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VORWORT.

Die Eigenthümlichkeit der Aufgabe, die das Gedicht des Lucrez seinem Erklärer stellt, ist im Verhältniss des Dichters zu seinem Stoffe und des Stoffes zur Form begründet. Die Lehre, die Lucrez verkündet, ist die eines Anderen, und dieser Andere war Nichtrömer; die Lehre, die eine wissenschaftliche That war und in wissenschaftlicher Prosa dargestellt war, hat Lucrez zum Gedicht umgestaltet.

Wer ein philosophisches Werk inhaltlich erklärt, das des Autors eigene Gedanken wiedergiebt, hat zunächst nur die Aufgabe, Zusammenhang und Fortschritt der Argumentation zu erläutern, die Beziehung jedes einzelnen Theiles zum Ganzen des Werks, eventuell des philosophischen Systems ins Licht zu stellen. In welchem Verhältniss die Gedanken zu früher Gedachtem stehen, ist dann die weitere Frage, deren Beantwortung sich der tiefer eindringende Interpret nicht entziehen kann. An den Erklärer des Lucrez, der eine fremde Lehre lehrt, tritt zwischen diesen beiden Forderungen die neue, dass jene fremde Lehre, soweit wir sie in originaler Fassung besitzen, durchweg zum Vergleich herangezogen werde; die Correctheit und Vollständigkeit der Darstellung ist zu prüfen, etwa sich ergebende Ungenauigkeiten und Lücken sind auf ihren Anlass hin zu untersuchen. Epikurs eigener Nachlass ist so trümmerhaft überliefert, dass er allein nicht ausreicht; auch die Schriften seiner Schüler sind zu verwerthen, Nachklängen epikurischer Lehre und Polemik ist auch bei Angehörigen anderer Schulen nachzugehen. In einzelnen, wenngleich seltenen Fällen wird sorgfältige Interpretation vielleicht auch einen Schluss auf die Form ziehen lassen, in der die epikurische Lehre Lucrez vorlag: selbständige Zusätze, Auslassungen und Umgestaltungen werden sich erkennen lassen, und die Arbeitsweise des Dichters wird so in helleres Licht treten.

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Hat man sich nun das Material, das Lucrez bearbeitete, soweit es möglich ist, vergegenwärtigt, so so wird man vor Allem die Schwierigkeiten sich klar zu machen suchen, die der Dichter zu überwinden hatte; der Erklärer hat zu zeigen, ob und mit welchen Mitteln sie gelöst sind. Es handelte sich zunächst um die Schaffung einer lateinischen Terminologie: Lucrez klagt selbst wiederholt über die Armut der Muttersprache, die ihm diese Aufgabe erschwere. Inwieweit er sich hierin an seine Vorgänger angelehnt hat oder anlehnen konnte, wissen wir nicht: wir fragen, welche griechischen Kunstausdrücke den lateinischen entsprechen und inwieweit diese mit jenen sich wirklich decken, erwägen ferner, wenn dies nicht ganz der Fall ist, die Möglichkeiten, die dem Römer zu Gebote standen. Weit schwerer musste dem Dichter ein Anderes fallen: die dispositio carminum. Unzählige Einzelheiten waren zu behandeln, für so manche Lehre eine lange Reihe von Argumenten anzuführen. Die völlig kunstlose Aneinanderreihung, wie wir sie in seiner Vorlage voraussetzen dürfen, konnte dem Dichter nicht genügen. Er hat danach gestrebt, ein Ganzes zu schaffen, den Zusammenhang wenigstens in jedem der sechs Hauptcapitel seines Werkes zu wahren. Die Mittel, die er anwandte, sind ungleichen Werthes, bald mehr äusserlich, oft aber auch höchst geistreich und aus dem innersten Sinn der Dinge geschöpft. Der Interpret hat sie aufzuzeigen und so den Zusammenhang zu reconstruiren, der dem Geist des Dichters vorschwebte und den er zum Ausdruck zu bringen versuchte.

Wenn bei der Ueberwindung der ersten Schwierigkeit neben dem Philosophen der Sprachkünstler, bei der zweiten neben dem Philosophen der Dichter zu thun fand, so war es schliesslich eine vorzugsweise dichterische Aufgabe, den gegebenen Stoff, ohne irgend Wesentliches davon aufzuopfern, so im Geiste umzubilden, dass er zum poetischen Vorwurf werde und dass nicht versificirte Prosa, sondern ein Gedicht zu Stande komme. Der grösste Bewunderer Lucrezischer Poesie wird nicht behaupten wollen, dass ihm das überall in gleicher Weise gelungen sei. Es giebt der Abschnitte genug, wo die Rede nur stockend und widerwillig fliesst, wo dem rein wissenschaftlichen Inhalt das poetische Gewand aufgezwängt erscheint. Aber für mein Gefühl wenigstens überwiegen die Stellen, wo der Dichter sein Ziel erreicht hat oder ihm nahe gekommen ist, wo der Leser fühlt, dass nicht bloss Gelerntes und Gedachtes, sondern Angeschautes, Empfundenes, Erlebtes wiedergegeben wird, wo die Form mit Nothwendigkeit aus der poetischen Conception er

wächst. Das im Einzelnen aufzuzeigen und neben dem Philosophen den Dichter zu seinem Rechte kommen zu lassen, ist schwer: aber versuchen muss es der Interpret, jenen Umbildungsprocess nachzudenken und nachzufühlen; nur so wird er sich und Anderen die Mittel und Wege der künstlerischen Wirkung klar zu machen im Stande sein.

Der vorliegende Commentar bemüht sich, die genannten Aufgaben zunächst für ein Buch des Gedichts durchzuführen. Bei der Wahl gerade des dritten war es maassgebend, dass dies einerseits in sich fast völlig abgeschlossen ist, andererseits der Stoff dem Dichter eben hier die beste Gelegenheit bot, in allen Tönen, die er beherrschte, zu reden. Ich darf hoffen, dass von der eingehenden Erklärung des Theiles auch auf das Ganze einiges Licht fallen wird. Die Form des Commentars bringt es mit sich, dass der Erklärer nicht alles, was er seinen Vorgängern verdankt, ausdrücklich als solches bezeichnen kann, noch weniger alles, worin er mit Vorgängern zusammengetroffen ist: doch habe ich mich bemüht, überall den zu nennen, der eine wichtigere Erkenntniss zuerst ausgesprochen hat. Dass ich überall, wo ich mich mit Lachmann im Widerspruch befand, auf seine Ansicht Bezug genommen habe, wird man als einen Ausdruck schuldiger Dankbarkeit selbstverständlich finden. Munros Verdienste auch um die Erklärung des Dichters sind anerkannt: sein Werk würde seine bisherige Aufgabe, in das Studium des Dichters einzuführen, auch dann noch weiter erfüllen, wenn einmal ein Commentar in der Art, wie er mir vorschwebte, für das ganze Gedicht existirt. Auf welchem Wege ich glaube, über das von Munro Gebotene hinaus tiefer in das Verständniss eindringen zu können, brauche ich hier nicht auseinanderzusetzen: ein Vergleich meiner Arbeit mit der seinigen ergiebt das von selbst.

Die Gestaltung des Textes beruht auf den Grundlagen, die Lachmann für alle Zeiten geschaffen hat. Neben den beiden Leydener Handschriften, dem Oblongus (A) und dem Quadratus (B), braucht die italienische Ueberlieferung nur selten herangezogen zu werden; ich habe diese, wo sie in sich übereinstimmte, mit C bezeichnet, den von Niccolo Niccoli geschriebenen Cod. Florentinus XXXV 30, die vertrauenswürdigste der italienischen Copieen von Poggios Handschrift, mit N da, wo anzunehmen ist, dass Ueberlieferung, nicht Coniectur Niccolis vorliegt. Der Wiener Bruchstücke war nur in einem Falle zu gedenken. Die Lesungen von A und B habe ich, abgesehen von einigen offenbaren und belanglosen Flüchtigkeitsfehlern in B, vollständig wiedergegeben; in der

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