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Vielmehr bildet in unseren Quellen der Saß: die natura rerum ist der Sit einer vernünftigen ordnenden Kraft, der ratio naturalis, die Position, die im Allgemeinen die Gränze bezeichnet, mit welcher unsere Kenntniß der Philosophie der römischen Juristen abschließt, indem wir nur von Marcian noch höhere Obersäße überliefert erhalten. Ob jedoch die römischen Juristen auf eine tiefere Begründung ihrer Lehre von der ratio naturalis wirflich verzichtet und ihr System sogleich mit diesem Begriffe begonnen haben, ohne den Ursprung und das Wesen dieser Kraft bis in die höheren Regionen der Speculation zu verfolgen und ohne in den obersten Sphären geistiger Potenzen nach dem Urquell, dem Schöpfer und Träger jenes Gesezes zu forschen; oder ob nur der rhapsodische Zustand unserer Quellen die höberen philosophischen Speculationen zu erkennen uns hindert; diese Frage muß dahingestellt bleiben, wenn schon wir dieselbe im Allgemeinen zu verneinen geneigt sind. Das Eine glauben wir jedoch als sicher annehmen zu dürfen, daß die römischen Juristen im Allgemeinen die ratio naturalis nicht als eine der natura rerum originäre und primitive Kraft ansahen, sondern daß ste, die Annahme eines göttlichen Wesens ihrer Weltanschauung zu Grunde legend, diese Annahme auch, gleich dem Marcian, mit ihrem rechtsphilosophischen Systeme in Verbindung seßten und so der ratio naturalis einen höheren Ausgang beilegten. Ist aber diese Voraussetzung gerechtfertigt, so erkennen wir damit zugleich eine hohe und innige Verwandtschaft, welche zwischen dieser Theorie der römischen Juristen und jenen Säßen obwaltet, die einer der geistreichsten Denker des angehenden 18. Jahrhunderts aussprach. Denn Montesquien eröffnet den esprit des lois mit den Worten:

Les lois, dans la signification la plus étendue, sont les rapports nécessaires qui dérivent de la nature des choses: et dans ce sens tous les êtres ont leurs lois; la Divinité a ses lois; le monde matériel a ses lois; les intelligences supérieures à l'homme ont leurs lois; les bêtes ont leurs lois; l'homme a ses lois.

Ceux qui ont dit, „,qu'une fatalité aveugle a produit tous les effets que nous voyons dans le monde," ont dit une grande

absurdité: car quelle plus grande absurdité qu'une fatalité aveugle qui aurait produit des êtres intelligents?

Il y a donc une raison primitive; et les lois sont les rapports qui se trouvent entre elle et les différents êtres, et les rapports de ces divers êtres entre eux. etc. etc.

§. 63.

Fortseßung.

(Resultat.)

Die Stellung, welche gegenüber dem im Staate herrschenden Rechte das jus naturale der Jurisprudenz einnimmt, ist eine doppelte: es erscheint dasselbe einerseits als Sagung, die als pofitives Recht bereits ausgeprägt ist und gilt; andrerseits aber auch als Norm, die, ohne solche Verwirklichung als wahres Recht erfahren zu haben, an sich auf rein ideeller Grundlage beruht. Hier ist das jus naturale in der That nur bloße Rechtsmaterie, nicht aber selbst schon Recht; dort ist dasselbe wahres und wirkliches, ein sogenanntes positives Recht. Nicht minder ist auch innerhalb dieser doppelten Wesenheit des jus naturale dessen Stellung wiederum insofern eine doppelte, als einestheils demselben eine rein theoretische und speculative, andrerseits aber auch eine empirische und practisch wirksame Bedeutung zukömmt.

Faffen wir zunächst das jus naturale in seiner Beziehung als reine Rechtsmaterie und reine ideelle Norm in's Auge, so tritt deren lediglich speculative und rein potentielle Bedeutung in verschiedenen der in §. 59. citirten Stellen, sowie aus der hierselbst gegebenen Darstellung, am deutlichsten aber bei Marcianus zu Tage, wenn derselbe in lib. 1. Instit. (§. 2. I. de J. N. 1, 2.) sagt:

jure enim naturali omnes homines ab initio liberi nascebantur, sowie ebendaselbst (1. 2. D. de nat. rest. 40, 11.) die libertas als die natalia bezeichnet,

in quibus initio 505) omnes homines fuerunt,

während er andrerseits ebendaselbst (1. 2. D. de nat. rest. cit. u. l. 5. §. 1. D. de stat. hom. 1, 5.) das servum nasci als em=

505) Initium bezeichnet nicht allein die zeitliche Uranfänglichkeit, sondern wie das griechische apyr auch das Princip selbst.

pirische und actuelle, unzweifelhaft waaßgebende Rechtssazung des positiven Gesezes anerkennt.

Dagegen eine actuelle und practische Bedeutung gewinnt dieses ideelle jus naturale dann, wenn die römischen Juristen in ihren auf das Practische gerichteten wissenschaftlichen Kundgebungen neue und ungekannte Regeln des jus naturale enthüllen und dieser neuen Rechtsschöpfung zugleich die Verwirklichung als maaßgebende Norm, als positives Recht beimessen. Diese Bedeutung 506) des jus naturale tritt vornämlich zu Tage theils in den Responsen, theils in den Controversen der römischen Juristen, insofern hier das jus naturale den Inhalt der neu aufgestellten Rechtsnorm bietet. So offenbart sich z. B. das jus naturale in dem Responsum bei Javolenus lib. 1. Epist. (1. 23. §. 2. D. de acqu. poss. 41, 2.):

Quaero si vinxero liberum hominem, ita ut eum possideam, an omnia, quae is possidebat, ego possideam per illum? Respondi: si vinxeris hominem liberum, eum te possidere non puto; quod quum ita se habet, multo minus per illum res ejus a te possidebuntur; neque enim rerum natura recipit, ut per eum aliquid possidere possim, quem civiliter in mea potestate non habeo;

wie anderntheils in der bekannten Controverse zwischen den Sabinianern und Proculianern über die Specification 507), wie dies berichtet wird von Gajus lib. 2. Aureor. (1. 7. §. 7. D. de acqu. dom. 41, 1.):

Cum quis ex aliena materia speciem aliquam suo nomine fecerit, Nerva et Proculus putant, hunc dominum esse, qui fecerit, quia quod factum est, antea nullius fuerat. Sabinus et Cassius magis naturalem rationem efficere putant, ut qui

506) Auf diese Bedeutung insbesondere des jus naturale deutet bereits, obwohl in entfernterer Weise, hin Cicero de Inv. II, 22, 67.: Ac naturae quidam jura minus ipsa quaeruntur, quod neque in hoc civili jure versantur et a vulgari intelligentia remotiora sunt; ad similitudinem vero aliquam aut ad rem amplificandam saepe sunt inferenda; vergl. §. 41.

507) Ob die verschiedenen Schulen eine verschiedene Stellung zur Lehre von dem jus naturale eingenommen, lasse ich für gegenwärtig dahingestellt sein. Nach Dirksen, Beiträge p. 46 sq. würde dies anzunehmen sein.

materiae dominus fuerit, idem ejus quoque, quod ex eadem materia factum sit, dominus esset; quia sine materia nulla species effici possit; wozu vergl. Gaj. Inst. II, 79. (In aliis quoque speciebus naturalis ratio requiritur etc.).

Sodann die Stellung des jus naturale als wahren und pofitiven Rechtes betreffend, so ist solche eine rein theoretische und speculative, insoweit dasselbe in die historisch gegebenen Gegensäße im Rechte hineingetragen und hier dem jus gentium, wie dem aequum et bonum untergelegt wird. Denn indem hierbei das jus naturale dem Zwecke dient, als speculatives Fundament den darauf basirten Rechtscomplex in höherer wissenschaftlicher Weise zu rechtfertigen und diese Materie aus ihrem bisherigen Stadium einer rein positiven und historischen Existenz herauszuheben und sie als Ausfluß der Quelle höchster und leßter Rechtswahrheit darzustellen, insoweit, sagen wir, ist die hierdurch bedingte Bedeutung des jus naturale eine rein theoretische, die lediglich durch wissenschaftliches Bedürfniß geboten ist.

Allein indem jene Verschmelzung des jus naturale mit jenen historischen Elementen gleichzeitig dazu dient, das Gebiet des jus gentium auf Kosten des jus civile, des aequum et bonum zum Nachtheile des strictum jus zu erweitern, insoweit dient jene Verbindung den Anforderungen des Zeitgeistes selbst, und insoweit tritt neben jene theoretische Bedeutung auch eine practische, weil insoweit das jus naturale zu einer Potenz sich erhebt, welche mit dem historisch gegebenen Stoffe neue und tief in den rechtlichen Verkehr eingreifende Wirkungen verknüpft und so den Rechtsstoff selbst in Wahrheit einer wesentlichen Umwandlung unterwirft.

Insoweit nun die römischen Juristen das jus naturale im positiven Rechte selbst aufsuchen und darlegen, so erscheint ihre Stellung völlig verschieden von der der früheren Philosophen. Denn während die auf das Practische gerichteten Bestrebungen eines Cicero im Wesentlichen in der Aufgabe sich concentrirten, ein Rechtsgeseß zu finden, welches ein Normalrecht ergab, das erhaben stand über allen positiven Legislationen; so erscheinen die römischen Juristen in jener Beziehung als Philosophen des positiven Rechtes selbst, bestrebt, innerhalb desselben die höhere Rechtswahrheit zu enthüllen; und während das jus naturale der

Philosophie dem Naturrechte im modernen Sinne gleicht, so repräsentirt das jus naturale der Jurisprudenz in der obigen Beziehung lediglich das absolute Element im positiven Rechte.

Allein gleichzeitig nehmen die römischen Juristen auch den Standpunkt der Philosophie ein, insofern sie das jus naturale als ideelle Norm behandeln, die entweder als reines Ideal des Rechtes vorgezeichnet oder als Normalquelle des positiven Rechtes verwirklicht wird. Hierbei bewegt sich die römische Jurisprudenz auf dem Gebiete der rein speculativen Reflexion, und hier ist es der dem denkenden Geiste eigene Drang zur Erforschung der Wahrheit, die Liebe und Lust an abstracter Speculation, die auf dieses Gebiet herüberleitet. Dennoch gewinnt auch hier die Reflexion eine unmittelbare practische Wichtigkeit, ja es ist dieselbe in ihrem Auftreten rein historisch zu erklären, daraus nämlich, daß hierzu die Jurisprudenz eine dringende und unmittelbare Aufforderung durch das practische Leben selbst empfing. Denn von den Rechtsschöpfungen längst vergangener Jahrhunderte war der Geist der jüngeren Zeit gebannt und gehemmt, und in der erforderten freien Bewegung gehindert durch ein Recht, welches, den bürgerlichen Verhältnissen der Jugend Rom's entsprechend, dem gereifteren Alter der Stadt nicht allein ungenügend, sondern selbst als beengende Fessel erschien, während andrerseits diesen Zwang unmittelbar im Wege der Legislation und durch offene Aufhebung des Veralteten zu beseitigen, wiederum die allen freien Völkern eigene, der gegenwärtigen Periode angeborene instinctive Anhänglichkeit an die Institutionen der Vorzeit widerstrebte (vergl. §. 4.). Beiden Neigungen Rechnung tragend, suchte daher der Volksgeist auf Umwegen und in einer weniger weitgreifenden, directen und offenkundigen Weise jenen Bann zu lösen, und die Zauberformel hierfür bot das Dogma von der lex naturae, wie von der aequitas. Gestüt auf diese Lehre untergrub nun und vernichtete die Rechtswissenschaft Hand in Hand mit den Edicten der Magistrate und den Constitutionen der Kaiser allmählig das dem Zeitgeiste widerstrebende alte Recht und erschuf neue Sagungen, durch innere Wahrheit erhaben über Raum und Zeit.

Auf diesem Gebiete wissenschaftlicher Behandlung des jus naturale lag daher die nächste Aufgabe der Jurisprudenz darin,

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