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heit zum Grunde und aus ihr ergeben sich verschiedne Stufen seiner Entschuldbarkeit und Uebergangspunkte zu seiner Ueberwindung in dem Fortschritte des kirchlichen Lebens. Diese relative Wahrheit ist die Nothwendigkeit, daß das christliche Leben mit der Entwickelung des allgemeinen Dens kens in Wechselwirkung trete. Nur wenn jede durch Anschauungen und Erfahrungen neu angeregte Gedankenthätigkeit religiös beleuchtet wird, und dann von ihr aus wieder dem christlichen Leben Gedankenstoff und ihm gemäße Form zugeführt wird: nur dann ist die Gesundheit des christlichen und kirchlichen Lebens da. So oft nun ein lebendiger Gedankenverkehr durch eine überspannte kirchliche Geschlichkeit gehemmt, so oft der reine christlichpositive Kern durch orthodoristische Beschränktheit mit Zusäßen umhüllt wird, ist es ein Zeichen von religiösem, ja christlichem Leben, wenn nur erst eine gewisse Freihett und Kühnheit abstrakter Gedanken, sofern sie Uebergang sind zur tieferen geistigen Erfassung des positiven Kerns der Religion, versucht wird. Aber freilich liegt darin nicht im mindesten Recht oder Nothwendigkeit, die abstrakten Gedanken zu Herren und Gesetzgebern über die göttliche Grundthatsache der Religion zu machen. Allein es liegt die Vorausschung darin, daß manche Entwickelung, die nicht frei von razionalistischen Elementen ist, dennoch ihrem Ausgangspunkte nach rein sei und zuleßt auch an einem besseren Ziele anlangen werde. Je herber die Erfahrungen sind, welche die Kirche von der Verderblichkeit des Razionalismus gemacht hat, desto weniger kommen ihr allerdings, bei erneuerten Entwickelungen, jene günstigeren Voraussetzungen zu Gute.

Den allgemeinen Karakter des Razionalismus, wie er so eben bezeichnet worden, bestätigt auch die Geschichte dieses Irrthums seit der Zeit, in welcher er in einen ausgesprochenen Kampf mit der Orthodorie in der deutschen Kirche getreten ist. Man kann drei Perioden annehmen. Die erste reicht von Semler und Teller bis Kant, und diese kann man

die empirisch auftlårende nennen. In derselben sind die razionalistischen Elemente noch wenig herausgeschieden aus den naturalistischen auf der einen und empirischgelehrten auf der anderen Seite. Die herrschende Form des Razionalismus war die, daß Aufklärung des Verstandes (cine an sich selbst höchst achtbare Sache), Vermehrung des cmpirischen Wissens, Fortschritt der Civilisazion, mit dem Förtschritte der christlichen Erkenntniß verwechselt wurde, so daß man es, unter einer selbstgefälligen Freude über jene Fortschritte, ganz zu vergessen schien, wie die christliche Erkenntniß durch alle jene Dinge noch nicht im mindesten gewinnt, sobald sie nicht bleibend in der Lebendigkeit des Glau bens an Christus wurzelt, ja daß sie unter der Fülle jener Erscheinungen immer weiter zurückgehen kann. Der größte deutsche Schriftsteller jener Periode, Lessing, ist nicht frei von dieser Art des Razionalismus, denn wiewohl er feine herzliche Verachtung gegen das dogmatische System ans spricht, welches damals aus folchen Elementen zusammengez setzt wurde: so geht seine Ansicht von dem Werthe der posiz tiven Religion und der Offenbarung als Erziehung zu einem Wissen der Vernunft von dem Allgemeinen der Dinge, was vorzugsweise ihr als intellektueller Kraft eignet, doch im Grunde aus diesem Prinzipe hervor, daß die vernünftige Verstandesentwickelung das Höchste, das Religiöse selbst sei, und dieses Prinzip ist Razionalismus *). Die zweite Periode ist die Kantische, auch die imperativische zu nennen, insofern die praktische Vernunft mit dem, was sie wissen kann über

*) und diese Ansicht von Lessing's Theologie wird dadurch nicht unrichtig, daß er zuweilen auch das unmittelbare Gefühl und erfahrungsmäßige Gewißsein als die Ueberzeugungsweise des Christen angiebt, denn diese beiden Auffassungen sind bei ihm unvermittelt. Wären sie vermittelt worden: so würde freis lich etwas Anderes als der spätere Razionalismus daraus hervorgegangen sein.

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das Sollen des Menschen, oder über die Gefeße seines Handelns, als der ganze wahre Inhalt der positiven Religion angesehen wird, wobei das Thatsächliche eben nur als zeitliche Einführungsform, àls äußerlichkirchliches Haltungsmittel jenes abstrakten Inhalts angesehen wird: die konsequen teste Aussprechung des Razionalismus, in welcher er zugleich als entschiedner Pelagianismus erscheint, und dennoch nicht absolut außerhalb der Kirche, weil das Vorhandensein des Positiven nicht schlechthin bestritten und geleugnet, sondern nur seine Bedeutung auf ein ungenügendes und kaltherziges Minimum zurückgeführt wird *). Die dritte Periode des deutschen Nazionalismus ist die durch den erst um diese Zeit bedeutender werdenden Einfluß der Jacobischen Philosophie, wie sie durch Fries modifiżirt war, bedingte, welche man die ideal- ästhetische nennen kann. Hier tritt ein ideales Element hinzu, welches sich im Gefühl åsthetisch subjektivirt, und auf diese Weise als Glaube und Ahnung alle Verstandesbegriffe weit unter sich lassen soll **). Während nun hier das Verständigabstrakte und das blos Geseßliche der beiden vorigen Perioden sich verbirgt: so ist das Verhältniß dieser ideal ästhetischen Ansicht zum Positivchristlichen doch

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*) An diesem entschiednen Razionalismus jeder ächtkantischen Denkungsweise ändert das nichts, daß Kant an einigen Drten mit sichtlichem Interesse von dem positiv Christlichen spricht (Religion innerhalb der Gränzen der Vernunft, S. 99, S. 196) und es auf eine geistvolle Weise symbolisirt, denn dies hätte nur dann kirchlichen Werth, wenn es aus einer Anerkennung des Positiven, als welches höheren als symbolischen Werth habe, hervorgegangen wäre. Denn siehe S. 240: Die wahre alleinige Religion enthält nichts als Gesetze." Dieselben Grundsätze sind auf eine, sogar die Thatsache des Positiven noch mehr schonende, Weise schon vor Kant ausgesprochen in Fichte Kritik aller Offenbarung. 1. Ausg. 1791. **) de Wette Religion und Theologie. 2te Ausg. 1821. Erster Abschnitt.

ebenfalls razionalistisch. Denn das Positive ist ihr nur das Geschichtliche, und darum nennt sie alle Religionen äußere oder geschichtliche Offenbarungen, und behauptet, „die Anerkennung der göttlichen Offenbarung in einer gewissen religiösen Erscheinung habe nie unbedingte göttliche Nothwens digkeit." Darum weiß sie von religiöser Gemeinschaft, ja von Kirche, che sie von einer göttlichen Thatsache schon irgend etwas gelehrt hat *), darum ist ihr Christi Enscheinung nur die vollkommene ästhetische Symbolik in der Religion, und höchstes Ideal **). Und so zeigt sich, daß die Geringachtung der verständigen Begriffe im Gebiete der Religion hier nur einer unumschränkten Herrschaft gewisser durch das Gefühl vermittelter Ideen und Ideale dienen soll, also dem Menschlichvernünftigen der Primat über jedes positive Religionselement entschieden zuerkannt wird ***). Dennoch *) de Wette Bibl. Dogm. 3te Ausg. 1831. §. 39. §. 42. In der hier ausgesprochenen Idee, daß alle Religionen Offenbas rungen seien, ist Schleiermacher Vorgänger (Neden über die Religion und Glaubenslehre 2te Ausg. Einleit. § 10. .70) S. 44.

**) Rel. und Theol. S. 118, 119, wo die erfreuliche Annähe rung an den wahren Begriff des Positiven durch das „rein ästhetisch, im lebendigen Bilde ästhetisch gegeben“ sogleich wieder hinweggenommen wird.

***) de Wette Dogmatik der luth. Kirche. 2te Ausg. 1821. §. 31a: „Das ideal-ästhetische Vermögen der Vernunft ist das innere Princip der Theologie." Man könnte glauben, unter dem Namen des Gefühls, welches der Verfasser auch in der Theologie zum Bewußtsein gebracht wissen will, werde der christliche Glaube gemeint. Wie wenig dies aber der Fall sei, lehrt das Folgende: „Auch hat er (der Glaube) nur für das kirchliche Leben, nicht für die Wissenschaft Bedeutung.“ Also der Glaube, der nach der Schrift Einer ist in allen Gliedern der Kirche, durch welchen die Kirche allein Kirche ist, soll keine Bedeutung für die Wissenschaft, die Theologie, die ja auch zum kirchlichen Leben gehört haben, und das Gefühl, das tausendfältig verschiedene und verrinnende, soll sie haben?

gilt hier das Obengesagte, daß diese Form des Razionalismus durch das Edle und Sehnsuchtsvolle, das ihrem Falschen beigemischt ist, manchen Geistern, welchen diese Atmosfåre für ihr religiöses · Athmungsbedürfniß zu dünn war,` ein Uebergang zur Rechtgläubigkeit werden konnte und wahrscheinlich wirklich geworden ist.

Der spätere und heutige Razionalismus hat Elemente aus diesen drei Perioden, und führt eben deshalb den Streit, zum Nachtheile seiner reinen Durchfechtung, in vieler Hinsicht wieder auf die vorkantische Vermischung des Verschiedenartigsten zurück. In anderer Hinsicht hat sich aber der Razionalismus dadurch nur um so mehr in seiner Unwahrheit und Haltungslosigkeit kund gegeben *). Daß der Razionalismus an sich stets als ein geistloses Gedankensystem auftrete, folgt daraus gar nicht, und wird schon durch die Namen Lessing, Kant, Jacobi und andre widerlegt. Vielmehr ist er vereinbar mit dem feinsten Verstande und einer gróßeren sittlichen Klarheit über die äußeren Lebensverhältnisse, als sich in der Regel bei dem heutzutage herrschender gewor denen Gnostizismus findet. Allein dies beweiset gar nichts anders, als daß die Erkenntniß der Wahrheit und die Fülle christlicher Ueberzeugung nicht und nimmer von der Feinheit des Verstandes abhängt. Daß der Razionalismus auf der anderen Seite sich oft mit einer ungemein dürftigen Verstandesbildung vereinige, bedarf kaum der Erwähnung.

Aus dem Bisherigen scheint mir deutlich hervorzugehen, daß der Nazionalismus nicht einerlei sei mit dem Naturalismus; weder mit dem, welcher Deismus und Bekämpfung des Positiven als des schlechthin Unwahren und Schädlichen ist, noch mit dem, welcher Indifferentismus, und eben deshalb ein Gegenstand der Polemik ist (f. S. 74). Denn der

*) Dies wird sich deutlich zeigen, wenn wir das Verhältniß der hieber gehörigen Schriftsteller zum Worte Christi und ihre Erklärungen über einzelne Dogmen werden kennen lernen.

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