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unser Schiller in den schönen, die große Entwicklung kurz zusammenfassenden Worten voraus verkündet:

Leben gab ihr die Fabel, die Schule hat sie entseelet,

Schaffendes Leben auf's neu gibt die Vernunft ihr zurück.

Dieser poetischen Ahnung hat der große, erhabene Geist eine breitere und tiefere Begründung gegeben in einem Ausspruch, der dem Adlerblick seines philosophischen Denkens vereint mit der poetischen Intuition des Dichters seinen Ursprung verdankt und mit welchem ich schließe, da er den Grundgedanken dieses ganzen Abschnitts enthält:

„Sollte nicht von dem Fortschritte der menschlichen Kultur eben das gelten, was wir bei jeder Erfahrung zu bemerken Gelegenheit haben? Hier aber bemerkt man drei Momente:

1) der Gegenstand steht ganz vor uns, aber verworren und in einanderfließend.

2) Wir trennen einzelne Merkmale und unterscheiden. Unsere Erkenntniß ist deutlich, aber vereinzelt und bornirt.

3) Wir verbinden das Getrennte und das Ganze steht abermals vor uns; aber jezt nicht mehr verworren, sondern von allen Seiten beleuchtet.

In der ersten Periode waren die Griechen, in der zweiten stehen. wir. Die dritte ist also noch zu hoffen und dann wird man die Griechen auch nicht mehr zurückwünschen.“

XIV.

Der ethische Inhalt des Entwicklungs

gesetzes.

Daß der Sohn nicht gleich sei dem Vater, sondern

ein Bess'rer.

Goethe.

Eine stillschweigende Anerkennung des Entwicklungsgesezes findet bei der Erziehung der meisten Kinder statt. Das Christkindlein, das die schönen Gaben bringt und den lichterflimmernden Weihnachtsbaum anzündet, die reiche Märchenwelt, die mit der Frau Holle, dem Dornröschen, den gütigen Feen, den Wichtelmännchen, Rübezahl und wie sie alle heißen mögen das Entzücken der Kinderwelt bildet, sind sie nicht dunkle, vieltausendjährige Erinnerungen einer längst vergangenen Vorzeit, die sich bei unseren Kindern in ihrer ersten Entwicklungsstufe wiederholt? Und die stille Thräne, die sich in das Auge der Mutter stiehlt, wenn der vernünftige Vater sagt: "Wir müssen jezt unsere Kinder aufklären, wer das Christkindchen ist und von dem dummen Märchenglauben darf nicht mehr die Rede sein!" hat sie nicht etwas von dem tiefen Schmerz, der unsere Vorfahren mehr als ein Jahrhundert beschleichen mochte, da sie ihre gewaltigen, ihnen überaus theueren Götter, ihre fröhlichen Reigen auf blumiger Au, ihre Julfeuer aufgeben mußten oder nur heimlich und verstohlen, da wo das scharfe Auge der christlichen Priester sie nicht erspähen konnte, das Altehrwürdige, Festgeschlossene, Hergebrachte wieder erneuen und erwecken durften? Das Kind erlebt in seinen ersten glücklichen Jahren jenes geheimnißvolle Dämmerweben; vernünftige Erziehung hält allerdings die düsteren Bilder, die angsterregenden Dämonen- und Gespenstersagen, denen schon blutige Opfer genug in heidnischer und christlicher Vorzeit gefallen sind, von ihm fern.

An die Stelle dieses farbenreichen Wunderglaubens tritt dann bald der allliebende Vater, den sein gnadenreicher Sohn zu offenbaren auf die Erde kam. Zu ihm faltet das Kind fromm seine Händchen und betet, daß er die lieben Eltern gesund erhalte, daß er vor Unglück das Haus bewahren möge und ihm selber einen Schußengel sende, der ihm den guten Weg zeige, auf dem es in den Himmel gelangen könne. Und wenn es dann sanft entschlummert, dann halten an seinem Bettlein die Engel treue Wacht und ziehen still friedlich durch seine Träume, daß es im Schlafe selig lächelt und wenn es dem goldenen Morgen wieder die hellen Augen öffnet, seinen Eltern erzählt, wie glücklich es heute Nacht gewesen ist. Bald aber verlangt der treue Gott, der das Haus in seiner Obhut hält, im Unglück und Leiden den sanften Thau des Trostes niedersendet, auch von dem Kinde, daß es treu seine Pflicht erfülle, seine Nebenmenschen liebe, in Geduld ausharre und jede Prüfung ohne Murren hinnehme, da sein diesseitiges Leben nur eine Vorbereitung für ein besseres und glückliches Jenseits ist. Auch diese reine und schöne Lehre hat ihre dunkle Schattenseite und recht wohl erinnere ich mich noch, wie meine gute Mutter frommgläubig und ernst mir zum erstenmale von der Höllenstrafe erzählte, die die Bösen erwarte, wie ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte und der Gedanke mich beherrschte, daß ich im Jenseits unfehlbar in ein Sparöfchen würde hineingeschoben werden, wie eins in unserem Schlafzimmer stand und daß dann Holz und wieder Holz würde zugelegt werden ohne UnterLaß. Mit diesem Glauben durchleben wir den geistigen Inhalt von anderthalb Jahrtausenden.

Es kommt die Zeit - sie kam bei mir im vierzehnten Jahre.wo wir auch diese beseligende Weltanschauung in uns wanken und in Trümmer zerfallen fühlen. In unseren heutigen Verhältnissen sind es meist auch wieder die aufgeklärten Eltern, welche schon frühzeitig durch Anspielungen und Andeutungen den kritischen Proceß vorbereiten, den sie bei ihren Kindern erwarten und der diese zu einer ganz veränderten Auffassung vom Werth und Inhalt des Lebens

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