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Wortgeschichtliche Beobachtungen.

1. Die Phrase Ut ita dicam.

Diese Phrase bietet sowohl in formaler und syntaktischer Hinsicht wie nach Seite ihrer Funktion so viel Bemerkenswertes, daß es wohl lohnt, sie zum Gegenstand einer besondern Untersuchung zu machen, was bisher, so viel ich weiß, so gut wie gar nicht geschehen ist. Am meisten noch hat die Grammatiker der Eintritt des Perfekts für das Präsens beschäftigt, also die Formen ut ita dixerim, ut sic dixerim. Wölfflin hat in dem Bericht über Tacitus, Philol. XXVI 139, eine Übersicht über das historische Verhältnis dieser in der silbernen Latinität*) auftretenden Form zu der ursprünglichen gegeben, Nipperdey hat in der Note zu Tac. ann. 14, 53 das Tempus syntaktisch zu erklären versucht. Die Schwierigkeit liegt darin, daß ut finale Konjunktion, das Tempus des Satzes also ein abhängiges ist: denn im absoluten Gebrauch ist der Konjunktiv des Perfekts in Konkurrenz mit dem des Präsens als sog. Potentialis schon der plautinischen Zeit, besonders bei Verben des Sagens und Meinens, etwas ganz Geläufiges, z. B. Asin. 491 praefiscini hoc nunc dixerim.**) Nipperdey meint daher: 'Das bei Schriftstellern des silbernen Zeitalters häufige ut sic... dixerim ist entstanden aus einer Verwirrung von ut sic (ita) dicam, wie die Älteren immer sagen, und ut dixerim "wie ich sagen möchte", Agr. 3.' Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß die zitierte Stelle aus dem Agricola kritisch stark angefochten wird; überliefert ist: 'pauci et uti dixerim non modo aliorum, sed etiam nostri superstites sumus', was von den meisten Herausgebern in ut sic dixerim abgeändert wird, und gewiß mit Recht, da Tac. an vier anderen Stellen (dial. 34. 40 Germ. 2 ann. 14, 53) diese Form der Phrase hat. Aber auch

*) Zuerst bei Quintilian.

**) Blase, Histor. Gramm. d. lat. Spr. III 1 p. 203. Archiv für lat. Lexikogr. XV. Heft 4.

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wenn man uti dixerim gelten läßt, steht es, so viel ich sehe, in der ganzen Literatur vereinzelt da und eignet sich insofern schlecht zur Erklärung einer historischen Entwicklung. Dennoch hat Dräger im grunde das Richtige gesehen, die Sache ist meines Erachtens nur einfacher zu formulieren; wenn wir im Auge behalten, daß alles Syntaktische ein Ausdruck des Semasiologischen ist, können wir sagen: das Verbum wurde als unabhängig und sein Modus als potential empfunden. Was zunächst die Unabhängigkeit des Verbums betrifft, so ist der Satz ut ita dicam der Form nach ja ein Finalsatz ein parenthetischer Finalsatz', wie Dräger ihn und ähnliche*) nennt (Syntax II 2 S. 687 § 540, 1)

also ein abhängiger Satz; wenn wir uns aber nach dem übergeordneten Satz umsehen, so zeigt sich, daß ein solcher nicht vorhanden ist: er muß aus der Situation ergänzt werden. Dieser besondere, mit Dräger zu reden 'parenthetische' Charakter des Finalsatzes zeigt ihn äußerlich einem Satz mit unabhängigem Tempus, etwa einem Komparativsatz mit ut, nahe verwandt. Und in der Tat gibt es Fälle der Koinzidenz beider Satzarten. Wenn z. B. Plinius d. Ä. sagt (25, 16) 'in repertis alias invenit casus, alias, ut verius dixerim, deus', so könnte man ebenso gut übersetzen: wie ich mit mehr Wahrheit sagen könnte', als auch: 'damit ich es richtiger sage'. Solche Fälle zeigen, wie nahe sich Komparativ- und Finalsatz begrifflich rücken können. So fühlte man denn auch in der Phrase ut ita dicam das Potentielle der Bedeutung durch; 'damit ich so sage' entspricht begrifflich vollständig dem ich möchte so sagen'. Und so ist die Entwicklung, die das Perfekt an die Stelle des Präsens schob, eine ganz natürliche.

So weit das Syntaktische. Einige Beachtung verdient auch die Stellung von ut ita dicam. Die Phrase ist bekanntlich eine Wendung der Entschuldigung oder Milderung für einen sprachlichen Ausdruck: dadurch bestimmt sich ihre Stellung. Das Normale ist, daß sie dem zu entschuldigenden Ausdruck vorangeht: wer eine Handlung vornimmt, von der er weiß, daß sie den andern unangenehm berühren könnte, wird sich im voraus dafür entschuldigen; so auch der, welcher ein Wort gebraucht, von dem er meint, es könne das Sprachgefühl des Hörers verletzen. Folgerichtig

*) ut verius dicam, ut de me fatear, ut more nostro loquar usw. Anders z. B. Cic. Att. 1, 1, 1 ut frontem ferias: sunt, qui . . . putent.

sprechen Cicero und Quintilian in ihren Äußerungen über den Gebrauch von ut ita dicam von einem praeponere des Ausdrucks, bzw. einem praemunire durch denselben (s. S. 447). Bei Cicero selbst, der überhaupt die ältesten Beispiele für unsere locutio liefert, erscheint sie 25 mal vor-, 16 mal nachgestellt, bei Seneca dem Philosophen, der nächst Cicero die meisten Beispiele aufweist, finden wir unter 38 Fällen des Gebrauchs nur 2 mal (beidemale bei einer Satzinversion!) die enklitische Nachstellung.*) Auf Senecas Seite steht, mit 15 Beispielen der Institutio, auch Quintilian; nur in den Declamationes findet sich ein Beispiel (unter dreien) der nachgestellten oder eigentlich zwischen zwei auffälligere Ausdrücke hineingeschobenen Phrase: decl. 332 p. 309 potestis permutata, ut sic dixerim, translataque invicem fortuna aestimare usw. Mit der Voranstellung halten es auch Tacitus und Plinius der Jüngere mit je fünf Beispielen, während Florus unter vier Fällen eine Nachstellung hat (1, 11, 10). Valerius Maximus hat unter vier Beispielen eines, bei dem die Phrase sich vielleicht auf die beiden Teile des Ausdrucks, zwischen die sie gestellt ist, gleichmäßig beziehen könnte: 1, 7, 8 propioribus. ., ut ita dicam, lineis Haterii Rufi... somnium certo eventu admotum est. Diese Einschiebung oder Zwischenstellung der Phrase ist natürlich zur Nachstellung zu zählen, wie die ähnlichen Fälle bei Cicero, Tusc. 3, 25 taetra res est . . . omni contentione, velis, u. i. d., remisque fugienda. Cato 42 voluptas ... mentis, u. i. d., praestringit oculos. Die enklitische Nachstellung von ut ita dicam hat sprachpsychologisch ihre ebenso gute Begründung wie im täglichen Leben die Nachholung einer Entschuldigung, die man nicht rechtzeitig und von vornherein geben konnte: bei der Anhängung der Phrase wirkt der auffällige Ausdruck unwillkürlicher, improvisierter; dem Autor ist seine Wendung ungewollt entschlüpft, er hat sie nicht von vornherein berechnet: das mag die Art der Sprache des täglichen Umgangs sein, und es ist vielleicht kein Zufall, daß sich das erste Beispiel der Nachstellung in einem Briefe, Cic. ad Att. 1, 17, 4 (65 v. Chr.) findet und daß die übrigen Beispiele bei Cicero fast ausschließlich in den rasch hingeworfenen dialogischen Philosophica stehen. Daneben mögen allerdings auch rhythmisch-euphonische Gründe für die Stellung

*) Nat. quaest. 2, 28, 3 lato, u. i. d., ictu et totum globum semet dissipante opus est, und epist. 71, 4 nec circumitu longo, quod sit summum bonum, colliges: digito, u. i. d., demonstrandum est.

maßgebend gewesen sein, was besonders für die Einschiebung zwischen zwei zusammengehörige Redeteile gilt, z. B. Brut. 96 verborum comprehensio et iam artifex, u. i. d., stilus.*)

Durch ihre stilistische Funktion nun wird unsere Phrase, das heißt die Ausdehnung ihres Gebrauchs, bzw. ihr Fehlen, ein nennenswertes Stilkriterium der Prosaiker. Allerdings darf man nicht vergessen, daß ut ita dicam nicht das einzige Mittel der Entschuldigung für eine sprachliche Kühnheit oder Absonderlichkeit ist; hierzu können auch tamquam, quasi, quidam, quodam modo und dergl. oder eine umständlichere Wendung**) sehr wohl dienen; erst mit Hinzuziehung solcher Wendungen könnte man einen einigermaßen umfassenden Überblick über die besonderen sprachlichen Eigenheiten eines Autors erlangen. Immerhin aber liefert auch schon der Gebrauch von u. i. d. eine gewisse Charakteristik, denn diese Phrase ist unter den stereotypen die stärkste, da sie aus einem ganzen Satze besteht, und die subjektivste, da die Person des Sprechenden darin auftritt. In der Tat ist das Ergebnis der Statistik über den Gebrauch von u. i. d. für die Eigenart der Autoren bezeichnend genug. So finden wir es, wie schon bemerkt, am häufigsten bei Cicero (41 Stellen), Seneca dem Philosophen (38) und Quintilian (18). Dieses Kleeblatt bildet inhaltlich wie stilistisch eine besondere Einheit: gemeinsam ist den dreien gegenüber den anderen Prosaikern größeren Umfangs, die in betracht kommen, das philosophische Raisonnement, gemeinsam der Sinn für die Schönheitslinie, für das stilistische Maßhalten und Abrunden; das Streben nach der rhetorischen Pointe, das sie freilich mit anderen Prosaikern teilen, geht damit Hand in Hand. Wer auf diese Dinge nichts hält oder nach absonderlichen Wendungen jagt, wird sich nicht bemüßigt fühlen, sie zu entschuldigen: so ist es z. B. nicht verwunderlich, daß in der ganzen Naturalis historia des Plinius unsere Phrase auch nicht ein einziges Mal vorkommt. Gerät Plinius einmal in die Lage, einen wenig passenden Ausdruck etwas beschönigen zu müssen, so hilft er sich mit dem farblosen quidam, z. B. 10, 39 auxiliatur accipiter (noctuis) collegio quodam naturae 17, 291 si saucias (vites) recenti medicina mordeat quaedam hiemis ruminatio.

*) Verwandt damit sind Fälle wie Tac. Germ. 30 multum, ut inter Germanos, rationis et sollertiae.

**) Wie bei Cic. fin. 3, 15 sqq. die sprachlichen Neuerungen durch dicere licebit, appellemus nnd dergl. eingeführt werden.

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Wie auf der einen Seite die laxen Stilisten, zu denen (freilich in anderem Sinn als Plinius) auch Varro zählt, so kennen auf der anderen Seite die extremen Stilpuristen kein ut ita dicam. Daß ein Stilist, zu dessen Grundsätzen es gehörte, ein ungebräuchliches Wort "wie eine Klippe zu meiden", unsere locutio nicht nötig hatte, könnte man schon a priori behaupten. Und in der Tat findet sich bei Caesar kein einziges Beispiel; freilich steht es damit auch bei den anderen Historikern schlecht; es fehlt u. i. d. bei Sallust, Nepos, Velleius, Curtius, Sueton, Justin und anderen. Bei Livius finden wir ganze zwei Fälle; den ersten in der rhetorisch gefärbten deliberatio: 'Quinam eventus Romanis rebus, si cum Alexandro foret bellatum, futurus fuerit', 9, 18, 2, wo es heißt: (Alexander) si ex habitu novae fortunae novique, ut ita dicam, ingenii... spectetur', das zweite in einer Rede selbst, der des L. Valerius, 34, 6, 5: 'sic, quas tempora aliqua desiderarunt leges, mortales, u. i. d., et temporibus ipsis mutabiles esse video. Wir sehen, daß die Phrase sich für den ruhig objektiven Stil des Historikers nicht eignete: damit stimmt wieder recht gut, daß rhetorisierende Geschichtschreiber wie Tacitus und Florus (auch Valerius Maximus könnte man dazu rechnen), sie zur Anwendung bringen. Von den Dichtern habe ich nicht gesprochen; es ist selbstverständlich, daß sie die Phrase nicht kennen: die Poesie entschuldigt nicht die Kühnheit des Ausdrucks, sondern sucht sie.*)

Was nun die Funktion der Phrase selbst betrifft, so besitzen wir zwei gewichtige Zeugnisse über sie von Stilisten, die sie selber reichlich verwendet haben, nämlich von Cicero und Quintilian. Cicero sagt de oratore 3, 165: si vereare, ne paullo durior translatio esse videatur, mollienda est praeposito saepe verbo; ut si olim M. Catone mortuo 'pupillum' senatum quis relictum diceret, paullo durius; sin 'ut ita dicam pupillum' aliquando mitius usw. Quintilian inst. 8, 3, 37: si quid periculosius finxisse videbimur, quibusdam remediis praemuniendum est: ut ita dicam' 'si liceat dicere' 'quodam modo' 'permittite mihi sic uti', quod idem etiam in iis quae licentius translata sunt 'proderit' etc.**)

*) Doch vgl. Ov. met. 1, 175 hic locus est, quem, si verbis andacia detur, haud timeam magni dixisse Palatia caeli (den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Prof. Ammon). Von da bis zur Verwendung einer stereotypen Formel ist freilich noch ein langer Weg.

**) Prof. Gudeman macht mich auf eine Parallelstelle' zu diesen 'loci

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