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immer möglich, die Gründe der Neubildungen aufzusuchen. Wenn das klassische Latein primo und primum streng auseinander hielt, so mußten im Spätlatein durch Schwund des m primo und primo(m) zusammenfallen, und da die Adverbialbildung prime nicht gefiel, so wurde primitus im Sinne von primo, primum eingeführt, nicht im Sinne von inde a primo, was die Analogie von antiquitus erwarten ließe. Donat zeigt uns den Anfang der Bewegung, da er in Aufzählungen das klassische primo, dehinc gebraucht; selten primum, dehinc; häufig aber primitus, dehinc. Vgl. 6, 25. 34, 18. 63, 7. 89, 12. 102, 14. 129, 18. 139, 9. 181, 3 usw. (Deinde ist selten, dein nirgends gebraucht.)

Nicht die Undeutlichkeit des Suffixes kann daran Schuld sein, daß longus vielfach durch prolixus (prolixitas) ersetzt wurde; man begreift dies um so weniger, als longus in den romanischen Sprachen erhalten ist. Das Problem ist noch nicht gründlich erörtert, weil bei anderen Autoren prolixus mit magnus zu konkurrieren und die Rolle zu übernehmen scheint, welche später dem Adjektiv grandis zugefallen ist; auch bei Donat kann man prolixum tempus (13, 3. 604, 23) ebenso gut mit magnum spatium erklären als mit longum; aber pr. coma, barba (Langobarden) somnus stehen wieder dem longus näher, wie auch 232, 25 prolixitas vitae, 532, 32 saeculorum. Versuchen wir nun die Erklärung. Während die Klassiker sowohl longa barba als longum bellum sagten, dagegen im Adverb lokales longe und temporales diu unterschieden, suchte das Spätlatein durch prolixus und longus zu differenzieren, warf aber inkonsequent beide Ausdrücke durcheinander. Wenn daher D. II 57, 17 schrieb prolixitatem et longitudinem vittae, so verrät er damit nur, daß ihm der erste Ausdruck nicht deutlich genug zu sein schien. Eine Bestätigung meiner Ansicht sehe ich in der Abneigung longus temporal zu gebrauchen: Donat umschrieb 135, 24 longi temporis opera; 151, 5 luctus; II 219, 7 robigo; II 329, 31 labor; II 589, 4 cura; II 90, 13 morem longo tempore custoditum: wie die Juristen von einer longi temporis possessio reden, und wie D. 197, 11 schreibt longaeva felicitas neben II 489, 16 diuturna retentio. Vgl. franz. longtemps.

Streben nach Differenzierung erklärt auch die Bewegung in der Wortgruppe supervacaneus, welches bei D. nicht minder als supervacuus, welches die Hexametriker eingeführt hatten, gänzlich fehlt. Dafür finden wir etwa 30 mal superfluus. Diese Tatsachen

muß man zuerst beobachten, und darauf muß die Erklärung folgen. Ich verweise hier auf meine Miszellen supervacuus im

Archiv VIII 561. IX 139.

Wollte D. (oder das Spätlatein) zwei Silben sparen? Dies ist nicht wahrscheinlich, da das oben angeführte Beispiel von primum, primitus, das Gegenteil beweist. Vielmehr müssen wir von dem Verbum superfluere ausgehen. Da bekanntlich das alte afluere zwei Bedeutungen in sich vereinigte, 1) zufließen, zuströmen = adfluere, affluere, 2) abfließen abfluere, abundare, so mußte für eine Differenzierung gesorgt werden, am einfachsten durch superfluere, welches dann die Bildung superfluus nach sich zog. Freilich sind dies zur Zeit nur Vermutungen, welche auch bei anderen Autoren nachgeprüft werden müßten.

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Zum Schlusse unserer Anregungen ein Beispiel, welches weithin Licht zu werfen geeignet sein dürfte. Bekanntlich bezeichnete consilium im klassischen Latein sowohl Rat, Beratung" als auch „,Absicht, Vorhaben". Solche Doppelbedeutungen haben den einwandernden Barbaren nie gefallen, und sie suchten deshalb zwei verschiedene Worte, indem sie das bisher gebrauchte Wort in der Grundbedeutung erhielten (z. B. ratio, raison, Vernunft, Berechnung), statt der abgeleiteten ein neues einführten (z. B. ratio, Art und Weise, manière), also consilium, Rat, conseil, 2) Plan, intentio (urspr. oculorum), franz. intention. Dieser Kampf hat oft Jahrhunderte lang gedauert, indem gelegentlich ein drittes oder gar viertes Wort konkurrierte. Oft können wir nur raten, da es zur Zeit an Vorarbeiten gänzlich fehlt. Einen Tastversuch haben wir oben in prolixitatem et longitudinem gefunden und auf gleiche Linie stellen wir II 635, 21 grandi magnitudine, und den sogenannten Identitätsgenetiv 24, 18 consiliorum intentio; 389, 7 huius intentione consilii; 24, 8 nocendi consilium: iuvabatur autem eius intentio etc. Es könnte auch einmal heißen intentionem consiliumque, oder umgekehrt.

Um noch ein Wort von der Alliteration zu sagen, so hat Donat einen mäßigen Teil von dem alten Bestande übernommen; sie ist nicht abgestorben, aber sie blüht auch nicht mehr. Wir nennen: in abstruso et abdito. armis animisque. aurum et argentum. aurum et ostrum. aurum aut opes. cervicem et caput. custos et comes. fatis et fortunae. ferro et flamma. fontium vel fluminum. fortuna et felicitas, fortis et felix. non fulgur, sed flamma. infidelis et fallax. fumus et flamma. impetu

390 Ed. Wölfflin: Aus dem Latein des Vergilerklärers Donat.

atque ictu. longus et laboriosus. plenus atque perfectus. plenus et perspicuus. praesens et praeteritum. primus et principalis. praemia et preces. pretii et ponderis. publica et privata. purum et plenum. satis superque. saxis et sudibus. semel ac saepius. tenentes ac tegentes. 317, 17 non semel, sed secundo ist zwar nicht neu, aber doch selten. In Anbetracht, daß satis superque mit Adjektiven wie laudabilis, perspicuus, vitiosus verbunden wird, dürfte auch 176, 25 statt satis aperteque terribilis gelesen werden satis superque t.

Die spätlateinische Literatur für die Wortgeschichte auszubeuten ist eine ebenso weite als dankbare Aufgabe.

P. Skr. Noch wäre auf die zahlreichen lexikographischen, semasiologischen, etymologischen Bemerkungen und Definitionen von Wörtern aufmerksam zu machen, zu welchen Donat durch seine Exegese veranlaßt wird. Denn wenn uns auch manches als verfehlt erscheint, so ersieht man doch, wie die alten Grammatiker solche Probleme behandelten. Vgl. I 41, 11 frangere saxo hoc est molere. 47, 12 olim significationem habere trium temporum. 56, 11 penetrare est penitus intrare. 73, 4 furor est amor aut insania aut animi dolor. 103, 1 orare est ore aliquid suppliciter orare. 133, 18 cardo est, qui ianuam tenet vel postis. 143, 2 agonibus hoc est sacris certaminibus. 161, 17 scitari hoc est impensius quaerere. 164, 25 ulvam, quam vulgo budam appellant. 173, 31 quid petant, hoc est quid disponant. 197, 15 vias, quae aliter vici appellantur. 208, 2 divellimur, hoc est necessitate adacti separamur. 209, 18 semel pro frequenter posito; 57, 17 pro saepius. 212, 11 comitibus hoc est deductoribus. 212, 24 evado hoc est vadendo pervenio. 214, 21 correpta bipenni, hoc est properanter rapta. 214, 22 dura limina, hoc est fortia. 217, 26 superbi, hoc est glorias ostendentes. 250, 18 adytis, hoc est penetralibus (436, 29 adyta deorum secreta). 261, 10 superbum Ilium, hoc est magnum. 264, 9 nitentem, hoc est candidum. 264, 32 tabo, hoc est cruore corrupto. 437, 25 học magis, id est idcirco.

München (Basel).

Ed. Wölfflin.

Ein rätoromanisches Sprachdenkmal aus dem

hineingeschrieben.

zwölften Jahrhundert.

Im Einsiedler Codex 199 ist auf S. 452 zwischen die Zeilen einer pseudoaugustinischen Predigt eine romanische Übersetzung Der Einsiedler Bibliothekar Gabriel Meier hielt die Sprache der Übersetzung für Spanisch, Traube hat jedoch erkannt, daß wir Rätoromanisch vor uns haben, und Gröber hat dies in einem ausführlichen Kommentar begründet.*) Der Urtext fällt nach Traube in den Ausgang des 8. oder Anfang des 9. Jahrhunderts, die Übersetzung in den Beginn des 12. Jahrhunderts. Leider hat sich der Übersetzer mit der allzu bescheidenen Leistung von 14 Zeilen begnügt. Das Rätoromanische rückt durch diesen Fund in die Reihe derjenigen roman. Sprachen ein, die eine ansehnliche schriftliche Anciennität aufzuweisen haben. Allerdings sind auch die schon um 800 geschriebenen Kasseler Glossen und die ins 11. Jahrh. fallenden Wiener Glossen von Marchot dem Rätoromanischen zugeschrieben worden, aber die Frage ist noch pendent. Es folgen von 1340 an einzelne Stellen in friaulischen Rechnungsbüchern (Arch. Glott. IV 188 ff.) und 1394 eine kurze Stelle in einem Urbar aus dem graubündnerischen Münstertal (Annalas della Societad Retoromantscha VIII 254). Erst Mitte des 16. Jahrh. beginnt die zusammenhängende Literatur in Graubünden.

Hier der Text der lateinischen Predigt mit der Interlinearversion:

*) Das älteste rätoromanische Sprachdenkmal, erklärt von G. Gröber, mit einem Vorwort von L. Traube, München 1907 (S.-A. aus den Sitzungsberichten der bayr. Akad. der Wissenschaften).

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.. tare

Satis nos oportit timere tres causas

kare

frares per aquilla tutilo

seulo perdudo

karissimi fratres per quas tottus mundus perit

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aquil is gurdus et quil homo mopotesille et arcullus ki fai di... eclo seulo hoc est gula et cupiditas et superbia quia di

[n]ominai

sispe

abulus

per aquillas tres causas ille primaris homo abulus per istas tres causas adam pri

cannao si plaida ille tiauolus in quali die quo

mum hominem circumuenit dicens In quacumque

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uo manducado de quil linas si uene suauirtu fos ouli

die commederitis de ligno hoc aperientur o

?

Nus timimo semper aquillas tres periuras causas

culi uestri Nos autem semper timeamus istas tres
sicu ueni adam perdudus intin inferno

causas pessimas ne sicut adam in inferno

ne no ueniamo si perdudi prendamus

damnatus est ne nos damnemur Tenea

ieiunia

ने

contra quilla curda

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ki nus a christiani ueni

12

siquil

tra superbia nam hos sciamus quia christiani

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angeli di aquill auem nos wardadura

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2 quas aus quem gebessert vom Übersetzer

13

14

qui in caelis est 15

3 am Rande beigefügt

oben ... tare (t nicht ganz sicher), unten ... eclo seulo (statt cl weniger wahrscheinlich d, keinesfalls sl Grö.) falls diauolus (Grö.) 6 sua uirtu Grö.

5 tiauolus oder ciauolus?, keines7 timuno möglich 8 Grö. un

ferno oder uferno, u scheint jedoch in i korrigiert oder getilgt, also infoder if- oder int inferno 11 umilanz z aus c korrigiert 13 Grö. dei, si quil Vgl. das Faksimile bei Gröber. Ich habe das Manuskript, leider sehr kurz, selbst in Händen gehabt.

14 ueridade aus ued- korrigiert.

Überblicken wir, was in der Übersetzung völlig klar ist, so sehen wir, daß der Mann nach bestem, allerdings geringem, Können das Original genau wiederzugeben bestrebt war, seine Abhängigkeit ging sogar so weit, daß er stellenweise ein bißchen ins Lateinische verfiel; die kleinen Abweichungen von der Vorlage erklären sich als Verlegenheitsprodukte oder Mißverständnisse. Schon aus diesem Grunde kann ich Gröber nicht folgen in der

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