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Ich muß abbrechen und Dir und den Deinigen ein herzliches Lebe= wohl sagen. Aber wie ist es möglich, daß nicht alle unsere jungen Leute nach der Schweiz laufen?!

An den Justiz-Commissär Thüssing zu Warendorf').

71.

Frankfurt, 19. August 1848.

Wir stehen nunmehr in der Berathung der Grundrechte beim Artitel III und IV und ich kann hoffen, daß in 14 Tagen bis 3 Wochen die Fragen, die ein religiöses Interesse berühren, hier abgehandelt sein werden. Zwar werden bei der vorbehaltenen zweiten und definitiven Berathung der Grundrechte diese Artikel noch einmal zur Sprache kommen; ich darf aber gewiß hoffen, daß Sie den drei obersten Grundsägen, von welchen die hiesige katholische Versammlung bei ihren Anträgen ausge= gangen ist: Unabhängigkeit der Glaubensgesellschaften vom Staate, Lehrund Lernfreiheit, Recht der Selbstregierung der Gemeinde in Bezug auf die Volksschulen, auch beipflichten werden, so daß, wenn es uns gelingen sollte, in diesem Sinne unsere Anträge durchzusetzen, Sie bei der zweiten Berathung doch nicht abweichend stimmen würden. Ist diese Voraussetzung richtig, so ist mein längeres Hiersein ganz ohne Zweck. Nur ein kirchliches Interesse konnte mich bestimmen, die Wahl anzunehmen und auf einige Zeit aus meinem geistlichen Berufe herauszutreten. Ein politisches Interesse tenne ich für mich nicht mehr. Ich wünsche deßhalb sofort nach Beendigung der ersten Berathung der Artikel III und IV mein Mandat hier niederzulegen und bitte Sie mich zu benachrichtigen, ob Sie im Stande sind, in der angedeuteten Frist hier einzutreten; den nähern Zeitpunkt würde ich dann nicht verfehlen Ihnen mitzutheilen. Sollten jedoch die oben angedeuteten Grundsäge, die ich als Lebensfragen der Kirche und der Gewissensfreiheit betrachte, nicht die Ihrigen sein, so bitte ich es mir auszusprechen.

wo die Urkantone vor der erdrückenden Uebermacht des Feindes weichen mußten. Vgl. Erlebnisse des Bernhard Ritter von Meyer. Wien und Pest 1875. 1, 258.

1) Dieser und die zwei folgenden Briefe aus der Zeit der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt stehen in der Flugschrift: „Vier Briefe über das Verhältniß von Kirche, Schule und Staat." Gedruckt bei J. Schnell in Warendorf.

Thüssing an Freiherrn W. v. Ketteler.

72.

Warendorf, 2. September 1848.

Sie verlangen in ihrem Schreiben vom 19. August cr. meine Ansicht über das Verhältniß von Kirche, Schule und Staat zu hören, um darnach zu ermessen, ob es Ihnen zweckmäßig erscheint, ferner in Frankfurt zu bleiben oder Ihr Mandat niederzulegen. Ich erlaube mir zunächst die Bemerkung, daß es nicht meine Aufgabe ist, als Stellvertreter einzutreten, wenn der Deputirte sein Mandat niederlegt. Denn der Stellvertreter hat nur die Bestimmung, einzutreten, wenn der Deputirte behindert ist seinen Posten wahrzunehmen, nicht aber, wenn der Deputirte sein Mandat niederlegt. Durch die Niederlegung Ihres Mandats würde die Wahl eines andern Deputirten nothwendig.

Abgesehen hiervon würde ich Ihrer Ansicht in Betreff des angeregten Punktes nicht beipflichten. Zuvörderst bin ich völlig damit einverstanden, daß Kirche und Staat getrennt, und nicht allein die Kirche vom Staat, sondern auch der Staat von der Kirche unabhängig sein muß; ich habe dies bereits früher ausgesprochen und sehe darin nicht allein eine Lebensfrage der Kirche und der Gewissensfreiheit, sondern auch eine Lebensfrage für das große Ziel der Einheit der deutschen Völker. Soll die Einheit Deutschlands möglich werden, und das wird sie, so kann diese große Vereinigung nicht auf dem kirchlichen Gebiete bewerkstelligt werden. Die Einheit der deutschen Völkerstämme muß troß der Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses hergestellt werden. Das ist nur möglich, wenn die Kirche sich vom Staate trennt, und der Staat allen Confessionen eine Gleichheit in staatsrechtlicher Hinsicht angedeihen läßt, welche er überhaupt zu verweigern nicht berechtigt ist, da die Kirche keine Polizeianstalt des Staats ist. Deßungeachtet vindizire ich der Gemeinde nicht das Recht der Selbstregierung in Ansehung der Volksschule. Die Gemeinde ist lediglich ein Institut, welches seine Existenz durch den Staat hat und ohne den Staat nicht gedacht werden kann. Die Selbstregierung der Gemeinde beruht auf einer Verleihung des Staats, nicht aber umgekehrt der Staat auf einer Entäußerung von Rechten, welcher die Gemeinde sich zum Vortheil des Staats hätte begeben wollen. Der Staat allein ist das einzige Rechtssubjekt, welches seine rechtliche Existenz aus sich selbst, aus dem Gesammtwillen des ganzen Volkes hat, nicht aber die Gemeinde. Diese kann willkürlich ganz aufgehoben, ihrer rechtlichen Leitung nach modifizirt, in ihren geographischen Grenzen, wie sol

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ches häufig genug geschieht, umgestaltet werden. Die Rechte der Selbstregierung, welche die Gemeinde ausübt, haben zunächst nur die lokalen Interessen zum Gegenstand. Die Zwecke des Unterrichts sind aber lediglich allgemeine Staatszwecke, welche durch die Grenzen und sonstige Verhältnisse der Gemeinden nicht wie andere Gemeindeanstalten bedingt sind. Darum läßt sich dem Prinzip nach das Recht der Selbstregierung der Gemeinden in Bezug auf die Volksschule nicht anerkennen. Es ist auch nicht abzusehen, warum Ihr Projekt sich lediglich auf die Volksschule beschränken sollte; wenn es ausgeführt würde, warum sollte denn nur etwa gerade die Volksschule der Gemeinde selbstständig verbleiben und nicht die Schule überhaupt, nicht die Gymnasien und sonstige gelehrte Anstalten?

Die Ansicht der dortigen katholischen Versammlung weicht übrigens wesentlich ab von der Ansicht, welche gerade jezt von einer Partei hier geltend gemacht wird, welche nur der Kirche die Volksschule übertragen wissen will und der politischen Gemeinde nur insofern einen Antheil an der Schule gestattet, als die politische Gemeinde verpflichtet erachtet wird, für die Herbeischaffung der Geldmittel Sorge zu tragen. Daß ich dieser Ansicht ebenfalls nicht beipflichte, brauche ich wohl kaum bemerklich zu machen. Die Partei, welche diese Ansicht vertritt, kann offenbar nur bezwecken, dem Staat selbst das Recht auf die Schule streitig zu machen, wenn sie sich auf irgend ein Prinzip stüßen will und nicht etwa blos von dem praktischen Gesichtspunkte der Nüßlichkeit ausgeht.

So wie dem Prinzipe nach weder die eine noch die andere Ansicht haltbar ist, so würden auch in den Folgen beide darin zusammen kommen, daß beide zu einer Gleichstellung der verschiedenen Glaubensgenossen keineswegs führen.

Den Inhalt ihrer Mittheilung betrachte ich bei der Stellung eines Deputirten als eine Sache, welche lediglich ein öffentliches Interesse zum Gegenstand und nicht den Zweck hat, an meine Person gerichtet zu sein. Da den Wählern und deren Committenten ohne Zweifel viel daran liegt, die politische Ansicht ihrer Vertreter zu kennen, habe ich geglaubt, daß ich Ihr Schreiben und meine Antwort denselben bekannt machen dürfe. Wir haben ein wesentliches Interesse dabei, und es kann nur zum Guten führen, daß zwischen den Committenten und ihrem Deputirten ein Austausch ihrer Ansichten stattfindet, einestheils um das Interesse für die großen Ideen, von deren Realisirung die Zukunft unseres Vaterlandes abhängt, rege zu erhalten; anderntheils glaube ich auch, daß die Wähler die Ansichten ihrer Vertreter zu kennen durchaus nothwendig haben, um darnach zu ermessen, ob sie von dem Deputirten erwarten dürfen, daß ihre eigenen Ueberzeugungen vertreten werden.

Offenes Schreiben des Deputirten der deutschen Nationalversammlung Pfarrers von Ketteler an seine Wähler.

73.

Frankfurt, 17. September 1848.

Der Herr Justiz-Commissär Thüssing in Warendorf, den Sie zu meinem Stellvertreter erwählt haben, hat ein Privatschreiben, das ich am 19. August an ihn gerichtet, zugleich mit seiner Antwort vom 2. 1. Mts. in Nr. 72 des Warendorfer Wochenblattes zur öffentlichen Kenntniß gebracht und Ihnen ein Exemplar desselben mitgetheilt. Ich finde mich dadurch veranlaßt, einige berichtigende und erläuternde Bemerkungen über diese beiden Schreiben an Sie, meine geehrte Herren, die Sie mich mit dem Mandate, das ich hier ausübe, betraut haben, zu richten.

Zunächst wende ich mich zu dem Schreiben des Herrn Thüssing. Er beginnt dasselbe mit einer Belehrung über die Stellung des Stellvertreters zum Deputirten und behauptet: „Der Stellvertreter hat nur die Bestimmung einzutreten, wenn der Deputirte behindert ist seinen Posten wahrzunehmen, nicht aber, wenn der Deputirte sein Mandat niederlegt.“ Herr Thüssing hat versäumt, sich selbst zu unterrichten, bevor er es unternahm, andern seinen Unterricht zu ertheilen. Die stenographischen Berichte über die Verhandlungen der Nationalversammlung hätten ihm dazu die beste Gelegenheit geboten. Er scheint sie und den Geschäftsgang der Nationalversammlung nicht zu kennen und zu glauben, daß das bei der Berliner Landesversammlung übliche Verfahren für alle Versammlungen der Welt maßgebend sein müsse. Sie, meine Herren, werden dagegen ohne meine Erinnerung wissen, daß die Ansicht des Herrn Thüssing vollständig unrichtig ist, und daß die Nationalversammlung erst dann den Stellvertreter einberuft, wenn der Deputirte sein Mandat definitiv niedergelegt hat.

Ueber die Kirchenfrage ist Herr Thüssing mit mir einverstanden, und ich gehe daher sofort zu unserer Differenz in Betreff der Volksschule über.

Ich freue mich, meine Herren, dieser Gelegenheit, um Ihnen meine Ansicht über diesen hochwichtigen Gegenstand, der so tief in das Leben der Familie eingreift, vorzutragen.

Mein oberster Grundsaß ist es hier, daß Sie selbst, meine Herren Familienväter, nach göttlichem und natürlichem Rechte auch die Herren Ihrer Kinder sind, und daß Sie, die Eltern, das heilige und unverleßte

Recht haben, zu entscheiden, wie Ihre Kinder erzogen und gebildet werden sollen. Diesen Grundsay verfolge ich bis zu seiner äußersten Consequenz und ich fordere daher ebenso für den Katholiken und gläubigen Protestanten das Recht, seine Kinder im katholischen und protestantischen Glauben zu erziehen, wie ich dem Ungläubigen das furchtbare Recht vindizire, seine armen Kinder im Unglauben auszubilden.

Der Staat, der volle Gewissens- und Glaubensfreiheit anerkennt, hat den Eltern gegenüber durchaus kein anderes Recht, als daß er von jedem seiner Angehörigen eine bestimmte Stufe formaler Geistesbildung fordern und daß er die säumigen Eltern anhalten kann, ihren Kindern diese Bildungsstufe zu verschaffen.

Sie sehen hier, meine Herren, den vollendeten Gegensatz zwischen Ihrem Deputirten und dessen Stellvertreter. Ich behaupte, daß Sie die Herren Ihrer Kinder sind, daß Sie das heilige Recht und die heilige Pflicht haben, nicht blos die Ausbildung des Leibes sondern auch die Ausbildung der Seele zu leiten; Herr Thüssing überläßt Ihnen den Leib und gibt dem Staate die Seele Ihrer Kinder, um diese nach seinem Wohlgefallen auszubilden. Ihm sind die Zwecke des Unterrichts lediglich allgemeine Staatszwecke!"

Aus meinem obigen Grundsaße folgere ich nun weiter. Der Staat muß also allgemeine Lehr- und Lernfreiheit anerkennen, um es den Eltern möglich zu machen, ihre Kinder nach ihren Grundsäßen erziehen zu lassen. Dadurch ist das Recht der wohlhabenden Eltern an der Erziehung ihrer Kinder vollkommen gesichert, nicht aber das der ärmeren Eltern. Sie sind nicht im Stande, für ihre Kinder Privatlehrer zu halten oder fie an anderen Orten erziehen zu lassen. Ihre Vermögensverhältnisse zwingen sie, die Kinder in die Volksschule des Orts zu schicken, wo sie wohnen. Die Rechte der armen Eltern an der Erziehung ihrer Kinder sind aber ebenso heilig und unverleßlich als die Rechte der reichen Eltern. Auch die ärmeren und ärmsten Eltern haben das Recht, selbst zu entscheiden, ob ihre Kinder christlich oder unchristlich erzogen werden sollen, sie und nicht der Staat haften Gott für die Bildung der Kinder; Gott hat auch die ärmsten Kinder den Eltern und nicht dem Staate überwiesen, und soweit ich den Willen namentlich des Bauernstandes kenne, und soweit er sich in unzähligen Petitionen von der Nord- bis zur Südgrenze Deutschlands ausgesprochen, ist er entschlossen, sich dieses heilige Recht nicht vom Staate entreißen zu lassen. Der Staat muß es also auch den weniger wohlhabenden und den armen Eltern ermöglichen, ihre Rechte an der Erziehung ihrer Kinder geltend zu machen, und das thut er nur dann, wenn er die wichtigste Bildungsanstalt, die Gemeindev. Ketteler, Briefe.

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