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den Stoff einzugehen, sondern dazu ein äusserer Zwang nöthig wäre), oft zerstreut in der Darstellung des Historikers, es sind Gegenstände, die in keiner Verbindung mit einander stehen, nur Einzelheiten, welche nicht passend verbunden, nicht wahrheitsgetreu erzählt oder ganz übergangen sind. Sollen diese nun nicht abgerissen und in ihrer Vereinzelung, sondern im Zusammenhange, nicht trocken, sondern anziehend geschildert werden, so bleibt nichts übrig, als alles zwischen den einzelnen Punkten Liegende heranzuziehen, auf dasselbe einzugehen und die Stellen, die etwas, dessen Verständniss nöthig ist, enthalten, irgendwie auszuzeichnen. So würden die Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten der 3. Dekade zu einer Geschichte des zweiten punischen Krieges, und, da der Erklärer so speciell als möglich auf den Stoff eingehen soll, vielleicht nicht weniger ausführlich werden, als die von Livius selbst gegebene Darstellung, während auf der anderen Seite nicht abzusehen ist, wie die abgerissen vom 2. bis 6. Buche erzählten Ereignisse in Zusammenhang gebracht werden sollen, ohne viele Hypothesen oder das Geständniss herbeizuführen, dass wir denselben ebenso wenig nachweisen können, als Livius ihn kannte. Während sonst erfahrene Schulmänner fordern, dass, ausser der Rücksicht auf die Sprache, die Lecture der Historiker den Zweck verfolgen müsse, die allgemeine Kenntniss der alten Geschichte, die der Schüler in dem Geschichtsunterricht erhält, zu ergänzen, zu beleben und zu veranschaulichen, würde nach dem hier empfohlenen Verfahren die Einleitung in den Historiker das Wichtigere werden, hier würde die Nachweisung des Zusammenhangs, hier die Berichtigung der Irrthümer, die Ergänzung der Lücken u. s. w. zu suchen sein. Ebenso soll das Antiquarische, im weitesten Sinne, was zum Verständniss nöthig ist, also nicht allein das die Staats-, Sacral-, Privatalterthümer Betreffende, sondern auch was sich auf Mythologie, Topographie, vielleicht selbst Geographie bezieht, im Zusammenhange entwickelt werden. Wie aber ein Zusammenhang in diese heterogenen Gegenstände zu bringen sei, lässt sich schwer absehen; selbst wenn die Forderung so verstanden sein will, dass nur die einen bestimmten, einzelnen Kreis betreffenden Stellen gesammelt und im Zusammenhang dargestellt werden sollen, würde derselben kaum entsprochen werden können, ohne vielfach über die Bücher, denen die Einleitung beigegeben wird, hinauszugehen. Denn auch hier wird es nothwendig, die Lücken zwischen den einzelnen, meist zerstreuten und nicht zusammenhängenden Bemerkungen des Historikers auszufüllen, zu diesem

Zweck aber und um Zusammenhang in diesen Stoff zu bringen, Manches, was der Schriftsteller erst weit später oder gar nicht berührt, herbeizuziehen. Dasselbe würde sich bei den einzelnen Instituten, Gebräuchen u. s. w. wiederholen. Denn da Livius oft späte Einrichtungen früher erwähnt oder die alten nach der Bedeutung, die sie später oder zu seiner Zeit hatten, auffasst und darstellt, so wird, um den Zusammenhang der ursprünglichen und der späteren Bedeutung zu vermitteln, die ganze Geschichte derselben, bis zu einem weit über die betreffenden Bücher hinausliegenden Zeitpunkte, einer einzelnen Stelle wegen, s. 1, 19, 3, verfolgt werden müssen. So wäre, um nur ein Beispiel zu geben, in der antiquarischen Einleitung zu den ersten beiden Büchern, abgesehen von dem Mythologischen, Topographischen u. A. zu behandeln das römische Königthum; die älteste Verfassung, die Servianische bis zur Einordnung der Centurien in die Tribus, wegen 1, 43, 13; die verschiedenen Comitien und deren Competenzen, der ältere und spätere populus, die alte und die spätere plebs, die Clienten; der Senat; die lex sacrata, agraria, Publilia ; das Consulat; das Volkstribunat; das Gerichtswesen, der Process des Horatius, der Söhne des Brutus, des Cassius, Coriolanus; die Kriegsverfassung, das Sacralwesen, die Colonien, das Verhältniss Roms zu den Latinern u. s. w., also bei weitem der grössere Theil der Antiquitäten im engeren Sinne, und nicht allein bis in die Zeit, wo das zweite Buch schliesst, sondern Vieles bis zu L.' Zeit. Bei dem Reichthum und der Schwierigkeit dieses zum grossen Theil controversen Stoffes müsste diese Einleitung, auch wenn der Erklärer sich noch so sehr der Präcision befleissigte und dieser die anziehende Darstellung nachsetzte, einen Umfang erhalten, der mit dem der beiden Bücher in keinem Verhältnisse stände. Der Schüler, wenn er die historische Einleitung durchgearbeitet hat, wird sich durch die ihr folgende, umfangreichere antiquarische schwerlich zur Lectüre des Schriftstellers besonders aufgemuntert fühlen; und wenn er dann während derselben so oft auf die Einleitung verwiesen wird und, um einen Abschnitt in dieser durchzulesen, die Lectüre unterbrechen soll, so ist leicht einzusehen, wie störend und zeitraubend dies sein würde, wie viel einfacher ihm an Ort und Stelle, wenn er mitten in der Sache ist, mündlich oder durch den Commentar die nöthige Nachhülfe gegeben werden könnte, ohne ihn von der Hauptsache, der Lectüre, abzuziehen. Dazu kommt noch, dass die in der antiquarischen Einleitung besprochenen Verhältnisse zum grossen Theil, manche oft wiederkehren; sollen also auch zu den folgenden

Büchern Einleitungen, die das Antiquarische, im weitesten Sinne des Wortes, im Zusammenhange entwickeln, gegeben werden, so bleibt nichts übrig, als entweder das in der ersten Behandelte mit wenigen, durch die in den betreffenden Büchern berührten Gegenstände veranlassten Erweiterungen vollständig zu wiederholen und dasselbe in fünf oder mehr Einleitungen zu behandeln, oder in späteren auf die erste oder eine frühere zu verweisen und somit auf den Zweck derselben, die Darstellung des Antiquarischen im Zusammenhange, zu verzichten; es würde so ein rasches Verständniss zwar nicht gefördert, aber die Einheit der Anmerkungen gewahrt werden. Ist diese aber so wichtig und so sehr zu erstreben, so ist nicht abzusehen, warum der Einleitung allein das Sachliche, nicht zum Theil auch das Sprachliche zugewiesen werden soll. Es ist in der neuesten Zeit mehrfach mit Erfolg versucht worden, die sprachlichen Eigenthümlichkeiten des behandelten Schriftstellers in der Einleitung zusammenzustellen; einen Grund, warum dies nicht geschehen dürfe, gibt der Phil. Anz. nicht an; man hätte also erwarten können, in demselben auch dieses Mittel, den Commentar von heterogenen Bestandtheilen zu befreien, auf ein minimum zu reducieren und einheitlich zu gestalten empfohlen zu sehen.

Nur noch wenige Worte, da der Herausgeber des Phil. Anz. den Gegenstand, wie er es in hohem Grade verdient, eingehender zu behandeln verspricht, möchte ich über die Ansicht desselben von den Reden im Livius hinzufügen. Nach dieser haben die Römer, Sallustius und Livius, bezüglich der Reden in selbstständiger Leistung alle Griechen nach Thukydides übertroffen. Wenn aber dieser als Norm und Massstab hingestellt wird, so ist schwer einzusehen, warum die Reden bei Xenophon und Polybios alle hinter denen des Livius zurück- und weiter von Thukydides abstehen sollen, da sie wenigstens zum Theil historische Reden sind, während die bei Livius, wie es im Phil. Anz. heisst, nur rhetorische Meisterstücke sind, die des Schönen gar viel enthalten, eine schon von Quintilian aufgestellte und bis jetzt nicht bezweifelte Behauptung, die aber nicht beweist, dass Reden, die nicht aus der gegebenen Situation hervorgehen, diese wenig berücksichtigen, sich in allgemeinen Gedanken bewegen, wie so viele bei Livius (natürlich sind die von ihm dem Polybios entlehnten auszunehmen), mögen sie auch des Schönen viel enthalten, den wenigstens den Verhältnissen entsprechenden bei Xenophon, Polybios u. A. vorzuziehen und in einem historischen Werke nicht vielmehr als ein äusserlicher, der Sache selbst

waren,

fremder Schmuck zu betrachten seien, wie es an der betreffenden Stelle an einer dieser Reden schlagend nachgewiesen ist, ohne dass die rhetorischen Vorzüge derselben in das gehörige Licht gestellt werden. Ebenso dürfte daraus, dass Niebuhr, der ganz in der alten Geschichte lebte, dem alle Verhältnisse gegenwärtig die Reden im 3. Bande der römischen Geschichte in Ita- . lien, vor der Abfassung des Uebrigen geschrieben hat, schwerlich folgen, dass auch Livius vor der Bearbeitung des Geschichtswerkes die Reden verfasst, in Rhetorschulen vorgetragen und dann an den betreffenden Stellen der Geschichte eingefügt habe, da er gewiss viele Situationen, in denen er Reden halten lässt, erst kennen lernte, als er in der Erzählung an den Zeitpunkt derselben gelangte. Auch ist kein Beweis für die Annahme, sondern ein blosses 'vielleicht beigebracht; und dass Livius wenigstens bei sehr vielen Reden nicht in der angegebenen Weise verfahren ist, geht deutlich aus denen hervor, die wir bei Anderen vergleichen können. Dass in der 4. und 5. Dekade die griechische, macedonische, asiatische Verhältnisse betreffenden Reden dem Inhalt nach Polybios entlehnt und nur mehr rhetorisch von Livius bearbeitet sind, wird schwerlich Jemand in Abrede stellen; dass in der 3. Dekade die Reden 21, 40; 43; 53; 28, 27; 32; 30, 30 nicht von Livius erfunden, sondern einer ihm vorliegenden Quelle entlehnt sind, kann nur der leugnen, der die entsprechenden Stellen bei Polybios nicht vergleicht; auf ein ähnliches Verhältniss weisen manche Reden hin, die Livius mit Dionysios gemein hat. Wenn also Livius da, wo wir vergleichen können, bereits in die Darstellung aufgenommene Reden benutzt und nur ausgeschmückt hat, muss man dann nicht schliessen, dass er im Allgemeinen auch da, wo uns seine Quellen nicht mehr zugänglich sind, in ähnlicher Weise verfahren sei? Allerdings hätte ein so reicher Geist wie Livius diese Hülfe entbehren, hätte selbstständig, wie es gewiss auch in vielen Fällen geschehen ist, Reden verfassen können; aber seine Abhängigkeit von den Quellen, die er benutzt, seine eigene Unkenntniss vieler Verhältnisse, vielleicht auch andere Gründe scheinen ihn bestimmt zu haben, oft lieber seinen Gewährsmännern als seinen eigenen Eingebungen zu folgen. Wer wollte leugnen, dass Livius eine Rede, wie wir sie 21, 10 lesen, selbst habe verfassen können, zu derselben keine Annalisten gebraucht habe'; aber daraus folgt doch nicht, dass er sie wirklich selbst gearbeitet, einem Annalisten nicht entlehnt habe. Wenn aus Nonius p. 80: bellosum und Prisc. 10, 17 (II 510, 1) sich schliessen lässt, dass Coelius

Antipater in der Schilderung der dort gegebenen Situation eine Rede gehabt habe, und es sich kaum leugnen lässt, dass Livius in dem betreffenden Abschnitte Coelius besonders folge, liegt da nicht die Vermuthung nahe, dass er ihm, seinem Verfahren treu, auch die Rede, wenigstens ihrem Inhalte nach, entlehnt habe? Dass aber die Rede der Ausdruck der Friedenspartei in Karthago habe sein und diese charakterisieren sollen, lassen die Motive, welche angeführt werden, die Heilighaltung der Bündnisse, die Strafe der Götter, überhaupt die Hervorhebung der religiösen Momente, die Livius weit über die politischen stellt, die Erbitterung gegen den Friedensstörer u. A. nicht bezweifeln. Wol hätte Livius, wer wollte das leugnen? in dieser, wie in vielen seiner Reden, schlagendere, den Verhältnissen mehr entsprechende Gründe ausführen können, aber deshalb hört die Rede, wie sie vorliegt, nicht auf, der Ausdruck einer Partei zu sein, die den Frieden um jeden Preis will, und diese zu veranschaulichen; und es ist nicht abzusehen, wie der Umstand, dass es zweifelhaft sein kann, ob dieselbe im ganzen Senate oder einem Ausschuss desselben gehalten wird, und dass es heisst, Hanno allein habe so gesprochen, diesen Charakter alterieren könne. Dass auch in anderen Reden das Ungenügende und Ungeeignete mehr, als es geschehen ist, von mir hätte nachgewiesen werden können, räume ich gern ein, glaube aber, dass es nicht angemessen sei, in einer Schulausgabe eine so scharfe Kritik des zu lesenden Schriftstellers zu üben, wie es im Phil. Anz. geschieht.

Ohne also den gerechten Tadel des Phil. Anzeigers abweisen zu wollen oder das Grosse und Schöne der ausgesprochenen Ideen und Vorschläge zu verkennen, muss ich doch gestehen, dass mir dieselben zu unbestimmt oder zu weitgehend und zu wenig praktisch erschienen, als dass ich hätte hoffen dürfen, sie in einer Ausgabe, die wesentlich den Zwecken der Schule dienen soll, mit Nutzen und Erfolg in Anwendung bringen zu können. Eisenach im Januar 1871.

Wilhelm Weissenborn.

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