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SECHSTES KAPITEL.

Der psychische Gegensatz.

I.

Die Motivierung des Judenhasses wird von manchen aus dem Somatisch-Rassenmäßigen ins Psychische übertragen. Der Judenhaß kann nicht in die allgemeine Kategorie einer Rassenverschiedenheit fallen, ebensowenig wie einer Kontinentenverschiedenheit in die Schuhe geschoben werden, heißt es seitens mancher Judenfeinde. Hier besteht ein ganz spezifischer Antagonismus. Der Semite und der Arier stellen seelisch, charakterologisch in ihrem ganzen geistigen Habitus Antipoden dar, sie müssen daher immer miteinander in kontradiktionelle Haltung geraten und einander bekämpfen. Der Arier sei treu, monogam, mannhaft, initiatorisch, dagegen der Semite unehrenhaft, polygam, konservativ, nur durch arische Anregung aus seiner Schwerfälligkeit herauszubringen. Weininger, selber ein Jude, aber ein überlaufener, baute sogar ein ganzes System aus auf dem Gegensatz zwischen dem maskulinen Ariertum und dem femininen Semitentum.

Der Widerspruch zwischen arischem und semitischem seelischem Wesen derart konstruiert, die Häufung aller Tugenden auf arischer, aller Fehler und Schattenseiten auf semitischer Seite, ist reinstes Phantasieprodukt.

Seit wann ist Treue ein besonders arischer Vorzug? Irmin, der Cherusker, war gerade kein Vorbild des Festhaltens an einmal gegebenem Worte. Die Franken, die Gallien mit einer ,,ariogermanischen" Dynastie beglückten, haben in der Geschichte des Königsgeschlechts der Merowinger der Menschheit eine Chronik von Verlogenheit, Verrat und Meuchelmord ge

schenkt, wie sie die Weltgeschichte kaum irgendwo bei den inferiorsten Rassen aufzuweisen hat.

Über die deutsche Treue, die mit einem Nibelungenepitheton geziert so gerne hervorgehoben wird, schreibt kein Geringerer wie der deutsche Überpatriot Heinrich Treitschke einige harte Worte der Wahrheit:,,Wir lächeln, wenn uns in Erzählungen aus dem Mittelalter, dieser treulosesten aller Zeiten, von deutscher Treue überschwenglich geredet wird1." Was man unter deutscher Treue versteht, ist nicht Eindeutigkeit, aufrichtiges Bekennen, unbeugsame Ehrlichkeit, sondern Dienstmannenanhänglichkeit, und dies ist ja keine besondere Tugend. Kein Geringerer als der deutsche Nationalphilosoph Fichte schreibt: „Die gewöhnliche Adelslehre, Treue gegen einen Herrn ist Tugend eines Hundes." Die Dienstmannenanhänglichkeit ist kein ariogermanisches Spezifikum, sie blüht bis in die Gegenwart in zweifellos noch weit höherem Maße im mongolischen Japan. In Deutschland selber ist die Dienstmannentreue kein heimisches Gewächs, sie kam zu den Germanen aus dem keltischen Gallien, wie dies Ranke in seiner Einleitung zur französischen Geschichte darlegt. Unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Ehrenhaftigkeit geprüft, muß das Urteil über die Treue der Deutschen in der Geschichte anders ausfallen. Hegel verglich diese in seiner Philosophie der Geschichte mit der fides punica. Eine Reihe von Belegstellen aus antiken Autoren für die Treulosigkeit der Germanen findet sich bei Hertz (,,Moderne Rassentheorien“).

Die Treue ist auch bei andern nichtgermanischen „Ariern“ keine ofte Erscheinung. Die Treue des bedeutendsten arischen Volkes der Antike und vielleicht auch aller Zeiten wird durch die fides graeca symbolisiert. Erbliche Lügenhaftigkeit ist für das zahlreichste ,,arische" Volk des neuzeitlichen Europa, für die Russen charakteristisch. Bei den ritterlichen Polen figuriert als Heros eines epischen Gedichtes „Konrad Wallenrod“, dessen Verfasser der hervorragendste Dichter der slawischen Rasse Adam Mickiewicz ist, ein Heerführer, der, in fremden Diensten, das Vertrauen der Andersnationalen zugunsten seines eigenen Volkes mißbraucht und sie ins Verderben bringt. Als

1 H. Treitschke: Charaktere I, 282.

Fichte: Politisches Vermächtnis vgl. Lassalle: Gesamm. Schriften III, 263. 3 Wallace: Rußland 221.

Vorbild der Verlogenheit gilt in Europa der aus Indien vor paar Jahrhunderten eingewanderte arische Zigeuner.

,,Arier" in Berührung mit andersrassigen Orientalen zeigen sich in bezug auf Treue geradezu inferior. In Indien gelten die Tamilen, wie alle Dravida, für offener, treuherziger und ehrlicher als die arischen Hindus1. Auf dem Balkan kommt der Slawe mit dem türkischen Gentleman überhaupt nicht in Vergleich. Eine besondere Treulosigkeit wurde nie im Laufe der Geschichte den Assyrern, Phöniziern, Arabern zum Vorwurf gemacht. Der Araber gilt als der geborene Gentleman; das bestätigen alle Kenner des Orients. Die Punier mit ihrer schlecht beleumundeten Treue bildeten eine vereinzelte Ausnahme.

Was speziell die Juden betrifft, wurde gegen sie seit jeher unter allen möglichen Vorwürfen, die man ihnen im Laufe der Geschichte machte, am wenigsten der Vorwurf der Treulosigkeit, des Verrats lanciert. Gerade das Gegenteil läßt sich von den Juden behaupten. Mirabeau erklärte einst von den Juden, „sie kennen keinen Verrat". Der bekannte russische anarchistische Schriftsteller, der Fürst Karapotkin, hebt in seinen Erinnerungen die ehrenhafte Verschwiegenheit der jüdischen Grenzschmuggler hervor, die bei Überführung der verbotenen Literatur nie ihre Auftraggeber verraten. Die Verschwiegenheit der Juden bei Geschäften hat ihren Ruf. Verlogenheit wird nirgends, auch in gehässiger, antisemitischer Makulatur nicht, den Juden ernstlich angeschwärzt.

Bei den Juden ist eines der kennzeichnenden Epitheta Gottes das der,,Treue". Gott wird mit dem Adjektiv der Treue vor dem Hauptgebet,,Schma" invoziert. Wie einer ist, ist auch sein Gott."

Der Talmud erzählt in einer lieblichen Sage von der 22jährigen Treue der Gattin R. Akibas ihrem abwesenden Gemahle gegenüber.

Eine zarte talmudische Sage berichtet von einer Strafe für Treubruch, betreffend einen Eid, der zwischen Braut und Bräutigam bei einem Brunnen und einer Katze geleistet wurde. Das Bewußtsein der Treue reichte mit seinem Wurzelgeflechte tief in die jüdische Folklore.

Treue gegen die Stadt, in der die Juden leben, wurde bereits 1 Friedrich Hellwald: Die Erde und ihre Völker 536, Stuttgart 1890. Revue des études juives XXXIV, Conferences p. XXII.

vom ersten jüdischen Exilspropheten postuliert1. Auch der Midrasch macht die Bürgertreue den Juden, auch in Unterdrückerstaaten, zur Pflicht, nur bei religiöser Vergewaltigung wird Renitenz gestattet. Es heißt in dieser Quelle: „Es spricht der Heilige Geist zu Israel:,Ich beschwöre euch, wenn der Staat böse Verordnungen gegen euch erläßt, lehnt euch nicht auf; wenn jedoch der Staat befiehlt, die Thora, die Riten und den Sabbat nicht zu beobachten, gehorchet nicht"."

Wenn von Treue gesprochen wird, ist nicht gerade die ganze Geschichte Israels das vornehmste Beispiel einer unvergleichlichen Anhänglichkeit und Treue an ein überliefertes Bekennt nis, an angestammte Hoffnungen, an ererbte Überzeugungen? Zur Zeit, als das Christentum in ökumenisch-katholischer Gestalt die Weltherrschaft antrat, gab es außer den Juden noch andere religiöse Separatisten im Bereiche des römischen Imperiums, allerhand Manichäer und Arianer und sonstige christliche Sekten, wie auch noch große Massen von hochgebildeten Polytheisten. Der Dampfwalze der katholischen und ökumenischen Gleichmacherei konnten alle diese Andersgläubigen und Ketzer nicht die Stirn bieten, sie wurden wankelmütig, vermochten ihren Überzeugungen nicht die Treue zu wahren, fielen ab. Allein Israel beharrte im Flutensturm der Zeiten, stemmte sich in beharrlicher Glaubensanhänglichkeit wider alle Zermalmungsversuche, ließ oft in blinder Treue an den Gott der Ahnen Haus und Hof, griff an den mühseligen Stab geächteter Wanderer und schlotterte in die aschfahle Ferne. Wenn ein Denkmal der Treue einmal errichtet werden sollte, so müßte es irgendwo an einer jener vielen Stätten Europas erbaut werden, wo in Massenmetzeleien Tausende und aber Tausende Juden niedergemacht wurden. Ein Wort der Untreue gegen die Religion der Väter hätte genügt, und die Gemetzelten wären heil davongekommen, sie hätten noch dazu Karriere gemacht und in die Gesellschaft ihrer privilegierten Schlächter Aufnahme gefunden.

II.

1

Was nun die Polygamie betrifft, ist sie im semitischen Orient nicht mehr als im nichtsemitischen verbreitet. Auch der musli

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mische Türke und Serbe und Bulgare ist polygam. Ebenso der Perser. Auch der europäische Arier der herrschenden Klassen war einst vor Einführung des Christentums polygam. In der alten Edda wird vom König Jowart berichtet, daß er vier Frauen hatte und eine fünfte heiraten wollte. Auch der Protestantismus nahm es mit der Monogamie der Oberklasse anfänglich nicht besonders genau. Luther gestattete dem Landgrafen von Hessen die Bigamie. Als bindende Religionsnorm erklärte im hellen Lichte des 19. Jahrhunderts die Vielweiberei, die einzige mit dem Christentum ganz brechende, selbständige europäisch-amerikanische Religionsbildung, der in der amerikanischen Filiale Europas entstandene Mormonismus. Im Altertum waren polygam in Europa die arischen Thraker1. Die Polygamie ist im Grunde im Morgenlande nur eine sporadische, auf wenige Wohlhabende beschränkte Erscheinung. Das erdrückende Gros lebt auch im Morgenlande monogam. Polygamie ist gegenwärtig beinahe nur eine muslimische Einrichtung im Orient. Der christliche semitische Syrer kennt sie nicht, fast ebensowenig selbst der altansässige orientalische Jude. Das Alte Testament setzt in seinen jüngeren Partien Monogamie voraus, dies beweist vor allem das Hohelied auf die wackere Frau im letzten Abschnitt der Proverbien. Allerdings besteht für die europäischen Juden ein formelles religiöses Verbot der Polygamie erst seit dem 10. Jahrhundert.

Schließlich hat denn die Polygamie den Familiensinn, das sexuelle Reinlichkeitsempfinden, das Sittengesetz irgendwie bei den muslimischen Semiten auf ein niederes Niveau als bei den Ariern herabgedrückt? Kann ein Zustand, der Maitressenwirtschaft herbeiführt, höher stehen als die durch gesetzliche Normen geordnete Vielweiberei? Welche wüsten Verhältnisse erzeugten nicht in Europa die von keinen Banden der Ehe zu umfassenden wilden und ungeregelten Geschlechtsverbindungen! Es ist kein sittlich erhebender und den Familiensinn stärkender Zug, Kinder von Rousseau in einem Findelhaus, einen natürlichen Sohn von Goethe als Holzhauer zu wissen. Wieviel Mädchen aus den dienenden Klassen wurden nicht in Europa mit dem Kinde von den Hausherrensöhnen aufs Pflaster geworfen? Wer kennt nicht das Problem in Tolstois Auferstehung? In Frank

1 Herodot V, 3.

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