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Seelenleben erscheint, nichts weiter ist als eine in enormen Zeitperioden stets gesteigerte, an stets vollkommneren Organen erhöhte, mit vielseitigerer und lebendigerer Kraft hervortretende Manifestation derselben Urkraft. Die Gebilde der Nerven sind gleichsam die Landfarten jenes Empfindungslebens; auf den niederen Stufen wenig entwickelt und gleichförmiger in ihrer Verbreitung, nehmen sie auf den höheren eine stets feinere Verästelung gegen die Peripherie an, so gleichzeitig zu reicherer Bewegung und Sinneswahrnehmung befähigend, und sammeln sich auf Centralpunkten niederer Ordnung, welche endlich bei dem vollkommensten Geschöpfe dem Menschen in einem Centralorgan, dem Gehirn, sich vereinigen, das ausschließlich alle Thätigkeit des Empfindens, Denkens und Wollens übernommen zu haben scheint.

Die Erfahrung des täglichen Lebens belehrt uns, daß bei allen Verhältnissen zwischen Mensch und Mensch eine gegenseitige durch tausend Fäden hergestellte Bedingtheit vorhanden ist; doch ist in den meisten Fällen auf der Einen Seite ein Ueberschuß der Kraft, d. h. das Empfinden, Vorstellen und Wollen des einen Menschen übt eine stärkere Wirkung oder Herrschaft über die analogen Kräfte des anderen aus, als umgekehrt. Es möge uns nun verstattet sein, der Klarheit zu Liebe, eine Reihe von Menschen anzunehmen, deren Seelenthätigkeit möglichst einfach gedacht werden möge. Ihre Bedingtheit d. h. die Abhängigkeit des Unvollkommneren vor dem Vollkommneren sei so groß als möglich. Dies möge durch Beispiele veranschaulicht werden. Ich habe öfters gesehen, wenn ein begabter Lehrer seinen Schülern einen Gegenstand erklärte, wie die Augen der lezteren strahlten, als wollten sie sagen: Jezt ists uns auf einmal klar geworden, es kann gar nicht anders sein. Dies sei der Grad der Abhängigkeit des Vorstellungsvermögens. Die Abhängigkeit des Empfindungslebens möge so groß sein, wie etwa die jener Römer von Antonius, der bei Shakespeare so meisterhaft die zarte Welle spielend erregend, mächtiger und mächtiger sich in die Herzen einschmeichelnd, den gewaltigen, durch keine Schranke mehr zu

bändigenden Orkan der Leidenschaften entfesselt. Den Willen denke ich mir aber in einer solchen Abhängigkeit, wie ihn der treue und fromme Glaube eines Mädchens documentirte, das ich einst fragte, warum es so gehandelt habe und das mir antwortete: „Weil es mein Bruder verlangt und was der will, das ist Recht." Denken wir uns also eine Reihe von Menschen natürlich ein abstrakter und unmöglicher Fall - in welcher das unterste Glied von dem vorlegten, dieses wieder von dem vorausgehenden und so fort bedingt wäre bis wir zu einem Centralmenschen gelangten, dessen Denken, Fühlen und Wollen alle anderen beherrschte; so hätten wir hier die enorme Vergrößerung jenes Vorgangs, der in seiner elementarsten Form der allmählichen Ausbildung des centralisirten Bewußtseins bei den niederen Thierformen zu Grunde gelegen haben muß. Man wende mir nicht ein, daß ich einen unmöglichen Fall angenommen habe; denn nur die gerade Reihe einzelner Menschen ist eine Abstraktion; denken wir uns statt deren große Complexe von Menschen, die von Kreis zu Kreis endlich durch das einheitliche Bewußtsein, die Seele der Menschheit, welche durch die Herrlichsten aller Orte und Zeiten vertreten ist, zusammengehalten werden, so ist die Sache eine Wahrheit, wenn sie auch nicht Jeder zu erkennen vermag, wie Wallenstein zu Illo sagt:

Das Jrdische, Gemeine magst du sehn,

Das Nächste mit dem Nächsten klug verbinden.
Doch was geheimnißzvoll bedeutend webt
Und bildet in den Tiefen der Natur,
Die Kreise in den Kreisen, die sich eng
Und enger ziehn um die centralische Sonne:
Die sieht das Aug' nur das entsiegelte,
Der hellgebornen, heitren Joviskinder.

Wie nun der große menschheitliche Organismus seine Geisterleiter hinaufführt zu Mittelpunkten von engeren und weiteren Kreisen, aus welchen die Bedingtheit unseres heutigen, wie des vergangenen Geisteslebens herzuleiten ist; wie diese Mittelpunkte aber nur darin ihre höhere Kraft und Bewußtheit fanden, daß sie im

Stande waren, das diffuse Bewußtsein der sie umgebenden Kreise in sich aufzunehmen: gerade so muß auch der ursprünglich elementarisch fühlende Thierorganismus allmählich ein centrales Bewußtsein gewonnen haben. Was aber den Centralorganen gewonnen wurde, das mußte natürlich den peripherischen Theilen an unabhängiger Bewußtheit verloren gehen. Bis zu welchem Grade dies geschehen konnte, ob die Nerven der äußeren Theile wirklich ganz empfindungslos sind und die Empfindung nur in den Centralorganen stattfindet, wo die Grenze der letzteren anzunehmen ist: das sind Fragen, welche die vergleichende Physiologie zu beantworten hat.

Nur Einen Einwurf will ich hier noch berühren, welcher gewöhnlich von den Spiritualisten erhoben wird. Die Seele des Menschen, sagen sie, ist etwas Einheitlich-Bewußtes, ein nur Intensives, das als Ich hinter allen wechselnden Vorstellungen und Gedanken lebt, und ohne welche lettere nur äußerlich verbundene, in keinem inneren Zusammenhange stehende Spiegelbilder wären, wie die in der Laterna magica. Darauf antwortete ich: Solche ungeordnete Bilder, ohne das intensive Ich, kommen allerdings auch im Menschenleben vor, z. B. in dem Traumleben, in dem Irrsinn, in der Trunkenheit, wo sogar der Mensch sich oft mit anderen verwechselt u. s. w. Das intensive Ich ist andererseits den Thieren gewiß nicht abzusprechen, wenn sie auch nicht darüber reflektiren, es sich nicht vorstellen können. Was es aber mit jener intensiven Kraft zu bestellen hat, das mögen sie einmal erwägen, wenn sie aus schwerem Schlafe erwachen und wie sie selbst sagen, das Bewußtsein ihnen erst allmählich wiederkehrt, die Augen schon sehen, die Zunge schon redet und diese äußeren Reize erst nach und nach an die inneren Pforten des Bewußtseins pochen und dieses zuletzt sich sammelt und erwacht. Wem dieses kein genügender Beweis ist, daß unser Seelenleben an ein ausgedehntes Centralorgan gebunden und daß die verschiedenen Theile desselben der Reihe nach fungiren d. h. in vorwaltende Erregung kommen, während die anderen mehr oder weniger ruhen, der möge bedenken, wie oft es vorkommt, daß ein patho

logischer Zustand Krankheit oder Leidenschaft das intensive Ich dermaßen bannt, daß auch dem Blindesten klar sein muß, wie das normale Centrum des harmonischen Zusammenwirkens der Organe gestört und gleichsam ein anderes Centrum an dessen Stelle getreten ist. Daß aber dasselbe feinorganisirte Gehirn nicht ebenso gut zum klaren Ichgedanken kommen soll, wie in dem primitiven Thierleben die allerdunkelste Ichempfindung aufdämmert: wie Jemand das nicht begreifen kann, das ist mir schwer begreiflich. Ich glaube Hyrtl wars, der einmal sagte: „Wer an die Schädellehre glaubt, dem soll man seinen eigenen Schädel einschlagen." Das Argument war des Standpunkts würdig, den der große Anatom vertrat und doch hätte es grade gegen seine Behauptung gezeugt. Eine intensive Ichidee bewegt doch wohl auch ein Volk, einen Stamm u. s. w. zu gleichem Handeln, zu gleicher Abwehr des Feindes und dieselbe Logik müßte hier behaupten, daß all den wechselnden Vorstellungen, Gedanken, Gefühlen nothwendig ein einheitliches Wesen die Volksseele zu Grunde liegen müsse. Auf diesem Wege müßten wir nothwendig zur polytheistischen Weltansicht des Alterthums zurückschreiten.

Außer dem centralischen Bewußtsein vervollkommnen sich in den Thierorganismen auch die peripherischen Organe. Von den Bewegungsorganen ist dies leicht verständlich, insofern sie der Centralwille regiert, seinen Zwecken unterordnet und die summirte Wirkung der Uebung innerhalb langer Generationen nothwendig bis zu der Grenze der Vervollkommung führt, welche der Erhaltung des Organismus dienlich und überhaupt erreichbar ist. Aber auch die Sinnesapparate, welche dem centralischen Reflex dienen, vervollkommnen sich. Unsere Sinneswahrnehmungen werden im Verlauf der Zeiten feiner, unser Auge nimmt zartere Farbennüancen, unser Ohr leisere Tonschwingungen wahr. Es sind die vielfachen feinen Verästelungen der Sinnesnerven, welche zu dieser Vervollkommnung führen. Auch hier spielt der Centralwille die Rolle des Erziehers.

Die tastende Hand verfeinert in häufiger Uebung die Nerven

des Tastgefühls. Dabei wissen wir nur, weil wir es sehen, daß das äußere Organ, die Hand selbst, dem Willen gehorcht. Denselben Gehorsam leistet aber zugleich der Nerv. Der centralische Impuls nimmt die bestimmte Richtung nach diesem Nerven; dieser wird stärker erregt d. h. bewegt. Die Folgen häufiger Bewegung müssen auch hier, wenn auch von uns unbemerkt wie bei dem Muskel stärkere körperliche Entwicklung sein. Diese Entwicklung nimmt die bestimmte Richtung an, wohin sie geleitet wird. Daher die feinen Verästelungen.

Beispiele vervollkommneter Sinneswerkzeuge mögen die Geschmacksnerven unserer rheingauer Weinkenner sein, welche Lage, Jahrgang, ja sogar Mischung des ihnen vorgesezten Weines herauszuschmecken vermögen.

Ein anderes Beispiel ist Chevreul, der durch wochenlanges Sigen in dunkeln Räumen sein Auge zu der größtmöglichen Empfindlichkeit für die feinen Farbenunterscheinungen heranerzog.

Nicht geübte Sinnesnerven werden mit der Zeit ebenso stumpf und endlich atrophisch, wie nicht benüßte Bewegungsorgane.

Denken wir uns die Sinnesthätigkeit unserer Nerven, wie wir doch nicht anders können als eine Bewegung, so muß nothwendig der centralische Reflex so wirken, daß in dem Centralorgan eine ähnliche Bewegung stattfindet. Es müssen demnach die feinen Verästelungen der peripherischen Nerven in dem Centralorgan eine Art von Gegenbild hervorrufen, sonst vermöchten die entsprechenden Empfindungen nicht zu unserem Bewußtsein zu gelangen. Die Wahrnehmungen, welche die ausgesandten Eclaireurs von den Bewegungen und Stellungen des feindlichen Heeres gemacht, nehmen wieder den rückläufigen Weg und vereinigen sich zum kleinen, aber entsprechenden Bilde in der Seele des Oberfeldherrn. Wie wir durch eine Verlegung der Nerven, die wir bewerkstelligen können, indem wir Zeige- und Mittelfinger kreuzen beim Anfassen eines Kügelchens in der Seele den Irrthum erzeugen, als seien es zwei Kügelchen, so muß auch die kleinste Verästelung der Sinnesnerven ihr entsprechen

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