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während sie selber ein aus der Erde dringender Schrei des Blutes von Hunderttausenden sind."

In mittelalterlichen Responsen der Rabbinen kommen oft Rechtsfälle zur Frage, wo das Thema fürchterlich für die damaligen Verhältnisse der Juden bezeichnend ist: Bei R. Ascher im 14. Jahrhundert wird z. B. erörtert der Fall, wo ein Jude von Christen erhenkt wurde, was sein Bruder in ritualistischer Hinsicht machen soll1. Bei einer Judenschlächterei wurde ein jüdischer Priester samt Frau zur Taufe genötigt, wie ist es um die Weihe? Gelten Juden, deren Taufe erzwungen wurde, als Abtrünnige 3. Israel Bruno im 15. Jahrhundert behandelt: Wie steht es bei Verleumdungen von Juden, die Lebensgefahr oder schwere Leibesstrafen nach sich ziehen, um einen Eid.

Die jüdische Ethik wird wegen absoluter Lappalien angerempelt. - Wie ist es aber um die als universal gepriesene christliche Ethik bestellt? Gilt es hier, die Nichtchristen oder bloß die Ketzer seien gleich den eigenen Glaubensgenossen human, gerecht und liebevoll zu behandeln?

Die rachsüchtigen Quälereien und Bestrafungen aller möglichen Ketzer, die Verfolgungen und Einschränkungen der Heiden, Juden, Muslims, Manichäer u. dgl. bilden einen grausigen Abschnitt in der Geschichte der Menschheit. Wo war hier allgemein menschliche christliche Liebe tätig? Die allerhand Konzilbeschlüsse, päpstliche Dekretalien, die den Häretikern und Nichtchristen das Leben unmöglich machten, stellen diese nicht eine tausendfache Übertrumpfung aller jenen goimfeindlichen Aussprüche, die an manchen wenigen Stellen des Talmud äußerst selten vorkommen.

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Das Wort,,goi“ ,,Volk" an und für sich enthält nichts Fremdenfeindliches. Auch die Christen bedienten sich in alter Zeit des Wortes,,goi“ in lateinischer bzw. griechischer Übersetzung zur Bezeichnung von Heiden. Tertullian, der schrieb adversus gentes = gegen die Völker, meinte die,,goim"- Heiden, ebenso diente zum selben Ziele bei den griechisch schreibenden Kirchenvätern der Terminus ethnos. Aus gentes-goim entstand das Adjektiv gentilis.

1 R. Ascher: Responsen Klal XXVII, 8.

2 lb. XXIX.

3 Ib. XXXII, 4.

4 R. Israel Bruno: Responsen No. 120.

Die christlichen Erlässe und Urteile von Kirchenautoren gegen die Nichtchristen betrafen nicht nur die Züchtigung von Abtrünnigen und Andersgläubigen, sondern hatten auch oft eine umgestaltende Wirkung auf die Rechtsprinzipien überhaupt. Hierher gehört vor allem die Restriktion des Verbots des Wuchernehmens seitens Christen nur auf christliche Schuldner.

Das jüdische Privateigentum wurde offiziell von christlichen Theoretikern als vogelfrei dekretiert.

Der große Kirchenphilosoph Thomas von Aquino erklärte, den Fürsten sei gestattet, das Vermögen den Juden wegzunehmen, da diese ja der ständigen Sklaverei ergeben sind (. . . Judaei . . . essent perpertuae servituti addicti et si eorum res, terrarum domini possint accipere tamquam suas). Diesem Raube durch die Landesfürsten setzt er dahin eine Grenze, es müsse den Juden so viel zurückgelassen werden, als sie für das Allernotwendigste brauchen (hoc tamen servato moderamine, ut necessaria vitae subsidia eis nullatenus subtrahantur)1.

Auch das kanonische Corpus juris enthält mehrere juridische Punkte, die die Gültigkeit gewisser ethischer Grundsätze nur auf Christen einschränken. Die Exkommunikation trifft nach diesem Rechtsbuche der Kirche Seeräuber, nur wenn sie Christen, die zur See fahren, fangen oder ausrauben, dergleichen sind es nur Christen, die Schiffbruch gelitten haben, wenn sie ausgeplündert wurden, um derentwillen die Räuber der Exkommunikation verfallen 2.

Das Corpus juris can. kennt Fälle, in welchen der Eid Andersgläubigen gegenüber nicht verbindlich ist. Unter diesem Gesichtswinkel wurde Huß wider das Versprechen verbrannt und auch der im Jahre 1444 zwischen Polen-Ungarn und der Türkei geschlossene Vertrag gebrochen.

Der Bischof von Simanca erklärte den Eid für unverbindlich, wenn es sich um Ketzer handelte.,,Zur Strafe und zum Hasse der Ketzer gehört auch noch, daß man ihnen das gegebene Wort nicht halten muß." Er rechtfertigt in weiterem Verlauf die Verbrennung von Huß, obwohl man ihm Sicherheit

Thomas Aquinatus: De Regimine Judaeorum ad Ducissam Brabantiae opusc. XXI, 620, Venet. 1754.

Corpus jur. can. Decret. Gregorii 1. V. tit. XVII c. 3 vgl. Kopp: Zur Judenfrage 91.

Ib. lib. II tit. XXIV c. XXVII vgl. Kopp 126.

versprochen hätte (Tit. XLVI 52). Er schreibt ferner in Nr. 53

Katholiken dürfen mit Ketzern keinen Verkehr, noch irgendeinen Frieden haben, daher ist das ihnen gegebene Wort, selbst wenn es durch einen Eidschwur bekräftigt ist, gegen das öffentliche Wohl gegen das Heil der Seele usw. keineswegs zu halten“1.

B. Der jüdische Ritualismus und die Ethik.

I.

Das Judentum hatte ethische Gebote ganz idealer Art, aber auch Riten, verwickelte, juristisch gefaßte Speisegesetze, wie auch allerhand Rasier-, Kleider- (-Schathnes) und dgl. Verordnungen, denen gerade wie der Ethik göttlicher Ursprung zugeschrieben wurde. War es nicht diese Gleichstellung, die den Ethos bei den Juden in seiner praktischen Würdigung herabsetzte? Eine Glaubensordnung, die die Befolgung indifferenter Enthaltsamkeitsregeln mit der Einhaltung der ernstesten moralischen Postulate in eine Reihe stellt, mußte nicht den Wert der wahren Sittlichkeit ungünstig beeinflussen? Es ist der Ritualismus, meinen viele, der das Christentum vom Judentum grundsätzlich scheidet, unterscheidet und in ein glänzenderes Licht rückt. Der Ritenmangel mußte es gewesen sein, der für die Juden die Annahme des Christentums unmöglich machte. Der freie Geist des arisch-europäischen Glaubens, heißt es bei so manchem Theoretiker des Judenhasses, mußte der semitischen, in Zeremonien befangenen Art fremd bleiben.

Der Ritualismus ist nicht etwas, das ganz und voll der christlichen Welt abgeht. Vereinzelte Küchen- und Speisegesetze kennen auch, wie bereits oben im 11. Kapitel des näheren ausgeführt wurde, die verschiedensten christlichen Glaubensgemeinschaften. So mancher Kirchenvater trug für Alltagsriten und Anordnungen der Lebensweise Sorge. Tertullian wollte, daß die Jungfrauen verdeckte Gesichter tragen (De virginibus velandis). Clemens von Alexandrien betrachtete es als große Sünde, eine Perücke zu tragen, da, wenn jemand eine Perücke trägt und der Geistliche auf ihn die Hand zum Segnen legt, wen segnet er da eigentlich. Auch das Haarfärben wurde von den alten Kirchenvätern verpönt, nämlich aus diesem Grunde, da nach dem Ausspruche Jesu niemand sein Haar weiß oder

1 Vgl. Kopp 126.

schwarz machen kann. Die Fasttage wurden von der Christenheit mit peinlicher Genauigkeit beobachtet. Wer Fleisch an einem Fasttage aß, erlitt in älterer Zeit bei den Christen den Feuertod, wer Buße tat, wurde bloß mittels Strang ins Jenseits befördert1. Fleischessen an einem Fasttage strafte auch im alten Deutschland ein sächsisches Gesetz mit dem Tode. Die alten Polen zogen dafür die Zähne hinaus. Man erlaubte sich auch hierbei allerlei Kniffe. Geflügelfleisch wurde von diversen mittelalterlichen Autoren der Christenheit als eine Abart des Fischfleisches angesehen, da nach dem biblischen Bericht die Vögel aus dem Wasser entstanden - und somit wurde der Genuß von Vögeln an Fasttagen gestattet.

Ritualistische Streitigkeiten regten zuweilen auch in der Christenheit die Gemüter auf, so war es im Altertum hinsichtlich der Quartodecimaner, wobei allerdings auch das Erlösungsmoment in Betracht kam. Im 18. Jahrhundert loderte unter den Mönchen des Athosklosters ein großer Streit, ob es erlaubt sei, Erinnerungstage an Tote von Samstag auf Sonntag zu verschieben.

Eine ritualistische Juridizierung der Religion stellt der Inquisitionstrick dar, Ketzer verbrennen zu lassen, da ja die Bibel das Blutvergießen verbietet.

Den Gesetzescharakter der Religion faßt auch der neuzeitliche Rumäne auf, wenn er das zweifellos mit dem lateinischen lex identische rumänische Wort lege sowohl für Gesetz wie auch für Religion und Konfession anwendet.

Zahlreiche Riten jüdischen Ursprungs halten noch heute die Abessynier wie auch die Nestorianer in Mesopotamien.

Die prinzipielle Ritenfeindlichkeit des paulinischen Christentums setzte sich nie unter den Anhängern der Religion Jesu ganz durch. Der Nomismus des alten Israel blieb auch im Christentum teilweise. Paulus war gegen alle Feiertage als Einrichtung der Stoicheia, gegen den Sabbat, gegen alles Gesetz, und doch erhielten sich die jüdischen Feiertage und der Sabbat unter andern Namen auch bei den Christen. Sogar der jüdische Versöhnungstag beharrte im Christentum bewußt bis ins Mittelalter hinein und spukt noch bis heute im Quatemberfasten der

1 Lecky 602.

Bontwetsch in Kultur der Gegenwart 174.

3 Slavici 64.

jesusgläubigen Welt. Der jüdische Ritus vom Nichtessen erstickter Tiere beharrt in der östlichen Kirche bis dato.

Zwischen Judentum und Christentum besteht hinsichtlich der Enthaltsamkeitsregeln von verschiedenen Speisen und dergleichen nur eine quantitative Differenz, das Christentum hat deren wenige, das Judentum deren viele.

An spezifische Rassenhindernisse sei auch hier nicht im geringsten zu denken. Das paulinische ritenfeindliche Christentum, das vollauf auch in der Wirklichkeit nicht realisiert werden konnte, ist nicht das Werk eines Griechen, Römers oder eines andern Europäers „Ariers“, sondern die Leistung eines kleinasiatischen Juden, der jüdischen Rabbinen zu Füßen saß. Es hat sich bei ihm auch vom jüdischen Standpunkte nicht um eine grundsätzliche Neuerung gehandelt. Paulus wollte den rabbinischen Grundsatz, daß die Nichtjuden zu ihrem Heil keine Riten brauchen und für deren Seligkeit die Beobachtung der sieben Grundprinzipien der natürlichen Ethik ausreicht, in weitestem Maße, in Verbindung mit der jesuanischen Soteriologie in die Tat umsetzen. Die altjüdische Propaganda in den letzten Jahrhunderten der vorchristlichen Zeit ging ihm hierbei in den,,Gottesfürchtigen", in den Verehrern des „,Höchsten", in den Gere Thoschab, in dem durch Riten nicht gebundenen eingottgläubigen Anhang aus der Heidenwelt in der Diaspora

voran.

An einen semitischen Rassengegensatz kann hier um so weniger gedacht werden, als es auch beträchtliche Gruppen semitischer Zugehörigkeit unter den Christen gibt, die von den Riten in weiterem Sinne, ebensowenig wie die sonstigen Christen, was wissen wollen, so die syrischen Christen.

Antiritualistische Tendenzen machten sich auch selbst im Judentum mehrfach geltend, so im Sabbathianismus in der Türkei in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wie auch bei den Frankisten Polens zu Beginn des dritten Viertels des 18. Jahrhunderts wie auch im Reformationsjudentum des. Abendlandes im 19. Jahrhundert.

Die fortschreitende christliche Gläubigkeit der Neuzeit schreitet immer mehr in der Richtung der Reglementierung des Alltags nach dem Vorbild des jüdischen Ritualismus, über den seit Paulus so oft der Stab gebrochen wurde. Der christliche Sonntag nähert sich immer mehr dem jüdischen Sabbat, speziell

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