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„Du hast Recht, Vetter, es wird heutzutage ein solcher Schwindel mit Empfindungen getrieben, daß ein ehrlicher Kerl sich ordentlich schämen muß gerührt zu sein!" So schrieb der redliche Wandsbecker Bote an seinen Vetter Andres zur Zeit der Gefühlsseligkeit und Schwärmerei. Und doch war die Veranlassung dieser allgemeinen Empfindsamkeit das unsterbliche Werk unseres größten Dichters und doch waren „Werthers Leiden“ eine literargeschichtliche That, ein gewaltiger Wendepunkt, welcher dem reinen tiefen Gemüthsleben seine Berechtigung in der Poesie anwies gegenüber der verstandesdürren, conventionellen französischen Salonpoesie, die in dem „Schicklichen und Zierlichen“ aufging. Und doch war der treffliche Claudius selbst eine empfindungsselige Natur, der wir zuweilen etwas mehr stahlharte Männlichkeit wünschten. Woher also diese Aeußerung?

Weil eine jede noch so große und geniale Schöpfung, jeder noch so ideale und erhabene Gedanke von der Menge zu einem Fetisch und von den Chorführern - den Verstandes- oder literarischen Pfaffen zu einem Popanz gemacht wird.

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Welch plattes, seichtes Geschwätz hat nicht der gewaltige Emancipationsdrang des achtzehnten Jahrhunderts in den Schriften so vieler französischen „Philosophen“ ausgeheckt! Welche Greuel und welcher Wahnsinn wurden nicht unter dem Règne de la Raison", welch scheußliche Tyrannei unter der ,,Liberté und Fraternité" aus

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geübt! Wieviele unreife Buben, wieviel einer ernsten Lebensführung unfähige Liederlichkeit, wieviel einer erfolgreichen Anstrengung nicht gewachsene Impotenz haben nicht hinter der Rolle kraft-genialer Urmenschen, Faustischen Weltschmerzes, Wertherschen Unverstandenseins ihr klägliches Dasein gefristet! Das Gesez der Electricität, welch eine wüste Masse unverdauter Naturphilosophie ist nicht aus ihm entsprungen! Das Absolute, das Ding an und für sich wie viele Jahrzehnte hat nicht füffisante Anmaßung und eitle Selbstüberhebung die große Masse gebildeter und ungebildeter Nachbeter mit diesen Worten zum Besten gehabt, bis man endlich sich zu gestehen wagte, daß hinter diesen Wortschaften fein Sinn verborgen sei! Und wie klar muß nicht heute einem jeden, der sich zur monistischen Weltanschauung aufzuschwingen vermag, der Gedanke sein, daß mit all derartigen negativen Begriffen für uns nichts anzufangen ist. Man versuche es doch einmal alle die Eigenschaften des Nichtseins zusammenzustellen ich bin überzeugt man wird dicke Bände zusammenschreiben können, deren sich die Scholastik nicht zu schämen hätte, es wird aber nur leeres Stroh gedroschen sein eben weil das Nichtsein nicht ist. Ganz unter dieselbe Kategorie gehört aber das Unfaßliche, das Unbegreifliche, das Absolute lauter negative Begriffe. Verweilen wir einen Augenblick bei lezterem, weil er seinem äußeren Wortlaute nach etwas Positives zu enthalten scheint und darum wohl auch so viel Köpfe verwirrt hat was bedeutet denn absolut? Doch so viel als unbedingt. Das aber ist doch wohl gewiß, daß unsere gesammte Erkenntniß nur dadurch möglich wird, daß wir selbst von den Dingen und zwar möglichst viele Eindrücke erhalten, also von ihnen bedingt werden. Nur gerade so viel vermögen wir von den Dingen zu erfassen, als wir selbst von ihnen bedingt werden und als wir in einer fortgesetzten Reihe dieselben eins von dem anderen bedingt annehmen dürfen. Geht nun unser Denken in fortgeseßtem Causalitätsrückschließen in eine noch so dunkle Vergangenheit zurück, gelangt es zu noch so einfachen Verhältnissen, aus welchen sich allmählich die unendliche Mannigfaltigkeit der Er

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scheinungen gebildet hat, immer können wir gerade nur so viel fassen und erkennen, als uns bedingt d. h. in einem ursächlichen Verhältnisse zu stehen scheint. Die Grenze unserer Vernunft und unserer Erkenntniß ist da, wo beide ermatten, wo wir uns sagen: Der Stoff war von Ewigkeit! Keinen anderen Werth haben die Worte: Das Absolute oder das Ding an sich. Sie sind beide negative Begriffe, sie bezeichnen was wir nicht zu fassen im Stande sind, sie existiren für uns nicht. Ebenso verhält es sich mit dem Begriffe unendlich, mit welchem schon so viel gespielt, gerechnet und phantasirt worden ist. Nur das was sich in diesem beschränkten Mikrokosmus, dem menschlichen Geiste, wie in einem Focus sammelt von den Dingen außerhalb, das allein vermögen wir zu begreifen. Die Myriaden von Welten, deren Licht aus Entfernungen kommt, die es nur in Millionen von Jahren zurückzulegen vermag, sie geben uns einen Maßstab für noch viel zahlreichere Welten, deren Licht auf dem ungeheueren Wege vielleicht ganz erlischt, für Welten, die, in einer unbegreiflichen Menge vorhanden, vielleicht gar kein Licht ausströmen, für Räume, die noch jenseits aller dieser Dinge in ungeheuren Fernen liegen, „wo die kühne Seglerin Phantasie ein muthloses Anker" werfen muß. Das Eine ist gewiß, daß es in dem Wesen unseres Geistes, eines endlich beschränkten, nur den Wirkungen von Außen zugänglichen Theils des Alls liegt, nur gerade soviel begreifen zu können, als auf ihn einwirkt. In dem Wesen der Erkenntniß, des Begreifens liegt es also, daß nur das Begrenzte für sie existiren kann. Alles Uebrige liegt außerhalb ihres Bereichs; was damit ist, können wir niemals erfahren, weil wir damit das Mittel der Erkenntniß, dessen Voraussetzung die Begrenzung ist, aufheben müßten. Wir vermögen mit unserer Phantasie jene äußerste Grenze, woher noch Licht zu unserem Auge und in unsere Seele dringt, ins Ungemessene zu erweitern; aber damit vermögen wir von dem Unendlichen auch noch nicht ein Theilchen abzubrechen, weil dies eben ein negativer Begriff ist und, so wenig wie das Reich des Nichtseins durch das Sein, reducirt oder beschränkt werden kann. Es ist also kein unauflösliches

Mysterium, in welchem wir uns beständig bewegen, sondern einfach eine Grenze unseres eigenen Wesens, die wir mit jenem Worte bezeichnen.

Es ist mit derartigen Worten, bei denen man sich doch immer etwas Bestimmtes denken müsse, wie man wähnte, auch viel Schwindel getrieben worden und hat man mehr als einmal versucht, mit nega tiven Begriffen positive Data und Thatsachen aufzulösen und zu erklären, was natürlich niemals gelingen kann. Etwas ganz Verwandtes ist es, was ich in diesem Auffaze besprechen will. Wenn Schopenhauer in seiner genialen Unterscheidung zwischen Willen und Intellect einen Jahrtausende alten Irrthum der Menschen zuerst siegreich widerlegte, den Irrthum nämlich, daß alles menschliche Thun mit Bewußtsein geschehe, so hat es nicht lange gedauert, bis eine Zahl von Nachtretern und Nachbetern diesen genialen Gedanken in eine scholastische Formel verwandelten, mit der sie alle möglichen Dinge zu erklären vermeinten, ohne etwas anders zu thun, als leere Worte an die Stelle unbekannter Erscheinungen zu sehen.

Das Unbewußte, die Lehre vom Unbewußten ist es, die ich im Auge habe. Das ist auch nichts weiter als ein negativer Begriff, der die Sphäre aller der Erscheinungen unseres Geistes ausschließt, bei denen bewußtes d. h. reflektirtes Denken das Resultat unseres Empfindens und die Triebfeder unseres Handelns ist. Aber wenn ich sage: das Unbewußte thut dies, das Unbewußte thut jenes, was in aller Welt ist damit für uns erklärt oder aufgeschlossen? Diesen negativen Begriff, diese unbekannte Sphäre gilt es in bestimmte, positive Einzelheiten aufzulösen, wenn erreicht werden soll, daß wir mit unserem lichtdurstigen und lichtgewohnten Auge nicht in einen dunkeln Raum hinabstarren, in welchem wir gar nichts zu erkennen vermögen! Dieses in Kürze und möglichst klar darzustellen, soll im Folgenden versucht werden.

Ich erinnere mich, wie ich nach sechswöchentlicher Ferienreise in meine Wohnung zurückkehrte, an welcher zwei Stufen vor dem Eingange durch eine einzige ersetzt worden waren, daß ich mehrere

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