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Grätz schrieb seine Geschichte des Diasporajudentums im Sinne einer Martyrologie, einer mehrtausendjährigen Verfolgung von Unschuldigen durch böse Gewalt, durch raublustige und blutdürstige Einheimische.

Eine besondere Versündigung der Christenheit liegt an den Judenverfolgungen nicht vor, da diese bloß einen Spezialfall eines allgemeinen Gesetzes bilden. Das enthebt zwar keine Einzelperson von der Verantwortung. Juridisch und ethisch gibt es ein liberum arbitrium. Doch von einer höheren Warte beurteilt, walten hier Geschichtsnormen von welthistorischer Bedeutung.

Die modernen Christen empfanden sich persönlich, inner lich an den Judenverfolgungen der alten Zeit nicht schuldig. Die Beschuldigung seitens der Juden mußte eine Reaktion hervorrufen, so manchen Christen dazu veranlassen, daß er seinerseits wieder nach besonderen negativen Charakterzügen der Juden suchen mußte, die diese Verfolgungen notwendig machten. Treitschke schrieb auch:,,.... es ist undenkbar, daß im zweitausendjährigen Kampf auf der einen Seite nur Grausamkeit, Herrschsucht, Habgier, auf der andern nur duldende Unschuld aufzufinden seien."

Es war wirklich Grausamkeit auf der einen, Unschuld auf der andern Seite, die Grausamkeit rührte jedoch nicht von individuellen Velleitäten her, sondern war das Werk allgemeiner Faktoren, die verschiedenenorts auch unter andern Konstellationen dasselbe Leidensschicksal für konfessionelle Minderheiten bereiteten.

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL.

Wie löst man die Judenfrage?

A. Assimilation.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als unter den Hammerschlägen der Enzyklopädisten der Wunderglaube verschwand und die Menschen freier zu denken und zu atmen begannen, fragten sich die Geistesführer Israels, wie ist dem ewigen Haß zu entgehen, wie kann den Leiden und den Verfolgungen und der beleidigenden Ausnahmsstellung ein Ende gesetzt werden. Die Hoffnung auf ein messianisches Wunder, die früher ein Labsal für die gequälten Seelen im Ghetto war, konnte keinen Menschen mehr beruhigen.

Die Antwort war: Die Einbürgerung. Das Zeitalter, wo die Führer der Judenheit über die Schranken der konfessionellen, herkömmlichen Hoffnung und Selbstbetäubung hinauszublicken begannen, das Zeitalter der freieren Denkens bedeutete für das gebildete Abendland formell die Profanisierung, die Entchristlichung des christlichen Staates, die Differenzierung der konfessionellen Sozietät Europas in territoriale, politisch-sprachliche, nationale Einheiten. In diese Kollektivitäten, deren Organisationsgrundsatz nichts mit dem Glauben nun zu schaffen hatte, sollten sich die Juden einfügen, und dann beginnt das Heil, die Glücksperiode, des ewigen Wanderers Leiden finden ein Ende.

Der Aufklärer Mendelssohn forderte damals die Juden auf: ,,Schickt euch in die Sitten und die Verfassung des Landes, in welches ihr versetzt werdet1." Der Jude gehört dorthin

1 M. Mendelssohn: Gesammelte Schriften III, 355, Leipzig 1843.

wessen Sprache er redet und wessen Staatsgemeinschaft er teilt. Die Auffassung der jüdischen Gemeinden als Exposituren einer unter dem Gesichtswinkel eines andern Organisationsprinzips zusammengehaltenen Sozietät, als ,,Kolonien", sollte beseitigt werden. Mendelssohn empörte daher, wenn der namhafte Orientalist Michaelis nach der älteren Denkweise den konfessionellen Gegensatz zwischen Juden und Nichtjuden nicht auf das Reintheologische reduzieren wollte und auf den politischen Charakter desselben Nachdruck legte. ,,Anstatt Christen und Juden bedient er sich ständig des Ausdrucks Deutsche und Juden. Er entzieht sich wohl, den Unterschied in die Religionsmeinungen zu setzen und will uns lieber als Fremde betrachtet wissen, die sich die Bedingungen gefallen lassen müssen, welche ihnen von den Landeigentümern eingeräumt werden... Ich möchte auch erörtert wissen, wieviel Jahrhunderte dieses Verhältnis als Landeigentümer und Fremde fortdauern soll. Ob es nicht zum Besten der Menschheit und ihrer Kultur gereiche, diesen Unterschied in Vergessenheit kommen zu lassen 1."

schreibt

Mendelssohn, hoch auf seinem Aufklärungspegasus zu Roß, ,,schaute nicht auf die Felsenriffe, er schaute nur in die Höh”. Was scherten ihn die noch immer gewaltigen Mächte der konfessionellen Vergangenheit, die inoffiziell noch weiter ihre Wirksamkeit fortsetzen. Judentum und Christen werden zu philosophischen Doktrinen.,,Die wenigen Punkte, die uns“ Mendelssohn in einem Briefe an den Christen Bonnet ,,noch trennen, können der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts unbeschadet noch Jahrhunderte unerörtert bleiben. Sind mit diesen Sätzen die Benennungen von Judentum und Christentum verbunden, was tut dies? In unsern Ohren würden diese Benennungen nichts Feindseligeres haben als die Namen Cartesianer und Leibnizianer 2."

Das Wollen Mendelssohns konnte kaum gelingen, solange die Massen sowohl der Juden wie der Christen jene Grundsätze anerkennen, aus denen die betreffenden historisch-konfessionellen Gesellschaftsbildungen bisher hervorgingen. Da den Juden es an der Einbürgerung mehr gelegen sein mußte als

1 Idem: Anmerkungen zu des Ritter Michaelis Beurteilungen des ersten Teiles von Dohm: Über die bürgerliche Besserung. Ges. Schr. III, 307.

2 Idem: Ges. Schr. VI, 453.

den Christen an der Aufnahme, so folgte daraus: Die Juden hatten sich ihrer die Wirklichkeit beeinflussenden religiösen Grundsätze, ihrer Sonderriten und differenten Kultusformen zu entledigen, im Resultat: Glaubensvereinigung als Voraussetzung der bürgerlichen Vereinigung. Mendelssohn blitzte zuweilen dies auf und als prinzipiell mosaisch glaubenstreuer Mensch wies er diese Möglichkeit zurück. Gibt es in der profanisierten allgemeinen Sozietät Raum für die Bekenner des Mosaismus, ist gut, sonst nicht. „Wenn die bürgerliche Vereinigung unter keiner andern Bedingung zu erhalten, als wenn wir von dem (religiösen) Gesetz abweichen, das wir für uns noch für verbindlich halten, so tut es uns herzlich leid... so müssen wir lieber auf die bürgerliche Vereinigung Verzicht leisten." Glaubensvereinigung als Vorbedingung der Einbürgerung,,ist nicht Toleranz, ist der wahren Duldung entgegen".

Die Mendelssohnsche Halbheit hatte keinen Bestand. Eine Religion, die sich ihres sozietativen Charakters, ihrer scheidenden, völkischen, Sonderstrukturen schaffenden Art, ihres geschichtlichen Alltagtrosses begibt, hört auf, eine Konfession unter Konfessionen zu sein, büßt ihre Macht über ihre Anhänger ein, wenn denen das Bekenntnis zu dieser, zur reinen philosophischen Theorie gewordenen Religion Unannehmlichkeiten und Hindernisse im Leben bereitet. Die konservativen Juden regten sich daher ob der Mendelssohnschen Aktion ungeheuerlich auf. Er bemerkte diesbezüglich selber: „Ich weiß es leider, wieviel Widerspruch, Haß, Verfolgung und dergleichen die geringste Neuerung, wenn sie auch wichtige Verbesserungen zur Folge hat, beim Volke findet. Mögen sie abe fluchen, ich werde gesegnet sein 1."

Die Konsequenzen aus der destruktiven Halbheit Mendelssohns zogen seine eigenen Kinder. Als sie sich überzeugten, daß einseitiger, sozietativer Interkonfessionalismus zu nichts führt, daß ein partieller Verzicht auf das geschichtliche Judentum das Problem des Judenleidens nicht löst, gaben sie das Judentum gänzlich auf und suchten in der Taufe ihr Heil.

Um doch die Einbürgerung des Judentums als Juden zu erlangen, suchten manche Freunde und Schüler Mendelssohns das System Mendelssohns auszubauen durch gründlichere Be1 Mendelssohn: Gesammelte Schriften, VI, 453.

seitigung der historischen Formen des Judentums. Friedländer meinte, die Einbürgerung durch Einführung der deutschen Sprache im jüdischen Gottesdienst zu erreichen. Er redete auch das Wort der völligen Abschaffung der jüdischen Speiseriten, des besonderen Erziehungswesens u. dgl. „Besondere Nationalität, besondere Speisegesetze, besondere Erziehung, alles muß nur nicht der Glaube des Judentums selbst und seine Erscheinung im Kultus dem vollen Eintritt in den Staat und der vollen Pflichterfüllung als Bürger weichen 1". Der Glaube des Judentums, seiner historischen Art beraubt, verflüchtigte sich bei ihm zu einer matten Doktrin,,,die in der Mitte zwischen postiver Religion und Irreligion steht". Friedländer dachte bald daran, wenn es sich nur ja um Lehrmeinungen hinsichtlich der Gottheit handelt, ob es nicht möglich wäre, formell unter gewissen Reservaten das Christentum zu rezipieren, und wandte sich in diesem Sinne in seinem,,Sendschreiben einiger jüdischer Hausväter" an den Propst Teller (Berlin 1799). Er erhielt darauf einen negativen Bescheid. Der Verzichtgedanke Friedländers konnte seinen Zweck nicht erreichen. Er schritt daher in seinen Kindern bis ans Ende und führte sie selber zur Taufe. Die Adaptierung des Judentums, um es in der christlichen Gesellschaft ohne Reibungen möglich zu machen, scheiterte kläglich. Das historische Judentum wurde arg hergenommen, die Liebe der christlichen Mitwelt wurde jedoch dadurch nicht gewonnen. Der Haß galt nicht den einzelnen Riten, sondern dem religiösen Ganzen. Die Riten- und Kulturverschiedenheit war erst das Ergebnis des Separatismus und nicht die Ursache. Die Verschiedenheit der Lebensweise bildete sich erst überall dann heraus, als die zentralen Religionsideen eine Diversität aufwiesen. Die Religionsparteien, Sekten, Konfessionen befehden einander schon im Anfangsstadium, ehe noch aus der Meinungsverschiedenheit eine Heterogenität der Lebensweise sich herauskristallisiert. So kann und muß, solange Religionshaß besteht, dieser Haß auch dann fortdauern, wenn bei historischen Religionssystemen die Riten- und Kulturabweichungen fortfallen und bloß die Verschiedenheit der Prinzipien weiterbesteht.

Die späteren Generationen lernten jedoch vom Fiasko der

1 Ritter I, 171; II, 41.

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