878.4 TITI LIVII AB URBE CONDITA LIBER IX. FÜR DEN SCHULGEBRAUCH ERKLÄRT VON FRANZ LUTERBACHER. MIT EINER KARTE DER FURCULAE CAUDINAE. STANFORD LIBRARY LEIPZIG, DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER. 1891. Einleitung. Im neunten Buche umfasst Livius die Ereignisse von 18 Jahren (433-450 der Stadt, 321-304 v. Chr.). Dasselbe beginnt mit einer der unvergeßlichen Begebenheiten, welche das römische Volk tief erschütterten und zu neuen Unternehmungen antrieben, der traurigen Katastrophe von Caudium. Übermütig hatten die Römer den geschlagenen Samnitern den Frieden verweigert und sie durch die Forderung gänzlicher Unterwerfung zur Fortsetzung des Kampfes genötigt. Als nun die Konsuln Titus Veturius und Spurius Postumius mit ihren Heeren in Campanien standen, verbreiteten die Samniter fälschlich das Gerücht, dafs ihre Truppen Luceria in Apulien belagerten. Daraufhin brachen die Konsuln, um der bedrohten Stadt auf dem kürzesten Wege zu Hülfe zu eilen, in Samnium ein und zogen in unverständiger Sorglosigkeit in das Caudinische Thal, wo ihnen der samnitische Feldherr Gaius Pontius alle Auswege versperrte. In der Hoffnung, den Krieg beendigen zu können, bewilligte Pontius eine Kapitulation. Er ließ sich durch die Konsuln, Quästoren, Legaten, Kriegstribunen eine Bürgschaft geben, daß in Rom ein billiger Friede werde bewilligt werden; 600 Ritter wurden als Geiseln zurückbehalten. Das übrige Heer wurde unversehrt entlassen; doch mußte es sich nach der damaligen Sitte, obwohl Pontius durch seinen Vater Herennius hievor gewarnt worden war, den Schimpf gefallen lassen, die Waffen zu strecken und unter dem Joch abzuziehen. In traurigem Zuge langte es in Rom an; die Konsuln dankten ab. Zu ihren Nachfolgern wurden Quintus Publilius Philo und Lucius Papirius Cursor gewählt. Herennius hatte richtig vorausgesehen, daß die Römer nach einer solchen Verletzung ihrer Waffenehre nicht ruhen würden, bis sie sich gerächt hätten. Der Senat betrachtete nach den staatsrechtlichen Erörterungen des Spurius Postumius, welcher sein beschimpftes und unerträgliches Leben hinzugeben bereit war, die bei Caudium getroffene Übereinkunft als für den Staat nicht verbindlich und lieferte die Bürgen den Samnitern aus; diese wiesen sie aber zurück. Das Übergewicht der römischen Waffen wurde bald wieder hergestellt, namentlich durch Papirius Cursor, welcher Luceria einnahm, wo die Samniter die bei Caudium erhaltenen Geiseln und Waffen verwahrten. Auch Fregellae und Satricum, welche nach der Niederlage bei Caudium in die Hände der Samniter gefallen waren, wurden zurückerobert. Papirius Cursor erscheint dem Livius als ein ebenbürtiger Gegner Alexanders des Großen, wenn dieser die Römer angegriffen hätte. In einer Digression (Kap. 17-19) vergleicht er die Macht Alexanders mit derjenigen der Römer und tritt den maẞlosen Lobpreisungen desselben durch einzelne griechische Geschichtschreiber entgegen. Wenn er auch das strategische Talent und die Belagerungskunst des Königs unterschätzt, so weist er doch in der Tüchtigkeit und dem Heldenmut der römischen Anführer, in der Menge und Tapferkeit der Truppen und dem Kriegsglücke der Römer gewichtige Gründe auf für seine Behauptung, daß Alexander die Römer nicht zu besiegen vermocht hätte. 318 v. Chr. baten die Samniter vergeblich um Frieden; doch erhielten sie einen zweijährigen Waffenstillstand. Unterdessen setzten sich die Römer, um ihren Gegner zu isolieren, in Apulien fest und drangen nach Lukanien vor. Auch ihre Macht im Innern erstarkte mehr, indem zu den 29 Tribus zwei neue errichtet wurden und Capua und Antium durch römische Behörden ihre Gesetzgebung und Verwaltung neu ordnen ließen. Nach Ablauf des Waffenstillstandes schlossen die Römer 316 v. Chr. die samnitische Grenzstadt Saticula ein; die Samniter eilten zum Schutz derselben herbei; nach erbitterten Kämpfen wurde sie 315 v. Chr. vom Diktator Quintus Fabius Rullianus eingenommen. Inzwischen war die Kolonie Sora am oberen Liris abgefallen und hatte die römischen Ansiedler getötet. Der Angriff auf diese Stadt konnte aber erst nach zwei Schlachten gegen die Samniter bei Lautulae (einer Niederlage und einem Siege) von Fabius unternommen werden. Nach längeren vergeblichen Anstrengungen gelang es den Konsuln des J. 314, die Stadt durch Verrat einzunehmen und hart zu bestrafen. Dieselben Konsuln zerstörten die Städte der unruhig gewordenen Ausoner und vernichteten dieses Volk. Dann besiegten sie die nach Campanien vorgedrungenen Samniter in einer großen Schlacht. Wie in Sora und den Städten der Ausoner, traten auch in Capua Bestrebungen zu Tage, das römische Joch abzuwerfen und sich den Samnitern anzuschließen. Sie wurden jedoch leicht unterdrückt und ebenso das von den Samnitern eroberte Luceria wieder gewonnen. Desgleichen wurden im nächsten Jahr (313) die in Fregellae und Nola eingedrungenen Samniter verjagt und als Stützpunkte der römischen Herrschaft in Süditalien die Kolonieen Luceria, Suessa, Pontia und Interamna am Liris angelegt. Dann wurde eine sicherere und leichtere Verbindung mit dem Süden hergestellt, indem 312 v. Chr. die Censoren Appius Claudius und Gaius Plautius den Bau einer Heerstraße nach Capua begannen, der Via Appia. Auch führten sie die erste Wasserleitung nach Rom. Sie begünstigten das sich im Staate vordrängende plebejische Element, die Neubürger und Fremden, indem sie Söhne von Libertinen auf die Senatorenliste setzten und die Freigelassenen in sämtliche Tribus verteilten. Doch duldeten die Konsuln des Jahres 311 nicht, daß das Ansehen des Senates durch Aufnahme unwürdiger Mitglieder geschwächt werde, und beriefen den Senat nach der alten Ordnung. Dem Volke wurde dafür die Wahl von 16 Kriegstribunen eingeräumt. Voll aristokratischen Trotzes gegen die Gesetze und Behörden behielt der Censor Appius nach Ablauf seiner Amtszeit seine Gewalt bei. Selbst die Einsprache eines Volkstribuns verlor gegen ihn ihre Kraft infolge einer Spaltung im Kollegium der Tribunen, und so war er fast drei Jahre auf ungesetzliche Weise Censor zur Zufriedenheit des Volkes. In Samnium dauerte der Krieg fort, und dazu kam ein neuer Krieg in Etrurien, wo seit 45 Jahren (356 v. Chr.) die Waffen geruht hatten, weil die Kolonie Sutrium einen Einfall der Etrusker und der Ciminische Bergwald ein weiteres Vordringen der Römer erschwerte. Nun wagten die Etrusker, ehe die Samniter gänzlich besiegt würden, wieder die Waffen zu erheben zum Schutze ihrer durch die steigende Macht der Römer bedrohten Unabhängigkeit. Beim ersten Zusammenstoß vor Sutrium im J. 311 wurde mit großer Erbitterung gekämpft, und der Sieg kostete die Römer viele tapfere Krieger. Darauf führte während zwei Jahren (310-309) Q. Fabius Rullianus den Krieg in Etrurien. Aus den unklaren Angaben und Andeutungen des Livius scheint hervorzugehen, daß derselbe nach einem zweiten Kampf bei Sutrium durch den Ciminischen Wald nach Norden vordrang, die Etrusker in zwei oder drei blutigen Schlachten überwältigte, ein ihnen zu Hülfe eilendes Heer der Umbrer zurückwarf und Perusia zur Unterwerfung zwang. Inzwischen unternahmen die Römer wieder einmal eine Expedition mit der Flotte; diese verlor aber in Campanien einen Teil ihrer Mannschaft. Ebenso erlitt der Konsul C. Marcius in Samnium eine Niederlage; er wurde selbst ver |