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häufen Verwirrung auf Verwirrung, Erzehlung
auf Erzehlung, und vergessen es, so zu reden
mit Fleiß, daß man nicht viel dencken muß,
wenn man viel empfinden soll. Wenn der Ver-
stand arbeitet, so ruhet das Herz; und wenn
sich das Herz zu zeigen hat, so muß der Ver-
stand ruhen können.
Die Rache des
Atreus ist so unmenschlich, daß der Dichter
eine Art von Vorbereitung nöthig befunden hat,
fie glaubwürdig genug zu machen. Aus diesem
Gesichtspuncte muß man den ganzen ersten Aufzug
betrachten, in welchem er den Schatten des Tan-
talus und die Furie nur deswegen einführet, da-
mit Atreus von etwas mehr, als von der Wuth
und Rachsucht seines Herzens, getrieben zu werden
scheine. Ein Theil der Hölle und das Schicksal
des Pelopeischen Hauses muß ihn zu den Ver-
brechen gleichsam zwingen, die alle Natur auf
eine so gewaltige Art überschreiten. Zu der
Handlung selbst trägt dieser Aufzug sonst gar
nichts bey, und das Trauerspiel würde eben so
vollständig seyn, wenn es auch erst bey dem
zweyten Aufzuge seinen Anfang nähme. Ich
werde weiter unten noch eine andere Unmerckung
hierüber machen Die Einheit des Orts
hat der Dichter glücklich beobachtet. Es läßt
alles vor dem königlichen Pallaste vor sich gehen,
und nur in dem lesten Aufzuge wird dieser Ort
gleichsam erweitert, indem sich der Pallast selbst
öfnet, und den Thyest an der Tafel zeiget. Es

muß

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muß dieses ein ganz anderer Unblick gewesen. feyn, als wenn ein jeßiger Dichter in gleichen Fällen den hintern Vorhang muß aufziehen lassen. Nur wolte ich, daß der Römer bey dieser pråchtigen Aussicht in einen starck erleuchteten Speisefaal des Pallasts, ein wenig mehr Kunst angebracht hätte. Atreus ist draussen vor dem Pallaste, und giebt selbst den Befehl ihn zu öfnen: (3.901.)

turba famularis fores

Templi relaxa; festa patefiat domus. Warum befiehlt er aber dieses? Der Zuschauer wegen, ohne Zweifel, und wenn keine Zuschauer, da wåren, so würde er vielleicht ohne diese weite Eröfnung zu seinem Bruder hinein gegangen seyn. Ich würde es viel lieber sehen, wenn der Pallast gleich vom Anfange des Aufzuges geöfnet wåre; Atreus könte in der Entfernung doch wohl noch sagen, was er wollte, ohne von dem Thyeft gehört zu werden. So gut sich dieses bey der leßten Helfte seiner Rede thun ließ, eben so gut hätte es auch bey der ersten geschehen können. Es wäre gut, wenn ich bey der Einheit der Zeit, weiter nichts als nur eben so eine Kleinigkeit zu erinnern håtte. Allein hier wird man mit dem Dichter weniger zufrieden feyn können. Er seht den Anfang seines Stücks noch vor den Anbruch des Tages, und mußte nothwendig eiren Theil der Nacht zu Hülfe neh men, weil er Geister wollte erscheinen lassen, G 3

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und

und diese, nach der Meinung der Heiden, am Tage nicht erscheinen durften. Die legten Worte, welche die Furie zu den Schatten des Tantalus sagt, zeigen es deutlich genug:

Alles

En ipfe Titan dubitat, au jubeat fequi, Cogatque habenis ire periturum diem. Die Sonne also geht eben auf, als die Geister von der Bühne verschwinden, und die Berath schlagungen des Atreus in dem zweyten Aufzuge fallen am frühesten Morgen vor. dieses hat seine Richtigkeit. Aber nunmehr kömmt ein Punct, bey welchem es mehr wird zu bedencken geben. Am Ende des zweyten Aufzuges beschließt Atreus seine Söhne, dentenes laus und Agamemnon, an den Thyeft abzuschicken; und zu Anfange des dritten Aufzuges erscheinet Thyest bereits mit seinen Söhnen. Was muß also in dem Zwischenraume vorgefallen seyn? Atreus hat seinen Söhnen das Geschäfte aufgetragen; sie haben es über sich genommen; sie haben den Thyeft aufgesucht; fie haben ihn gefunden; sie haben ihn überredet; er macht sich auf den Weg; er ist da. Und wie viel Zeit kan man auf dieses alles rechnen? Wir wollen es gleich sehen. Im vierten Aufzuge, nachdem Atreus den Thyest empfangen, nachdem er ihm alle Schmeicheleyen einer verstellten Aussöhnung gemacht, nachdem er ihm den königlichen Purpur umlegen lassen, nachdem er sein grausames Opfer vollzogen, nachdem er das unmenschliche

unmenschliche Mahl zubereitet, nach allem diesen, sage ich, ist es, wenn die Sonne vor Entsehen. zurücke flieht, eben Mittag, Der Dichter giebt, diesen Zeitpunct in der 777ten Zeile:

O Phœbe patiens, fugeris retro licet, Medioque ruptum merferis cælo diem &c. und in der 792ten

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quo vertis iter

Medioque diem perdis Olympo?

selbst an. Ist es nun aber da Mittag, so muß Thyeft noch einige Stunden vor Mittage angekommen seyn. Einige Stunden nach SonnenAufgang ward er gehohlt; und nun urtheile man selbst, wie viel Stunden zu obigem Zwischen Raume übrig bleiben. Die natürlichste Ent schuldigung, die einem hiebey einfallen kann, ist diese, daß man sagte, Thvest müsse sich ganz in der Nähe aufgehalten haben; aber auch mit dieser Nähe wird nicht alles gehoben seyn. Und wie nahe ist er denn würcklich gewesen? Ich finde in dem ganzen Stücke zwey Stellen, aus welchen sich dieser Umstand einigermassen bestim men läßt. Die erste sind die Worte des Atreus, 3. 297.

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relictis exul hofpitiis vagus

Regno ut miferias mutet &c.

Wenn hier hofpitia einen Aufenthalt in ganz fremden Ländern, und exul einen, der sich ausser seinem Vaterlande aufhält, bedeuten soll, so wird die vorgebrachte Schwierigkelt nicht verringert,

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ringert, sondern unendlich vergröffert. Nicht Argos allein; der ganze Peloponnesus gehörte dem Atreus, und hatte dem Thyeft gehört, so lange er mit seinem Bruder zugleich regierte. Soll sich dieser also ausserhalb demselben befunden haben, so konnte er nicht in einigen Stundeni, sondern kaum in einigen Tagen herben geschaft werden. Doch die andere Stelle (3. 412. u. f.) wird zeigen, daß man die erste in einem engern Verstande nehmen müsse. Thyest sagt zu sich felbst:

repete fylveftres fugas,

Saltusque denfos potius, & mixtam feris,
Similemque vitam.

Er hielt sich also nur in Wåldern verborgen, die freylich nicht allzuweit, aber auch nicht allzunahe feyn durften. Und in diesen mögen ihn die Söhne des Atreus gesucht und auch sogleich gefunden haben, so unwahrscheinlich es auch ist, daß sich ein Mann, der sich einmal verbergen muß, nicht besser verbergen werde. Dennoch wird man schwerlich die schleunige Ankunft desselben so leicht begreifen können, als man sie, ohne anstößig zu seyn, begreifen sollte. Ich will mich hierbey nicht länger aufhalten, sondern nur noch ein Wort von den Charakteren sagen. Sie find ohne Zweifel so vollkommen ausgedruckt, daß man wegen keines einzigen in Ungewißheit bleiben kann. Die Abstechungen, in welche übrigens der Dichter die beyden Brüder gesezt

hat,

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