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NEUNZEHNTES KAPITEL.

Jüdischer Glaube und jüdischer
Nationalismus.

I.

Kann die jüdische Glaubensgemeinschaft ohne weiteres mit allen anderen Konfessionen in Parallele gebracht und aus ihrer religiösen Art allein der sie durch Jahrtausende verfolgende Haß erklärt werden? Hat nicht ihre Religion ein besonderes, nirgends sonst bei höheren Religionen nachweisbares Gepräge einer politischen Gemeinschaft, ist nicht im Grunde das Judentum eine Volkseinheit mit konfessioneller Etikette? Erklärte nicht bereits Herder das Judentum für eine Nation, die ein fremdes Landesgesetz konserviert. „Das Volk der Juden bleibt auch hier in Europa, in unserem Weltteil ein fremdes asiatisches Volk, an ein altes, unter einem fremden Himmelsstrich gegebenes Gesetz gebunden 1." So bemerkte auch Schopenhauer hinsichtlich der Religion der Juden, sie sei von Haus aus „,mit ihrem Staat verschmolzen, und ist keineswegs die Hauptsache, vielmehr das Band, welches sie zusammenhält, der Point de ralliement und das Feldzeichen, daran sie sich erkennen 2“. Auch Eduard Hartmann meint:,,Nicht als religiöse Glaubensund Sittenlehre, sondern durch die Verquickung religiöser und nationaler Wünsche, Gefühle und Hoffnungen wird die jüdische Religion (abgesehen von den religiösen Bräuchen) zur trennenden Schranke zwischen Juden und Christen.",,Den Juden fehlt nur der jüdische Staat mit dem jüdischen Landesgebiet, um in demselben Sinne eine Nationalität zu repräsentieren wie die Italiener oder Franzosen." „Das (von der Religion kon1 Herder: Bekehrung der Juden. Abschnitt VII. Schopenhauer: Parerga. Zur Rechtslehre und Politik.

servierte) jüdische Stammesgefühl kollidiert mit dem Nationalgefühl der Wirtsvölker, die nationale Beschränktheit' der jüdischen Religion ist der Friedensstörer zwischen seinen Bekennern und aller Welt1." Ebenso behauptet der Historiker Heinrich Treitschke :,,Das Judentum bewegte sich seit der Zerstreuung über die Welt in einem unlösbaren Widerspruche, es erlag einem tragischen Schicksal einer Nation, ohne Staat," das Judentum beanspruchte immer ,,eine streng gesonderte Nation zu sein", und dabei wollte es,,unter dem Schutze abendländischer Gesetze leben". „Eine solche Haltung steht aber in so schneidendem Gegensatz zu den harten Notwendigkeiten der Staatseinheit, daß sie stets neue Kämpfe hervorrufen mußte.“

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Chamberlain, der Theoretiker des Antisemitismus, lehrt:,,Der jüdische Gottesglaube sei ein Teil des jüdischen Nationalgedankens.“ „Andere . . . reden von Religion, es handelt sich lediglich um religiöse Differenzen. Wer das sagt, übersieht, daß es keine jüdische Religion gäbe, wenn keine jüdische Nation existiere. Diese existiert aber. Die jüdische Nomokratie (d. h. Herrschaft des Gesetzes) vereinigt die Juden, zerstreut wie sie auch sein mögen, über alle Länder der Welt, zu einem einheitlichen, festen, durchaus politischen Gebilde, in welchem die Gemeinsamkeit des Blutes die Gemeinsamkeit der Vergangenheit bezeugt.“ „Der Nationalgedanke gipfelt in der unerschütterlichen Hoffnung auf die von Jahwe verheißene Weltherrschaft der Juden." Chamberlain verspürt zwar, daß es um die Gemeinsamkeit des Blutes bei den Juden doch nicht so ganz richtig bestellt ist, dennoch schreibt er: „Wenn auch manche Elemente nicht im engeren Sinne des Wortes rein jüdisch sind, so ist es doch die Macht dieses Blutes, verbunden mit der unvergleichlichen Macht der jüdischen Idee, so groß, daß diese fremden Bestandteile schon längst assimiliert wurden 3.“

Der oberflächliche Otto Henne am Rhyn erklärt: „Die Juden sind das einzig bestehende Volk, bei dem Religion und Nationalität zusammenfallen, ein Jude von Religion kann nur ein Jude von Abstammung sein."

1 Hartmann 7, 47, 59.

2 Treitschke 10.

* Chamberlain: Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts 327 f., München 1903. Otto Henne am Rhyn: Kulturgeschichte des Judentums VII, 1880.

Wahr ist es, die Juden fühlten sich immer als Nation und galten auch als solche, wenn es dabei auch zuweilen Miẞtöne gab. R. Josef Albo, ein jüdischer, hebräisch schreibender Denker des 15. Jahrhunderts, der betont, daß Israel fortdauert, obwohl alle anderen alten Nationen untergingen, bemerkte jedoch dabei sonderbarerweise, daß die Bekenner des Mosaismus nur darum Juden heißen, weil die ersten, die den Glauben des Mosaismus besaßen, jüdischen Stammes waren, ähnlich heißen die Christen Römer und die Muslims Ismaeliten 1.

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Im 16. Jahrhundert werden die Vertreter der Marranen in Rom, die dort wegen eines Generalpardons verhandelten, Repräsentanten der „jüdischen Nation" betitelt. Voltaire bemerkte, daß das Beharren der Juden seit dem Altertum bei ihren alten Bräuchen seine Analogie bei den Arabern, Agyptern, Kopten und Persern hat. Auf der französischen Nationalversammlung sah sich Clermont Tonnerre am 23. Dezember 1790 den Vorschlag zu machen veranlaßt, daß man den Juden ,,als Individuen Rechte einräumt, jedoch als einheitlichem Nationalkörper müsse man ihnen alles verweigern, weil es nicht eine gesonderte Nation innerhalb einer Nation geben könne "". Als „Nation" galten die Juden im preußischen Edikt vom 20. Oktober 17865, so auch in zeitgenössischen österreichischen Erlässen. Die Juden selber sprechen von ihren Gemeinden um diese Zeit als Kolonien. So war in der Promemoria der jüdischen Gemeinden vom 17. Mai 1787 die Rede von den politischen Zuständen der sämtlichen jüdischen Kolonien in den preußischen Staaten. Friedländer schrieb noch im Jahre 1793 Aktenstücke, betreffend die Reform der jüdischen Kolonien in den preußischen Staaten, Berlin 1793, wo er auch den Ausdruck ,,Nation" für die Juden gebraucht. Isaak Ber-Bing, Metz, in seiner Bittschrift an die französische Nationalversammlung erwähnt ebenso die,,jüdischen Kolonien", wie es zu ersehen ist aus der Sammlung der Schriften an die Nationalversammlung, die Juden betreffend Berlin 1789.

1 R. Josef Albo: Jkkakim XLII, 4.

Kayserling 242.

Voltaire: Le Viellard du Mont Caucase aux Juifs 48, Rotterdam 1777.
Grätz: Geschichte der Juden XI, 209.

Б Anonymus: Annalen der Juden in den preussischen Staaten, besonders in der Mark Brandenburg, Berlin 1790.

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Jsmar Freund: Die Emanzipation der Juden in Preußen 37. Berlin 1912.

In der neuesten Zeit gibt es eine große Bewegung im europäischen Judentum für eine Anerkennung der jüdischen Nation. Einer der hauptsächlichsten Anreger dieses jüdischen Neonationalismus war Moses Heß vor zirka 60 Jahren. Es wirkten daneben auch andere zu jener Zeit. Ein gewisser Wechsler schrieb im Jahre 1860 in dem Novemberheft der Zeitschrift des Israelitischen Volkslehrers:,,Diesen Bann gegen den Ausdruck Volk Israel in Beziehung auf die Gegenwart kann ich nicht mitmachen, wir sind tatsächlich die Residua des jüdischen Volkes, geeinigt nicht bloß als Glaubensgemeinschaft, sondern auch durch Abstammung."

II.

Gesetzt den Fall, die Juden als politisch-konfessionelle Gemeinschaft besäßen eine religionsgeschichtliche Ausnahmsstellung, auch dann müßte man den Haß auf das Konto der religiösen und nicht der politisch-nationalen Verschiedenheit buchen, da allenthalben in der Welt nur im Gefolge einer religiösen und nicht einer nationalen Heterogenität dauernde Abneigung, eine gesellschaftliche Ächtung, Verfolgungen und Austreibungen, Massenmetzeleien und Auto da fés bestehen. Nationale Minderheiten leiden hier und da unter sprachlich-politischer Entrechtung, aber nirgends, auch bei größter Zähigkeit, dauernd unter einer bürgerlichen, persönlich-rechtlichen Knechtung, werden keinesorts durch Jahrhunderte, durch Jahrtausende außerhalb des Gesetzes der sonstigen Staatsgenossen gestellt. Es wohnen slawische Minderheiten unter Deutschen (Lausitzer, Wenden, Serben, polnische Arbeiter in Westphalen, Slowenen in Kärnten, Tschechen im Erzgebirge) und Romanen, (die Slawen im Venetischen wie auch in der Bukowina), es wohnen germanische Minderheiten unter Slawen (die deutschen Kolonien in Polen und Rußland) und Romanen (die Lothringer Deutschen, die Zimbren in Norditalien, die deutschen Ansiedlungen in Südamerika), unter Ugrofinnen (die deutschen Siedlungen in Ungarn und Estland, die Schweden in Finnland) und Semiten (die deutschen Kolonien in Palästina), zu keiner Zeit erfahren wir, daß diesen nationalen Minoritäten dauernd welches Unrecht widerfahren wäre und sie besonderen Quälerein, einem unablässig das Leben verbitternden Hasse ausgesetzt wären.

Jedoch muß bemerkt werden, der Gedanke von der politischen Ausnahmsstellung der jüdischen Religionsgemeinschaft beruht auf Unkenntnis der Ethnographie seitens der Intellektuellen. Das Judentum ist keine Sondererscheinung, die im Gegensatz zu allen anderen Konfessionen stehen sollte. Das Judentum besitzt nicht mehr politisch-nationalen Charakter als alle anderen Glaubensgemeinschaften. Die jüdische Glaubensgemeinschaft mag in ihren Ursprüngen einen besonderen ethnischen Ausgangspunkt besessen haben und noch heute in ansehnlichem Maße eines Stammes sein; unter dem Gesichtswinkel der Religions- und Kulturgeschichte stellt sie jedoch eine Gruppe dar, die einzig und allein konfessionshistorischen Gesetzen unterworfen ist und in keinem Zuge anders, als alle anderen Religionsgruppen ihr Kollektivdasein gestaltet.

Religion ist überall, geradeso wie Sprache und oft noch viel stärker als diese, ein gemeinschaftsbildender Faktor. Theodor Reinach bemerkt:,,De tout temps le sentiment religieux a pris une si grande place dans l'âme humaine, que les hommes qui professaient une même religion se sont senti une parenté plus prochaine entre eux qu'avec le reste de genre humain." Der Soziologe Georg Simmel spricht von der ,,Macht des religiösen Motivs“, „die Gleichgläubigen über alle Verschiedenheiten ihrer sonstigen Bindungen hinweg zusammenzuschließen". Daß die Zusammenexistenz, das Teilen der Lebensinteressen mit Menschen nicht möglich ist, mit denen man den Glauben nicht teilt, ist völlig begreiflich; dem tiefberechtigten Bedürfnis solcher Einheit ist in der ganzen antiken semitischen wie griechisch-römischen Welt sozusagen a priori genügt worden, indem die Religion sich als Stammes-, oder Staatsangelegenheit erhob, den Gott mit den Interessen der politischen Gruppe verschmolz 1".

Nach Max Müller können Stämme ohne das Band einer höheren Religion sich zu keiner nationalen Einheit zusammenschließen. Die nordamerikanischen Indianer,,blieben bloß Stämme und wandernde Züge, selbst bei ihren Antagonismen gegen fremde Eindringlinge, es entwickelte sich bei ihnen nie das Gefühl einer nationalen Zusammengehörigkeit, weil ihnen das Gefühl einer höheren Einheit fehlte, welche durch die Verehrung desselben Gottes oder derselben Götter hervorgerufen 1 Georg Simmel: Soziologie 427, Leipzig 1908.

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