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Hochansehnliche Versammlung

Wiederum ist der Festtag des 27. Januar erschienen, der zu gewohnter Stunde die Angehörigen unserer Christiana Albertina, ihre Gönner und ihre Freunde zu gemeinsamer Feier vereinigt. Es trifft sich aufs beste, dass nahe dem Anfange des Jahres dieser patriotische Feiertag steht, geeignet, auch für den neuen Zeitabschnitt die Gefühle der Ergebenheit gegenüber dem erhabenen Oberhaupte des Vaterlandes kräftig anzuregen und zu stärken. In diesen Gefühlen sind die verschiedenen Stände und Berufsklassen einig; was immer sonst trennt und scheidet, an diesem Tage und bei diesem Anlass wird es aufgeboben: wir fühlen nns als Söhne eines Landes, als unter einem Herrscher stehend, der uns alle deckt, schützt und schirmt. Insonderheit lassen es sich die Unterrichtsanstalten heute angelegen sein, in der heranreifenden oder herangereiften Jugend das zu pflegen, was bisher das Vaterland gross gemacht und gross erhalten hat, und was stets das abtretende Geschlecht dem eintretenden einprägen und anerziehen muss, die Liebe zum Herrscherhause. Hat doch niemand anders als das hohe Haus der Hohenzollern zuerst Preussen, und dann durch das starke Preussen auch das einige Deutschland geschaffen: Preussen wäre nicht vorhanden, und Deutschland nicht viel mehr als ein geographischer Begriff, hätte nicht dieses Haus, und zwar Jahrhunderte hindurch, die deutsche Volkskraft gesammelt, geübt, gestählt, bis sie zu der Vollbringung solcher Thaten fähig war, wie wir sie selber erlebt, Viele von uns auch mitvollbracht haben. Jetzt sitzt der Enkel auf dem Throne, welcher der erhabene Grossvater mit seinem heldenmüthigen, früh durch schwere Leiden vollendeten Sohne gegründet hat. Die Person des Herrschers hat zweimal gewechselt; aber es ist dasselbe Blut, dieselbe kraftvolle Art; noch vor wenigen Tagen durften wir Kaiser Wilhelm II. in unserer Stadt schauen, wie er rüstig und unermüdet hier und dorthin eilte, mit eignen Augen sah, nicht allein den Führern des Heeres und der Flotte, sondern auch den Gemeinen. von Person zu Person gegenübertrat, und den neueingestellten Mannschaften aus eignem Munde warm und eindringlich ihre Pflichten ein

schärfte. Doch nicht an diese Thätigkeit unsrer Herrscher, so werthvoll und hochnöthig sie ist, mahnt uns dieser Festraum, sondern an eine andre, nicht minder von ihnen hochgehaltene, nämlich die Pflege der Geistesbildung. Mögen wir dieses Haus ansehen, oder draussen die stattliche Reihe der prächtigen, den Zwecken unserer Hochschule dienenden Gebäude: nichts von dem allen stand, ehe die Hohenzollern ins Land kamen, und wir wissen, dass wenn wir nur selbst das Unsrige thun, an äusseren Mitteln zur Pflege unserer Studien es weniger als jemals, während der ganzen Geschichte der Universität, gebricht und gebrechen wird. Das ist denn zugleich für uns ein kräftiger Antrieb, es an uns nicht fehlen zu lassen, sondern zu schaffen und zu wirken, ein jeder auf dem von ihm erwählten Gebiete menschlichen Wissens und Könnens. Es ist heutzutage ein Zusammenwirken und ein Wetteifer der verschiedenen Nationen, wodurch in mächtigster Weise die Wissenschaft gefördert wird; jedes Jahr hat seine Entdeckungen und Errungenschaften, auf den verschiedensten Gebieten. Möge es mir gestattet sein, von dem Standpunkte meiner Wissenschaft aus einen Rückblick auf das verflossene Jahr 1891 zu werfen, einer Wissenschaft, die noch nicht aufgehört hat, über die Kreise der ihr dienenden Fachgenossen hinaus ein allgemeines Interesse zu finden. Dafür ist eben das verflossene Jahr ein glänzender Beweis; denn wieviel Zeitungsartikel in deutscher, englischer, französischer Sprache, kurz in allen Kultursprachen, sind der klassischen Philologie gewidmet gewesen! Anlass waren die ungeheuren Fortschritte, die wir in der Erkenntnis des von uns umfassten Gebietes in diesem Jahre gemacht haben, freilich nicht durch unsere Kunst und Weisheit, sondern durch das gute Glück, welches viel mehr kann als wir. Als historische Wissenschaft war die klassische Philologie auf die auf uns gekommene Ueberlieferung angewiesen, deren entsetzlich trümmerhafter Zustand bei dem Abstande von 1500-2500 Jahren nicht zu verwundern ist; wir nahmen also auf, was sich fand, kombinirten, ergänzten, mit Fleiss und mit Scharfsinn, bis wir glaubten ein leidlich zusammenhängendes Ganze der Erkenntnis zu haben, und bis diejenigen, die etwas ferner standen, meinten und sagten, die classische Philologie sei mit ihrer Forschung im wesentlichen fertig. Es war in der That, das müssen auch wir zugeben, an Themen für Doktordissertationen empfindlicher Mangel eingetreten, und mit Neid blickten wir auf angrenzende Gebiete, wo solche Themen nur so an der Oberfläche lagen. Jetzt kann niemand mehr glauben, dass wir fertig wären. Wie bei einem hohen, von Wolken umlagerten Berge es vorkommt, dass das Gewölk sich an einer Stelle einmal etwas

zertheilt und mehr als bisher sehen lässt:

schätzen auch wir die Höhe, auf die wir hinauf möchten, jetzt etwas richtiger, und erblicken auch eine Strecke Weges vor uns, die wir jedenfalls noch zurücklegen können und müssen. Und wir haben die gutbegründete Hoffnung, dass noch mehr Wolken sich zertheilen werden.

Wie das gekommen ist, darüber ist ja das Meiste ziemlich bekannt; aber es möge mir gestattet sein, auch an das Bekanntere kurz zu erinnern. Wer den Wunsch hatte und wer hatte ihn schliesslich

nicht? von dem schriftstellerischen Nachlass des Alterthums etwas mehr zu besitzen, der richtete seine Blicke wohl zumeist nach den mittelalterlichen Stätten der Bildung, sei es Europas, sei es Asiens, und hoffte, dass von dort her noch einmal diese oder jene Schrift ans Licht träte. So ganz unbegründet war diese Hoffnung nicht, und sie hat nicht völlig getäuscht; aber etwas Grosses, was auch weitere Kreise interessiren. konnte, ist bisher weder aus den Klöstern des Athos, noch aus denen Jerusalems, noch aus der alten Residenz der morgenländischen Kaiser neu hervorgezogen worden. Ich rede von dem Gebiete der klassischen Philologie, nicht von dem der Theologie; denn die Theologen haben eher Ursache, mit dem Ertrage der Klöster zufrieden zu sein, wiewohl sie es nicht sind und auch nicht sein dürfen, so wenig wie wir jemals. Aegypten aber, das Land urältester Kultur und nachmals die vornehmste Pflegerin des griechischen Schriftthums, das ist jetzt für uns die Spenderin geworden und das Land unserer Hoffnung, während die Theologen, so gern wir auch ihnen etwas gönnen, wenigstens das Urevangelium von dorther kaum bekommen werden, wiewohl zwei oder drei Quadratcentimeter Papyrus, die vor ein paar Jahren ans Licht kamen, sanguinischen Leuten wirklich als Fragment eines Urevangeliums erschienen sind *). Solche Papyrusstückchen nun, die man nach Quadratcentimetern misst, gab es auch auf unserem Gebiete schon vor 1891 eine ganze Menge, und auch einiges nach Metern und Quadratmetern zu Messende; aber der Inhalt täuschte zumeist, und wir sahen mit unwilligem Gefühle, dass eine grosse und schöngeschriebene Rolle nichts enthielt als etwa ein Buch der Ilias in einem Texte, der von dem unserer Pergamenthandschriften herzlich wenig und meist nicht zum Besseren abwich. Das Einzige von Umfang und Bedeutung, was Aegypten bisher geliefert

*) G. Bickell, Ein Papyrusfragment eines nicht canonischen Evangeliums, in der Ztschr. f. kathol. Theologie III. Jahrg. 1885. Auch protestantische Theologen haben sich täuschen lassen und sogar noch mehr daraus machen zu können gemeint.

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hatte, waren vier oder fünf Reden von Demosthenes Genossen, dem im Alterthum sehr hoch geschätzten Redner Hypereides, von dem durch ungünstigen Zufall in Pergamenthandschriften nichts erhalten ist. Abzüge sind aber auch hier zu machen: denn weder sind die gefundenen Reden die besten und berühmtesten des Mannes, noch sind sie mit einer Ausnahme unversehrt, noch ist von der einen, die sehr vortrefflich und sehr interessant zu sein scheint, seitens des französischen Entdeckers bisher mehr als ein Fragment mitgetheilt, während er das Uebrige einstweilen für sich behält. So haben es die Engländer nicht gemacht, sondern was sie gefunden, das haben sie mit bewundernswerther Schnelligkeit zurecht gemacht und der gebildeten Welt überliefert, und das sind eben die Entdeckungen des Jahres 1891, von denen ich zu reden habe. Es war in den allerersten Monaten des verflossenen Jahres, als von London her die erstaunliche Kunde kam, man habe dort eine Handschrift der verlorenen, so vielvermissten Schrift des Aristoteles vom Staate der Athener, derselben Schrift, von welcher zwei kärgliche und greulich ruinirte Fragmente schon vor 12 Jahren in Berlin unter den Sammlungen des ägyptischen Museums entdeckt worden waren, wegen ihres Zustandes mehr Stoff zum Zweifel und zum Streite bietend, als die Erkenntnis fördernd. Jetzt aber waren es nicht Fragmente, sondern beinahe das Ganze, was angekündigt wurde, und nun geriethen nicht nur die Fachgenossen aller Länder in freudigste Erregung, sondern dieselbe ergriff, wie ein Franzose konstatirt, auch das grosse Publikum: jeder Zeitungsleser, sagt derselbe, d. h. alle Welt, erwartete ungeduldig das Erscheinen des neuentdeckten Schatzes. Und dasselbe folgte auch prompt der Ankündigung, in schöner Ausstattung und bald auch mit phototypischen Tafeln, welche die Handschrift so getreu und scharf wiedergaben, wie das nur irgend möglich ist. Es fehlt der Anfang der Schrift, und der letzte Theil ist nur in Fragmenten da; im übrigen ist die Erhaltung erstaunlich gut. Woher kommt die Handschrift? Selbstverständlich aus Aegypten, und selbstverständlich aus einem Grabe, welches allein sie so gut hüten konnte; das sagen wir uns aber eben selbst, während die Entdecker und Besitzer wohlweislich nichts sagen. Ich zweifle auch, ob in diesem Kreise, in dem sich wohl niemand befindet, der die Absicht hätte in Aegypten nach Schätzen zu graben, so grosses Interesse erregen würde, wenn ich im Stande wäre, hier den Ort des betreffenden Grabes zu verrathen. Wie kommt sie aber in das Grab? Darüber lässt sich vollends nur muthmassen; aber es liegt nahe, sich das zu denken, wie der dort Begrabene an dieser Schrift und dieser

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