hohen römischen Beamten ernannt.

Auch im Mittelalter sehen wir bei allen Verfolgungen der Juden die getauften davon eximiert. Um ein Beispiel von vielen anzuführen: Bei der Vertreibung der Juden aus Frankreich im Jahre 1182 wurden ausdrücklich jene, die sich tauften, zurück

1 Josephus: Antt. XII, 3.

2 Tacitus: Annales II.

Hohelied Rabba VII, 2.

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