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VORWORT

Die römische Literaturgeschichte von M. v. Schanz hatte in den wieder-

holten Auflagen eine starke Umwandlung erfahren. Zuerst gedacht als

Handbuch für den Studenten mit kurzen Inhaltsangaben, knapper Charak-

terisierung und bewußter Beschränkung in der Bibliographie wuchs sie aus

zu dem umfassenden Arsenal mit ausführlicher Darstellung, reichhaltigster

Literaturangabe und inhaltreichen Überblicken. Sie gab nicht mehr dog-

matisch Resultate der Forschung, sondern führte in diese selbst ein, indem

sie die Gedankengänge der einzelnen Bearbeiter vorlegte und am Schluß

das eigene kritische Urteil anreihte. Aus dem Hilfsbuch für den Anfänger

wurde der unentbehrliche Wegweiser für jeden, der sich mit der römischen

Literatur abgab, wo nicht nur Wissen und Wege, sondern auch Probleme

und Zweifel dargeboten wurden. Daß damit der Umfang anschwoll, war

nicht zu hindern. Aus dem schmächtigen ersten Bande, der 1890 in

304 Seiten die Literatur der republikanischen Zeit umspannte, wurden in

der dritten Auflage zwei Halbbände von fast 900 Seiten; die Zeit von

Augustus bis Hadrian erforderte statt 476 zuletzt über 1200 Seiten. Als

nach dem Tode des Verfassers (1914) Geh.Rat G. Krüger in Gießen und

ich den letzten halbfertigen Band (IV 2) in seiner Weise vollendeten (1920)

und zwei Jahre später auch den dritten Band ebenso neu edierten, war

der Umfang auf 4 Bände oder 7 Halbbände mit im ganzen 3824 Seiten

gestiegen. Daß die Kritik dies nicht unbedingt als Vorzug ansah, konnte nicht

wundernehmen. Es wurde zur Gefahr für die Existenz des Werkes, als die

Not der Zeit Publikum wie Verleger, und nicht nur bei uns, dazu brachte,

ein μέγα βιβλίον wieder als μέγα κακόν anzusehen. Als der Verlag mich

mit der Neubearbeitung des ersten Bandes betraute, der zwar noch nicht

vergriffen war, aber der Veraltung anheimzufallen drohte, geschah es in

der bestimmten Erwartung, daß die beiden Halbbände sich wieder zu einem

Bande mit vermindertem Umfang zusammenschlössen. Die Forderung stellte

mich vor eine nicht leichte Aufgabe. Das Werk auf den Standpunkt der

ersten Ausgabe wieder zurückdrücken hieß unsere Wissenschaft einer ihrer

brauchbarsten Grundlagen und Hilfsmittel berauben. Eher mußte die

Ernte der Jahrzehnte, die seit der letzten Bearbeitung verflossen waren, den

Umfang noch steigern. Denn trotz Krieg und Not hat sich über die Autoren

gerade dieser ersten Epoche von neuem eine reiche Flut von Arbeiten er-

gossen, wo zumal Schulautoren wie Caesar und Cicero, Nepos und Sallust immer

wieder zur textlichen wie inhaltlichen Bearbeitung gelockt haben, so daß

der große Redner mit über 300 Ausgaben und fast 700 Arbeiten bedacht ist,

Caesar in der Bibliographie dieser Zeit mit 350, aber auch Plautus mit

rund 570, Terenz mit 220, Lucrez und Catull mit etwa je 260 Nummern ver-

treten sind und im ganzen der Forschersinn der humanistischen Welt wieder

in über 4000 Ausgaben und Einzelarbeiten sich geäußert hat. Den Ertrag

dieses Strebens einzuheimsen war Pflicht. Sollte gleichwohl dem Gebot der

Verminderung nachgekommen werden, so galt es Ueberflüssiges und Ent-

behrliches wegzuschneiden. Zu lange Inhaltsangaben konnten zusammen-
gedrängt, zu breite Ausführlichkeit beschränkt werden; von alter Literatur
durfte manches schwinden und auch der neuen gegenüber Zurückhaltung
geübt werden; rein kritische Arbeiten und Besprechungen einzelner Stellen
mochten noch mehr wie bisher zurücktreten; es war unnötig, alle die Caesar-
und Ciceroausgaben in usum scholarum zu buchen. Auch ein konsequent
durchgeführtes Abkürzungs- und Verweisungssystem vermochte viele Seiten
zu ersparen. So ist es in der Tat gelungen, trotz allen Zuwachses den
letzten Bestand um mehrere hundert Seiten zu kürzen und den Umfang
eines Bandes nicht zu überschreiten. Manchem wird wohl auch jetzt
noch manches überflüssig erscheinen, ein Reichtum ohne rechten Nutzen.
Aber Auswahl ist immer subjektiv, und nicht immer ist die Hälfte mehr
als das Ganze. Wichtiges wird, wie ich hoffe, nicht fehlen. Wenn bei
mancher Arbeit des Auslandes, zumal wenn sie als selbständiges Buch er-
schienen ist, ich mich auf Anzeigen und Besprechungen von fremder Feder
habe verlassen müssen, so wird man das der Not der Zeit zugute halten.
Heute versagen auch die Bibliotheken von Berlin und München, im ganzen
so dankenswerte Helfer, nicht selten.

Was ich geändert habe am alten Text, mag ich nicht aufzählen; daß
es nicht wenig ist, wird man sehen. Jetzt wo ich den Band vollendet vor
mir sehe, frage ich mich, ob ich nicht noch mehr hätte umgestalten sollen.
Aber der Bearbeiter eines fremden Werkes, das des alten Verfassers Namen
auch fernerhin tragen soll, steht immer zwischen dem Gefühl der Pietät zu
dem früheren Verfasser, dem er in der Tat so viel verdankt, und den Neu-
forderungen der Wissenschaft. Wo diese jetzt ein klares Nein dem Frühern
entgegensetzte, ist dies gefallen und geändert. Aber in den zahllosen
Punkten, wo die Entscheidung unsicher ist und nur die Vermutung herrscht,
heute diese und morgen jene, habe ich oft dem Vorgänger die Ehre nicht
nur des ersten, sondern auch des endgültigen Wortes gelassen und nur stets
das neue Material oder vielleicht richtiger gesagt, da es an diesem nur zu
sehr gebricht, die materiallosen Hypothesen angereiht. Wer mit Ciceros
philosophischen Schriften sich abgibt, weiß, in welchen Wirbel der Meinungen
man geraten und auch sich verlieren kann. Schanz hat, mit fast blinden
Augen, ausgezeichnete Rundschau gehalten über ein Gebiet, wo Wüsteneien
und Dickichte häufiger sind als Gärten und Oasen. Eine große Sachkenntnis
und feines Gefühl hat ihn das Richtige und Wahrscheinliche oft erfassen
lassen. Der Nachfolger hat das Recht, auch konservativ zu sein.

Würzburg im August 1927

Carl Hosius

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