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hebt doch nicht die Realität der Erfahrung auf. Sie bewirkt wohl, dass jedes Subject nach seinem individuellen Standpunkte in Raum und Zeit auch Verschiedenes erfährt, aber hieraus folgt nur, dass alle empirische Erkenntniss eine besondere ist, nicht aber dass sie uns täuscht. Im Denken haben wir alle denselben Standpunkt, in der Erfahrung aber hat jeder seinen besonderen Standpunkt. Die Erfahrung ist aristokratisch, das Denken aber demokratisch. Wenn man bei der Erfahrung ihren besonderen Standpunkt ignorirt und für ein Allgemeingültiges nimmt, was doch stets nur ein Besonderes sein kann, so würde sie uns freilich stets täuschen, aber deshalb weil wir sie nach dem Principe des Denkens beurtheilen, wozu wir nicht berechtigt sind. Wird aber, wie das nothwendig ist, bei jeder Erfahrung und Beobachtung ihr Standpunkt mit angegeben, so enthält sie keine Täuschung, sondern Wahrheit. Man prüft daher auch die Richtigkeit einer Erfahrung durch die Veränderung des Standpunktes, denn was von dem einen nicht sichtbar ist, kann es von einem anderen sein. Wenn, wie eine einseitige idealistische Philosophie meint, mit der Veränderung unseres Standpunkts auch die Objecte sich verändern, so wäre in der Erfahrung keine Wahrheit, sondern nur Täuschungen. Allein es verändern sich dadurch nur die Auffassungen von den Erscheinungen der Dinge, nicht aber die Dinge, welche uns erscheinen. Das Erkennen verändert nicht die Sache, welche es erkennt. Der Idealismus, der dies meint, kann nie zur Wahrheit gelangen, da ein Erkennen, welches sein Object verändert, nie mit demselben übereinstimmen kann und daher sich selbst täuscht. Die Gegenstände der Erfahrung sind nur besondere in den Verhältnissen und Umständen, worin sie sich befinden, daher können auch die Erscheinungen, welche die Sinne auffassen nur besondere sein. Wenn man hiervon absieht, hat die Erfahrung keine Wahrheit, wohl aber wenn man sie nach ihren Wesen beurtheilt. Eine allgemeine Erscheinung ist überall nichts.

6. In jeder Empfindung liegt aber ausserdem das Bewusstsein, dass etwas vorhanden ist oder geschieht, das unabhängig von uns existirt, da kein Sinn spontan, sondern nur auf Erregung thätig ist. Daher liefert uns die Erfahrung Thatsachen und unterrichtet uns von Ereignissen und Veränderungen. Eine Mannigfaltigkeit einzelner veränderlicher Phänomene bildet daher den directen Inhalt der Erfahrung im engeren Sinne. Hierin hat man aber auch am meisten den Irrthum der Erfahrung zu erkennen geglaubt, indem man das Bewusstsein des Geschehens, der Veränderungen, welches die Erfahrung uns giebt, für einen Grundirrthum erklärte. Dies thun nicht nur die Systeme der Philosophie, welche nur ein unveränderliches Sein, sei es eines einzigen Wesens, oder einer Vielheit von Wesen, annehmen, sondern auch die Systeme, welche einen sich stets gleichbleibenden ewigen Process lehren 1. Giebt es nach der Metaphysik des blossen Begriffes nur unveränderliches Sein, so ist die Erfahrung natürlich eine Täuschung, da sie uns, wie es scheint, nothwendig von Veränderungen, die nicht sollen stattfinden können, unterrichtet. Aber ein blosser Schein, ist dies auch, wenn die blosse Begriffsphilosophie nur ein unbedingtes Werden ohne Anfang und Ende annimmt, das sich stets gleichmässig evolvirt, evolvirt hat

HEGEL, Phänomenologie des Geistes. S. 73 u. f.

und evolviren wird. Denn die Erfahrung kennt nur relative und keine absolute Veränderungen, sie kennt nur Veränderungen, worin etwas geschieht, aber keinen sich stets gleich bleibenden Process, worin in der That keine Veränderungen stattfinden. Das absolute Werden oder Leben unterscheidet sich von dem unveränderlichen Sein mehr dem Namen als der That nach, da es ohne Veränderung und Geschehen ist. Man muss sich daher auch hüten, das Bewusstsein der Erfahrung von einer veränderlichen Welt mit den philosophischen Lehren von dem sich stets gleichbleibenden ewigen Processe zu verwechseln. Dass auch diese Lehren die Erfahrung des Irrthums beschuldigen, ergiebt sich hieraus von selbst, da sie keine wahren Veränderungen, worin etwas geschieht, die nur einzelne und relative sind, zugeben kann. Diese Lehren bestreiten die Realität der Erfahrung, indem sie sie nach der Wahrheit der intellectuellen Erkenntniss beurtheilen. Was durch den Gedanken erkannt wird, gilt ihnen allein als wahr und existent, und da die Erfahrung nun etwas anderes erkennt, schliessen sie daraus, dass das durch sie Erkannte nur ein blosser Schein der Sinne se, der den Gedanken zu Widersprüchen und Irrthümern verleitet. Diese angeblichen Widersprüche und Irrthümer, welche man der Erfahrung aufbürdet, liegen aber nicht in ihr selbst, sondern nur in der einseitigen Beurtheilung ihrer Realität nach der Wahrheit des metaphysischen Gedankens. Das Maass für die Wahrheit und Realität kann aber nur der ganze erkennende Geist, nicht aber ein Bruchtheil von ihm sein. So wenig der Sensualismus berechtigt ist, die Wahrheit des Gedankens nach den blossen Sinneseindrücken zu bemessen, so verkehrt ist auch das rationalistische Vorurtheil, nur das als wahr anzuerkennen, was durch den Gedanken erkannt wird, und deshalb für einen blossen Schein auszugeben, was die Erfahrung erkennt. Wie aber der empfindende und denkende Geist der selbe ist, so ist es auch nothwendig, die Wahrheit und die Realität nach der Uebereinstimmung der Empfindungen und der Gedanken zu beurtheilen, verkehrt aber ist es, das eine blos nach dem andern zu bemessen. Es folgt die blosse Idealität der Erfahrung nicht daraus, dass sie nicht wie der metaphysische Gedanke ein unveränderliches Sein oder einen sich stets gleichbleibenden ewigen Process uns zu erkennen giebt, sondern im Gegentheil thatsächliche Veränderungen bezeugt. Aus dem blossen Begriffe des Seins folgt nicht, dass nur Unveränderliches oder nur ein sich gleichbleibender Process existirt, da die Erfahrung uns auch das Bewusstsein von Veränderungen giebt, deren Existenz sich doch nicht leugnen lässt. Denn wer die Erfahrung, weil sie uns ein Geschehen und Veränderungen zeigt, für einen Grundirrthum hält, muss ausser der Wahrheit, die er anerkennt, auch noch die Existenz dieses Irrthums anerkennen, da er das einzige Motiv zum Denken und das einzige Mittel zum Erkennen sein soll. Den Schein einer Veränderung in unserem Denken kann man nicht leugnen, wenn man sie bestreitet und ihn als den nothwendigen negativen Anfang des Erkennens fordert. Der Schein aber, der eine nothwendige Existenz hat, ist kein Irrthum, sondern eine Wahrheit. Die Thatsache der Veränderungen können also Die nicht leugnen, welche sie für einen nothwendigen Schein erklären. Ohne die Wahrnehmung von Veränderungen, von einem Geschehen von Ereignissen oder Thatsachen giebt es keinen Anfang der Wissen

schaften, da sie das Räthsel sind, das alle lösen wollen. Sie sind das Gegebene, warum wir denken, das erklärt, begründet und richtig beurtheilt werden soll. Den positiven Anfang der Wissenschaften bilden sie und ermöglichen ein inductives Verfahren, da die Erfahrung Wahrheit hat. Für einen blos negativen Anfang aber gelten sie, wenn sie nur einen Schein liefern, der zu nothwendigen Widersprüchen und Irrthümern führt und nur ein dialektisches Verfahren zulässt. Diese sogenannten nothwendigen Widersprüche des empirischen Denkens können aber durch keine Künste des Denkens entfernt werden, da sie nothwendig mit jeder Erfahrung von neuem entstehen und die Wissenschaft, statt endlich zur Wahrheit zu führen, bleibt nur ein Gemisch von Wahrheit und nothwendigen Irrthümern, wo es von der Willkür unseres Standpunktes, nämlich dem der Erfahrung oder des Denkens abhängt, was wir als Wahrheit und als Irrthum ansehen wollen, da auf dem einen Standpunkte als Wahrheit gilt, was auf dem andern für einen nothwendigen Irrthum erklärt wird. Die Dialektik, welche in der Erfahrung nur einen negativen Anfang des Erkennens hat, gelangt. daher nie zur Wahrheit. Die Induction aber darf hoffen, dass sie durch die Vermittelungen des Denkens die Wahrheit erlangen wird, indem sie mit Recht der Erfahrung trauet und ihre Wahrheiten zum positiven Anfang des Erkennens macht.

§. 58. Die inductive Vermittelung umfasst theils die Sammlung der Erfahrung, theils ihre intellectuelle Verarbeitung. Eine geordnete und vollständige Sammlung von Erfahrungen wird nur durch die Kunst der

Beobachtung und des Experiments erreicht.

1. Da die Induction aus der Erfahrung das Wesen der Dinge erkennen will, so ist zur Erreichung dieses Zweckes zweierlei zu leisten: theils die Erwerbung und Sammlung der Erfahrung, theils ihre intellectuelle Verarbeitung. Daher kann man auch zwei Grade inductiver Vermittelungen unterscheiden: die Sammlung der Erfahrung und die Erkenntniss der Naturgesetze aus der Erfahrung. Die Erfahrung bildet die Grundlage der Induction. Wir unterscheiden aber eine doppelte Erfahrung: die gemeine, welche der Wissenschaftsbildung vorhergeht, und die durch die Wissenschaft selbst erworbene. Die gemeine Erfahrung, die ohne wissenschaftlichen Zweck von selbst sich darbietet, genügt jedoch nicht den Anforderungen der Induction, denn sie enthält theils nur vereinzelte und zufällige Wahrnehmungen, theils wird meistens in ihr die Meinung über das Empirische mit dem Empirischen selbst verwechselt. Soll die Empirie eine sichere Grundlage des Erkennens bilden, so muss die gemeine Erfahrung in beiderlei Rücksicht ergänzt werden. In der Induction kommt es zuerst darauf an, reine Thatsachen zu gewinnen, welche die Data der Erklärungen und Urtheile bilden. Da aber das Thatsächliche in der gemeinen Erfahrung mit den Meinungen über das Wahrgenommene ungeschieden verschmilzt, so kann die Induction die gemeine Erfahrung nicht ohne Kritik verwenden. Das eine muss von dem andern geschieden werden, damit zuerst das thatsächlich Gegebene rein gewonnen wird.

Encyktor d. Physik. I. G. KARSTEN, Einleitung in die Physik.

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2. Aber auch die vereinzelten und zufälligen Wahrnehmungen, welche die gemeine Empiric überliefert, erfordern eine Ergänzung. Denn die Erfahrung, worauf die Induction sich gründen soll, muss aus einer geordneten und möglichst vollständigen Sammlung von Wahrnehmungen bestehen, wie die gemeine Erfahrung, die ohne wissenschaftlichen Zweck entsteht, sie nicht liefert. Eine solche Sammlung wird nur durch eine methodisch angestellte Erfahrung gewonnen. Erfahrungen aber für wissenschaftliche Zwecke methodisch erwerben und sammeln heisst beobachten und experimentiren. Durch die Künste der Beobachtung und des Versuches muss daher die gemeine Erfahrung ergänzt werden, damit eine geordnete und vollständige Sammlung von Wahrnehmungen gewonnen wird. Wenn die Thatsachen entdeckt und aufgestellt worden sind, bilden sie die Grundlage für die höhere Erkenntniss, welche die Induction daraus gewinnen will. Aber die Thatsachen sind nicht schon im voraus gegeben und aufgefunden, sondern müssen erst durch die Induction selbst entdeckt werden. Auch die inductive Wissenschaft muss ihr Gebäude vom Grunde auf selbst bauen und namentlich ein sicheres Fundament legen, wenn sie zu wahren Erkenntnissen gelangen will. Die Erfahrung aber ist das Fundament, das sie auch selbst legen muss. Die Erfahrung preisen alle; auf sie berufen sich alle Parteien, womit sie in Uebereinstimmung sich befinden wollen. Indess nicht die gemeine Empirie, die nur vereinzelte und zufällige Wahrnehmungen vermischt mit Meinungen über das Gegebene liefert, sondern erst die wissenschaftlich bewährte, welche eine geordnete und möglichst vollständige Sammlung reiner Thatsachen enthält, dient der Induction zum sicheren Fundamente.

3. Der Verstand beobachtet und experimentirt, nicht aber der Sinn. Die Sinne nehmen wahr, wie es sich trifft, der Verstand aber beobachtet nach den Zwecken der Erkenntnisse, die er verfolgt. In jeder Beobachtung ist daher auch schon ein Gedanke enthalten, wodurch die Aufmerksamkeit der Sinne in der Wahrnehmung der Erscheinungen geleitet wird. Ohne einen leitenden Gedanken ist die Beobachtung eine blos zufällige Wahrnehmung der Sinne. Da in der Beobachtung die Sinnesthätigkeit durch den Gedanken geleitet wird, gilt sie mit Recht für eine Kunst, die nur durch Uebung allmählich erlangt wird. Diese Kunst setzt jedoch wie jede andere Kunst, eine Naturanlage und zwar in gesunden und kräftigen Sinnen voraus, ohne die sie nicht bethätigt werden kann. Doch ist das Sehen und Hören selbst keine Kunst, sondern eine blos naturnothwendige Thätigkeit. Die Kunst der Beobachtung gehört dem Gedanken an, der die Aufmerksamkeit der Sinne in der Wahrnehmung der Erscheinungen leitet. Erst dadurch erhalten die Sinne ihre bestimmte Richtung auf den zu beobachtenden Gegenstand, die sonst nach allen Seiten zerstreut wird. Da durch die Beobachtung ein Kreis von Erscheinungen aus dem gesammten Erfahrungsgebiete abgesondert und fixirt wird, so liegt auch in jeder Beobachtung zugleich eine Abstraction von gewissen anderen Erscheinungen, wovon die Aufmerksamkeit abgelenkt ist. Die Beobachtung setzt auch schon einen vorläufigen Begriff von dem Gegenstande voraus, dessen Erscheinungen durch sie untersucht werden sollen, wodurch nicht nur die Realität jenes Begriffes geprüft, sondern auch bestimmt werden soll, in wieweit eine Erweiterung oder eine Einschränkung desselben

nothwendig ist. Indem aber dies geschieht, bildet die Induction ihre Begriffe selbst aus der Erfahrung. Denn jene vorläufigen Begriffe, welche der Beobachtung selbst schon zu Grunde liegen, sind für sie gerade nur vorläufige Begriffe und werden erst zu wirklichen und wahren Begriffen durch die Beobachtung selbst. Erst dadurch wird die Realität und der Anfang derselben

bestimmt.

§. 59. Von der Beobachtung fordern wir Treue und Vollständigkeit. Die verborgenen Erscheinungen der Dinge werden durch instrumentale und experimentelle Forschung Gegenstand der Beobachtung. Das Ergebniss

der Beobachtung ist die Beschreibung. Ohne Hypothesen giebt es keine

Induction.

4. Wenn die Beobachtung aber zu diesem Resultate gelangen soll, muss sie gewissen Forderungen genügen, die an sie gestellt werden. Da die Beobachtung ein zusammengesetzter Erkenntnissprocess des Denkens und des Wahrnehmens ist, muss der Beobachter sich stets bewusst sein des Unterschiedes zwischen dem Denken und dem Wahrnehmen und was durch die eine und die andere Thätigkeit erkennbar ist, indem er sonst beides mit einander verwechselt und dadurch zu Täuschungen verleitet wird. Die Beobachtung soll ferner den Gegenstand nehmen, wie er sich giebt und nichts von dem Eigenen an Urtheil, Begriff, Phantasie hinzusetzen. Sie fordert daher auf der einen Seite Hingabe an den Gegenstand, damit er auf die Sinne wirken kann, und auf der anderen Seite Vorurtheilslosigkeit, d. h. Zurückhaltung des Urtheils, bis der Process des Wahrnehmens rein sich vollzogen hat. In der letzteren Forderung scheint freilich ein Widerspruch insofern enthalten zu sein, als jede Beobachtung schon einen vorläufigen Begriff von dem zu untersuchenden Gegenstande nothwendig Voraussetzt, weshalb sie schon, wie es scheint, in einer vorgefassten Meinung stattfindet, was jene Forderung der Vorurtheilslosigkeit geradezu untersagt. Allein die Forderung der Ablegung aller vorher gefassten Meinungen hat nur den Sinn, dass der Beobachter weiss, dass der Beobachtung schon stets ein vorläufiger Begriff vorhergeht und er diesen nicht schon als fertig und realisirt vor der Untersuchung ansieht. Diese verschiedenen Forderungen, denen die Beobachtung nachkommen soll, lassen sich nun in der einen der Treue der Beobachtung zusammenfassen, denn um getreue Beobachtungen zu gewinnen, welche die Thatsachen, wie sie sind, auffassen, werden alle übrigen Forderungen von dem Beobachter übernommen.

2. Eine zweite Forderung, welche an die Beobachtung gestellt wird, betrifft ihre Vollständigkeit. Diese Forderung lässt sich nur realisiren durch die Sammlung von Beobachtungen. Denn jede Beobachtung liefert für sich nur eine einzelne, aber keine vollständige Erkenntniss von ihrem Gegenstande, was seinen Grund hat theils in der Einrichtung unserer Sinne, theils in der Natur der Dinge. Denn das, was an sich keine simultane, sondern nur eine successive Existenz hat, wie die Bewegung und das Leben, die Entwickelung und das Geschehen, kann vollständig von uns beobachtet werden nur durch eine Samm

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