Immagini della pagina
PDF
ePub
[ocr errors]

hältnissen, zu deren richtiger Auffassung hier ein tüchtiger Staatsmann, Stratege oder Politiker, dort eine reiche Dichter- oder Künstlernatur, bald wieder ein bedeutender Techniker, Kunsthandwerker oder Ackerbauer erfordert wird, glauben die Philologen durch Worte enträthseln und wieder darstellen zu können! Daß ihnen dabei die komischsten Mißverständnisse begegnen, die geradezu widersinnig und zu vermeiden wären, wenn sie den Dingen Rechnung tragen wollten, ist nicht zu verwundern. Ein argumentum ad hominem war jenes Symposion, welches eine Anzahl begeisterter Philologen nach antiken Küchenrecepten veranstaltete und in Folge dessen sich alle gründlich den Magen verdarben, einer der Theilnehmer sogar starb. Doch darüber, über den Hall der Worte und das Unheil, welches er angerichtet, habe ich an einer anderen Stelle ausführlich geredet und kann mich daher hier kürzer fassen. Außerdem wird Jeder meiner geneigten Leser aus eigener Erfahrung, sei es bei der Lectüre oder Unterhaltung, sich sagen, wie oft statt der Erklärung, Begründung und Beweisführung, ihm ein volltönendes Wort aufgetischt worden ist. Als Galilei in Florenz mit seinem Telescop nach den Jupitertrabanten schaute und die neugierigen Florentiner seinem Beispiele folgten, wurden sie von pfäffischen Zeloten ernsthaft getadelt, da schon die Schrift dieses Treiben verdamme mit den Worten: Viri Galilaei, quid statis spectantes in coelum? Ebenso klug wie diese Zusammenstellung äußerlich anklingender Worte, war die Berufung auf die Worte Josua's: „Sonne, steh still!" um das Copernikanische System zu widerlegen! Keine größere Weisheit ist es, das Welträthsel durch das „Absolute, das Ding an sich, das An- und Fürsichsein, das Ich und das Nicht-Ich“ lösen zu wollen. Ja selbst die Worte, mit denen wir tagtäglich als ganz bekannten und durchsichtigen Begriffsbezeichnungen hantiren, wie: „Idee, Wahrnehmung, Wille, Denken u. f. w." sind zum guten Theil eben nichts weiter als Worte, die ein uns dunkeles Gebiet theilweise umgrenzen und mit einem spärlichen Lichte dem was wir aus eigener Erfahrung, Erlebtem hineintragen dürftig erhellen. „Wenn ich König wäre

würde ich meine Schafe zu Pferde hüten", sagte jener Schäferjunge; das war der Begriff, den er mit dem Worte König verband. Und das ist ein treffendes Beispiel für die Wirkung des Wortes, wie ja auch Goethe etwas ganz Aehnliches von den Büchern behauptet, in die Jeder sich hineinliest oder bestenfalls aus ihnen sich herausliest.

„Das Werdende als Maßstab, als Schlüssel für das Gewordene betrachten." Auch dieses ist dem Anschein nach ein sehr natürliches Verfahren. Einer der tiefsinnigsten Denker des griechischen Alterthums, Heraklitus, der Dunkele, wie ihn seine Zeitgenossen nannten, stellte zuerst den Sah auf, daß alle Wesen in einem fortwährenden Werden und Wandeln begriffen seien. (Пávra psī.) Unsere Auffassung aber heftet sich auf das Dauernde, Seiende; der Wechsel und Wandel der Dinge ist für uns ein unmerklicher; selbst bei den rasch sich vollziehenden Erscheinungen faßt unser Denken stets den bleibenden Hintergrund ins Auge und sieht die Veränderungen nur als äußerliche, unwesentliche Formwandlungen an. Für uns ist die Pflanze in allen Stufen der Entwicklung dieselbe, die hundertjährige Eiche dasselbe, was das ursprünglich von den Kotyledonen genährte Pflänzchen. Der gealterte, seiner Geistes- und Körperkraft beraubte Greis ist uns dasselbe Wesen, wie das lallende Kind, der sprühende, ungestüme Jüngling. Vergebens versichert der für eine Jugendverirrung hart gestrafte Verbrecher unter Thränen: Ich bin ein anderer Mensch geworden! Der auf seinem Namen haftende Makel macht uns ungläubig und hartherzig und so verschließt unser Vorurtheil gar oft dem Unglücklichen den Weg zur Besserung. Die tausend Thaler, die unser Großvater ausgeliehen. hatte, erscheinen uns heute noch dieselbe Summe, obschon es nicht nur ganz andere Einzelstücke sind, die wir zurückerhalten, sondern diese auch von ihrem inneren oder Kaufwerth einen beträchtlichen Theil eingebüßt haben. Das Wort, welches wir heute aussprechen, gilt uns für dasselbe, wie zu Luther's Zeiten, obschon es vielleicht grade das Gegentheil von dem bezeichnet, was es damals ausdrückte. Das einst so furchtbare Wort: Du bist ein Kezer! das die gräß

lichsten Gewissensqualen oder doch Folterkammern und Scheiterhaufen in sich schloß, hat heute gar keine tragische Wirkung mehr und kann ohne Beleidigung von einem Freunde zum anderen gesagt werden. Versuche man dagegen einmal aus dem reichen Register unserer Muttersprache einen grauenhafteren Vorwurf, eine brennendere Verdammung herauszuholen, als das Wort: „Das heißt die Menschheit schänden!" Was war dagegen dem Römer seine humanitas? Ein feines, leutseliges, höfliches Benehmen gegen Vornehm und Gering! Von der christlich mittelalterigen Humanität will ich nur das eine Beispiel anführen, daß Pabst Alexander II. sich veranlaßt sah im Jahre 1068 öffentlich zu erklären, daß es nicht erlaubt sei, einen Juden umzubringen. Und heute? Liegt nicht in der furcht= baren Wirkung jenes Wortes klar ausgesprochen, daß sich die ganze Menschheit solidarisch gebunden fühlt, unmenschliche Gesinnungen und Thaten mit dem ganzen Gewicht ihres Unwillens zu brandmarken, den Unmensch von sich auszustoßen?

=

Diese Beispiele werden genügen, um zu beweisen, daß wir jede Erscheinung nur dann richtig auffassen, wenn wir sie im Zusammenhang mit den unmittelbar vorausgehenden Erscheinungsformen und als Durchgangspforte für die zunächst sich aus ihr entwicklende anschauen, mit einem Worte, wenn wir das Sein durch das Werden erklären. Thun wir das immer? Weit entfernt. Es ist dem menschlichen Denken vielmehr eigen, das Werden aus dem Sein erklären zu wollen. Die älteste anthropo-morphistische Weltanschauung sah hinter den Erscheinungen lauter persönliche Wesen, Götter und Dämonen. Die christliche Weltansicht erkannte hinter den Wundern der Natur die Hand des schaffenden und erhaltenden Gottes, den ,,Urgrund alles Seins." Calvin's Prädestinationslehre, Leibniz" prästabilirte Harmonie ist eine Erklärung des Werdens durch das Sein. Wenn die griechische Mythologie von einem goldenen Zeit= alter erzählt, in welchem die Menschen ein glückliches und sorgloses Dasein lebten, wenn das Christenthum den Menschen aus paradiesischer Reinheit und Vollkommenheit durch seine Sündenschuld herab

gesunken und ausgeartet wähnte, wenn Rousseau den Naturzustand des Menschen als den edelsten und allein vollkommenen pries, so waren sie alle in dieser Anschauungsweise befangen. Ihr Blick war rückwärts gekehrt statt vorwärts. Das Fatum der Alten ist eine dunkle Lösung des dunkeln Welträthsels in diesem Sinne. Die weltund geistesbefreiende Idee ist, in Allem Keime und Entwicklungsstufen zu künftigen, vollkommneren Daseinsformen zu erkennen. Daß das Vollkommene nicht ist, erkannten die Menschen zu allen Zeiten, daher der ewig nagende Daseinsschmerz, die Sehnsucht nach einem Höheren, das sie empor sollte ziehen. Aber nicht, daß das Vollkommene war, wie die früheren Jahrhunderte wähnten, sondern daß das Vollkommene wird, ist die Devise unter der die heutige Menschheit streitet und diese allein ist welterlösend. Als instinctives Bewußtsein ist sie allen Culturvölkern eingepflanzt, wie sie auf dem dunkeln Grunde jedes lebenden Wesens schlummert. Die entsagungsvollen Ringer nach Wahrheit, die todesmuthigen Martyrer für eine neue sittliche Idee, die kühnen Pioniere der Menschheit, welche der erstarrenden Kälte der arktischen Nacht und der verzehrenden Glut der afrikanischen Wüste trohten sie alle waren von diesem Glauben

begeistert.

Alle Wissenschaften haben erst von dem Tage an den Heilsweg betreten, da sie historische wurden d. h. als man die apriorische Darstellungsweise, die Speculation, welche das Wesen der Dinge aus einer Anzahl fertiger Begriffe erschließen wollte, aufgab und die naturwissenschaftliche Methode, die Dinge als in fortgeseztem Werden begriffen anzusehen, auf dieselben anwandte. Dieser Auffassung verdanken die Naturwissenschaften, wie die Sprachforschung, die Rechtswissenschaft, die Nationalökonomie ihre großen Resultate und ihr gedeihliches Voranschreiten. Die höchste und lehte aller Wissenschaften, das Ziel und Ende aller übrigen die Wissenschaft vom Menschen ist erst in unserem Jahrhundert von diesem Geiste durchdrungen worden, aber schon beginnt dieser Wunder zu wirken und Entwicklungsgeschichte der Menschheit" heißt das leuchtende

[ocr errors]

Gestirn, das die emsig Forschenden auf den verschiedensten Gebieten bei ihren weit entlegenen Wanderungen im Auge haben und sie vor dem Ermatten bewahrt durch das freudige Bewußtsein, daß sie durch ihre vereinzelten Bemühungen alle die Bausteine herbeitragen zu dem Ausbau dieser großen Wissenschaft, die dereinst als ein herrlicher Dom erstehen wird, in dessen Innern die Antwort auf die Räthselfrage der Außenseite des delphischen Tempels vodi sautòv für Alle zu lesen sein wird. Daß alsdann die Entwicklungskunst der Menschheit, mag sie nun von Priestern, Politikern, Lehrern, Reisepredigern oder wem immer geübt werden, zuerst und vor Allem zu diesem Tempel wird wallfahrten müssen, um sich Aufschlüsse und Erleuchtung über die Wege, welche sie zu wandeln hat, zu holen, das ist wohl selbstverständlich, sowie auch daß sie alsdann nicht mehr im Blinden tappen oder herkömmlicher Routine zu folgen haben wird, sondern über Ziele sowohl, als über die Mittel, diese Ziele mit Sicherheit zu erreichen, klarer sehen und ihre Schritte darnach mit Zuversicht wird einrichten können. Und es darf heute schon gesagt werden, daß das Ziel kein anderes sein wird, als die ewige Lehre, die vor beinahe zweitausend Jahren aus dem edelsten Munde als eine neue, frohe Botschaft verkündigt wurde mit den Worten: „Liebet einander!"

Als den Grundirrthum der Speculation, als die Ursache ihres tausendfältigen Mißlingens und wer zweifelt heute noch an lezterem, wenn er die Unzahl der von jedem Jahrhunderte zu Tag geförderten Systeme überschaut habe ich oben das Ausgehen von bestimmten Worten und Begriffen bezeichnet, die als feststehendes Denkmaterial galten, ohne daß man fragte, wie man zu diesen gelangt sei. Schopenhauer drückt das in seiner drastischen Weise aus, indem er den speculativen Philosophen auf den Tisch schlagen und mit zorngeröthetem Gesichte ausrufen läßt: „Das Absolute, ja das muß denn doch existiren, da hört denn doch alles auf, wenn das Absolute nicht mehr existirt!" etwa so wie der Rabbi in dem großen Glaubensturnier freischt:

[ocr errors]
« IndietroContinua »