Immagini della pagina
PDF
ePub

Sez dir Perrücken auf von Millionen Locken,

Sez deinen Fuß auf ellenhohe Socken,

Du bleibst doch was du bist.

Es ist der Unterschied zwischen der Eigenkraft des Menschen und seiner Machtsphäre.

Diese Machtsphäre ist das Produkt der Anstrengungen von vielen Milliarden von Generationen, die in ununterbrochener Folge hunderttausende von Jahren gerungen und sich abgemüht haben, um diese Erde für sich wohnlich einzurichten; sie ist das Resultat von leuch= tenden Gedanken, von stiller fleißiger Arbeit, von opferwilliger Hingabe an die großen Ziele und Aufgaben der Menschheit. In unge= heuren Progressionen steigert sich nun diese Machtsphäre von Jahrhundert zu Jahrhundert, während in den ersten Jahrtausenden der historisch nachweisbaren Menschenvernunft der Fortschritt ganz gewiß ein unendlich langsamer, kaum wahrnehmbarer gewesen ist.

Diese Machtsphäre wirkt aber anderseits auch als eine über die Erde verbreitete geistige Atmosphäre, an welcher alle Menschen mehr oder weniger Antheil haben, indem sie dieselbe einathmen, dadurch ihre Eigenkraft erhöhen und zwar in dem Maße als sie eine größere oder geringere Assimilationsfähigkeit besigen. Auch der Wilde ge= braucht das Schießgewehr, das zufällig in seinen Besig gekommen; es dient ihm aber nur so lange, als er das benöthigte Quantum Pulver hat, oder jenes nicht reparaturbedürftig geworden ist. Die Gedanken Spinoza's, die mathematischen Theorieen Gauß' zu verstehen, ist nur Wenigen gegeben und doch sind dieses mächtige Ströme, aus welchen sich das oben bezeichnete Gedankenmeer speist und erhält.

Mit anderen Worten: Wie die Entwicklungslehre der einzelnen Organismen sich auf zwei Factoren gründet, die Eigenart, d. h. die Anlage und Entwicklungsfähigkeit dieser organischen lebenden Formen und die Summe aller äußeren Verhältnisse, zu welchen auch die be= reits gewordenen übrigen Organismen gehören: ebenso sind bei der Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts einerseits Anlage und Befähigung aller Einzelwesen, andererseits jene ungeheure Schöpfung

des Menschengeistes, das Produkt vieler Jahrtausende, das geistige Substrat seiner weiteren Entwicklung ins Auge zu fassen.

Das gezähmte Pferd, der gezüchtete Ochse, die kunstvolle Dampfmaschine, die hochgebildete Sprache, das herrliche Marmorbild sind natürliche Glieder jener Machtsphäre, die ich zugleich eine geistige Atmosphäre genannt habe. Wie die Millionen der mannigfaltigsten organischen Formen ausschließlich Werke der Natur, so sind diese Schöpfungen des Menschengeistes, der ihnen sein Siegel aufgedrückt, wie der Dichter so schön sagt:

Regel wird Alles und Alles wird Wahl und Alles Bedeutung,
Dieses Dienergefolg meldet den Herrscher mir an!

Auf diesem Gebiete der Erzeugnisse der voranschreitenden menschlichen Cultur wird die Entwicklungslehre wohl von Allen, auch ihren hartnäckigsten Leugnern auf den beiden anderen Gebieten, anerkannt. Man braucht in der That nur die ursprünglichsten Werkzeuge der Menschen die Steinart, die Steinfäge, das Steinmesser zu vergleichen mit den späteren Formen, um auch dem Blindesten die allmähliche Vervollkommnung bei steigender Erkenntniß, zunehmender Erfahrung und reicherem geeigneterem Material klar zu machen.

1) Einzelne Seiten des Entwicklungsgesehes treten auf diesem Gebiete in einer handgreiflichen, ich möchte sagen, naiven Weise in die Erscheinung. So die, daß sich zu der ursprünglichen Form, welche bleibt, neue individuellere Züge anbilden. Die erste Steinart war wohl ein zufällig so geformtes Stück Kieselstein, mit welchem der Spiel- oder Kampftrieb des Menschen ihm nügliche Wirkungen ausübte. Die Auswahl unter den vorhandenen ließ wohl bald Eine Form, die keilförmig zugeschärfte, als die geeignetste erscheinen und sie wurde nun, wo sie seltener sich vorfand, durch eigene Arbeit hergestellt. Erstes Auftreten des selbstgefertigten Werkzeugs. Zum Fällen der Bäume oder geschah es zur Abwehr der wilden Thiere? reichte die Schwungkraft des eigenen Arms nicht aus und die nächste Verbesserung war wohl die Befestigung der Steinaxt an einem Stücke Baumast, wodurch eine Verlängerung des Hebel

arms erzielt wurde. Diese Befestigung ward der Anlaß zahlreicher Versuche und Erfindungen. Neben dem Einfügen in das gespaltene Ende des Baumasts, welches lange Zeit die einzige Art der Befestigung war, erschien endlich die Idee, den Stiel in ein eigens gefertigtes Loch einzutreiben, als die zweckmäßigste und natürlichste Verbindung. Dies konnte aber erst in einer Zeit eintreten, wo man in der Bearbeitung des harten Materials bereits einen bedeutenden Fortschritt gemacht hatte und schon die Erfahrung angeleitet hatte, statt des rauh behauenen, einen glatt polirten Steinkeil mit unsäglicher Mühe sich herzustellen. Das Bekanntwerden eines neuen Materials, des schmelzbaren Kupfers, des schmiedbaren Eisens erleichterte die Arbeit und vervollkommnete die Form, welche nun, nachdem sie einmal möglichst zweckentsprechend sich erwiesen hatte, sich zu einer dauernden fixirte. Es ist gradezu merkwürdig, wie die Gegenstände des täglichen Gebrauchs sowohl in einem ungeheuren Verbreitungsbezirk, als auch in einem Verlauf von Jahrtausenden mit ganz geringen Abweichungen dieselben Formen darbieten.

2) Hier mag gleich die von Ernst Häckel in genialer Einfachheit formulirte Theorie von der Ontogenie und der Phylogenie in gewissem Sinne ebenfalls ihre Anwendung finden. Jede zweckdienliche Schöpfung des Menschengeistes war ein bis zu einer bestimmten Vollkommenheit sich entwickelndes On (Einzelwesen), welches dann auf dieser Stufe je nach seiner Verwendbarkeit sich in zahllosen Individuen, welche zusammen die Phyle (Gattung) bilden, reproducirt. Man mache sich eine Vorstellung von den Myriaden von Stecknadeln oder Nägeln, welche bis auf den heutigen Tag verbraucht worden sind.

So wird die Gewohnheit des Einzelmenschen zum Gebrauch, der Gebrauch zur Sitte. So kann eine einmal vorhandene Sprachform, z. B. ein erster Comparativ, zur Stammmutter werden, aus welcher zahlreiche andere analogisch sich bilden.

3) Ein drittes Princip, welches in der Entwicklungslehre der organischen Wesen erkannt worden ist, war wohl schon früher auf diesem Gebiete nicht bloß ungemein wirksam, sondern auch zum

klaren Bewußtsein gekommen: es ist das Princip der Arbeitstheilung. Wie die Natur in allmählichem Werden die einzelnen Organe an der geeignetsten Stelle herausbildet und sie mit den speciellen Func= tionen der Bewegung, des Sehens, des Hörens betraut, so

schuf der Menschengeist sich auch seine besonderen Organe — die verschiedensten Werkzeuge zu den verschiedensten Verrichtungen; die Bearbeitung des mannigfach gearteten Bodens zu den mannigfaltigen Culturpflanzen, die Organisation der Gesellschaft nach Klassen und Ständen können hier als Beispiele dienen. Millionen mögen allnächtlich ihre Augen nach dem gestirnten Himmel richten, sie werden nicht soviel sehen, als das ein Paar Augen des Astronomen, der einzig dieser Beschäftigung obliegt. Dafür sind diese Augen in ge= wissem Sinne die astronomischen Augen der Menschheit. Die oben erwähnte Stecknadel dient unzähligen Gebräuchen, dafür wird sie auch ungemein zahlreich und wohlfeil hergestellt — wodurch? einzig durch Arbeittheilung. Das ist die stecknadelbildende Kraft. Wir brauchen die zu höchster Vollkommenheit entwickelten Fittiche des Adlers, die Läufe des Hirsches nicht mehr zu beneiden; ein Stückchen Blei fliegt dem Adler nach und ereilt ihn und wir vermögen durch ein wenig gespannten Dampfes uns eine Geschwindigkeit zu ver= leihen, deren Raschheit und Ausdauer von keinem lebenden Wesen erreicht wird.

4) Das vierte Grundgeset der organischen Entwicklung ist das Erreichen möglichst großer Wirkungen durch die möglichst einfachen, sparsamen Mittel. Jedes überflüssige, nicht mehr verwerthbare Organ schrumpft ein, stirbt ab oder gestaltet sich zur Uebernahme einer neuen Function um. Nach Maßgabe seiner Wichtigkeit bildet sich ein Organ auf Kosten der übrigen aus; diese treten demnach zurück und es stellt sich so stets eine Harmonie der Theile her, welche zum Leben und zur Anpassung für die äußeren Verhältnisse die geeignetste ist. Dasselbe Princip leitet den Menschengeist in seinen Schöpfungen; ebenfalls allmählich und nach langem Tasten gelangt es zur Geltung. Als erstes Beispiel will ich die Worte James

[ocr errors]

Watt's beim Anblicke einer sinnreichen Maschine anführen: Wie schwer muß es doch gewesen sein, diese Maschine zu erfinden, da sie so einfach ist!" Auf die Sprache übertragen, ist dieses das Wesen des Classischen; der Ausdruck muß gerade nur so viel nicht mehr, nicht weniger geben, als die auszusprechende Idee verlangt. In diesem Sinne ließe sich das Wesen des Classischen nicht nur in den Werken der Sprache und der Kunst, sondern in allen Erzeugnissen des Menschengeistes nachweisen.

Ein zweites Beispiel ist die Schrift. Sie geht aus von der graphischen Darstellung der zahllosen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände und versucht es dann auch immaterielle Dinge symbolisch zu bezeichnen. Aus dieser unbegrenzten Vielheit der Schriftzeichen, welche noch vermehrt wird durch die Willkürlichkeit der Darstellung, gelangt sie in der zweiten Stufe der Entwicklung zur Fixirung einer zwar außerordentlich großen, aber doch immerhin begrenzten Anzahl von Ideenbildern. Aegyptische Hieroglyphen, das chinesische Alphabet mit seinen 40.000 Zeichen. Die höchste vollkommenste Stufe wird erreicht durch den so leichten und einfachen Mechanismus der Lautschrift. Vierundzwanzig Zeichen genügen, um alle vorhandenen und überhaupt möglichen Worte zu bezeichnen. Interessant ist der Nachweis, wie noch die heutigen Buchstaben den Charakter der Ableitung aus der früheren Bilderschrift tragen. (y alef Stier, Stierkopf, Zeichen für A griechisch äλya, □ beth, Haus, Zeichen für B griechisch Byra u. s. m.) Es ist übrigens möglich, daß die heutige Schrift trog ihres dreitausendjährigen Bestehens auf derselben Stufe, noch einer höheren Vervollkommnung d. h. größeren Vereinfachung fähig wäre. Diese wird dann zu ihrer Zeit ganz gewiß eintreten. Die Notenschrift z. B., das Kind einer späteren Zeit, bedient sich viel einfacherer Mittel und bereits hat die Stenographie angefangen, im Anschlusse an diese, die höheren und tieferen Vocale durch Stellung der Buchstaben über oder unter die Linie zu bezeichnen.

Als drittes Beispiel diene die Sprache. Auch sie geht aus von einer unbeschränkten Fülle einfacher Wurzelwörter, die so inein

« IndietroContinua »