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der Kirche selbst berufen zu sein, wogegen freilich auch nichts in ihrer eigenthümlichen Berufung liegt, was sie zu jenen unfähig macht. Aber auch der Lehrstand überhaupt, der eigentliche Klerus, kann nicht allein zur Bestreitung des kirchlichen Irrthums berufen sein, sondern auch Laien, welche keiner theologischen Bildung theilhaftig geworden, können recht vollständig dazu berufen sein. Die theologische Bildung bezweckt zunächst die Fähigkeit zur Leitung der Kirche, wozu freilich auch Abstellung von Mißbräuchen im Ganzen und Heilung von Gebrechen in dem Einzelnen gehört. Der Kampf gegen den Irrthum, wie er sich in der Kirche geltend gemacht, beruht aber zunächst und vorzüglich auf einem Muthgefühle, einer Kampflust, wie sie durch die Noth hervorgerufen wird, und an sich weder in dem Wesen des geistlichen Amts noch in dem Berufe des akademischen Theologen liegt. So, gewiß Männer aus beiden Lebenssfären besonders häufig dazu berufen sein werden, gegen den Irrthum aufzutreten: so werden sie es doch immer zugleich noch durch eine besondere Stimme in ihrem Inneren sein, welche ihnen die Angemessenheit ihrer eigenthümlichen Kräfte zu diesem Werke des Herrn gewiß macht. Es ist dies eines von den Verhältnissen, in welchen der Geist des Herrn sich noch eine andere Berufsart als vermittelst amtlicher Stellung vorbehalten hat.

Die wichtigsten und allgemeinsten Eigenschaften, deren ein Bestreiter des Irrthums sich bewußt sein muß, um mit Erfolg auftreten zu können, lassen sich in einer dreifachen Verbindung von Gegensäßen darstellen, deren jede nicht in allen Fällen gleich nothwendig ist, deren Beisammensein aber erst die Gesammtheit der polemischen Eigenschaften nach allen Seiten hin ausmachen wird. 1. Ein scharf sondernder Verstand verbinde sich mit lebendiger Liebe zur Wahrheit. Ohne jenen würde die Fähigkeit nicht sein, die oft so selt= same und schwer zu erkennende Verkettung des Irrthums mit der Wahrheit wahrzunchmen, und ohne diese würde die

Wärme, die Fülle, die das innerste Leben, auch in dem Gegner, nicht zerschende und auflösende, sondern erhaltende Kraft nicht vorhanden sein. 2. Wissenschaftliche Bildung mit Sinn für das kirchliche Leben. Ohne jene, welche denn auch die theologische mit in sich schließt, obwohl nicht gerade in einem hervorragenden Grade, läßt sich diejenige geistige Ueberle genheit nicht denken, welche mit einigem Erfolge den kirchlichen Irrthum, der immer von wissenschaftlich) Gebildeten mit gehegt zu werden pflegt, und über die bedeutendsten Gebiete des geistigen und literårischen Lebens sich verbreitet, zu bestreiten hoffen darf. Ohne diesen aber, ohne eine reine und innige Liebe zum kirchlichen Leben, würde die wissenschaftliche Bestreitung, möge sie nun mehr oder minder theologisch sein, unfehlbar jenes Kalte und Vornehme annehmen, welches allen wahren Eindruck auf die Kirche aufhebt. Denn sobald diese auch nur in ihren geringsten wahren Gliedern und deren Bedürfnissen gleichsam von oben herab angesehen und angeredet wird: so weiß sie schon, daß sie keinen wahren Rath, keine ächte Hülfe von daher zu erwar ten hat, und wendet sich, zwar nicht wieder vornehm, aber ungerührt, hinweg von dem kalten Gespräche, dem der Hauch der brüderlichen Theilnahme nicht anzumerken ist. 3. Eigenthümlicher Zugang zu der Wirkungsffåre eines kirchlichen Irrthums verbunden mit Anerkennung der Unbescholtenheit von Seiten der kirchlichen Gemeinschaft. Da der kirchliche Irrthum sich recht konkret und real nur in einer bestimmten Sfåre ausspricht, so daß meistentheils selbst Bücher, die in seinem Interesse geschrieben sind, nicht vollständig zu verstehen sind ohne die Anschauung des Lebenskreiscs, aus dem sie hervorgegangen: so würde es in vielen Fållen ein leeres Unternehmen sein, eine Entwickelungsform des Irrthums bestreiten zu wollen, die man eben als bestimmte Form nicht kennt, nicht gesehen hat. Je nåher man den Wirkungen des Irrthums steht, desto nöthiger ist es aber auch zu einer erfolgreichen Bestreitung nicht allein, daß man selbst von ihm

frei geblieben, sondern auch daß man nicht krankhaft und cinseitig in das entgegengesetzte Extrem gerathen sei. Und eben diese Unparteilichkeit im Kampfe zwischen zwei überspannten Parteien, dieses Unverwickeltsein in die unreinen. Gebiete, die sich auch um das kirchliche Leben herumlegen, läßt sich in der Regel als kirchliche Achtung bezeichnen, deren das Individuum genießt, und ohne diese wird niemand den Kampf gegen den Irrthum siegreich bestehen.

Hieraus geht hervor, welche Glieder der Kirche, und in welchen Beziehungen, nach einer ernsten Prüfung, sich des Unternehmens, als Bekämpfer des Irrthums herauszutreten vor das Angesicht der Kirche, zu enthalten haben, wofern sie nicht als Vermessene und Unberufene der Sache einen schlechten Dienst leisten wollen.

S. 3.

Die drei Hauptformen der Bestreitung des kirchlichen Irrthums sind: das Religionsgespräch, die Disputazion, die Streitschrift.

1. Das Religionsgespräch ist eine solche kirchlich zugelassene öffentliche Unterredung über streitige Religionsmaterien, von welcher eine Stärkung des kirchlichen Wahrheitsgefühls zu hoffen steht. Wurde das Religionsgespräch in früheren Zeiten, wie vorzüglich im Reformazionsjahrhundert, überschäßt: so scheint es, daß man in neueren Zeiten seinen Werth zu gering anschlägt, wie man ihn denn zum Theil gänzlich in Abrede stellt. Denn wenn freilich durch Ungeeignetheit der Gegenstände und Leidenschaftlichkeit der Unterredner die Religionsgespräche oftmals mehr Aergerniß als Verständigung hervorbrachten: so darf man nicht vergessen, wie manches Religionsgespräch einen den Erwartungen, um derentwillen es veranstaltet wurde, völlig gemåßen Erfolg nahm, wie die Religionsgespräche in Zürich (1523),

Bern (1528), Hessen (1526) und anderswo, durch welche wirklich die öffentlichkirchliche Stimmung für die christliche Wahrheit bedeutend empfänglicher ward. Selbst von denjenigen Religionsgesprächen, die in Hoffnung einer Vereini gung der Parteien gehalten wurden, und diesen Zweck keinesweges erreichten, ging doch häufig ein gestärktes Wahrheitsgefühl über diejenigen aus, welche den Kern der Kirche bildeten, wie von dem zu Poissy u. a. Und warum sollte auch ein Gespräch, dessen Theilnehmer einander Interesse für die Wahrheit, Kenntniß der Sache und Mäßigung zutrauen, und welchen die Kirche oder der Staat eine öffentliche Unterredung gestattet, nothwendig jedesmal unglückliche Folgen haben? Wenn die öffentliche Sitte wirklich fortgeschritten ist: so wird sie auch bewirken, daß die Merkmale der Unbildung, die jenen früheren Zeiten noch anhaftete, verschwinden; und je mehr in einem gegebenen Falle ein kirchlicher Sinn von beiden Seiten anzuerkennen wäre : desto leichter müßte es ja der åchtkirchlichen Gesinnung der Gesammtheit werden, das Verleßende und Erbitternde solcher Gespräche auszuschließen. Ein Religionsgespräch einer gewissen Art entwickelt sich doch unvermeidlich aus der Thåtigkeit jeder kirchlichen Behörde, habe diese eine konsistoria, lische oder eine presbyterialische Form, so oft es darauf ankommt, über das Gefährliche oder Nichtgefährliche gewisser kirchlicher Erscheinungen sich zu verständigen. Daß nun in solchen Fällen, wo es fast unmöglich ist, sich nicht zu entzweien, wenn man nicht einmal ven Versuch macht, sich zu verständigen, bei der Berührung jedes an die Lehre streifenden Punkts das Gebot geltend gemacht werde „Keine Dogmen“, das ist gar nicht zu verstehen aus der vorgeschüßten Absicht, die Gewissensfreiheit nicht zu gefährden (denn wird sie dann gefährdet, wenn jemand über einen Lehrpunkt redet?), sondern theils aus der Abneigung, irgend eine bes stimmte Gedankenform im Gebiete der christlichen Wahrheit aufkommen zu lassen, theils aus dem Mißtrauen, daß es

schlechterdings keine Verständigung in Sachen der Lehre ges ben könne, beides Ansichten, die durchaus unverträglich sind mit der Natur der Wahrheit und mit dem Geiste des Verstandes und der Verständigung, den die Glieder Christi empfangen haben. Durch dies Alles wird keinesweges gelengnet, daß die Anwendung der Religionsgespräche nur in seltenen Fällen und mit vorsichtiger Auswahl der Individuen und Abgrånzung der Gegenstände Statt finden dürfe; aber die Reinheit und Zweckmäßigkeit der Form an sich wird behauptet.

2. Die akademische Disputazion hat zwar zunächst einen persönlich erhibitorischen und dialektisch-gymnastischen Zweck. Allein der Begriff der Universität und der theologischen Fakultät berührt sich zu wesentlich mit dem der Kirche, als daß ein solches Gefecht mit Gedanken und Worten nicht auch eine Beziehung auf die kirchliche Wahrheit, wie sie dem kirchlichen Irrthume gegenübersteht, haben sollte. Darf schon der, welcher Thesen bekannt macht, um sie zu vertheidigen, nicht von vorn herein als ein solcher betrachtet werden, der hierin nur ein Mittel sucht, seiner Eitelkeit durch die Entwickelung seines Talents Nahrung zu schaffen, sondern als ein solcher, den es freut, öffentlich eine lebendig erkannte theologische Wahrheit geltend zu machen: so ist auch kaum zu zweifeln, daß das Verlangen, irgend einem Irrthume, der sich im öffentlichen Leben der Kirche zu erkennen giebt, entgegenzutreten, Antheil gehabt habe an der Wahl gerade dieser Säße, die der Respondent zu behaupten unternimmt. Ebenso ist es von dem Opponenten, besonders wenn er ganz freiwillig heraustritt und einem erfahreneren Alter angehört, zu erwarten, daß ihn ein Trieb der Wahrheit anrege, welcher in dem Gegner den Irrthum selbst von irgend einer Seite zu vernichten sich gedrungen fühlt. Wird nun dies auf der einen oder der anderen Seite angenommen: so ist auch die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß der Wahrheit in theologisch - dialektischer Form ein gewisser Sieg über den

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